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Der letzte Trieb

Die Gemeinde Freischlag verpachtete ihre Jagd schon seit altersher immer wieder an die Gutsherrschaft. Im Jahre 1894 aber konnten sich die Freischlager mit dem Revierförster Hany nicht über den Pachtschilling einigen, denn die Bauern waren der Meinung, auch der Pachtnutzen müsste größer werden, wenn alles teurer wird, während der Förster, wohl wissend, dass die Bauern wegen der untentbehrlichen Waldstreu und so mancher anderer Dinge von seinen Gnaden abhingen, auf eine Erhöhung des Pachtbetrages absolut nicht eingehen wollte. Es kam zu einem heftigen Streit, in dessen Verlaufe der Förster die Bauern »auf d' Kierweih« einlud, d. h. ihnen erklärte: »Ihr könnt mich, und so weiter«, und die Bauern gereizt erwiderten: »Se wern uns a net affress'n und so viel Streu, als mir brauch'n, treib' m'r in uns'rn Wald'ln a no af.« Damit war der Krieg beiderseits erklärt, und bald darauf knallte es auch schon auf beiden Seiten, und das einzige Glück dabei war nur, dass die blutigen Opfer des erbitterten Kampfes nur Hirsche, Rehe und Hasen waren, während die Menschen einander in der Regel unverletzt ließen. (Ausgenommen den Fall natürlich, dass ein Treiber unversehenermaßen von einem schlechten Schützen angeschossen wurde, was ja bekanntlich auch außerhalb Freischlag und Fürstenwald hie und da vorkommen soll.)

Der ergrimmte Förster gab den Befehl, »niederzupfeffern, was Platz hat«, besonders an den Jagdgrenzen, und die Bauern sagten wiederum: »Zammg'schoss'n wird amol oll's, und wann's g'rod sein konn, üb'r d'r Grenz a!«

Kurz vor Weihnachten veranstaltete der Revierförster Hany eine große Treibjagd, zu welcher auch etliche Förster der benachbarten herrschaftlichen Reviere und städtische Jagdfreunde eingelagen wurden, und vom Morgen bis zu Dämmerung knallte es auf der ganzen Schlachtlinie unverdrossen, und erst die einbrechende Dämmerung und der Umstand, dass sich die ganze Schwarmlinie bereits der langen Steinmauer näherte, welche am Kegelberge die Reviergrenze bildete, zwangen die Jäger, ihr Feuer einzustellen. Die letzten Schüsse fielen in langen Intervallen, und der Heger Bauer schoss als Allerletzter einen feisten Hasen. Er sah, wie sich dieser überschlug und danach, schwer getroffen, noch einige Sätze gegen links tat, wo der Nachbarschütze, der Heger Schwager, seinen Stand hatte.

Überzeugt davon, dass Meister Lampe in dessen Nähe zusammenbrechen musste, rief der Heger Bauer: »Aufpasst, Schwog'r! Der Hos' is af Di zu!« und fragte nach einer Pause: »Host'n scho?«

»Jo, i hon'n scho!« war die Antwort, und so blieb Bauer nur noch die Pflicht übrig, den »Schwog'r« zu erinnern: »Den Hos'n tragst glei zum Russ'n wirt'n, doss 'n d' Paulina »zum letzt'n Trieb' onricht!« Es bestand nämlich der Brauch, das letztgeschossene Stück Wild der Jagdgesellschaft zum Schmause zu widmen, und der sogenannte »letzte Trieb« fand jedes Mal im Gemeindewirtshause »Zum Russen« statt.

Die Jagd war zu Ende, die Schützen fanden sich zusammen, nur Schwager, welcher offenbar mit dem letzten Jagdopfer sofort »Zum Russen« zugewandert war, fehlte dabei, und gern vernahm jeder aus Bauers Munde die freudige Kunde, dass der »Kuchlhos'« ein »Kapitalkerl« wäre. –

Man roch's schon beim Eintritte ins Wirtshaus, dass der Hase bereits in der Pfanne lag, und die Mehlspuren an den Händen der Russenwirtin verrieten, dass es auch nicht an den nötigen Knödeln zu dem Hasenbraten fehlen werde. Die Paulina war als gute Köchin bekannt, in den Mägen der Schützen knurrte es schon bedenklich, kein Wunder also, dass jeder der Jagdteilnehmer begehrlich nach der Küche schielte und sich erwartungsvoll niederließ, wo er seinem Range nach seinen Sitzplatz hatte. Die Wirtsstube war so heimisch und warm, von den Wänden sahen allerlei Geweihe auf die Harrenden herab, alles ließ sich so gemütlich an; schön war's da, unstreitig, und nur ein Umstand trübte die Laune der Stunde: An dem Tische neben der Tür saßen die Dorfbauern und tuschelten miteinander und grinsten einander an, als ob sie, wer weiß was, für geistreiche Einfälle hätten.

Der Revierförster warf »der Bande« böse Blicke zu, band sich seine Serviette vor und sagte zu seinem Nachbarn, dem Förster Wolfinger, höhnisch und laut genug, dass es die Bauern hören konnten: »Möcht'n's halt wenigstens riech'n, die Herren.«

Die Erwartung war schon aufs Äußerste gespannt; endlich öffnete sich die Küchentür und an ihrer Schwelle erschien die Wirtin mit dem Hasenbraten, hinter ihr der Wirt mit der unendlich großen dampfenden Knödelschüssel und wie merkwürdig – zuletzt erst die »Dirn« mit Teller und Bestecken.

