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Einen Flintenschuss vom Hofe des Boierseppn zu Fürstenwald entfernt, steht das Kleinbauernhaus des Mothislferdlhannesmaxl.
Still sieht es ins Tal hinab und still sehen auch dessen zwei Bewohner, der Maxl und sein Weib, »d' schieglete Annamirl« ins Tal. Was sollten denn auch die Zwei miteinander reden? Erlebt wird nichts, weiter kommen sie das ganze Jahr über auch nicht als nach Außergefild in die Kirche, und was die Arbeit anbelangt, da gibt's erst recht nichts zu besprechen und anzuordnen; kennen doch beide schon seit fünfundzwanzig Jahren jeden Griff, der in Haus und Hof, Stall und Feld zu machen ist. Und doch sollte ein Ereignis diese mehr als idyllische Ruhe stören, Bewegung und Leben in die stille Einschicht bringen.
Der Maxl war am 10. März 1907, es war ein Sonntag, nach Außergefild in die Kirche gegangen und hatte daselbst seine Andacht verrichtet. Als er darauf zum Krämer kam, um dort für die Annamirl ein halbes Pfund Kaffee und um »fufzg Kraizr« Zucker zu kaufen, schlug ein Wort an sein Ohr, welches auch die beherztesten Menschen nicht ohne Gruseln zu hören vermögen, das Wort »die Welt geht unter!«
Dem Maxl gab's einen Riss, mit erkünstelter Ruhe aber wandte er sich an den neben ihm stehenden Enzianrocherl mit den Worten: »Söll hots scho öftn ghoißn; so wait i mi obr z erinnern woas, is d Welt no nejmols net üntrgangn. Wird im Märzn an net üntrgehn.«
Der Enzianrocherl wusste jedoch die Geschichte von dem neuesten und verbesserten Weltuntergang zu genau, um diesen Einwand gelten zu lassen, und entgegnete deshalb gereizt; »Schwonz, törischr, wos varstehst denn du vo an Weltüntrgong! Les a Zeitung, nochr wirst wos wissen! In dr Zeitung heißt's ausdrückla, doss a italischr Astronom ausgrechnt hot, doss am neundzwonzgstn Mirzn a Himmlskummöd, dr Galliläische (Halleyische) Kummöd, schrabtr si, mit an Mordstrumm Schwoaf grodwegs af unseri Erdn zoukimmt und derer oani umiglongt mit demselm Schwoaf, doss olls in Fetzn geiht. Und wegn wos, wegn dem, weil derselbigi Kummöd lautrs Fuir is und a sou grouß is, wej – wej sog i denn gschnöll – no, wej holt de Kummödr scho san. Größr scho, wej dr Rachl odr dr Kubany.«
Der Umstand, dass die ganze Geschichte in der Zeitung gestanden, war allerdings schwerwiegend; in der Zeitung hatte aber auch schon gestanden, dass das Wetter im April so und so sein würde, und hintennach war's doch ganz verkehrt gekommen, und wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht. Darum schüttelt der Maxl nochmals ungläubig sein Haupt und brummt dabei: »Pfeif draf, wos d Zeitung schraibn tut – schraibn holt wos eini, doss s Popier gor wird.«
Als aber der Krämer selbst das Wort nahm und versicherte, dass die Sache diesmal wirklich recht bedenklich wäre und daran erinnerte, dass es vorigen Sonntag so gestürmt hätte, dass eine schwarze Kuh in fünf Minuten weiß war, erwiderte der Maxl ganz resigniert: »Wegn meinr; wenn d gonzi Welt üntrgeiht, kinn'n mir an net allons doblaibn. Unsroans stirbt si do no laichtr ols oans vo die Herrnleut und de Milliarderer«, und er hörte auch die weiteren Auseinandersetzungen so gefasst und ruhig an, als es eben nur einem Manne, zumal einem Böhmerwäldler, ziemt.
