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Der ehemalige Besitzer des Gasthauses »Zum Auerhahn« hieß Wudy. Er war ein sehr merkwürdiger Mensch und auch ein wenig ein Sonderling. In seiner Jugend war er Holzhauer, brachte es jedoch durch seinen Fleiß und außergewöhnlichen Geistesanlagen nicht zur zu seinem ansehnlichen Besitz, sondern er war auch durch mehr als dreißig Jahre Bürgermeister des Marktfleckens, und seit es in Stubenbach eine Post gab, auch Postmeister. Außerdem war er ein phänomenaler Kartenspieler. Waren Reisende da, mit denen er »Franzefuß« oder ein anderes Spiel machen konnte, gewann er ihnen stets das Geld ab, wiewohl er sich während des Spieles auch noch mit den Gästen an anderen Tischen unterhielt, seiner Gattin und den Kindern Befehle erteilte usf. Was das Essen anbelangt, sah ich niemals wieder einen so absonderlichen Menschen. Wiewohl immer Fleisch im Hause war – sein älterer Sohn war Fleischhauer – aß er davon nur selten, dahingegen z. B. bloß eine große Schüssel voll gekochtes Kraut, einen Teller voll Mehlspeise oder, was ich allerdings nur einmal sah, lauter schwarzen Kaffee zum »Mittagsmahl«. Dafür trank er aber neun Gläser voll davon. Von den Herrschaften, welche zur Sommerszeit als Touristen bei ihm einkehrten, hielt er nicht viel. Er war gegen sie nicht unfreundlich, er machte aber auch »keine Geschichten« mit ihnen.
»Weil der gute Mann durch seine verschiedenen Ämter und das Kartenspiel so sehr in Anspruch genommen war, die Frau für viele eigene und fremde Leute zu kochen hatte, die eine Tochter auf der Post aushalf, die andere oft abwesend war, gab's für die zu allen Tagesstunden ankommenden und abgehenden Touristen nicht immer jemanden, der ihnen Auskünfte erteilen und ihre Wünsche entgegennehmen konnte, und es sollte ihnen ja doch auch jemand Gesellschaft leisten, wenn die z. B. bei Regenzeit allein dazusitzen gezwungen waren. Darum baten mich die Wirtsleute oft, ins »Kasino« (die bessere Schankstube) zu gehen und »auszuhelfen«. Natürlich beschränkte sich meine Aushilfe nur darauf, ihnen Gesellschaft zu leisten, ihnen zu sagen, was es heute zum Essen gibt und was außerdem auf Bestellung frisch bereitet werden könnte usw.
Zum Lohn dafür gewann mir der alte Wudy, sooft ich mit ihm Preference spielte, mein Geld ab. Doch das geschah nicht oft, weil ich nur selten Lust hatte, mit einem Menschen zu spielen, welcher nach dem dritten Stich beispielsweise erklärte: »Kommen Sie nur mit Ihrem schäbigen Schellneuner heraus. Sie haben ja ka andere Schelln nimmr!« –
Einmal kam ein ganzer Schwarm verschiedener Touristen an, Inländer und Ausländer, jung und alt, weiblichen und männlichen Geschlechtes, doch war niemand da, der sie nach ihrem Begehr gefragt hätte. Weil ich aber gerade da war und offenbar kein Tourist war und mich die Fremden für den Sohn des Wirtes halten mochten, fragte mich eine der mitgekommenen Damen (noch sehr jung und zum Anbeißen reizend!): »Ich bitte, könnten wir nicht Wiener Schnitzel mit Salat und ein kleines Bier – für jeden eins – bekommen?« – Mit allen Verhältnissen in Küche und Keller, im ganzen Hause wohl vertraut, entgegnete ich sehr freundlich: »Ja, das können Sie bekommen, das Bier sofort, das Essen in einer Viertelstunde«, und ging zur Wirtin heraus, um alles zu bestellen. Ehe ich aber noch bei der Tür war, rief's von anderen Tischen: »Bitte, uns auch Schnitzel, drei Portionen, und drei »Große« – »Bitte, hier auch, zwei Schnitzel und ein Bier und einen Schwarzen!« – »Bitte, dreimal Schnitzel und drei Bier!« usf.
Wer A sagt, muss auch B sagen, und ich konnte doch unmöglich den andern sagen: »Meine Herrschaften, ich bin kein Kellner, und wenn ich auch so einem schönen Fräulein, wie dieses hier, zuliebe den Vermittler spielen will, den Herren und den alten Schachteln zulieb tu ich's nicht!« Darum ging ich in die große Schankstube, zugleich Küche und überlieferte alle Bestellungen in Bausch und Bogen: »Dreizehn Schnitzel mit Salat, acht Große, vier Kleine und einen Schwarzen!« und ging dann durch die andere Tür und durch den großen Tanzsaal, (unter dem einst der Friedhof lag!) in mein Zimmer hinauf. Das Servieren überließ ich der vielgeplagten »Mammerl«. (Den Namen »Mammerl« hatte ein Reisender der Firma Waldeck und Wagner, ein einstiger Rittmeister, wie er versicherte, der Wirtin angehängt, und wir akzeptierten diesen Spitznamen).
Endlich kam's zum Zahlen. Jeder legte den Betrag der Zeche hin und daneben eine »Dischkretion« für den »Kellner«; der eine zehn Kreuzer, der andere fünf usf. – Die Böhmerwäldler haben sehr viel Mutterwitz, und auch die sonst so ernste und wortkarge Frau Mammerl besaß davon ein gestrichenes Maß. Schmunzelnd nahm sie Zech- und Trinkgeld ein und wartete, bis ich wiederkam. Dann trat sie vor mich hin, legte 45 Kreuzer auf meinen Tisch und sagte ganz ernst: »Herr Lehrer, do san 45 kr. Dischkretion von die Touristen für Ihnen.« Und dabei schielte sie nach meiner Visage.
Ganz rot vor Scham und Ärger, brauste ich auf: »Ja, was denken Sie sich denn eigentlich von mir? Bin ich Ihr Kellner oder was? Geben Sie das Geld der ›Kloan Marie!‹«
Die Mammerl, die es faustdick hinter den Ohren hatte, verzog keine Miene und entschuldigt sich mit der Erklärung, sie könnte doch nichts »davor«, und »untrschlogn« könne sie das Geld doch auch nicht. »Die Touristn hobn's hergebn vor Ehnen, also muss i's Ihnen a übergebn.«
Nachträglich war ich aber vorsichtiger, und wenn wieder Touristen kamen und bei mir bestellen wollten, erklärte ich ihnen höflich, wer ich sei, übermittelte aber trotzdem ihre Wünsche, insbesondere, wenn der Besteller weiblichen Geschlechtes, jung und nudelsauber war wie jene reizende Dame, welche mir 10 Kreuzer »Dischkretion« zugedacht hatte.