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Wie die Jula verspeist wurde

Es ging mir wirklich nahe, als ich hörte, dass die blonde Jula sterben musste. Sie war noch so jung und innerlich vollkommen gesund, wohl etwas übermütig, aber doch vollkommen gutmütig dabei, und wenn sie einen ansah mit ihren treuen Augen, so konnte man ihr trotz ihrer kleinen Untugenden nicht feind sein.

Doch da fällt mir ein, dass ich noch gar nicht gesagt habe, dass die Jula nicht etwa eine unschuldige Jungfrau war, welche Kannibalen in die Hände gefallen war, sondern ein Reitpferd, welches dem Herrn Karl Ascherl, dem jüngsten Bruder des Chefs der Neubrunster Glasfabrik gehörte.

Was ihr geschehen war, dessen kann ich mich nicht mehr ganz genau erinnern; ich glaube aber, dass sie sich bei einem allzu gewagten Sprunge irgendeinen Gelenkknopf ausgekugelt oder gar gesprengt hatte. Und da sie ihr Herr nicht schinden wollte, so entschloss er sich dazu, sie töten und im nahen Walde vergraben zu lassen.

Wir, die genannten zwei Herren und ich, saßen, als dieser Entschluss zur Reife kam, in dem Hüttenwirtshaus beim alten Hoffmann und besprachen diesen kritischen Fall, und wie es anzustellen wäre, dass die Jula eines möglichst sanften, schmerzlosen Todes von dieser Welt scheide.

Da fiel dem Herrn Karl der Grundl ein. Der Grundl war seines Zeichens ein tüchtiger Glasmacher, nebenbei aber en Vokativus erster Klasse und daher ein Mann, dem man unbedenklich eine so schwierige und delikate Mission anvertrauen konnte.

Er lächelte immer so verschmitzt, dieser Vokativus, und auch diesmal, als er gerufen worden, spielte ihm so ein schelmisches Lächeln um die Lippen, als ob er ahnte, um was es sich handle. »Grundl«, sagte der Herr Karl, »ihr wisst schon, dass der Jula das Malheur passiert ist, und ich möchte, dass das Tier ohne viel Schmerz und, ohne dass ich davon etwas merke, stirbt. Nehmt auch einmal, wenn ich nicht in der Nähe bin – ich will nichts wissen davon – ein paar handfeste Leute mit und erschießt oder schlachtet das Pferd im Wald wo und vergrabt es.«

Der Grundl bemühte sich, zu diesem Trauerfalle eine möglichst betrübte Miene zu machen; es wurde jedoch nichts daraus, seine Physiognomie gestattete so etwas nicht, und statt der angestrebten Physiognomie blieb's bei der bekannten Visage. Desto salbungsvoller waren dafür seine Worte, er antwortete wie der Wolf in der Fabel: »O Herr, wej mir's leid um d' Jula tut, i kann's gar nit sagn; so a schö's Ross und so brav und fett a; aber i will's a umbringn, dass gar nix merkt davo'.«

Als dem Herrn Karl nach einer halben Stunde einfiel, dass es doch am besten wäre, die Jula durch eine Kugel sterben zu lassen, ließ er nochmals den Grundl rufen und begann seine Erklärung mit den Worten: »Wenn ihr die Jula umbringt's, Grundl, so wär's am besten …«

Doch der Schelm, der Grundl, ließ den Herrn nicht ausreden und rief dazwischen: »Is scho hin, is scho hin, Herr!«

»Was? Ihr habt sie schon …?«

»Na ja«, lautete die Entgegnung, »Sö haben gsagt, Herr, i sollt's so anstelln, dass nix wiss'n davo; und weil S' jetz im Wirtshaus sitzn, so sam mr holt a wenig Galopp außi mit ihr und hons schtantepede gschlacht!«

