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XXIII.
Die Wurzeln des dreißigjährigen Krieges.

Religiöse und nationale Geschichtslegenden. – Die Politik der Habsburger. – Die Fürsten eine »verkommene Generation«. – Die Geschäftspolitik der Hohenzollern. – Deutsche Fürsten als Vaterlandsverräter. – Verräterische Zettelungen katholischer Fürsten. – Fürstenverschwörungen mit Franzosen und Türken. – Verrätereien im protestantischen Lager. – Der Ausschluß des Calvinismus vom Augsburger Religionsfrieden. – Die religiöse »Mummerei« calvinistischer Fürsten. – Die Mißachtung des Augsburger Religionsfriedens. – Fürstliche Raubpolitik und religiöse Verhetzung. – Kriegsrüstungen. – Die Union und die Liga. – Die sozialen Zustände vor dem Kriege. – Prasserei der Höfe. – Das Saufboldentum der Fürsten und Adligen. – Fürstliche Eheszenen. – Die Bedrückung der Bauern. – Die Juristen über die neue Sklaverei. – Das Bauernlegen. – »Jagdteufel« und Wildfrevel. – Die Bettler- und die Gaunerplage. – Bestialische Kriminaljustiz.


Wie die Hugenottenkriege der Kampf des französischen Feudalismus gegen die den Einheitsstaat verkörpernde Monarchie waren, so waren auch die Religionskriege in Deutschland der Kampf der dezentralistischen Fürstenmacht gegen die habsburgische Monarchie. Dieser Kampf währte in Deutschland ungefähr ein Jahrhundert. Bereits 1531 hatten die protestantischen Fürsten zur Verteidigung ihrer Landessouveränität den Schmalkaldischen Bund geschlossen, dem freilich Karl V. im Jahre 1547 eine schwere Niederlage bereitet hatte. Der Kaiser hatte diesen Sieg gegen die unbotmäßigen Fürsten allerdings nur infolge des Verrats des protestantischen Herzogs Moritz von Sachsen erringen können, der sich für seinen Judasstreich mit der Kurwürde seines ernestinischen Vetters belehnen ließ. Als Moritz seine Beute eingeheimst hatte, übte er, um sich die völlige territoriale Unabhängigkeit zu sichern, vier Jahre später zum zweitenmal Verrat, und zwar diesmal, nachdem er sich mit seinen protestantischen Kollegen ausgesöhnt hatte, an dem Kaiser. Um den gegen Karl V. geplanten Schlag um so sicherer ausführen zu können, hatte Moritz mit Heinrich II. von Frankreich ein Bündnis abgeschlossen. Dafür, daß der König von Frankreich die deutschen Fürsten gegen den deutschen Kaiser unterstützte, wurden ihm in schmählichem Verrat an dem Reiche die deutschen Stifter Toul, Metz und Verdun an den Hals geworfen. Durch diesen Vaterlandsverrat aber hatten die protestantischen Fürsten in Gestalt des Augsburger Religionsfriedens vom Jahre 1555 die erstrebte territoriale Unabhängigkeit durchgesetzt.

Seitdem war es zwischen den Fürsten und dem Kaiserhaus zu keinem kriegerischen Zusammenstoß mehr gekommen. Der Oberherr des Reiches fühlte sich lange Zeit zu schwach, etwas Ernstliches gegen die protestantischen Duodezdespoten zu unternehmen. Zu einer Zeit, wo Philipp II. ein straffes zentralistisches Regiment einführte und Spaniens Macht ihren Gipfelpunkt erreichte, wo es wenig später Heinrich IV. gelang, Frankreichs Kräfte zu einer imponierenden Einheit zusammenzufassen, bot Deutschland das Schauspiel kläglichster nationaler Ohnmacht und Zersplitterung.

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372. Geharnischter Reiter um 1600

In dieser Periode von 1555-1618 erlebte Deutschland bereits ein Vorspiel der entwürdigenden nationalen und kulturellen Schmach, die dann erst recht durch den dreißigjährigen Krieg über das unglückliche Land heraufbeschworen werden sollte. »In ihr schied Deutschland völlig aus den großen Welthändeln aus, die im westlichen Europa zwischen Spanien, Frankreich, den Niederlanden und England ausgefochten wurden; die deutschen Fürsten nahmen höchstens als beutelüsterne Söldnerführer daran teil, käuflich für jede fremde Macht, die bar bezahlen konnte. Fast ekelhafter noch als diese Raufbolde waren die Saufbolde, die daheim den Kehricht hüteten; »gestern abermals vollgewest, heute das Trinken auf ein Vierteljahr verredet«, schreibt ein Kurfürst von der Pfalz, der unter seinesgleichen lange nicht der schlechteste war. Alles in allem ein verkommenes Gesindel, mit schwarzen Missetaten befleckt, im Schlamm der gemeinsten Liederlichkeit watend.« (Mehring.)

In einem früheren Kapitel haben wir bereits gezeigt, wie unter dem Protektorat dieser Sorte von Fürsten die »gereinigte Lehre« in ekle höfische Speichelleckerei und stupides Theologengezänk entartet war. Nicht nur gegen die Katholiken schäumte der Mund der protestantischen Theologen, sondern auch die einzelnen Richtungen des Protestantismus begeiferten sich in wüstem Fanatismus. Unter diesen Umständen war es kein Wunder, daß die jesuitische Gegenreformation gewaltige Fortschritte machte und namentlich die gebildeten Schichten wieder in den Schoß der alten Kirche zurückführte. Stellte doch, wie wir an anderer Stelle ausführlicher nachgewiesen haben, der Jesuitismus gegenüber dem Protestantismus geistig das weitaus überlegenere Element dar.

So vollzog sich denn allmählich ein Umschwung zuungunsten des Protestantismus. In Bayern, Franken, Schwaben, am Rhein, überall drängte die jesuitische Gegenreformation den Protestantismus zurück. Es ist dabei kein Zufall, daß gerade die reicheren, kultivierteren Teile Deutschlands wieder in den Schoß des Katholizismus zurückkehrten, war doch bei dem zunehmenden ökonomischen und nationalen Verfall Deutschlands der katholische Glaube das einzige Mittel, noch eine gewisse Verbindung mit den entwickeltsten Ländern der Zeit, Italien, Spanien und Frankreich, aufrecht zu erhalten.

Vor allen Dingen bewahrte der Jesuitismus einen Teil der noch katholisch gebliebenen Fürsten vor dem Abfall. So die bayrischen Herzöge, die mächtigsten Teilfürsten des südlichen Deutschland, die ebenfalls schon aus den bekannten Gründen der Bereicherung und größeren Unabhängigkeit dem Protestantismus zugeneigt hatten. Die Jesuiten erkannten sehr wohl die Kraft dieser Triebfedern und beeilten sich deshalb, sie zu beseitigen. Sie begegneten der Gier nach dem Kirchengut damit, daß sie die Kirche veranlaßten, den bayrischen Herzögen einen Zehnten von dem geistlichen Besitz zu zahlen. Dadurch wurden die bayrischen Herzöge unabhängig von ihren Ständen und absolute Herrscher, ohne zu einer Konfiskation des Kirchengutes genötigt zu sein. Auch räumte die Kirche den Herzögen eine Art geistlicher Oberaufsicht ein, ferner eröffnete sie den nachgeborenen Söhnen die Aussicht auf die höchsten geistlichen Sitze. So verstand es der Jesuitismus, die bayrischen Fürsten durch dieselben materiellen Vorteile an den Katholizismus zu fesseln, die seiner Zeit die anderen Fürsten zum Abfall vom Katholizismus bewogen hatten.

So verschärften und vertieften sich allmählich die Gegensätze in Deutschland. Der ökonomische Zerfall des Landes begünstigte die Entstehung zahlreicher unabhängiger Despotien, die ihre dynastischen Interessen mit absoluter Skrupellosigkeit verfolgten. Als trefflichsten Werkzeugs in der Verfolgung dieser Interessen bediente man sich der Religion. Gerade die protestantischen Fürsten hatten im Augsburger Religionsfrieden den Grundsatz durchgesetzt: » cujus regio, ejus religio,« der Landesherr habe das Recht, die Religion der Untertanen zu bestimmen. Von diesem Recht machten die protestantischen Despoten denn auch in mehr als ausgiebiger Weise Gebrauch. Aus materiellem Interesse und Landgier wechselten manche der Wackeren ihre Konfession beinahe so oft wie ihr Hemd, und die Untertanen mußten den Religionswechsel jedesmal gehorsamst mitmachen. Dagegen hatten die protestantischen Fürsten verlangt, daß die geistlichen Fürsten dies Recht, ihren Untertanen ein Glaubensbekenntnis aufzuzwingen, nicht haben sollten. Dafür sollte denn auch, das hatte die katholische Seite durchgesetzt, jeder geistliche Fürst, der zum Protestantismus übertrete, des geistlichen Amtes und seines Fürstentums verlustig gehen.