Die Blauschecknliesl, welche »an Mogr« (Mohn) eingekauft hatte, gab an, »dr Kummödnschwonz kimmt vo dr boirischn Seitn her und »Münka« (München) follt scho um holbr Zwölfi bai dr Nocht«, und die Trerräpflpiusmarai erklärte: »Die Himmlsstrof kimmt wegn derer Ehereform, weil d Judn und d Lutheraner mit die Christn durchananderheiratn wolln und weil d Monnsbildr ei Wien drinn ehrini Weibr wej d Schneuztejchln wechsln möchtn, olli Monot a Onderi.«
Ein Geistesgegenwärtler findet sich in jede neue Sachlage schnell hinein, so auch der Maxl; dieser ließ sich infolge der so total veränderten Weltlage jetzt nur ein Viertel Pfund Kaffee und ein halbes Pfund Zucker geben und kaufte für den Rest des Geldes eine Anzahl ganz anderer Dinge; Dinge, welche mit dem Weltuntergang innig zusammenhingen. Dann ging er zum Fleischer Isidor, sprach mit ihm ein ernstes Wort und eilte von da aus, ohne erst einzukehren, direkt nach Hause.
Am Wege merkte er erst, dass ihm der Weltuntergang doch viel mehr zu Herzen ging, als er sich's anfangs gestanden. Mit dem Zeigefinger seiner hocherhobenen Linken von links nach rechts und wieder zurückfahrend, als wollt er den Lauf des Kometen zeichnen, philosophierte er: »S künnt mügla san – und künnt net san a – wanns obr schon san tät – schod wärs um d Säu. Fraila, wanns net wohr war – wars um die Säu schod. Zwegn dem: Gscheitr is gscheitr und Vorgsorgt und Vorgschaut hot koa Norr ne afbrocht. Obr d Annamirl, de wird schaun?
Mit diesen Schlussworten hatte der Maxl allerdings den Nagel auf den Kopf getroffen; denn als er in die Stube trat und ein ganzes »Schkarnitzl« mit Pfeffer und Ingwer, »Salitr« (Salpeter) und »Kalafun« (Kolophonium) auf den Tisch warf und dabei ausrief: »Ei dr Fruh suidst n groußn Häfn Wossr und um Sie(b)n kimmt dr Isidor ins Schweindlschlochtn!« griff sich die Gattin rasch an den Kopf, um sich zuerst von des eigenen Schädels Intaktheit zu überzeugen, und maß sodann den Mann vor ihr vom Scheitel bis zur Zehe, um zu ersehen, ob er nicht etwa im Delirium tremens rede. Im März sollten die zwei Polakerln geschlachtet werden? Jetzt, im März? So etwas hatte die Welt noch nicht gesehen, war unerhört! Sie hätte sich an dem Mann vergreifen können, wenn sie nicht ganz starr, wie gelähmt, gewesen wäre.
Der Maxl begriff den Seelenzustand seines Weibes vollkommen und fühlte auch, dass er ihr Aufklärung und Rechenschaft schuldig wäre; die gute Seele ahnte ja nicht, was sonst alle Welt schon wusste. Fast feierlich klang es deshalb, als er das große Wort sprach: »Am neunundzwoggstn um holbr Oans geiht d Welt üntr; bei Münka hebts o und af dr ondrn Seitn vom Globus hört's af. A Kummöd mit an mentisch groußn Schwoaf, hellbrennet wej a Raketn, haut d Welt in Fetzn. Und do is – moan i – gscheitr – mir fressn ünsri zwoa Säu lejbr bai Zeitn zamm!«
So sehr die Annamirl ob dieser Hiobspost erschrak, so klar wurde ihr jetzt alles mit einem Male: Geht die Welt unter – weshalb sollte man da die beiden schönen Schweinchen ungenossen in den Hades stoßen, in dem Chaos versinken lassen? Gewiss, ehe die Berge in Schotter und der Wald in Feuer und Flammen aufgeht, soll das gute Fleisch seiner Bestimmung zugeführt werden! Doch man schlachet keine im zartesten Jungfrauenalter stehenden Schweindeln, ehe man's nicht sicher weiß, dass die Welt untergeht, was zu beweisen vorläufig noch des Mannes Aufgabe war.
Leider fiel dem Maxl diese Aufgabe gar nicht schwer. Gewissenhaft berichtete er des Enzianrocherl und des Krämers Rede, der Trerräpflpiusmarie und der Blauschecknliesel Bemerkungen, und so blieb kein Zweifel übrig. Zumindest war es sehr wahrscheinlich, dass die Welt am neunundzwanzigsten März untergehen würde, und danach musste man sich richen.
