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Wie der Mesner-Luisl dem Hummelberger Strudlbauern eine große Wohltat erwiesen hat

Anno dazumal, da noch am »Säumerglockenwirtshaus« in Prachatitz der Mesnerluisl Wirt und Fleischhauer war, hat sich dort ein gar merkwürdig Stücklein zugetragen, das ich hier unter dem Siegel der Verschwiegenheit den Lesern verraten will.

An einem heißen Sommertage, es war zu Zeit der Heumahd, beehrte eine militärische Amtskommission, welche in und um Prachatitz für etliche Tage zu tun hatte, den darob höchlich erfreuten Wirt und Fleischer M. mit ihrem Besuche. Die Zeiten waren stets schlecht; man kennt nämlich seit mehreren tausend Jahren keine Zeit, in der man nicht über die schlechte Zeit gejammert hätte, und infolgedessen gab es auch niemals eine Zeit, in welcher ein Wirt und Fleischhauer über eine mehrköpfige und zahlungsfähige Kommission, die ihm in die Hände fiel, keine Freude gehabt hätte. Darum lüftete denn auch der Wirtsluisl ein übers andere Mal sein Käppchen, machte allerlei Bücklinge dabei und versicherte den löblichen Amtsherren immer wieder, er werde diese schon zufriedenstellen. Des waren sie auch schon zufrieden und bestellten, vielleicht zur Probe, für übermorgen Kalbsschnitzeln mit Gurkensalat. Morgen hatten sie nämlich in Hussinetz zu tun. Möglicherweise hatten sie am Wege daher erfahren, dass gerade zu dieser Frist kein Kalb aufzutreiben war. Sie brauchten, um dahinter zu kommen, nur mit einem Fleischhauer zusammen gefahren sein, der darüber lamentierte. Auch der Mesner-Luisl hatte zwar jenes Mal kein Kalberl in der Schlachtbank, wusste sich auch keins in irgendeinem Bauernstalle der Umgebung; das hinderte ihn jedoch keineswegs, den Herren bereitwilligst zu versprechen, ihnen morgen die feinsten, größten und billigsten Kalbsschnitzel von und in ganz Europa vorsetzen zu wollen. Wer denn sonst wohl, wenn er nicht, da seine Findigkeit und Umsicht, seine Zungenfertigkeit und Ausdauer weltberühmt waren. Wär nicht schlecht!

Trotz dieser Zuversicht des Luisel in seine Talente musste er sich dennoch am anderen Tage beim Morgengrauen schon auf die Socken machen und ein Kalb suchen gehen; denn die drahtlose Telegraphie war dazumal noch nicht erfunden und in die einzelnen Bauernhöfe um Prachatitz führte damals nicht einmal der gewöhnliche Telegraph. Ja, es gab zu jener Zeit nicht einmal Automobile, und mit Ross und Wagen kommt man im Gebirge oft bei Weitem nicht so rasch ans Ziel als auf des Schusters Rappen, die obendrein auch noch viel billiger sind, weil sie keinen Hafer fressen.

Demnach ging die Reise in der einfachsten, natürlichsten und gesündesten Weise vor sich, zu Fuß.

Jedoch, o Pech! So viele Bauernhöfe auch im Wege blühten – entweder war kein Kalb darin oder kein Bauer, da alle seit Hahnenruf bei der Heumahd oder dem »Wenden« und »Schlochtnbau« irgendwo weilten. Und ein Kalb ganz ohne Handel und Erlaubnis heimzutreiben, wagte der Luisl nicht, wiewohl er schon so manches gewagt hatte. Wie leicht hätte es ihm nämlich passieren können, dass ihn dieselbe Kommission, die heute bei ihm nächtigen wollte, 14 Tage später aufgefordert hätte, ein paar Mal bei ihnen im k. k. Bezirksgerichte am Strohsack zu nächtigen.