Nachdem wir uns über dies Fixigkeit genügend verwundert und zu Ehren der Jula eine Art Trauersalamander gerieben hatten, hob der Grundl ganz schüchtern nochmals an: »Herr, mir hättn a Bitt – dös Ross war ja ganz pumperlgsund und is so gut gnahrt, und möchtn mir schö' bitt'n, ob mir Glasmacher uns nit a jeds a Trumm vo dem Fleisch nehmen kanntn? S kametn da af an jedn vo uns a zwanzg, füfundzwnzg Pfund und koa schlechts Bratl könnt dös af koan Fall nit san!«

Da das Pferd wirklich sonst ganz gesund und gut genährt und rein war, hatte der Herr Karl nicht nur nichts dagegen, sondern er kam bei dieser Rede überdies auf eine lustigen Einfall.

»Grundl«, sagte er, »bringts mir auch zehn Pfund vom Schlegel!«

Der Herr Hans, der Chef des Hauses, und ich wussten uns beide nicht zu erklären, wozu, erfuhren das aber gleich darauf.

Im Herrenhause sollte am folgenden Tage ein Schwein geschlachtet werden, und der jüngere der beiden Brüder beschloss, aus je zehn Pfund Schweine- und Rossfleisch Würste machen zu lassen und dieselben wohlgeselcht am nächsten Kasinoabend nach Altbrunst mitzunehmen.

In Altbrunst fand nämlich den ganze Winter hindurch allwöchentlich eine Abendunterhaltung statt, an welcher die Gutsbesitzer der umliegenden Orte, im Ganzen etwa 15 bis 18 Personen teilzunehmen pflegten.

Den nichtahnenden Kasinomitgliedern sollten nun die Rosswürste tückischer Weise appliziert werden. Die Sache stieß jedoch anfangs auf große Schwierigkeiten. Frau Ascherl, eine ebenso feingebildete als liebenswürdige Dame, verweigerte dem Rossschlegel die Einkehr in die Küche und wollte absolut weder Hackstock noch irgendein Geschirr durch die Ihaha-Würste entweihen lassen. Der Herr Karl musste also seine finstere Tat in einem abgelegenen Schuppen vollbringen und zum Wursten lauter altes, ausrangiertes Geschirr, welches später vernichtet wurde, verwenden. Wo die Würste endlich geselcht wurden, weiß ich nicht mehr, dagegen weiß ich ganz bestimmt, dass die Würste in der Tat delikat waren.

Wie mächtig das Vorurteil der Menschen in dieser Beziehung ist, sollten wir übrigens noch vor dem Kasinoabend kennen lernen.

Die Herren brachten jeden Nachmittag einen Teller voll der verfemten Würste zum Hoffmann, und wir drei aßen von ihnen. Am dritten Tage kam ein gewisser Rohrbacher aus Dorf Eisenstein (bei Markt Eisenstein), ein großer, starker Mann und Besitzer eines Organs, mit welchem man eine ganze Armee hätte kommandieren können, ins Gasthaus.

Der Herr Hans kannte den Mann schon jahrelang und lud ihn zu unserem Tische. Mein lieber Rohrbacher setzt sich denn auch mit den Worten: »Mit Verlaub« zu uns, trinkt etliche Biere und verzehrt, in der Meinung, dass die Würste dem Wirte gehören, nach und nach mit sichtbarem Appetit und zu unserem Gaudium sechs der Würste. Wie es zum Zahlen kommt und ihm der Hoffmann sagt, dass die Würste »dem Herrn« gehören, entschuldigt sich der Rohrbacher vielmals und antwortet schließlich auf die Frage, wie ihm die Würste geschmeckt hätten: »So gute und feini Würst hon i scho lang nit gessen!« Nun kommt aber der Hauptspaß. Nachdem der Herr Hans dem Rohrbacher mitgeteilt, dass die Würste von der Jula stammen, lacht der gute Mann nur und meint: »Herr, wann's dös an andern sagn, kann ja sein, dass si oaner findt, der's glaubt; mir aber, Herr, därfen's so was nit sagn, weil i vierundzwanzig Jahr Fleischhauer und Selcher war und mir ka Rosswurscht für a schweinerne nit einredn lass und ka schweinerne für a Rosswurscht!« Das waren seine eigenen Worte, und als wir alle dem Ungläubigen versicherten, es wäre doch Rossfleisch, und zwar zur Hälfte drin, wurde er bitterböse und ging endlich, überzeugt davon, dass wir ihn zum Narren gehalten und angelogen hätten, fort. –