Diese Bedingungen des Religionsfriedens wurden natürlich auf beiden Seiten nicht innegehalten. Zum Protestantismus übertretende Kirchenfürsten versuchten sich in ihrem Besitztum zu behaupten und dasselbe gewaltsam zu reformieren. Andererseits inszenierten katholische Fürsten blutige Protestantenverfolgungen oder sie annektierten gar mit Gewalt protestantische Gebietsteile.

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373. Ferdinand I., römisch-deutscher Kaiser. Geboren 1503, zum Kaiser gewählt 1556, gestorben 1564

Diese beständigen Reibungen, hervorgerufen durch fürstliche Habgier, die sich in das Gewand des religiösen Eifers hüllte, führten schließlich zu Bündnissen und Gegenbündnissen. Protestantische Fürsten schlossen sich 1608 zur Union zusammen, während 1609 Maximilian von Bayern die katholische Liga stiftete. Hinter diesen Bünden standen auch zwei ausländische Mächte: hinter der Liga das mit dem habsburgischen Herrscherhaus verwandte Spanien, hinter der Union Heinrich IV. von Frankreich. Schon hier zeigte sich das unheilvolle Bestreben des Auslandes, seine weltpolitische Rivalität auf deutschem Boden zum Austrag zu bringen. Schon schien der Zusammenstoß unvermeidlich, da fiel Heinrich IV. von Mörderhand. Aber es dauerte nicht lange, so warf ein neuer Konflikt den Funken ins Pulverfaß. In Böhmen erfolgte 1618 die erste Explosion, die binnen kurzem ganz Deutschland in jenen entsetzlichen Kriegsbrand versetzte, der dreißig Jahre lang das beklagenswerte Land mit den ungeheuersten Greueln und namenlosem Elend erfüllte.

Der dreißigjährige Krieg begann als der letzte Versuch der habsburgischen Kaiserherrschaft, durch Niederwerfung der heillosen fürstlichen Territorialherrschaft die einheitliche Reichsgewalt herzustellen. Er nahm in seinem Verlauf den Charakter eines internationalen Raubzuges an und endete mit der endgültigen Zertrümmerung der deutschen Reichsherrlichkeit und dem Triumph des Duodezdespotismus eines trostlos verrotteten Teilfürstentums!


Lange Zeit war man gewohnt, die Kriege des 16. und 17. Jahrhunderts schlechthin als Religionskriege zu bezeichnen. Man stellte es so dar, als ob diese Kriege nur deshalb geführt worden seien, um die »Gewissensfreiheit« des Protestantismus zu sichern resp. zu unterdrücken. Wie es um diese Gewissensfreiheit in Wirklichkeit aussah, haben wir ja gesehen. Um ein solches Gut Kriege zu führen, hätte sich auch wahrhaftig verlohnt!

Allmählich begriff man denn auch, daß es sich nicht um den Austrag religiöser, sondern politischer Streitigkeiten gehandelt hat. Allerdings darf man nun nicht gleich das Kind mit dem Bade ausschütten und verkennen, welch große Rolle bei alledem auch religiöser Fanatismus gespielt hat. Nur fand dieser Fanatismus, gleichviel ob lutherischer, calvinischer oder katholischer, seine Erklärung und Ursache erst in den materiellen und ökonomischen Umständen. Sehr treffend bemerkt hierüber Mehring: »Die Behauptung, man müsse die Religion ganz aus dem Spiele lassen, um den dreißigjährigen Krieg richtig zu würdigen, ist ebenso verkehrt, wie die Behauptung, daß dieser Krieg ein Religionskrieg gewesen sei. Der historische Materialismus leugnet keineswegs, daß die religiöse Begeisterung eine große Rolle in der Geschichte gespielt habe. Vielmehr erkennt er diese Triebfeder der historischen Entwickelung vollkommen an. Er behauptet nur, sie sei so wenig wie sonst eine Ideologie der letzte Grund dieser Entwickelung, der nur auf ökonomischem Grund gesucht werden dürfe.«

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374. Der Kuttenstreit. Flugblatt auf die immerwährenden Zänkereien der verschiedenen Mönchsorden untereinander

Die bürgerliche Geschichtsschreibung freilich vermeidet oftmals den einen Fehler nur, um sofort in einen anderen zu verfallen. Sie erkennt richtig, daß die Religion in den Kriegen des 16. und 17. Jahrhunderts, speziell in dem wichtigsten dieser Kriege, dem dreißigjährigen Kriege, nur eine Rolle zweiten Ranges gespielt hat. Statt nun aber eine geschichtsmaterialistische Erklärung der Wirren zu geben, bringt sie schleunigst die geschichtlichen Ereignisse unter einen neuen ideologischen Gesichtswinkel, unter dem sie noch verzerrter erscheinen als vordem.

Dieser Gesichtswinkel ist der nationale. So schreibt Keym über den dreißigjährigen Krieg: »Es wird unsere vorzüglichste Aufgabe sein müssen, dem dreißigjährigen Kriege die rein politische Bedeutung zu sichern, die ihm zukommt, handelt es sich um Ansichten über jenen kolossalen Kampf, so sind es nicht protestantische und nicht katholische, sondern nationale und antinationale. Es fragt sich dabei einfach, ob die eine oder die andere Partei das alte, ehrwürdige deutsche Reich zu erhalten oder zu zertrümmern sucht …«

Hier wird also den – überwiegend protestantischen – Fürsten der Vorwurf gemacht, das alte ehrwürdige deutsche Reich zertrümmert zu haben. Nun war die Auflösung des Reichs in kleine unabhängige Despotien in der Tat das Ziel der protestantischen Fürsten, wie wir ja in unserer Einleitung selbst auseinandersetzten. Und sicherlich verdient auch dieser vollständige Mangel jedes Nationalgefühls, der sich bis zum direkten schamlosen Vaterlandsverrat steigerte, die schärfste historische Brandmarkung. Aber man muß sich gleichzeitig sehr davor hüten, das »alte, ehrwürdige deutsche Reich« zu verherrlichen und den Anschein zu erwecken, als ob die habsburgischen Kaiser die Träger einer höheren nationalen Idee gewesen wären! Der erste Habsburger, Rudolf, der 1273 den Thron bestieg, ging gleich seinen Nachfolgern in der Gründung einer starken Hausmacht auf, und wenn sich diese Hausmacht zu einer Weltmacht auswuchs, so gelang das nur dadurch, daß das Haus Habsburg sich zum Vorkämpfer einer papistischen Universalmonarchie hergab, die sich demütig dem Papst unterwarf und die deutsche Nation ruhig der Ausbeutung durch die römische Kurie preisgab. Das Haus Habsburg hatte es also nicht auf ein starkes Deutschland, sondern auf eine starke habsburgische Weltherrschaft abgesehen. Karl V. vereinigte mit seiner österreichischen Hausmacht, mit Spanien, den Niederlanden und Teilen von Italien denn auch wirklich eine solche Weltmacht in seinen Länden. Ferdinand II. (1619-1637) erstrebte abermals mit Hülfe Spaniens die habsburgisch-jesuitische Weltherrschaft.

So sehr also auch dem zerrissenen und von Winkeldespoten geknechteten Deutschland in jenen Jahrhunderten eine nationale Einheit zu wünschen gewesen wäre; die habsburgischen Kaiser waren nicht die Träger dieses nationalen Einheitsgedankens. Wenn also die katholische Geschichtsschreibung die Auflehnung gegen das katholische Kaiserhaus einer Auflehnung gegen die nationale Einheit gleichsetzt, so ist das eine arge Entstellung der Tatsachen. Übrigens wollten auch die katholischen Fürsten ebensowenig von einer kraftvollen deutschen Monarchie etwas wissen, wie die protestantischen. Das zeigte sich, um nur ein Beispiel anzuführen, sehr deutlich, als während des dreißigjährigen Krieges der kaiserliche Feldherr Wallenstein sich anschickte, durch seine Militärdiktatur die Macht des Kaisers über die der Fürsten zu erhöhen. In dieser Situation verlangten die katholischen Fürsten mit aller Entschiedenheit die Absetzung Wallensteins.

