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Wie die Bibel berichtet, ist der Methusalem über 900 Jahre alt geworden, und ein Berliner Gelehrter gibt uns die Hoffnung, dass wir es auf 1000 bringen können, sobald es der Wissenschaft gelungen sein wird, im menschlichen Körper von Jugend auf schon alle schädlichen Keime zu töten. Derweil aber Vater Methusalem nichts Schriftliches darüber hinterlassen hat, wie er es angestellt hat, 900 Jahre alt zu werden, und die Wissenschaft noch nicht so weit ist, alle Bazillen, Bakterien und so weiter, die schon in unserem Körper darinnen stecken oder im Laufe der Zeit noch hineinkommen, umzubringen, müssen wir armen Menschenkinder bescheiden sein und uns mit 150 Jahrln oder so was begnügen. Aber für 150 Jahre kann garantiert werden, und die Sache ist sehr einfach, man braucht nur nach dem bekannten Gebirgsdorf Rehstein, sieben Stunden hinter Eisenberg zu übersiedeln. Dort werden nämlich die Leute ohne alle Lebenselixiere und bloß durch die gute Luft und die ortsübliche Nahrung 150 Jahre alt und nicht selten noch darüber.
Woher ich das weiß? Direkt von einem Engländer, einem gewissen John Spleeningh, der schon am besten Wege ist, so alt zu werden, seit er sich mit dem Gedanken trägt, das nebelige England zu verlassen und sich in Rehstein bleibend niederzulassen. Und wie der Lord Spleeningh darauf gekommen ist?
Das war so: Der Lord ist ein Globetrotter, das heißt ein Mensch, der die ganze Welt schon bereist hat und solchermaßen auch einmal in den Luftkurort Eisenberg gekommen ist. Er hat sich dort in dem Gasthause »Zum Araber« einlogiert und hat schon in den ersten Tagen daselbst die Bemerkung gemacht, dass es da sehr viele weißköpfige Leute gebe, deren Alter der Wirt auf 80 bis 90 Jahre schätzte. Das versetzte den edlen Lord in Verwunderung, und er gab dieser dem Wirte gegenüber Ausdruck. Wie staunte jedoch der Lord, als ihm der Hotelier »Zum Araber« erklärte: »Das is noch gar nix; da müssen S' nach Rehstein gehn – sieben Stunden ists nur von uns hin –, da finden S' Leut mit 100, 120 und noch mehr Jahren.«
Der Engländer, nicht faul, macht sich gleich am anderen Tag mit einem verlässlichen Führer auf die Beine und wandert nach Rehstein.
Der Luisl ist ein kreuzbraver Mann und um das Wohl seiner Sommervögel, wie er die Touristen und Sommerfrischler nennt, sehr besorgt; und darum gibt er dem Führer ein Brieflein an den Rehsteiner Wirt Hoffmann mit, indem er ihm den Lord Spleeningh warm empfiehlt und noch allerlei sonstige Verhaltensmaßregeln gibt. Der Engländer ist mit seinem Führer Schlag fünf Uhr früh aufgebrochen und daher gerade recht zum Mittagessen in Rehstein eingetroffen. Der Hunger war groß, was ja nach siebenstündigem Fußmarsch ganz natürlich ist, und das Essen hat den beiden Wanderern umso mehr geschmeckt, als es Geselchtes, Kraut und Knödel gab; und auch das Bier war just nicht übel.
Marschieren, gut essen und trinken macht bekanntlich müde, matt und faul, und so hat sich denn der Lord nach dem Essen auf ein Stündchen niedergelegt und ist hernach wieder in die große Wirtsstube hinunter, wo derweil – es war ja gerade Sonntag – eine größere Gesellschaft zusammengekommen ist, darunter viele ehrwürdige Greise. Einer davon hat auffallenderweise bitterlich geweint.
Der Mann tat dem Lord leid, auch war er sehr neugierig, was dem Alten passiert wäre. Wenn möglich, wollte er ihm helfen (So einem Herrn kommt's ja auf ein paar Geldnoten nicht an).