Der Isidor protestierte zwar am anderen Morgen gegen das Abschlachten zweier so unschuldiger Kinder, schon weil es nicht gewiss wäre, ob sich der Astronom nicht etwa um hundert oder gar um tausend Jahre verrechnet hätte, doch vergeblich, und auch das Protestieren seitens der beiden Opfer, welche in ihrer Unschuld nichts von bösen Kometen, welche Ferkel fressen, wussten, nützte nichts; sie mussten ihr Leben aushauchen. Mit Tränen in den Augen quirlte die Annamirl das schuldlose Blut, mit bitteren Zähren sott sie die Würste, und schluchzend begoss sie das zum Räuchern bestimmte Fleisch mit der ätzenden Brühe, und nur ein Trost blieb ihr: trotz der Jugend der Schweindln ergab der Schlachttag unzählige Würste, eine Menge Kernfleisch usf., und der Küchenzettel der nächsten vierzehn Tage lautete: Früh – Wurstsuppe, Neunerbrot, pardon Neunerwurst – Leberwurst; Mittagessen – Schweinernes, Kraut und Reiberknödeln; Fünfuhrwurst – Blutwurst; Abendessen – Presswurst oder Speck mit Schwarzbrot.
Natürlich trank man weder Wasser noch Buttermilch dazu, sondern Bier oder Wacholderschnaps. Sparen brauchte man ja nicht mehr.
Am 29. abends 9 Uhr Münchner Zeit legte die Annamirl die letzte Wurst auf den Tisch und der Maxl den Fasshahn daneben, und ergeben in den Willen Gottes erwarteten die Bewohner des Einschichthauses Nr. 3 die Ankunft des Kometen. Als aber die erste Morgenstunde schlug, als es endlich sogar zu grauen anfing, ohne dass der Schweifstern kam, und so aus dem Kom-met ein Komm-net wurde und damit immer klarer wurde, dass dieser Kommöd wieder einmal bloß Komödie gespielt hätte, da wurde die Annamirl »sakrisch siri«. Sie überhäufte zunächst den Maxl mit Vorwürfen und nannte ihn einen depeten Lolai und einen Manken, dann schimpfte sie über den Enzianrocherl, den Krämer, die Trerräpflpiusmarie und die Blauschecknliesel und schwur hoch und teuer, derer Bagaschi etwas anzutun, alle die »Kummödschmeckr« bei Gericht zu verklagen, u. z. erstens wegen Schadenersatz wegen der zwei Schweindeln und zweitens, weil ihr und dem Maxl von dem »Schrockn« so totenübel war, dass ihr erster Gang zum Doktor nach Außergefild sein musste.
Dort erzählte sie zuerst, wie es ihr und ihrem Manne zentnerschwer im Magen liege, und als der Doktor fragte, was daran schuld wäre, antwortete die seekranke Frau ebenso wahrheitsgetreu als erbost: »Wer wird denn d Schuld dran san als dr Kummöd?« Der Doktor war sehr begriffsstutzig, konnte sich's nicht zusammenrechnen, wie der Magenkatarrh mit dem Kometen zusammenhängen konnte, und erst, als ihm die Annamirl die ganze Geschichte haargenau von A bis Zet zergliedert hatte, ging ihm ein Licht auf.
Als die Annamirl unter Schluchzen von dem vorzeitigen Tode ihrer zwei geliebten Grunzerln erzählt hatte, und dass nur der elende Kerl, der Komet, daran schuld wäre, meinte er selbst ganz gerührt: »Das hätte ich mein Lebenlang nicht geglaubt, was für einen Einfluss das Erscheinen eines Kometen auf die Lebensdauer der Schweine auszuüben imstande ist.« Dann verschrieb er dem Ehepaar ein sehr kräftiges Purgiermittel und warnte sie davor, jemals wieder eines Kometen wegen ein Schwein zu schlachten und binnen vierzehn Tagen per Putz und Stingel aufzuessen.
Das versprach denn auch die gute Annamirl; als sie aber zu Hause ankam, begrüßte sie ihren Herrn und Gebieter mit den Worten: »Versteht a nix der Doktor. Von so an nobln Essn konn am af koan Foll net so miserabl wern, wej uns zwoan no ollwei is. Er behabts obr, doss mir uns mit dem vieln Essn n Mogn ausghaklt hättn. An schlechtn Mogn kriegt mar ner von an schlechtn Essn, zm Beigspül vo oanr übrstandgn Budrmil, wos schon saur und hanti is, obr s Fleisch im Mogn und d fein Wurscht scho gor net; uns liegt s Leid und dös vieli Harbn (Kränken) im Mogn, uns liegt mit an Wort dr hundsmiserabigi Kummöd im Mogn!«