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375. König Philipp II. von Spanien

Aber auch die protestantische Geschichtsschreibung hantiert jetzt mit Vorliebe mit nationalen Schlagworten. Nur ist nach der protestantischen Geschichtslegende gerade umgekehrt das habsburgische Kaiserhaus daran schuld, daß die deutsche Einheit, statt durch die Reformationsbewegung begründet zu werden, völlig in die Brüche ging. So phantasiert Dr. Georg Winter: »Zum erstenmal seit langer Zeit ging eine große einheitliche geistige Bewegung durch das ganze in staatlicher Zerrissenheit getrennte deutsche Volk. Fürwahr, von unermeßlicher Bedeutung für die ganze weitere Entwickelung der deutschen Geschichte wäre es gewesen, wenn die Zentralgewalt den großen Augenblick verstanden und sich an die Spitze dieser tiefgehenden geistigen Bewegung gestellt hätte. Nicht nur die kirchliche Einheit wäre dadurch gerettet worden, auch das politische Leben hätte einen neuen, auf nationale Einheit und Kraft gerichteten Antrieb erhalten, der von unermeßlicher Tragweite gewesen wäre. Es war ein tragisches Verhängnis ohnegleichen für unser Volk, ein Verhängnis, an dessen Folgen wir noch heute zu leiden haben, daß das nicht geschah, daß die herrliche Blüte nationalen Geisteslebens, die dem deutschen Volke damals aufging, in ihrer Fortentwickelung gehemmt und geknickt wurde gerade durch den, welcher die Geschicke der Nation als oberste weltliche Macht in der Hand hatte. Es kann kein Zweifel sein, daß die reformatorische Idee das ganze deutsche Volk ebenso einheitlich mit sich fortgerissen hätte, wie das später in den norddeutschen Reichen geschah, wenn nicht Karl V., der Fremdling auf deutschem Thron, der für den warmen Pulsschlag des Lebens des deutschen Volkes nicht das geringste Verständnis hatte, alle ihm zur Verfügung stehenden Machtmittel aufgeboten hätte, um die »religiöse Neuerung« zu ersticken. Wenn für die Fortdauer des unseligen inneren Zwiespalts, für den verderblichen religiösen Dualismus und die immer weiter fortschreitende staatliche Zerrissenheit unseres Volkes eine einzelne Persönlichkeit verantwortlich gemacht werden kann, so ist es ohne Frage Kaiser Karl V. Ohne ihn wären wir ein im reformatorischen Evangelium geeinigtes Volk geworden.«

Es wäre nach Winter also nur nötig gewesen, daß der deutsche Kaiser sich ebenfalls der neuen Lehre zugewandt hätte, und – der blühende Einheitsstaat wäre fix und fertig gewesen! Denn erst dadurch, daß der Kaiser von der Reformation nichts wissen wollte, hätte sich der Protestantismus in den Schutz der Fürsten begeben müssen, die ihn dann freilich zur Stärkung ihrer territorialen Selbständigkeit mißbraucht hätten.

Nach den voraufgegangenen Darlegungen brauchen wir dieser kindlichen Auffassung gegenüber nur das Folgende nochmals kurz festzustellen: Der Gedanke an die nationale Einheit lebte wohl in einigen wenigen besonders fortgeschrittenen Köpfen, war aber ganz machtlos gegenüber den wirtschaftlichen Gegensätzen des Landes. Diese Gegensätze hatten schon früher einen nationalen deutschen Einheitsstaat unmöglich gemacht. Schon über die Blütezeit der Hansa schreibt Gustav Freytag: »Auf keinem Gebiete irdischer Interessen wird der Unterschied zwischen Oberdeutschen und Niederdeutschen so bemerkbar, als in der Tätigkeit, welche nationale Schranken mehr als jede andere zerbricht. Mittelmeer und Nordmeer, Landhandel und Seehandel, Fabrikant und Kaufmann, Goldwährung und Silberwährung stehen im Verkehre des Ober- und Niederdeutschen gegeneinander.« Der Niedergang des deutschen Handels begünstigte noch die Territorialpolitik. Und die kirchliche Bewegung gegen Rom entsprang wohl allgemein der Empörung über die Ausbeutung Deutschlands durch die verkommene römische Kirche, aber das war auch der einzige »nationale Gehalt« der Reformation. Eine Einigung Deutschlands wäre schließlich nur möglich gewesen auf Grund der revolutionären Bauern- und Proletarierbewegung. Der Kaiser hätte also ein » demokratischer« und » sozialer« Monarch sein müssen. Aber selbst wenn das Ausdenken einer solchen Möglichkeit nicht schon im übrigen zu absurd wäre – gehört doch selbst heute noch die »soziale Monarchie« zu den Dingen, die nur im Reiche konfuser Träumer existieren – so beweist doch gerade die Geschichte der Bauernkriege, daß den Massen jeder Begriff einer einheitlichen nationalen Politik fehlte, daß sich der Volkszorn in engbegrenzten lokalen Revolten erschöpfte. Es war deshalb auch nichts weniger als ein Zufall, daß die Bauernbewegung zusammenbrach. »Die Fürsten blieben als Sieger auf dem sozialen Kriegsschauplatze. Das war eine historische Notwendigkeit, denn die Fürsten vertraten die Zentralisation des modernen Staats, soweit sie unter den ökonomischen Verhältnissen Deutschlands überhaupt möglich war.«

Man tut also gut, sich bei der Betrachtung der deutschen Zustände im 16. und 17. Jahrhundert vor jeder schablonenhaften Auffassung zu hüten: Vor der nationalen sowohl wie vor der religiösen. Nationale Interessen kamen bei den Fürsten so wenig in Frage wie bei dem Kaiserhaus. Bei beiden handelte es sich nur um dynastische Interessen.

So sehr sich nun auch die katholische Auffassung im allgemeinen als Geschichtslegende erweist, so berechtigt sind doch ihre einzelnen Vorwürfe gegen die protestantischen Fürsten. Und gerade die noch plumpere protestantische Geschichtslegende, die die fürstlichen Protektoren der Reformation trotz aller Jämmerlichkeit noch mit einem Heiligenschein zu umgeben versucht, fordert zur gründlichen Richtigstellung heraus. Vor allen Dingen vermag man aber auch die tollwütigen Raufereien des dreißigjährigen Krieges, der Deutschland in eine Arena voll tobender Bestien verwandelte, erst dann zu verstehen, wenn man – neben den treibenden ökonomischen Kräften – das Menschenmaterial kennen gelernt hat, das auf den Thronen und Thrönchen in Deutschland saß und die Geschicke des Landes lenkte.

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376. Türkenschlacht

Die Geschichte der einzelnen Fürstenhäuser jener Zeit zeigt, daß die deutschen Fürsten wirklich ein entartetes Geschlecht waren, bar jeder idealen Regung. Selbst Treitschke muß sie eine »verkommene Generation« nennen. Die Religion betrachteten sie einzig vom Standpunkt des Geschäftmachens, und nationales Gefühl war ihnen ein unbekanntes Ding. Verweilen wir bei einigen Fürsten aus dem Hause Hohenzollern, das im Anfang des 16. Jahrhunderts in zwei Linien, die märkische Kurlinie und die fränkische Linie zerfiel. Die märkische Linie bestand aus Joachim I., dem Kurfürsten von Brandenburg, und seinem Bruder Albrecht, dem Erzbischof und Kurfürsten von Mainz. Joachim I. blieb bis zu seinem 1535 erfolgten Tode katholisch. Die Kirchengüter in der Mark Brandenburg waren nicht so reich, um seine Habgier zu reizen, die durch die päpstlichen, französischen und spanischen Subsidien in weit höherem Maße befriedigt wurden. Denn Joachim I. verstand es, den Geldbeutel derer, denen er seine Unterstützung lieh, gehörig auszupressen. Namentlich bei der Kaiserwahl im Jahre 1519, bei der sämtliche deutsche Kurfürsten, mit Ausnahme Friedrichs von Sachsen, dem der Reichtum seiner Silbergruben die Schmach ersparte, ihre Stimmen an den Meistbietenden verschacherten, verstanden es Joachim und sein Bruder Albrecht in wahrhaft genialer Unverfrorenheit, sowohl den spanischen wie den französischen Kandidaten auszuplündern. Die Unterhändler derselben nannten Joachim verzweifelnd den »Vater der Habgier«. Auch an dem Ablaßschacher, gegen den Luther auftrat, waren Joachim und Albrecht auf Halbpart beteiligt gewesen. Während die fränkischen Hohenzollern sehr früh zum Protestantismus übertraten, blieb Joachim I. deshalb ein starrer Katholik, der durch blutige Hinrichtungen die Ausbreitung des Protestantismus in seinem Lande aufzuhalten versuchte. Sein Bruder Albrecht von Mainz, der nach Joachims Zeugnis »nur Geld und Gewinn suchte durch alle Mittel«, balanzierte als kluger Diplomat auf der »mittleren Linie«. Als Kardinal der römischen Kirche und erster geistlicher Fürst des Reiches waren seine Einkünfte derartig, daß sie durch eine Verweltlichung seines Fürstentums nicht hätten gesteigert werden können. So hielt er es denn für das beste, auf »zwei Achseln« zu tragen, wie Luther von ihm sagte. Er schloß sich den Gegnern des schmalkaldischen Bundes an und riet dem Kaiser zur Gewalt gegen die Protestanten, aber er bewilligte andererseits seinen Untertanen im Stift Magdeburg freie Religionsübung unter der Bedingung, daß sie ihm fünfmalhunderttausend Gulden Schulden bezahlten.