Unter solchen Umständen sind die schönsten Talente keinen Schuss Pulver wert, und er atmete deshalb erst auf, als er beim Strudelbauer in Hummelberg ein »fruhdigs« Kalberl fand, wie er sich's nicht schöner und besser wünschen konnte. Hintennach erst fand er auch den Bauern; denn ein ordentlicher Fleischhauer schaut allemal erst in den Stall und dann erst ins Haus, weil ihm im Notfalle ein Stückel Vieh ohne Bauer doch noch viel lieber ist als ein Bauer ohne ein Stückel verkäufliches Vieh. Der Luisl klimperte schon im Vorhäusel mit seinen Silbergulden in der Tasche – das Scheppern des Silbers und der Klang des Goldes üben nämlich seit Zeiten des »Goldenen Kalbes« schon eine magische Kraft auf die Menschen – und dann trat er selbstbewusst ein und hub nach einem gegenseitigen »Grüß Gott!« zu reden an: »Alsdann wär' i holt wegen dem Kalbl do. Wann's für wos is und nit z' teuer is, könnt' mer a Wörtl drübr red'n.«

»Wos für a Kalbl?« fragte der Bauer ganz verwundert.

»Wos für a Kalbl!« erboste sich auf diese Frage der Luisl. »A Kalbl im Mutterleib wird's nit sein! Von Dein Kalbl red i doch, wos nebn n Blassl steht!«

Wenn aber ein Bauer nicht verstehen will, weiß er auch warum; das Kalbl war ihm überhaupt nicht verkäuflich, weil es ihm gefiel und passte und weil er's zur Aufzucht brauchte, und mochte der Luisl noch so viel bieten und fluchen und mit der Faust auf den Tisch hauen, der Bauer antwortete immer wieder: »Na, es geht nit, i gib's nit her.«

Das war ein schwerer Schlag für den Luisl; denn diesmal handelte sich's nicht um ein Alltagsgeschäft, sondern um seine Standesehre. Er hatte gesagt, die Herren kriegen die Kalbsschnitzel mit Gurkensalat, also, ergo und kladivko musste es auch morgen mittags Kalbsschnitzel mit Salat geben!

Ein Bauer ist halt ein Bauer, und wenn der einmal jo sogt, bleibt's jo, wenn er jedoch na sagt, bleibt's na – vorausgesetzt natürlich, er ist in keinerlei Not und hat so seine anderweitigen Pläne.

Also blieb's beim »Nein«, und der Luisl musste unverrichteter Sache abschieben, und zwar umso schneller, als der Bauer auch auf die Wiese hinaus musste zu seinen Leuten.

Ein anderer als der Luisl hätte unter diesen Umständen vielleicht Selbstmord verübt, der aber nicht, der hatte eben nicht nur einen hellen Kopf, sondern auch einen unbeugsamen Willen und sagte sich am Rückwege einfach: »Das Kalbl muss ich kriegn, geht's, wie's geht!«

Aber wie das?

Das musste selbstredend erst ergründet werden. Zu diesem Zwecke bog er, im Walde angekommen, vom Wege ab und legte sich daselbst in den Schatten einer Tanne, wo er sein Zentralnervensysem in seiner Angelegenheit arbeiten ließ.

Auch große Feldherren, Diplomaten, Erfinder usw. müssen das zeitweise, und sie finden der Rätsel Lösung zeitweise auch. Zeitweise allerdings auch nicht. Der Luisl war jedoch keiner von den Letzteren, sondern einer von den Ersteren. Eine Idee war nur notwendig und – da war sie auch schon! Er erhob sich, schwenkte wieder auf die Straße, stierlte dort ein Weilchen im Rossmist herum, und bald hatte er gefunden, was er suchte: einen Rosskäfer. – Mit diesem bewaffnet, schlich er, vorsichtig um sich spähend, hinten herum in den Stall und applizierte dem Kalbl den Rosskäfer, indem er diesen bei dem Kalbe an einem Orte unterbrachte, den des Sängers Lied aus Höflichkeit verschweigt. Dann ging er wieder stillvergnügt von dannen in den Wald.

