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Hätten Sie nicht Lust, mit mir auf den Nobelball in Z. zu fahren?« fragte mich der jüngere Chef der Glasfabriksfirma in Neubrunst, Herr Ascherl jun.
Ob ich Lust hätte? Aber ja, selbstverständlich! Wo wird denn ein 24-jähriger junger Mensch nicht gern einen Ball mitmachen? Ich dankte also für diese Einladung und versicherte dem lieben Herrn, dass ich mit Freuden dabei wäre. –
Schon die Schlittenfahrt dahin war ein Genuss; denn der Schnee lag wohl einen Meter hoch, Pferde und Fahrgelegenheit waren tadellos, die Luft wohl sehr kalt, aber rein, wie nur denkbar, und mit Pelz und Fußsack, Pelzmütze und »füchsernen« Handschuhen war die Gefahr zu erfrieren nicht allzu groß. –
Am Wege fragte mich der Herr, ob ich denn auch ganz tadellose weiße Handschuhe hätte.
»Weiße? Leider nicht, aber tadellose braune Glacés«, entgegnete ich. Doch das genügte nicht; ausgerechnet weiße müsste ich haben, sagte er darauf, und tröstete mich damit, dass in Z. solche zu haben sein werden. Erläuternd erklärte er überdies, dass zu diesem Ball nur geladene Gäste Zutritt hätten, und es kämen da lauter »Reichsratzen«, Fabrikanten und überhaupt nur die Creme der Gesellschaft von Z. und Umgebung zusammen. Alles in Gala, die Damen wie auf einem Hofball. Und wenn ich nicht durch ihn eingeführt würde, würde ich gar nicht zugelassen werden.
Na, Koschamadiener! Wird das a »gschpandeltes« Zeug werden! Wenn ich das früher gewusst hätte! Aber jetzt war's zu spät, und wenn schon nicht der Rubikon bereits überschritten war, die Reichsgrenze war's schon, und es gab kein »Zurück« mehr. Nimm also, Verhängnis deinen Lauf! –
Der Herr A. nahm im selben Hotel, in dem der Ball stattfand, ein Zimmer, in welchem wir uns tip-top-machen konnten; wir aßen noch schnell eine Kleinigkeit, ich holte mir im Warenhause Gruber noch die vorgeschriebenen weißen Handschuhe, und dann ging's hinauf beklommenen Herzens.
Tür auf, Herren vom Komitee – Schwalbenschwanz, höchster Glanz, weiße Weste et Krawatte etc., Verbeugung links, Verbeugung rechts, Vorstellung, Erklärung, Entschuldigung, Willkommensgruß, vorwärts marsch weiter; Bekannte, wieder Verbeugung links usw. Feenhaft beleuchteter Saal, von oben bis unten alles mit duftendem Tannenreisig bekleidet und sehr vielen riesengroßen Spiegeln; auch lebender Blumenschmuck. Damen großartig; Herz in der Hose. Mein Herz natürlich.
Na, denk' ich mir, mich selber tröstend, werden dich nicht fressen. Alles gibt sich in der Welt; man findet auch ein Plätzchen zwischen Bekannten des Herrn Ascherl. (Zwischen Damen von vornherein ausgeschlossen; denn – ich staune, nie gesehen, an den Tischen links sitzen nur Damen, rechts nur Herren!)
Muss in Bayern so der Brauch sein.
Musik spielt, ich passe anfangs noch Trema.
Aber dort sitzt so ein Engel mit Diamanten im Haar, Perlen am tief ausgeschnittenen Busen; mit der möcht' ich einmal tanzen, ach, nur einmal in meinem Leben, wenn's nicht öfter möglich ist.
Alles ist möglich; aber man muss erst vorgestellt werden. Das besorgt Herr A. freundlichst, und ich schwebe auch schon mit ihr dahin und bin im siebenten Himmel. Habe später noch einmal mit ihr, der Himmlischen, getanzt und auch ein paar Worte gesprochen. Dann beides noch mit anderen Göttinnen. –
So zeremoniös ging's bis so gegen elf Uhr, rein wie bei Hofe. (Bei Hofe war ich natürlich noch nie gewesen; aber man hat doch so Beschreibungen gelesen und Bilder gesehen.) Da winkt mir Herr A. und führt mich in ein Nebenzimmer. Wir wollen etwas ausruhen und nochmals essen, ehe die anderen daran denken, welche nicht stundenlang in eisiger Luft daher gefahren waren.
Es müssen aber doch auch noch andere Herren in der gleichen Lage gewesen und auf denselben Einfall gekommen sein; denn es gesellen sich bald welche zu uns, lauter gute Freunde vom Herrn Ascherl, und wir unterhalten uns so ausgezeichnet, dass es schon gegen Zwölf geht, ehe wir wieder ans Tanzen denken.
Da – was war das? Singen sie nicht im Saale darinnen? Ja, ja, und der Gesang schwellt an, und deutlich tönt es endlich von drüben:
»Die al-ten Deut-schen sa-ßen am U-fer des Rheins
und tran-ken immer noch Eins! Noch Eins! Noch Eins! – Prost!«
Na nu? Ist's möglich? Es kommt aber noch besser: Eine besonders kräftige Stimme lässt sich vernehmen: »Frau Taxator, ich bringe ihnen die Blume! Prost!« Und eine fast ebenso kräftige Damenstimme erwidert: »Prost, Herr Braunmüller!« Man hört auch lachen in dieser heiligen Halle!? Und wie wir wieder in den Saal treten, denk' ich: »Seh ich recht oder ist's eine Halluzination?« Sitzen von den früher so steif und förmlich gewesenen Auguren schon mehrere – in Hemdärmeln!
Unglaublich, aber wahr!
Ich werfe Herrn A. einen fragenden Blick zu. Der aber lächelt nur und sagt: »Das ist da immer so; die bayerische Gemütlichkeit lässt sich nicht verleugnen, sie bricht schließlich immer wieder durch.« –
Nach Zwölf bedurfte es auch keiner »Vorstellung« mehr, wenn ich mit einer Dame tanzen wollte, mit der ich noch nicht getanzt hatte. Eine Verbeugung genügte fürderhin.
*
Schön war es gewesen, lautete mein Urteil am anderen Morgen, »und gemütlich«, und darum lasse ich auch auf die Bayern nichts kommen! –