Also geht er zu dem Schluchzenden hin und sagt: »Uen (wenn) Sie erlauben, uir setzen uns bei Ihre Tisch?« und fragt dann leutselig: »Liebe Herr, ui (wie) alt Sie sein?«
Der Alte wischt sich die Tränen aus den Augen und antwortet: »I bin z' Josefi 60 Johr g'wesn.«
»So, sehr interessant, schöner Alter das!« sagt darauf der Engländer und erlaubt sich weiter zu fragen: »Entschuldigen Sie, gute Mann, 60 Jahr und so ueinen – uarum ueinen Sie so vill?«
Darauf der Alte: »Weil mir mein Votr zwei Watschen geb'n hot, dass mir no' die Zähnt scheppern.«
»Oh, oh!« macht's der Lord darauf, »Ihre Herr Vater noch leben?«
»Freilich, weg'n was denn nit, er is jo erst 85.«
»Oh, und uegen was er Sie so schlagen?«
»Weil i auf mein' Großvotrn die Zung herausg'steckt hob, indem er mi' an Rotzbub'n g'heißen hot.«
»Oh, oh – uie alt sein denn der Herr Großvater?«
»Mein Großvotr? Der wor, mir scheint, zu Michaeli 109 Johr alt. Gewiss weiß ich's aber net, wann Ihna das aber interessiert, brauchn S' nur unsern Pfarrer frag'n, der weiß es ganz g'nau, weil er meinen Großvoter 'tauft hat.«
»Oh, oh, sehr merkwürdig! Aber uie alt sein denn dann der Herr Farrer?«
»Der? Der is schon recht bejohrt, der is schon 145 Johr alt.« »Oh, oh, sehr großartigen Alter!«
In Gedanken vertieft und die anderen alten Minner an den Nebentischen musternd, vernimmt der Lord noch, wie einer derselben den 48jährigen Wirt anschreit: »Weg'n was bringst mir denn koa Bier, Du damischer Lausbub Du?«
Der Lord schaut nach dem Wirt und schüttelt den Kopf und fragt dann weiter: »Uie alt sein denn dann die Männer bei diese Tisch?«
Mit der ausgestreckten Hand nach den (40 bis 60 Jahren alten) Gästen daneben zeigend, erklärt der Greis: »Der Rotschädlete da is 50, der jungi Springer daneben erst 60, der Schwarzschädlete 90, der Graue 105 und der ganz Weiße 126.«
»126? Oh, großartige Alter!« sagt der Lord darauf wieder und erkundigt sich weiter: »Machen das der gute Luft und die guter Luft allein oder auch der Essen und Uasser! Uas essen und trinken die Leute hier?«
»Essen tan s' fruah und auf die Nacht a saure Milchsuppn mit Erdäpfeln, zu den Jausenzeiten a schwarzes Brot mit saurer Milli und am Mittog a Briazlsuppen, a Sauerkraut und an Sterz oder a Kraut und Reiberknödln. Trinken tun wir Wasser, Bier und Kronabittrschnops.« –
»Räuberknödeln? Uas sein das für Essen?«
»Dos sein Knödln aus 'kochten und geriebenen rohen Erdäpfeln und Räuberknödeln heißen s', weil die der Räuberhauptmann Rosaschandor anno 1848 in Leitmeritz erfunden hat.«
»Und uas sein Kronabitzerschnops?«
»Dös is a Schnops, der aus Kronabittrn – af Plattdeutsch sogt ma Wacholderbeeren – brennt wird.«
»Sehr interessant. Und trinken diese alten Männer viel Wasser, Bier und Kronabitz?«
»Na, Wasser nit recht viel, aber Bier und Schnops, so viel s' vertrag'n, und wann Ihna das interessiert, wie viel wir davon vertragen, können S' ja a Fassl zahl'n und wir sagn Ihna fleißig ›Vergelts Gott!‹ dafür. –«
Das hat der Lord auch gern getan, und im Verlaufe des Nachmittags haben die braven Alten dem Lord aus lauter Dankbarkeit die Bruderschaft angetragen.
Der Lord hat mir auch anvertraut, dass er im Sinne hat, sich in Rehstein ansässig zu machen; denn es wäre schon längst sein Wunsch gewesen, 135 oder wenigstens 126 Jahre alt zu werden.
Möge es ihm auch glücken, und wenn jemand Lust hat, nach Rehstein zu übersiedeln, bin ich gerne bereit, ihm den Weg dahin zu beschreiben.