Als Joachim I. im Jahre 1535 starb, vererbte er seinen Söhnen Joachim II. und Hans sein Land; der erstere erhielt die Kurmark, der letztere die Neumark. Hans, der bei der Erbschaft schlecht weggekommen war, und den, wie ein Zeitgenosse von ihm sagte, »unersättlicher Hunger und Durst nach geistlichem Gute« beseelte, trat sofort zum Protestantismus über, trotzdem er seinem Vater geschworen hatte, katholisch zu bleiben. Joachim II. dagegen befand sich einigermaßen im Dilemma, was er eigentlich beginnen sollte. Seine ungeheure Verschwendungssucht, seine Spielwut, seine Liederlichkeit hatten ihn rasch in Schulden gestürzt, so daß er die Kirchengüter nur zu gern geschluckt hätte. Aber da er hoffte, als Erbe eines kinderlosen Verwandten aus der fränkischen Linie vom König von Polen mit dem Herzogtum Preußen belehnt zu werden, dieser Polenkönig aber strenger Katholik war, da er ferner die materiell so vorteilhafte Gunst Karls V. nicht einbüßen mochte, schwankte er eine Zeitlang hin und her, bis er auf den schlauen Ausweg verfiel, in seinem Lande eine ganz eigenartige Landeskirche einzuführen, die, wie wir schon in einem früheren Kapitel sahen, ein ganz wunderbares Gebräu von Protestantismus und Katholizismus darstellte. Durch die Beibehaltung allerhand katholischer Zeremonien wollte er seinen religiösen Abfall verschleiern. Die Religion selbst war ihm auch völlig nebensächlich, wenn er nur das Kirchengut in seine Tasche gleiten lassen konnte. Den Kirchenraub mußte er freilich mit den Junkern teilen, die hierfür und um den Preis des Bauernlegens neue Steuern bewilligten, die dem wackeren Landesherrn ermöglichten, sein Lasterleben fortzusetzen.

Joachim II. hütete sich sorgfältig, sich für die Sache des Protestantismus allzusehr zu engagieren. Er stellte sich mit Karl V. auf leidlich guten Fuß. Während die übrigen protestantischen Fürsten zu dem Großtürken in einem Bundesverhältnis standen, ließ sich Joachim II. 1542 sogar zum obersten Feldhauptmann eines Reichsheeres wählen, das dem Kaiser gegen die Türken zu Hülfe eilen sollte. Freilich erntete er bei diesem Unternehmen nur den Spott seiner Zeitgenossen. Er »war ein Kriegsmann im Frauenzimmer, Gott erbarms«, klagten diese. Auch Luther nennt ihn einen »weibischen Hauptmann«. Dafür berichten seine Zeitgenossen, daß man »viel Bankettierens« bei dem Feldhauptmann sah. Dazu spielte er »unmenschlich«. Auf zwei Sitze verlor er 42 000 Gulden. Man sagte ihm nach, daß er den Sold für seine Kriegsknechte beim Spiel durchbringe. Bei der einzigen kriegerischen Tat dieses Türkenfeldzuges, einem abgeschlagenen Sturm auf Ofen, hielt sich Joachim untätig in sicherer Entfernung. Dann befahl er schleunigst den Rückzug. »Sie zogen ab mit Spott, der ganzen Christenheit zum Nachteil, über 15 000 Mann von guten Streitern gingen verloren.« »Ich achte,« schrieb Ferdinand, der nachmalige deutsche Kaiser und damalige König von Ungarn, an seinen Bruder Karl V., »daß nie so große Schmach und Unehre im Reiche geschehen ist.«

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377. Türken über eine verlorene Schlacht jammernd. Nach einem Kupferstich von Mitelli

Die fränkischen Hohenzollern waren, wie schon erwähnt, sehr früh zum Protestantismus übergetreten. Casimir von Brandenburg-Culmbach hatte seinen alten Vater, der ihm trotz seines hohen Alters gar nicht Platz machen wollte, gemeinsam mit seinem Bruder in den Hungerturm geworfen und sich dann auf den in dieser einfachen Weise erledigten Fürstenthron gesetzt. Casimir liebte überhaupt die Räuber-Romantik. Zur Zeit der Blüte des Raubrittertums in Franken hatte er im »übelsten Gerüchte« gestanden und dem Banditen Thomas von Absberg und dessen Mithelfern auf seinen Lehnsschlössern Unterschlupf gewährt. (Janssen.) Beim Ausbruch des Bauernkrieges hatte er anfangs mit den Bauern in intimen Unterhandlungen gestanden, um mit deren Hülfe das Bistum Würzburg an sich zu reißen. Die Bauern waren fest davon überzeugt, daß Casimir die zwölf Artikel annehmen und bald ihr »christlicher Bruder« sein werde. Als sich aber das Blatt wendete und die Macht der Bauern dahinsank, suchte Casimir durch doppeltes Wüten gegen die Bauern seine früheren Machenschaften mit ihnen vergessen zu machen. Er zeigte sich als einer der grausamsten »Bauern- und Bürgerschinder.« In Kitzingen ließ er auf einmal 57 Bürgern die Augen ausstechen. Mindestens 500 Personen überlieferte er in seinen kleinen Fürstentümern Ansbach und Baireuth dem Scharfrichter, auch zog er über 100 000 Gulden Strafgelder ein.

Die Brüder Casimirs waren bei der Wahl ihres Religionsbekenntnisses nicht minder gerissene Geschäftspolitiker. »Das beste Geschäft von ihnen machte der dritte Bruder Albrecht. Er ließ sich zum Hochmeister des deutschen Ordens wählen, der über das heutige Ostpreußen herrschte, steckte dann aber eid- und wortbrüchig den Ordensstaat als weltliches Herzogtum in die Tasche und begab sich als teutscher und protestantischer Mann zur Sicherung des schweren Kirchenraubes unter die Oberhoheit des katholischen Königs von Polen mit der geistvollen Begründung, »solche Mummerei könne mit gutem Gewissen geschehen zur Beförderung der göttlichen Lehre.« König Sigmund von Polen hegte erst starke Bedenken, Albrecht zum weltlichen Herzog zu erheben, da er den Konflikt mit dem apostolischen Stuhl und den Streit mit dem Reiche fürchtete. Aber da Albrecht versprach, der polnischen Krone »mit all seinen Untertanen ewige Treue zu bewahren,« willigte Sigmund schließlich in den Vertrag, durch den, wie es in dem kaiserlichen Kassationsedikte desselben hieß, »der christlichen Kirche und Religion, dem Kaiser und Reich, dem Orden und Adel deutscher Nation Verletzung und Abbruch geschah.« Albrecht wurde später wegen Bruchs der Lehenstreue vom Kaiserlichen Kammergerichte vorgeladen und, da er nicht erschien, geächtet. Diese Acht kümmerte den Treubrüchigen wenig. Schmerzlicher waren ihm die Domänen und Privilegien, durch die er den Ordensadel dafür abfinden mußte, daß er die doppelte Verräterei an dem Orden und dem Reiche mitgemacht hatte. Der Adel aber »drückte die alles Rechtsschutzes beraubten Bauern in eine sklavische Dienstbarkeit herab.« So waren überall die Früchte der Reformation für das Volk überaus bittere.

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378. Attentat auf Heinrich IV. von Frankreich im Jahre 1605. Nach einem zeitgenössischen Flugblatt

Dieselbe Politik rücksichtsloser Bereicherung, mochte sie auch durch schmählichsten nationalen Verrat erreicht werden, trieben mehr oder minder sämtliche Fürsten Deutschlands, vornehmlich die protestantischen, aber auch die katholischen. So nahmen die protestantischen Fürsten gar keinen Anstand, gegen den deutschen Kaiser Bündnisse mit Frankreich, ja dem türkischen Sultan einzugehen. Schon im Jahre 1530 hatten die Fürsten sich um Hülfe gegen den Kaiser an den alten Nebenbuhler Kaiser Karls V., Franz I. von Frankreich, gewendet. Melanchthon spielte bei diesen vaterlandsverräterischen Zettelungen den Mittelsmann. Franz I., der nur auf den Augenblick lauerte, wo er dem verhaßten Gegner Karl Schaden zufügen konnte, war sofort bereit, den protestantischen Fürsten, die sich inzwischen zu dem Schmalkaldischen Bund zusammengeschlossen hatten, seine Unterstützung zu leihen. Er versprach den Verbündeten tatkräftige Hülfe »zum Schutze der deutschen Freiheit« (!) gegen den Kaiser.

