Walter Scott
Waverley - So war's vor sechzig Jahren
Walter Scott

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Kapitel XXXV.

Ein Ereigniß.

Die Mittagszeit wurde in Schottland vor sechszig Jahren um zwei Uhr abgehalten. Es war daher gegen vier Uhr an einem köstlichen Herbstnachmittage, als Mr. Gilfillan seinen Marsch in der Hoffnung antrat, Stirling, obgleich es achtzehn englische Meilen entfernt war, noch an diesem Abend zu erreichen, wenn er eine oder zwei Stunden von der Dunkelheit erborgte. Er strengte daher alle Kräfte an, indem er an der Spitze seiner Leute einherschritt, wobei er von Zeit zu Zeit unsern Helden ansah, als hätte er Lust, ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen. Endlich war er unfähig, der Versuchung länger zu widerstehen, verkürzte seinen Schritt, bis er neben dem Pferde seines Gefangenen war, und nachdem er noch eine kurze Zeit an der Seite desselben hergegangen war, fragte er plötzlich: »Könnt Ihr mir sagen, wer der Kerl mit dem schwarzen Rocke und dem gepuderten Haare war, den ich bei dem Laird von Cairnvreckan sah?«

»Ein presbyterianischer Geistlicher,« antwortete Waverley.

»Ein Presbyterianer?« erwiderte Gilsillan geringschätzend, »ein elender Ketzer oder vielmehr ein unerleuchteter Prälatist, ein Begünstiger der schwarzen Indulgenz, einer von den schweigsamen Hunden, die nicht bellen können, sie schwatzen über den Schrecken und den Trost in ihren Predigten ohne Sinn und Kraft und Leben. – Ihr seid vielleicht auch in diesem Glauben aufgewachsen?«

»Nein, ich gehöre zur englischen Kirche,« sagte Waverley.

»Nun, die sind Nachbarskinder,« entgegnete der Covenanter, »und kein Wunder, daß sie mit einander so gut stehen. Wer hätte gedacht, daß der gute Bau der Kirche von Schottland, den unsere Väter 1642 aufführten, durch fleischliche Zwecke und die Verderbniß der Zeit entstellt werden würde, wer hätte gedacht, daß das Schnitzwerk des Heiligthums so bald niedergerissen werden würde?«

Auf diese Klagen, welche einer oder zwei der Zuhörer mit einem tiefen Stöhnen begleiteten, hielt unser Held eine Antwort für überflüssig. Mr. Gilfillan beschloß darauf, daß er, wenn kein Disputator, so doch wenigstens ein Zuhörer sein sollte, und fuhr in seiner Jeremiade fort, in der er nur die versprengten Reste des Hügelvolks schonte.

Sein Gegenstand war umfangreich, seine Stimme mächtig, sein Gedächtniß stark, so daß wenig Aussicht war, er würde seine Ermahnungsrede endigen, ehe er Stirling erreichte, wäre nicht seine Aufmerksamkeit durch einen Hausirer erweckt worden, der sich ihnen an einem Kreuzwege angeschlossen hatte, und der bei jeder passenden Stelle der salbungsvollen Rede gewaltig seufzte und stöhnte.

»Und wer mögt Ihr sein, Freund?« fragte ihn Gifted Gilfillan.

»Ein armer Hausirer, der nach Stirling will, und Euer Gnaden um den Schutz Eurer Mannschaft in diesen traurigen Zeiten bittet. Ach, Ew. Gnaden besitzen eine seltene Fähigkeit, das Geheimniß zu erforschen und zu erklären, ja, das Geheimniß und die dunkeln und unbegreiflichen Ursachen von dem Zurückkommen dieses Landes. Ja, Ew. Gnaden haben das Ding bei der Wurzel gefaßt.«