Zu Mittag kamen Bauer, Bäuerin und die »kleine« Magd mit der ersten Fuhre Heu heim. Bald darauf war das ganze Haus in Aufruhr. Die Bäuerin brüllte »Marand und Josef, s Kalbs is »wienig!« (wahnsinnig)

Es war aber auch so was Ähnliches. Es blöckte, stampfte und hopste wie wütend, und kein Reden und gar kein Schöntun nützte dabei das Geringste. Der Bauer riss sich aus Verzweiflung etliche Haare vom Kopf und schmetterte seine Porzellanpfeife zu Boden, dass alles krachte und die Scherben der »Judenkuh« an den Kopf flogen; die Bäuerin rief den hl. Leonhard an, und die kleine Magd beteuerte ihre Unschuld an diesem Unglück. Doch das war alles für die Katze; das Kalb blökte ganz erbärmlich, hopste und tanzte weiter; es war ein Jammer! –

Ein Stündlein darauf schritt ein Mann von der entgegengesetzten Seite, von Sablat aus, gedankenschwer vorbei und warf kein Auge rechts oder links. Er ging ganz langsam; offenbar hatte er Zeit genug.

Kaum hatte ihn der Bauer ersehen, sprang er auch schon vor die Tür und brüllte wie am Spieß: »Luisl, Fleischhauer-Luisl! Mesner! Luisl! Um Gottswilln, geh her; es is wos passiert bei uns!«

Anfangs hörte der Luisl offenbar nichts; denn er schritt langsam weiter; endlich aber schien er doch zu hören, drehte sich halb um und fragte ganz teilnahmslos: »Wos gibt's denn?« und schließlich ließ er sich auch dazu bewegen, zurück und in den Stall zu kommen, wo er sehen konnte, was selbst ein Kalb vermag, wenn sein Geist vom Wahnsinn umnachtet ist.

Der Luisl war seit jeher ein Gemütsmensch, und das Schicksal des armen Tieres ging ihm tief zu Herzen; etwas dagegen tun konnte er aber nicht; erstens war er kein Tierarzt, zweitens gibt's gegen Kälberwahnsinn überhaupt kein Mittel. Aber eines konnte er immerhin tun, er konnte den Bauern darauf aufmerksam machen, dass diese Krankheit beim Vieh gefährlich und auch ansteckend ist und dass es der Bauer mit der Bezirkshauptmannschaft und dem Gericht zu tun kriegen könnte, wenn es herauskommt, dass da ein wieniges Stückel im Stalle stehe. Das Beste wäre, das Kalb sofort abzustechen; aber beileibe nicht im Hofe selbst, sondern weit weg davon, weil der Blutdunst von dem Kalbl besonders ansteckend ist und es schade um die schönen Kühe und Ochsen da wäre. Das sah der Strudelbauer ein und auch die Bäuerin, und darum baten sie beide den Luisl dringend und um Gotteswillen, doch das Kalb mitzunehmen und irgendwo im Walde zu vergraben.

»Tu mir die Wohltat, Luisl«, bat der Bauer, »i bring dir's wieder amol ein! I selbstn kanns jo nit mochn, wegn dem Blutdunst! Nimms mit, das Kalb!«

No, weil der Luisl so ein Gemütsmensch war, hat er sich überreden und erweichen lassen und ist mit dem Kalb fort.

*

Im Walde angekommen, entfernte der Luisl den Stein des Anstoßes, worauf das Kalb sofort einen Freudensprung tat und scherzend und hopsend – jetzt aber vor Vergnügen, – nach Prachatitz zulief. –

Die Herren von der Kommission waren in den folgenden Tagen sehr zufrieden. Mittags gab es das erste Mal famose Schnitzel, abends gesulzte Kalbsfüße, anderntags Gulasch, dann Hühnerragout, am dritten Tage Kalbsbraten, abends Hirn mit Ei; zur Abwechslung zweimal Rehbraten und einmal Schnepfendreck, und das alles von demselben wienigen Kalbl! –

Ja, der Luisl war ein Gemütsmensch und gar nicht ruhmredig. Wäre der Strudelbauer nicht ein paar Jahre darauf gestorben und hätte der Luisl nicht bald darauf einen Rausch gehabt, in dem ihm das Bier die Zunge gelockert hatte – kein Mensch hätte je davon erfahren, was der Luisl für ein guter Kerl war.


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