An diesen Zettelungen beteiligten sich aber um diese Zeit auch die katholischen reformationsfeindlichen Herzöge Wilhelm und Ludwig von Bayern. Sie fühlten ihre Territorialmacht durch das Wachstum der kaiserlichen Macht bedroht, namentlich durch die Wahl des Königs von Ungarn, Ferdinands, zum kaiserlichen Erbfolger. Die bayerischen Herzöge traten, um die Wahl Ferdinands zu hintertreiben und die »Verjagung Ferdinands aus deutschen Landen« durchzusetzen, mit den protestantischen Fürsten des Schmalkaldischen Bundes in freundschaftliche Unterhandlungen. Sie nahmen auch lebhaft Anteil an den verräterischen Machenschaften mit dem Ausland. Ein bayrischer Agent verhandelte direkt mit Franz I. Am meisten aber rechnete Bayern auf die Türkennot zur »Verdemütigung« des Kaisers und seines Bruders Ferdinand. Die Türken bedrohten nämlich gerade damals mit gewaltigen Streitkräften das deutsche Reich. Der Sultan Suleiman hatte einen Vasallen, den Woywoden Zapolya, mit der Krone Ungarns belehnt und machte 1531 Anstalten, ganz »Deutschland mit Feuer und Schwert zu verheeren«, um die vertragsmäßige Abtretung Ungarns vom Kaiser zu erlangen. Diese Not des Kaisers bemühten sich nun die Fürsten, voran die katholischen bayrischen Herzöge, nach allen Regeln des Vaterlandsverrates auszunützen. Man unterhandelte mit dem türkischen Vasallen Zapolya darüber, daß Ferdinand auch aus Böhmen, Mähren und Schlesien vertrieben werden sollte, wo dann »durch Belagerung der Türken« ein anderer König eingesetzt werden sollte. Gegen Ende des Jahres 1531 hatten sich diese Verhandlungen bereits zu einem förmlichen Vertrage verdichtet. Zapolya sollte in Österreich einfallen und »den Türken« bewegen, daß er mit einem Heere Kärnthen und Kroatien überziehe. Was von den Türken erobert werde, sollte zu Halbpart zwischen den Türken und den bayrischen Herzögen geteilt werden! Mit Frankreich vollends war am 26. Mai 1532 ein fester Allianzvertrag abgeschlossen worden, von den deutschen Fürsten waren daran Sachsen, Hessen und Bayern beteiligt. Bis auf das Genaueste war in diesem Vertrag festgestellt worden, wieviel jeder Bundesgenosse an Fußknechten und Pferden für den Krieg gegen den deutschen Kaiser zu stellen habe. Franz I. rieb sich die Hände. »Mit Geld lassen sich die deutschen Fürsten und ihre Räte sämtlich gewinnen,« äußerte er sich verächtlich über die verkommene Generation.

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379. Räuberische Zigeunerbande auf der Wanderung. Nach einem Kupferstich von Callot

Als sich im Jahre 1532 ein großes Türkenheer über Ungarn ergoß und türkische Reiterhaufen verheerend und sengend in Oesterreich einfielen und bis zur Enns vordrangen, konnte Karl nur durch Zugeständnisse an die protestantischen Fürsten die Gefahr abwenden, daß die inneren Reichsfeinde mit den äußeren gemeinsame Sache machten. Mit Ach und Krach bewilligten die Fürsten dem Kaiser dann ein Reichsheer, das in Verbindung mit den vom Kaiser selbst angeworbenen Truppen die Türken wieder aus den österreichischen Landen herausdrängte. Übrigens dauerten die Zettelungen der deutschen Fürsten mit Franzosen und Türken gegen das deutsche Reich ununterbrochen fort (Bild 376 und 377).

Im Jahre 1547 gelang es endlich dem Kaiser, der sich inzwischen mit Bayern ausgesöhnt hatte, den Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen und den Landgrafen Philipp von Hessen gründlich aufs Haupt zu schlagen, trotzdem Frankreich sie mit Geld unterstützt und den türkischen Sultan zum Kriegszuge gegen den Kaiser aufgereizt hatte. Der kaiserliche Sieg war freilich nur möglich geworden durch die Zwietracht und den Verrat unter den protestantischen Fürsten. Vor allem dadurch, daß der protestantische Herzog Moritz von Sachsen gemeinsam mit dem Kaiser über den sächsischen Kurfürsten und den hessischen Landgrafen hergefallen war, um die Kurwürde des Ernestiners für sich zu ergattern. Den Kurhut konnte er sich dann auch als Lohn für seine Verräterei an seinem Verwandten und Glaubensgenossen aufsetzen; als Moritz jedoch auch die meisten ernestinischen Länder als Beute einstreichen wollte, legte der Kaiser zugunsten der Kinder des gefangenen Johann Friedrich sein Veto ein. Wackere Kameradschaft gegenüber seinen protestantischen Fürstenkollegen hielt auch Joachim II. von Brandenburg. Sein Hofprediger Agricola mußte in Berlin einen Dankgottesdienst für den Sieg des Kaisers abhalten. Agricola, der von Luther so bitter verspottete »Meister Grickel«, hatte in früheren Jahren die Schulkinder beten gelehrt: »der Kaiser und der Papst und viel zornige Fürsten und Herren mit den Heiden und Bischöfen in deutschen Landen haben sich versammelt über dein Kind Jesum.« Jetzt feierte dieser Hofpfaff den Triumph des katholischen Kaisers über die protestantischen Fürsten! Von Treue zur protestantischen Sache war bei allen den protestantischen Fürsten keine Spur zu finden; niedrigste Geschäftsgier, nacktester Egoismus bestimmten jeden ihrer Schritte!

Der Sieg über die protestantischen Fürsten hatte Karl V. zu einer Macht im Reiche emporgehoben, daß die Fürsten sich in ihrer Selbstherrlichkeit höchst unangenehm bedroht fühlten. Alsbald begannen wiederum die verräterischen Kombinationen mit dem Ausland. Franz I. von Frankreich war gestorben, aber sein Nachfolger Heinrich II. war kein minder erbitterter Feind der deutschen Reichsherrlichkeit. Mit Wonne ging er auf alle Anschläge der deutschen Fürsten wider den Kaiser ein.

Die Seele der neuen Verschwörung bildete der Markgraf Hans von Brandenburg-Küstrin, der Bruder Joachims II. Weil ihm der Kaiser bei der Erwerbung verschiedener Gebietsteile nicht zu Willen gewesen war, ging er ergrimmt darauf aus, ihm »ein Blatt über die Füße zu welzen«. Der Herzog Albrecht von Preußen und Moritz von Sachsen wurden seine Komplizen. Moritz, eben noch Verräter an der protestantischen Sache und Verbündeter des Kaisers, grollte diesem jetzt, weil er ihm nicht gestattet hatte, das ernestinische Haus völlig zu zertrümmern. Man begann Unterhandlungen mit Polen, mit Dänemark und Frankreich. Heinrich II. von Frankreich ging mit besonderem Eifer auf die Zettelungen ein. Sogar ein Anschlag gegen das Leben des Kaisers scheint geplant worden zu sein!

Im Jahre 1552 war die Verschwörung perfekt geworden. Die im Komplott befindlichen deutschen Fürsten hatten mit Heinrich II. ein vollständiges Angriffsbündnis gegen den deutschen Kaiser abgeschlossen. Heinrich II. sollte helfen, das kaiserliche »bestialische Joch viehischen Servituts« »mit Heereskraft und gewaltiger Hand« zu brechen, und die »alte Libertät« wieder herzustellen. Für seine Hülfe sollte der König von Frankreich dadurch belohnt werden, daß er sich einer Anzahl Städte bemächtige, die von alters her zum Reiche gehörten, namentlich Cammerich (Cambrai), Toul, Metz und Verdun! Ferner verpflichteten sich die deutschen Fürsten, in Zukunft keinen Kaiser zu erwählen, »der nicht Freund des Königs ist und sich demselben zu guter Nachbarschaft verpflichtet, und wenn es dem Könige selbst gelegen wäre, ein solches Amt anzunehmen, werden wir gegen ihn lieber als gegen einen Anderen Gefallen tragen.« Fürwahr, nicht mit Unrecht bezeichnet Janssen diesen Vertrag als »Urkunde deutscher Schande und deutschen Selbstverrats.«

Als dergestalt alles vorbereitet war, brach im März 1552 Moritz von Sachsen los, um die Unabhängigkeit deutscher Fürsten und – die Religionsfreiheit zu retten. Zur gleichen Zeit, als Heinrich II. durch seine Subsidien die deutsche »Religionsfreiheit« retten half, erließ er in Frankreich grausame Blutgesetze gegen die Protestanten und verordnete als Verschärfung der Strafe des Verbrennens noch das vorherige Ausreißen der Zunge! Und in demselben Augenblick, wo Moritz in Eilmärschen gegen den überraschten Kaiser aufbrach, fiel Heinrich II. mit starker Heeresmacht in Lothringen ein, das er der Krone Frankreichs einverleibte. Aber mit diesem von den deutschen Fürsten ihm hingeworfenen Raub nicht zufrieden, wollte er auch das Elsaß in seine Tasche stecken. Und die deutschen Fürsten würden ihm diesen weiteren Raub schwerlich gewehrt haben, wenn nicht Straßburg selbst derartige Kriegsvorbereitungen getroffen hätte, daß der König sich zurückziehen mußte.

siehe Bildunterschrift

380. Überfall eines Bauernhofes durch marodierende Soldaten Nach einem Kupferstich von Domenicus Custos. Um 1600

Karl V. mußte nach Tirol flüchten, wo er, des Regierens satt, seinem Bruder Ferdinand die Bürde der Kaiserkrone übertrug. Ferdinand aber sah sich genötigt, 1555 in den Augsburger Religionsfrieden zu willigen, der die Unabhängigkeit der Teilfürsten bestätigte und ihnen das Recht einräumte, nach Belieben für sich und ihre Untertanen das Glaubensbekenntnis zu bestimmen. Geistliche Fürsten sollten allerdings beim Übertritt zum Protestantismus ihr Land verlieren. Andererseits sollten die geistlichen Fürsten gehalten sein, die protestantische Religionsübung ihrer Untertanen zu dulden.