»Freund,« sagte Gilfillan mit einer milderen Stimme, als er bisher hören ließ, »begnädige mich nicht. Ich gehe nicht aus auf die Spaziergänge und Marktplätze, damit Hirten und Bauern und Bürger ihre Mützen abnehmen, wenn sie zu mir kommen, wie vor dem Major Melville von Cairnvreckan, und lasse mich nicht Laird oder Kapitän oder Ew. Gnaden nennen. – Nein, meine geringen Mittel, welche nicht über 20,000 Mark betragen, sind mit Wachsthum gesegnet worden, doch der Stolz meines Herzens ist nicht mit ihnen gewachsen, auch freut es mich nicht, Kapitän genannt zu werden, obgleich das Patent, welches der gottselige Earl von Glencairn unterzeichnet hat, mich so benennt. So lange ich lebe, bin und will ich genannt werden Habakuk Gilfillan, der einstehen wird für die Fahne des Glaubens, welcher mit der einst berühmten Kirche von Schottland übereinstimmt, ehe sie mit dem verfluchten Achan sich einließ – das will Gilfillan, so lange er noch ein Geldstück in seinem Beutel und einen Tropfen Blut in seinen Adern hat.«

»Ach,« sagte der Bettler, »ich habe Euer Landgut Mauchlin gesehen, ein fruchtbarer Fleck! Eure Felder sind auf liebliche Orte gefallen, und solch Vieh hat kein Laird in Schottland.«

»Ihr sprecht wahr, Ihr sprecht wahr, Freund,« entgegnete Gilfillan eifrig, denn er war Schmeicheleien dieser Art nicht unzugänglich. Ihr sprecht wahr, echte Lancashirer Rasse, und es gibt ihres Gleichen nicht, selbst nicht auf den Marschen von Kilmaurs.« Er ließ sich hierauf in die Beschreibung seines Viehs ein, die für unsere Leser wahrscheinlich eben so gleichgültig ist, wie sie es für Waverley war. Nach dieser Abschweifung kehrte der Führer zu seinen theologischen Diskussionen zurück, und der Hausirer, der in diesem mystischen Punkte nicht so bewandert war, begnügte sich damit, zu seufzen und in passenden Pausen seine Erbauung auszudrücken.

»Was für ein Segen würde es für die armen blinden papistischen Völker sein, unter denen ich mich aufhielt, solch ein Licht auf ihrem Pfade leuchten zu sehen. Ich bin als wandernder Händler bis nach Moskau gekommen und durch Frankreich, und durch die Niederlande, und durch Polen, und durch den größten Theil von Deutschland. Ach, Ew. Gnaden Seele würde in tiefe Trauer sinken, sähet Ihr das Singen und Messelesen in der Kirche und das Gepfeife in den Wirthshäusern und das heidnische Tanzen und Würfelspielen am Sabbath.«

Dies brachte Gilfillan auf das Sportbuch, Whiggamores Invasion, den Covenant, und die Versammlung der Gottesgelehrten in Westminster, und auf den langen und kurzen Katechismus, und auf die Exkommunikation zu Torwood, und auf die Ermordung des Erzbischofs Sharp. Dieser letztere Umstand führte ihn wieder zu der Gesetzmäßigkeit der Vertheidigungswaffen, über welchen Gegenstand er viel verständiger urtheilte, als sich nach andern Theilen seiner Rede hatte vermuthen lassen, so daß er selbst Waverleys Aufmerksamkeit fesselte, der bisher in trübe Betrachtungen über seine Lage versunken gewesen war. Mr. Gilfillan erwog hierauf die Berechtigung des Bürgers, als ein Rächer der öffentlichen Unterdrückung aufzutreten, und indem er noch mit großem Ernste die Sache des Mas James Mitchell besprach, der auf den Erzbischof von St. Andrews schoß, einige Jahre vor der Ermordung des Prälaten bei Magus Muir, wurde der Fluß seiner Rede durch ein Ereigniß unterbrochen.

