Johann Gaudenz v. Salis-Seewis
Gedichte - Ausgabe letzter Hand
Johann Gaudenz v. Salis-Seewis

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Gesang an die Harmonie.

            Schöpferinn beseelter Töne!
Nachklang, dem Olymp enthallt!
Holde, körperlose Schöne,
Sanfte, geistige Gewalt,
Die das Herz der Erdensöhne
Kühn erhebt und mild umwallt!
Die in innrer Stürme Drange
Labt mit stillender Magie,
Komm mit deinem Sühngesange,
Himmelstochter, Harmonie!

Seufzer, die das Herz erstickte,
Das, mißkannt, sich endlich schloß –
Thränen, die das Aug' zerdrückte,
Das einst viel' umsonst vergoß,
Dankt dir wieder der Entzückte, 137
Den dein Labequell umfloß.
Der Empfindung zarte Blume,
Die manch frost'ger Blick versengt,
Blüht erquickt im Heiligthume
Einer Brust, die du getränkt.

Des Vergangnen Traumgebilde,
Amors Morgenphantasien,
Heißt dein Ruf, so still wie milde
Mondesschatten, uns umziehn;
Auf des Lebens Herbstgefilde
Längst verwelkte Veilchen blühn.
Süßer Täuschung Zauberblüthe,
Die Erfahrung knickt und rafft,
Weckt im ödesten Gemüthe
Deines Wohllauts Schöpfungskraft.

Holder, nun ein süßes Wähnen,
Kehrt das Bild verfloßner Zeit;
Zarter strebt der Liebe Sehnen,
Milder glüht die Innigkeit,
Wenn dein Chor den Trauerscenen 138
Höhern Trost und Anmuth leibt –
Gibt, wo Worte nichts vermögen,
Labsal dem zerstörten Geist;
Der Ergebung stillen Segen,
Wo die Thrän' erschöpfend fleußt.

Hefte auf die lichtern Stellen
Unsrer Bahn der Schwermuth Blick,
Trag' den Geist auf Wohllautswellen
In ein Friedensland zurück;
Solch ein Leben zu erhellen,
Braucht man Täuschung und Musik!
Wo der Sturm des Zeitenganges
Meist der Bessern Plan zerreißt,
Träuft' im Balsam des Gesanges
Hoffnung in der Edeln Geist.

Komm', Momente zu verschönen
Dem, der nicht der Zukunft traut.
Schleuß den Blick mit Schlummertönen
Der zu starr ins Dunkel schaut,
Wie den Säugling beim Entwöhnen 139
Eines Wiegenliedes Laut,
Lull' auch uns in goldne Träume
Einer bessern innern Welt,
Bis ein sanftres Licht die Räume
Unsers Kerkers still erhellt.

Engel! den zum Seelenkranken
Sanftes Mitleid niederträgt;
Der erquickende Gedanken
In der Töne Hülle legt;
Lindernd, statt der Dornenranken,
Seinen Fittig um ihn schlägt.
Dem kein Erdentrost geblieben,
Seiner stummen Schwermuth treu,
Lehr' ihn weinen, lehr' ihn lieben,
Und sein Leben blüht ihm neu.

Gabe, Sterblichen verliehen,
Zart Gefühltes, scheu verhehlt,
Zu vertraun an Melodieen,
Süße Macht, die nie verfehlt
Seel' an Seele hinzuziehen! – 140
Was beseligt, was uns quält,
Was mit Worten auszudrücken
Keiner Sprache Kraft gelang:
Sehnsucht, Schauer und Entzücken
Zu ergießen im Gesang.

Stimm' aus jenen lichtern Sphären,
Sprach' aus Psyche's Vaterland,
Mit des Himmels süßen Zähren
Hier im fremden Thal erkannt –
Ach! sie fühlt noch ihr Begehren,
Höhern Zonen zugewandt;
Kennt die Sprache mehr als Worte,
Und vernimmt der Seelen Ton;
Wähnt sich an des Himmels Pforte,
Der Verbannung Kluft entflohn.

Tön' in leisen Sterbechören
Durch des Todes Nacht uns vor!
Bei des äußern Sinns Zerstören
Weile in des Geistes Ohr!
Die der Erde nicht gehören, 141
Heb' mit Schwanensang empor!
Löse sanft des Lebens Bande,
Mildre Kampf und Agonie,
Und empfang' im Seelenlande
Uns, o Seraph-Harmonie! 142

 


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