Die Kurzsichtigkeit und politische Eifersucht der protestantischen Fürsten zeigte sich wiederum darin, daß sie durch den Augsburger Religionsfrieden nur dem Luthertum Gleichberechtigung sicherten; die Calvinisten waren von dieser Gleichberechtigung ausgeschlossen. Die Fürsten wollten von dem Calvinismus seines bürgerlich-republikanischen Geistes wegen nichts wissen. Deshalb gedieh der Calvinismus auch nur im Westen des Reiches, in den rheinischen Gebieten, die eine immerhin hohe Stufe der Kultur erreicht hatten und als Grenzländer der Niederlande und Frankreichs in die westeuropäischen Händel des Befreiungskampfes der Niederlande und der Hugenottenkriege in Frankreich mit hineingerissen wurden. Aber auch hier zeigte sich calvinistischer Bürgerstolz nur in einigen Städten, namentlich in Wesel, von dem es denn auch in dem Jesuitenreime heißt:

Genf, Wesel und Rochelle
Seindt des Teufels andre Höll!

Allerdings gab es auch calvinistische Fürsten, aber denen war der Calvinismus auch nur dasselbe, wie den lutherischen Fürsten: eine politische »Mummerei«. Die Kurfürsten von der Pfalz traten in sechzig Jahren zweimal vom Luthertum zum Calvinismus über, weil das ihre Verbindung mit den Niederländern und Hugenotten so mit sich brachte. Und als 1609 der jülich-clevische Fürstenstamm erlosch, trat Wolfgang Wilhelm von der Zweibrückischen Linie der Wittelsbacher sofort zum Katholizismus über, um dadurch die Unterstützung des Herzogs Maximilian von Bayern und der Liga zu erlangen. Umgekehrt aber wurden die lutherischen Hohenzollern sofort Calvinisten, um sich dadurch in diesem Erbfolgestreit die Hülfe der Holländer zu sichern! So bildete in allen Fürstenhäusern die Religion nur ein Mittel politischen Schacherns und Pracherns. Und so gemeinsam allen Fürsten, katholischen wie protestantischen, das vor keinem Techtelmechtel mit den verrufensten Reichsfeinden zurückschreckende Intriguieren gegen das Kaiserhaus war, so wenig Einigkeit herrschte auch nur unter den protestantischen Fürsten selbst. Nationale, verwandtschaftliche, konfessionelle Rücksichten wurden rücksichtslos dem gemeinsten persönlichen Eigennutz geopfert!

Das Luthertum verhielt sich schroff ablehnend gegen den Calvinismus. Es hatte sich durch die Konkordienformel 1580 von den übrigen reformatorischen Richtungen streng abgeschlossen. Seine Hauptstätte hatte das Luthertum in Kursachsen. Hier war Moritz dessen Bruder August (1553-86) als Kurfürst gefolgt. Dieser setzte die Politik der Schädigung der ernestinischen Linie mit Eifer fort. Da er aber fürchtete, daß ihm die neuerworbene Kur wieder entrissen werden könnte, hielt er, um den Raub an dem verwandten Fürstenhaus ruhig verdauen zu können, streng am Augsburger Religionsfrieden fest und schloß sich eng an das Haus Oesterreich an. Das einzige Bestreben dieses satt gewordenen Fürstenhauses war, seine Ruhe zu behalten. In dieser konservativen Tendenz protegierte es die verknöchertste lutherische Orthodoxie. Die Erfolge der Gegenreformation ließen Kursachsen völlig kalt. Ihm kam es ja vor allem auf die Behauptung der durch doppelte Verräterei errungenen Machtstellung an. Darum lehnten auch die Nachfolger Augusts jedes Zusammengehen mit den übrigen protestantischen Fürsten ab. Diese träger Selbstsucht entsprungene Neutralität beobachtete Kursachsen selbst noch in der ersten Periode des dreißigjährigen Krieges.

siehe Bildunterschrift

381. Plünderung eines Bauernhofes durch eine Zigeunerbande Nach einem Kupferstich von Callot

Während Kursachsen der Trägheit der reichlichen Sättigung verfiel, trieb mehrere andere Staaten der Stachel des ungestillten Appetits zu politischen Abenteuern. Diese Staaten waren hauptsächlich Kurpfalz, Hessen-Kassel und Brandenburg. And die politische Raffgier veranlaßte diese Fürstenhäuser auch zum Übertritt zum Calvinismus. Die Pfalz, seit jeher in die Hugenottenkriege und die niederländischen Kämpfe verwickelt, war zuerst zum Calvinismus übergetreten. Der Kurfürst Johann Sigismund von Brandenburg wurde Calvinist, um sich, wie schon oben angedeutet, im jülich-cleveschen Erbfolgestreit den Beistand der Holländer zu sichern. Moritz von Hessen-Kassel schließlich trat zum Calvinismus über, um mit dem ehedem calvinischen König Heinrich IV. zur Verfolgung feiner ehrgeizigen Pläne gegen das Reich wirksamere Komplotte schmieden zu können. Es ergab sich nun folgende Situation: die Fürsten waren zum Calvinismus übergetreten, um leichter Bundesgenossen für ihre politischen Zettelungen zu finden; durch den Augsburger Religionsfrieden aber war der Calvinismus von der religiösen Gleichberechtigung ausgeschlossen worden, so daß die calvinistischen Fürsten ihre politischen Konspirationen unter dem Vorwande treiben konnten, dadurch auch dem Calvinismus nur die »Glaubensfreiheit« erkämpfen zu wollen. Dergestalt hatte man die politischen und religiösen Interessen zu einem unentwirrbaren Knäuel zusammengeballt.

Aber nicht nur der Ausschluß des Calvinismus im Augsburger Religionsfrieden erhöhte die Spannung und die Gegensätze im Reiche, auch der »geistliche Vorbehalt« häufte fort und fort den vorhandenen Zündstoff. Diesem Vorbehalt zufolge sollten die geistlichen Fürsten zwar für ihre Person das Recht zum Übertritt zum Protestantismus haben, durch diesen Übertritt aber Rang und Besitztum verlieren. Am diesen »geistlichen Vorbehalt« kümmerte man sich aber einfach nicht. Die protestantischen Fürsten »reformierten« lustig weiter. Bischöfe und Äbte wurden von katholischen Kapiteln aus protestantischen Familien gewählt, und die neuen Würdenträger verweltlichten sodann ihren Besitz und zwangen nach dem Grundsatz: cujus regio, ejus religio, ihre Untertanen zur Annahme des Protestantismus. So wurden von den protestantischen Fürstenhäusern in den sechzig Jahren nach dem Religionsfrieden über hundert geistliche Stifter und Abteien ergattert, darunter so große Gebiete, wie die Erzbistümer und Bistümer Magdeburg, Bremen, Minden, Verden, Halberstadt, Lübeck, Ratzeburg, Meißen, Merseburg, Naumburg, Brandenburg, Havelberg, Lebus, Kammin.

Diese Vertragsverletzung vergalten die katholischen Fürsten damit, daß sie sich ihrerseits absolut nicht an die Vertragsbestimmung gebunden erachteten, wonach sie ihre lutherischen Untertanen unbeschwert des lutherischen Glaubens leben lassen sollten. Namentlich zwei Jesuitenzöglinge, Erzherzog Ferdinand von Steiermark und Herzog Maximilian von Bayern, verfolgten ihre lutherischen Untertanen mit blutiger Gewalt. Schließlich ging der bayrische Herzog sogar soweit, die freie Reichsstadt Donauwörth seinem Lande einzuverleiben und gewaltsam zu katholisieren. Diese protestantische Stadt hatte sich die katholischen Umzüge, die durch den Abt eines in der Stadt belegenen Benediktinerklosters veranstaltet wurden, energisch verbeten. Als der von Bayern scharfgemachte Abt trotz des Verbotes abermals eine Prozession durch die Stadt veranstaltete, wurde dieser Umzug durch Volkshaufen auseinandergesprengt. Da die Stadt sich weigerte, wegen dieses Vorganges die geforderte Sühne zu leisten, wurde sie in die Acht erklärt und Maximilian mit deren Vollstreckung betraut. Der Bayernherzog aber steckte die eroberte Stadt kurzerhand in die eigene Tasche.