Die Strahlen der Sonne zögerten am Rande des Horizontes, als die Abtheilung einen hohlen und etwas steilen Weg hinanzog, der zum Gipfel einer Anhöhe führte. Das Land war nicht eingehegt, da es zu einer weiten Haide oder Gemeindeweide gehörte, aber es war durchaus nicht eben, an einigen Orten durchschnitten es mit Ginster und Haidekraut bewachsene Schluchten, an andern kleine Hügel, die mit Krüppelholz bedeckt waren. Ein Dickicht der letzteren Art überzog die Anhöhe, welche die Abtheilung erstieg. Der vorderste des Haufens, der der kräftigste und munterste war, hatte die Anhöhe bereits erreicht, und war jetzt außer dem Gesichtskreise, Gilfillan, der Hausirer, und die wenigen Leute, welche Waverleys unmittelbare Wache bildeten, waren dem Gipfel nahe, die übrigen zogen in bedeutenden Zwischenräumen nach.

Dies war die Scene, als der Hausirer, welcher, wie er sagte, einen kleinen Hund vermißte, stehen blieb, um nach dem Thiere zu pfeifen. Das mehrmals wiederholte Signal beleidigte die Strenge seines Gefährten, namentlich, weil es Unaufmerksamkeit gegen die Schätze theologischen Wissens verrieth, die er zu seiner Erbauung auskramte. Er sagte daher brummend, daß er seine Zeit nicht verschwenden könne, um auf einen nutzlosen Köter zu warten.

»Aber, wenn Ew. Gnaden den Fall des Tobias erwägen wollten?«

»Tobias,« rief Gilfillan heftig, »Tobias und sein Hund sind heidnisch und apokryph, und niemand als ein Prälatist und ein Papist würde beide in Frage ziehen. Ich fürchte, ich habe mich in Euch geirrt, Freund.«

»Wahrlich,« antwortete der Bettler mit großer Ruhe, »aber dennoch müßt Ihr mir erlauben, noch einmal nach dem armen Bawty zu pfeifen.«

Dieses letzte Signal wurde auf unerwartete Weise beantwortet, indem sechs oder acht stämmige Hochländer, die in dem dichten Gehölz gelauert hatten, in den Hohlweg sprangen und mit ihren Schwertern links und rechts einhieben. Gilfillan, den diese unerwünschte Erscheinung nicht erschreckte, rief männlich aus: »Das Schwert und Gideon!« und sein Schwert ziehend würde er wahrscheinlich so viel für die gute alte Sache geleistet haben, als irgend einer ihrer tapfern Streiter bei Drumelog. Doch der Haussirer der dem zunächst gehenden Soldaten die Muskete aus der Hand riß, versetzte seinem Lehrer im cameronianischen Glauben mit dem Kolben einen solchen Schlag auf den Kopf, daß er zu Boden stürzte. In der Verwirrung, welche hierauf folgte, wurde das Pferd unseres

Helden durch einen von Gilfillans Leuten erschossen, der sein Gewehr ins Blaue hinein abfeuerte. Waverley fiel mit dem Thiere und unter dasselbe und empfing dabei mehrere Quetschungen. Aber zwei Hochländer zogen ihn ohne Zögern unter dem Pferde hervor und rissen ihn aus dem Gedränge und von der Straße fort. Sie liefen sehr schnell, indem sie unsern Helden halb trugen, halb schleiften. Waverley hörte während dessen noch einzelne Schüsse an dem Orte fallen, den er verlassen hatte. Sie rührten, wie er später vernahm, von Gilfillans Mannschaft her, die sich gesammelt hatte, nachdem die Nachzügler herangekommen waren. Bei ihrer Annäherung zogen die Hochländer sich zurück, nachdem sie Gilfillan und zwei seiner Leute schwer verwundet hatten. Noch wurden einige Schüsse zwischen den Hochländern und den Westländern gewechselt, doch machten die letztern, welche jetzt keinen Führer mehr hatten, und die außerdem einen zweiten Hinterhalt fürchteten, keinen ernsthaften Versuch, ihres Gefangenen wieder habhaft zu werden, sondern hielten es für klüger, ihren Weg nach Stirling fortzusetzen, wobei sie ihren Kapitän und ihre verwundeten Kameraden mit sich nahmen.


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