An dem Kasinoabende holten mich die Herren Ascherl ab, und da die Schlittenpferde gut ausgerastet, die Bahn sehr schön und der Abend herrlich war, so legten wir den Weg nach Altbrunst wie im Fluge und bei bester Laune zurück.

Die meisten der Kasinomitglieder waren bereits versammelt, und das Scheibenschießen, Stoßpudelspiel etc. schon im besten Gange.

Die Unterhaltung war in dem »Hotel zum Tunnel« immer eine sehr animierte und auch heute sehr nett, und als endlich jemand die Frage aufwarf: »Was gibt's heute zu essen?« und Herr Karl Ascherl kund und zu wissen gab, dass er einen Kranz frischer Knackwürste (etwa 50 Stück) mitgebracht hätte, wurde diese Nachricht mit Befriedigung aufgenommen. Die Wirtin tat die Würste in einen großen Topf, deckte den Tisch, und dann ging's an ein gewaltiges Essen, in dessen Verlauf alle, ohne Ausnahme, erklärten, dass die Würste superb wären. Nachträglich gab's noch für solche, die einen besonderen Hunger mitgebracht hatten, Butterbrot, Schweizerkäse, Rühreier, Krametsvögel, und was man sonst in diesem abgelegenen Orte erhalten konnte.

Neugierig auf den Effekt seiner Enthüllungen fragte endlich nach aufgehobener »Hoteltafel« der Herr Hans nochmals: »Und wie haben euch die Würste geschmeckt?« Die Antwort war natürlich (oder unnatürlicher Weise?) wieder: »Ausgezeichnet!« Auf die weitere Frage: »Und wisst ihr, was das für Würste waren, die ihr da gegessen habt?« kam dasselbe Wort zur Antwort: »Ausgezeichnete, von eurem Schwein!« Die Versicherung, die Würste sind vom Karl seiner Jula gewesen, erregte anfangs nur Heiterkeit; kein Mensch wollte es glauben. Nachdem wir jedoch die ganze Geschichte von A bis Z, vom Auftrage bis zur Rohrbacher Hetz zum Besten gegeben hatten, war die Wirkung eine sehr verschiedene. Einige lachten und meinten, jetzt wäre es »alles eins«, andere räsonierten, wieder andere, doch nur wenige, gingen hinaus und brachten ihrer Einbildung und ihrem Vorurteil ein unblutiges Opfer. (Ein Effekt, den man nicht beabsichtigt und nicht erwartet hatte.)

Die Glasmacher aßen alle ihren Rossbraten »mit Putz und Stingel«, und als mich die alte, treue Pistin, die Frau des Glasmachers Kamm, welche mich dazumal bediente, fragte, ob ich nicht auch von dem Braten verkosten wolle, sagte ich, ja. Ein anderer Rostbraten ist mir lieber; ohne Vorurteil genossen, ist jedoch auch ein gut zubereiteter Rossbraten nicht zu verachten.

Ob ich noch öfter Rossfleisch gegessen habe? Bewussterweise nicht; vermute aber, dass es sonst schon oft geschehen ist, denn ich habe auch in kleinen, größeren und großen Städten gelebt und weiß, dass in Würsten jährlich X-Julas, Bräunel, Füchse und Schimmel, und wie die Ihahas sonst noch heißen, mit Gusto verspeist weren. Einerseits traurig, andererseits jedoch auch nicht trauriger als die Veroneser aus Eselsfleisch und viele andere sogenannte Delikatessen, welche im Grunde genommen auch nur ein Vorurteil, allerdings aber für sich, haben.


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