So bot das ganze Reich das trostlose Bild fürstlicher Raubpolitik und religiöser Verhetzung. Irgend ein Ungefähr konnte den wütenden Bruderkrieg entzünden, der bei den förmlich anarchistischen Zuständen zu einem Krieg aller gegen alle werden mußte. Es fehlte dann nur noch, daß dann auch dem längst beutegierig lauernden Ausland Gelegenheit gegeben wurde, sich in die inneren Reichshändel einzumischen.

Daß aber diese heiß ersehnte Gelegenheit dem Ausland nicht fehlte, dafür sorgten eifrig die deutschen Fürsten. Ihre Zettelungen mit allen möglichen ausländischen Staaten, namentlich aber mit Frankreich, hatten ja seit den Zeiten Franz I. nicht aufgehört. Als gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts der Hugenottenführer Heinrich von Navarra als Heinrich IV. den französischen Thron bestieg, erreichten die Verbindungen der protestantischen Fürsten mit Frankreich eine ganz besondere Intimität.

siehe Bildunterschrift

382. Ermordung Heinrich IV. durch Ravaillac am 14. Mai 1610. Nach einem zeitgenössischen Kupferstich von Hooghenberg

Heinrich, der die habsburgische Macht zu zertrümmern strebte, der sich selbst zu Zeiten mit der Hoffnung auf die deutsche Kaiserkrone trug, begegnete dem Liebeswerben der protestantischen Fürsten mit dem liebenswürdigsten Entgegenkommen. Er betrieb mit zähestem Eifer den Abschluß eines engen Bündnisses unter den protestantischen Fürsten untereinander und wiederum zwischen diesem Bund und Frankreich. Der Landgraf Moritz von Hessen-Kassel befürwortete am lebhaftesten das Zusammengehen mit Frankreich. Aber auch die Kurfürsten von der Pfalz und von Brandenburg paktierten schamlos mit dem Reichsfeinde. Schließlich kam 1608 ein Bündnis deutscher protestantischer Fürsten zustande, die Union, der sich aber gerade die mächtigsten protestantischen Fürstenhäuser fernhielten. Ein viel festerer Zusammenhalt bestand in dem katholischen Fürstenbund, der Liga, die im Jahre 1609 unter Führung Maximilians von Bayern zustande kam. Die Liga ging auch sogleich an die Errichtung einer Bundeskasse und Aufstellung eines schlagfertigen Heeres, das unter dem Oberbefehl Bayerns stand.

Auch Heinrich IV. war nicht untätig geblieben. Er hatte einen großartigen Plan zur Vernichtung der habsburgischen Macht entworfen. Mit 40 000 Mann wollte er an der Reichsgrenze erscheinen. Dort sollten sich die Truppen der verbündeten deutschen Fürsten zu ihm gesellen. Zunächst sollte dann der jülich-clevische Erbfolgestreit endgültig entschieden, zugleich im Bund mit den Holländern Spanien völlig aus den Niederlanden vertrieben werden. Alsdann sollte die spanische Herrschaft in Italien gebrochen und schließlich mit einer gewaltigen Armee gegen das Herz der österreichischen Erblande vorgegangen werden. Die österreichischen Erblande: Ungarn, Böhmen, Österreich und Schlesien sollten zu selbständigen Staaten erhoben werden. Dergestalt sollte die Alleinherrschaft Frankreichs in Europa auf den Trümmern der habsburgischen Weltherrschaft erstehen. Schon schien der Beginn der großen Kriegswirren bevorzustehen, schon hatte Heinrich IV. dem Landgrafen Moritz von Hessen-Kassel seinen Aufbruch gegen die deutsche Grenze angekündigt, da streckte ihn der Dolch eines Meuchelmörders am 14. Mai 1610 inmitten seiner kühnen Entwürfe nieder (Bild 382).

Der Tod Heinrichs hemmte den schon unabwendbar gewordenen Zusammenprall der feindlichen Parteien. Der Frieden blieb einstweilen erhalten; aber die Parteien rüsteten weiter. Die Calvinisten sahen sich im Ausland nach neuer Hülfe um. Sie wandten sich an Holland, England, ja selbst damals schon an Gustav Adolf von Schweden. Die Ligisten dagegen schlossen ein festes Bündnis mit Spanien ab, das sie mit Truppen und gewaltigen Geldsummen unterstützte.

So waren denn alle Vorbedingungen für jenes entsetzliche Morden gegeben, das der dreißigjährige Krieg darstellt. Die wüste Habgier der Fürsten mußte sich in grimmigen Händeln entladen, deren Erbitterung noch gesteigert werden mußte durch den fanatischen Glaubenshaß. Hinter den deutschen Fürsten standen aber voll Beutegier ausländische Mächte, die dafür sorgten, daß die Kriegsfurie nicht allzubald austobte.

siehe Bildunterschrift

383. Hofleben

Damit wären der Ursprung und die Dauer des entsetzlichen Krieges hinlänglich erklärt; will man aber auch eine ausreichende Erklärung für den über alle Maßen grauenhaften Charakter dieses Krieges haben, so ist es nötig, sich auch die sozialen und kulturellen Zustände zu vergegenwärtigen, die vor dem Ausbruch des Krieges in Deutschland herrschten.

Um die ganze Verkommenheit der Fürsten kennen zu lernen, genügt keineswegs die Aufdeckung ihrer politischen Schurkereien. Wir müssen einen Blick auf ihr Privatleben werfen, um zu begreifen, ein wie verkommenes Geschlecht die Fürsten waren. Sämtliche Zeitgenossen, von denen in Schriften, Predigten oder vertraulichen Briefen Zeugnisse über den Hofhalt der Fürsten vorliegen, stimmen in dem Urteil überein, daß alle Laster der Zeit an den Höfen vereinigt gewesen seien: Unzucht, maßlose Verschwendung und viehische Völlerei. So klein und arm das Land eines Fürsten immer sein mochte, die fürstliche Hofhaltung mußte möglichst glänzend und großartig sein. Zu dem kleinen Hof des Markgrafen Hans von Küstrin gehörte ein Hofstaat von 284 Personen, die alle Besoldung empfingen. An den Herzog Johann Friedrich den Mittleren von Sachsen-Weimar, dessen Gebiet nur 77 Quadratmeilen umfaßte, schrieben dessen Räte im Jahre 1561: »Es speisen Ew. Fürstl. Gnaden gemeinlich täglich und ungefehrlich über fünfzig Tische mit 400 Personen …« Für Anfertigung der Kleidung hatte jeder Fürst und jede Fürstin am Hof fünf Meister und vier Jahrknechte und darüber soviel »Schneiderknecht durch das ganze Jahr, daß derselben selten unter dreißig …« An einen Nachfolger dieses Fürsten richteten 1590 die Räte die Mahnung, es kämen aus den Ämtern jährlich nicht viel über 30 000 Gulden in die Rentnerei, er verbrauche jedoch allein mit seiner Hofhaltung jährlich über 83 000 Gulden. Ein Herzog von Pfalz-Zweibrücken speiste an seiner Hoftafel in einer Woche 2296 Personen. Landgraf Wilhelm IV. klagte 1575 sich und seine Brüder an, daß sie, trotzdem die Landgrafschaft Hessen in fünf Teile zerstückelt sei, einen ungeheuren Aufwand trieben. Nachdem er ihnen das kostspielige Bankettieren mit Fürsten, Grafen und Edelleuten geschildert, fährt er fort: »Dabei lassen wir nicht, sondern behängen uns auch, neben den vielen vom Adel und stattlichen Frauenzimmern am Hofe mit geschworenen Doktoren und Kanzleischreibern, daß schier unser keiner ist, der auf seiner Kanzlei nicht schier so viele, wo nicht mehr, Doktores, Secretarien und Schreiber und dazu in hoher Besoldung hat, als unser Herr Vater selbst,« der doch »das ganze Land besessen«. »Zudem hält unser jeder so ein Haufe Jäger, Köche und Hausmägde, daß schier zu einem Berg ein eigner Jäger, zu einem jeden Topf ein eigner Koch und zu jedem Faß ein Schenker ist …« So war es in allen fürstlichen Hofhaltungen, in Sachsen, Bayern, Württemberg usw. Manche Fürsten hielten in ihren Marställen 400-500 Pferde. Die Folge solcher Prasserei und Geckerei war die Ausbeutung der Untertanen durch stetig wachsende Abgaben, namentlich eine entsetzliche Aussaugung der Bauern.