Aber – was war denn das – war's ein Höllentrug, war's Sinnestäuschung? Der Zug mit den Fressalien bewegte sich zu dem Tische der »Bande«!?

Ingrimmig sahen es die Jäger, und ein vernichtender Blick aus des Försters Augen traf die Wirtin. Wenn schon die Bauern auch »neulich«, als sie gejagt hatten, einen elenden Hasen geschossen hätten, um die »Herrschaftlichen« zu ärgern, war das eine Manier, erst die Bauern zu bedienen?

Na, nur nichts merken lassen, ignorieren, aber der Wirtin den Standpunkt klarmachen!

Zu letzterem Zwecke richtete denn auch der Jagdleiter Hany die inhaltsschweren Worte an die Russenwirtin: »Wir möchten auch essen, verstanden? Oder kommen die Herren Bauern drüben zuerst an die Reih' und die Herrenleut' hintennach, in Freischlag do? Noch amol so a Gemeinheit und d' Russenwirtin hat ausg'spielt, verstand'n? Und jetzt »Laufschritt, marsch, dass deckt wird und dass wir nur's Essen krieg'n! Marrrsch-Marrrsch! – Na; vorwärts, wird's bald, oder sads tramhappet und zu einer Salzsäul'n word'n wie lots Weib?«

Doch Lots Weib fand die Sprache noch lange nicht, und der Russenwirt musste an ihrer Statt das Wort ergreifen. Zum Staunen war es, unfasslich, und Hirn und Magen erschütternd war es, was dieser ganz de- und wehmütig zu stottern begann: »Entschuldigen S' aufs Alleruntertänigste, gnä-gnä-diger Herr; a-ber Se ham ja nix – nix be-stellt, und vo – vo kan Ess'n wiss m'r – jo –nix. Hot jo nie – mand wos g'sogt und – brocht hot jo uns – ka – ka Mensch an Hosen oder sinst wos. A Wurscht, wann g'fällig wär' – oder – an Kas …?«

Jetzt ging die Uhr recht! Die Bauern drüben fraßen einen Hasen mit Knödeln, schmatzten wie die Borstentiere und grunzten vor Wonne dabei, und – es war nicht auszudenken.

Wie ein losgeschossener Pfeil schnellte der Förster Hany in die Höhe, seine Faust schlug dröhnend auf den Tisch, und wie Donner und Doria ging's den Heger Bauer an: »Ja, zum Himm'lkruzifixelement noch amal, Sie, Sie Heger, wo ist denn unser Has', ha? Wo haben den Sie Ihren »Kapitalkerl« hingetan, Sie Kapitalheuochs? Red'n S' doch gefälligst!«

Hilflos starrte dieser einen Moment den ganz unbefangen dasitzenden Schwager an, dann befragte er diesen zornglühend: »Hon i Di net g'frogt, obst den Hos'n scho host? Hon i Dir net g'sogt, dass D'n af d'r Schtell d'r Paulina zum Anricht'n hintrog'n sollst? Wo host'n den hinton, Du Rindvieh, Du üb'ranand?«

Doch aus des Schwagers Verantwortung war nur das eine herauszufinden, dass er zur Zeit, da der Heger Bauer den letzten Hasen schoss, nicht mehr am Kegelberg, sondern unten beim Brechhäusel war und von Rede und Gegenrede nichts wisse. Dieser Erklärung folgte ein allgemeines Gefrage, wer dem Bauern geantwortet hätte, wer den Hasen weggetragen hätte und so fort, und es wäre alles ein ungelöstes Rätsel geblieben, wenn sich nicht endlich an dem anderen Tische der Bauer Braungartner erhoben und erklärt hätte: »Nix für ungut, die Herren, der, den der Heg'r g'frogt hot ›Host'n scho?‹ derselbige wor i, weil, wie der Hos, der eh ner mehr zwoa Hox'n g'hot hot – de ond'rn zwoa hot'n der Heg'r o'g'schossen g'hot – üb'r d' Mau'rn, af uns'rn Jogdgrund an Schnell'r mocht und neb'n mein'r hinfollt, hab i natürla den Hos'n a, weil a Wild, wies G'setz laut'n tut, dem g'hört, af wess'n Grund es lieg'n bleibt; dös waß ja a jeds. No, und wie d'r Heg'r sogt, i sollt'n zur Paulina trog'n und onricht'n loss'n, denk i m'r, dös gang jo a, und weil d'r Hos' uns Bau'rn af so a leichti Weis' zukemma is, hon i natürla a den Jogdauschuss doher eing'loden und a sou san Se um den Hos'n kemma und mir zum Ess'n. Nix für ungut.«

Der Mann war in seinem Recht, da war weiter nichts zu machen; die Bosheit mit dem heimtückisch verabredeten Trutzessen blieb aber doch ein nach Rache zum Himmel schreiendes Verbrechen. Diese Rache schwur denn auch der Revierförster Hany den Bauern bei Wurst und Brot und später einmal will es der Chronist treulich erzählen, wie der Förster diese Rache bewerkstelligt hat.


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