Die Roheit und der Stumpfsinn der Fürsten zeigte sich namentlich in ihrer bodenlosen Saufsucht. »Wie viel sind unter den Fürsten und Herren,« schrieb der braunschweigische Bergrat Engelhart Lohneiß, »die nicht allein dem überflüssigen Saufen nachhängen, sondern auch große Geschenke und Verehrungen den verfluchten Säufern geben. Etliche saufen sich so voll, daß sie ersticken und auf der Stätte liegen bleiben; andere sterben in wenig Tagen hernach; Etliche saufen sich zu Narren so gar unsinnig, daß man sie in Ketten legen muß.« Johannes Chryseus schildert 1545 das Treiben an den sächsischen Höfen mit den Versen:

Fressen, saufen so gemein
Daß es muß schier groß Ehre sein,
Wenn einer mehr trinkt, denn wol eine Kuh,
Speit gleich und thut noch was dazu.
Geht all's wol hin, es ist der Sitt,
Man ist solchs ungewohnet nit,
Da hebt man an mit Pancketiern,
Mit Schlemmen, Prassen, Jubilieren,
Groß Unzucht wird dabei vollbracht,
Solch's man schier für kein Sünd mehr acht.

In der Schrift eines Protestanten aus dem Jahre 1579 heißt es: »Dem heiligen Evangelium zu Schande und Schmach herrscht das Laster übermäßigen Saufens fürnehmlich an den Höfen derer, so sich evangelisch nennen, mit solcher Gewalt, daß ein etwan nachlebendes nüchternes Geschlecht kaum es für gläublich halten wird, was die Historie unserer Tage darüber zu berichten hat. Wollte man die Namen solcher aufzählen, so sich aus fürstlichem und sonstigem hohem Geblüt zu Tode gesoffen, es würde ein schön Register abgeben.« An den sächsischen Höfen zumal war »das stetig Vollsein ein alt eingewurzelt Übel und Gewohnheit.« Zum bloßen Willkomm mußte man dort vierzehn Becher austrinken. Zeitweise lagen dort 26 000 Eimer Wein im kurfürstlichen Keller. Als der Herzog Moritz noch in scheinbarem Frieden mit seinem Vetter, dem Kurfürsten Johann Friedrich, lebte, fand bei den Zusammenkünften dieser Verwandten »ein groß überschwenglich Saufen« statt. Moritz, sonst als »Toller und Voller« berühmt, ward bei dem Saufturnier von dem noch leistungsfähigeren Vetter unter den Tisch gezecht. Schwer krank an den Folgen dieser Saufschlacht mußte er nach Dresden gebracht werden, wo man längere Zeit für sein Leben fürchtete. Der Rheingraf Philipp Franz trank sich auf dem Fürstentage zu Naumburg 1561 an Malvasier zu Tode. Der Kurfürst Christian II. von Sachsen, »ein wahres Unmaß von schier täglicher Vollsüffigkeit und Unfläterei«, war, als er sich 1607 an dem kaiserlichen Hof zu Prag aufhielt, fast keine Stunde nüchtern. Der kursächsische Hofprediger Michael Niederstetter pries diesen Saufaus bei seinem frühen Tode gleichwohl als »Vater des Vaterlandes«. Aber nicht nur die Fürsten waren fast durch die Bank unmäßige Säufer, sondern auch die Fürstinnen erwarben sich durch Trinkexzesse im Ausland hohen, wenn auch nicht gerade schmeichelhaften Ruf.

siehe Bildunterschrift

384. Flugblatt auf das Bettlerunwesen

Einen abschreckenden Einblick in das wüste Schlemmerleben der Höfe des sechzehnten Jahrhunderts gewähren die Aufzeichnungen des schlesischen Ritters Hans von Schweinichen, der an vielen deutschen Höfen herumkam und über die Saufgelage getreulich Protokoll führte. Er selbst entwickelte sich bei dem ewigen Saufen zu einem richtigen Säufervirtuosen, der als Willkommtrunk einen zwölf Flaschen Wein haltenden Becher auf einen Zug zu leeren vermochte. Schweinichen kam auch nach Mecklenburg. Als sich dort einmal bei einem Gelage die Herzogin weigerte, mit der Maitresse ihres Gemahls zu Tische zu sitzen, versetzte ihr der Herzog eine Maulschelle, daß sie taumelte. Der Herzog hätte seine Gemahlin noch weiter verprügelt, wenn sich nicht unser Ritter ernstlich dazwischen geworfen hätte.

Die fürstlichen Saufgelage wechselten ab mit anderen »Freudenfesten«, mit kostspieligen Feuerwerken, rohen Tierhetzen und Kampfspielen, Glücksspielen, Ballettaufführungen usw. Die Riesensummen, die ein solches Lotterleben verschlang, wurden rücksichtslos aus dem Volke herausgepreßt. Namentlich von den Bauern, die ja die große Masse der Bevölkerung bildeten. Sie wurden zwiefach geschunden, von den Junkern, denen die Fürsten sie mehr und mehr auslieferten, und von den Fürsten selbst. Wenn schon 1534 Sebastian Franck von den Bauern schrieb, sie seien »jedermanns Fußhader (Fußlumpen) und mit Fronen, Scharwerken, Zinsen, Gülten, Steuern, Zöllen hart beschwert und überladen«, so traf das erst recht für die spätere Zeit zu. In einer Flugschrift vom Jahre 1598 wird geklagt: »Da ist kein Kaiser mehr, seit vielen langen Jahren kein Kaiser mehr, der sich des armen elenden Bauersmannes in diesen unruhigen, zwieträchtigen Zeiten, wo alles in Unfrieden und Haß entbrennt, wider die unzähligen Harpyien, Placker und Schinder annehmen könnte, wenn er auch wollte. Sage mir, was wird auf den vielen Reichstagen und anderen Tagen verhandelt? Schier alles Erdenkliche, aber rechtes nichts, was zu Nutzen, Heil und Beschützung des armen Mannes vom Lande dienen könnte und dazu da wäre, seinen Unterdrückern, Tyrannen und Schindern ein Gebiß anzulegen.« Wie wir an anderer Stelle sahen, rechtfertigten die Reformatoren jegliche Unterdrückung und Ausbeutung der Bauern, und wie Luther erklärte, daß die Dienstboten »leibeigene Güter« seien, »wie ander Vieh«, so erklärten auch die Juristen als feile Lakaien der Fürsten- und Herrenmacht, daß zwar die alte, auf Kriegsgefangenschaft beruhende Sklaverei »durch das Christentum beseitigt« sei, daß aber ohne eine »dieser alten zu einem großen Teile ähnliche Sklaverei« der Staat nicht bestehen könne! Aber die Bauern verfielen nicht nur schmählicher, harter Leibeigenschaft, sie wurden nicht nur durch Herren und Obrigkeit gebüttelt und ausgesogen, sie wurden auch vielfach durch das sogenannte Bauernlegen als Bettler von Hof und Hufe getrieben!

siehe Bildunterschrift

385. Marodeur

Besonders hatten die Bauern auch unter dem »Jagdteufel« der Fürsten und Junker zu leiden. Ein ungeheurer, sorglich gehegter Wildstand füllte damals die Wälder, damit die Herren dem »edlen Waidwerk« nach Herzenslust frönen konnten. Hirsche und Sauen fielen in ganzen Rudeln in die Saaten des armseligen Bauern, aber wehe ihm, wenn er ein Stück dieser Feldverwüster erlegte! Die Jagdgesetze waren mit Blut geschrieben. Wenn erzählt wird, ein Erzbischof von Salzburg habe einen Bauern, der einen Hirsch erlegt hatte, in eine Hirschhaut nähen und auf dem Markte von Hunden zerreißen lassen, so klingt das gar nicht so unwahrscheinlich. Im Jahre 1579 erließ der Kurfürst von Sachsen die Verordnung, daß jeder auf frischer Tat ertappte Wilddieb sofort totzuschießen sei. Im Jahre 1584 wurde gar auf einfachen Wilddiebstahl der Galgen gesetzt. Die späteren Kurfürsten erneuerten diese Befehle. Kurfürst Joachim II. von Brandenburg befahl in seiner Jagdordnung, daß den Wilddieben die Augen ausgestochen werden sollten; die braunschweigischen und hessischen Fürsten gingen ebenfalls mit Augenausstechen und Hängen gegen die Wildschädiger vor.

In der Tat ein verkommenes Geschlecht, diese Fürsten und Herren, diese lasterhaften Trunkenbolde, die ihre Untertanen bis aufs Blut aussogen und mit bestialischen Strafen jede Verletzung der Herrenrechte ahndeten. Und ein nicht minder verkommenes Geschlecht, diese Hoftheologen und Hofjuristen, die jeden Übermut und Frevel des Herrentums beschönigten und die Knechtung, Beraubung und Brutalisierung der Untertanen als von Gott gewollte »Ordnung« verherrlichten!

Unter einem so verrotteten System, das nur Elend, geistige Finsternis und barbarische Roheit verbreitete, mußten natürlich die sozialen und kulturellen Zustände des Landes auf die tiefste Stufe herniedersinken. Zu keiner Zeit, es sei denn unmittelbar nach dem dreißigjährigen Kriege, erreichte die Landplage des Bettler- und Gaunerwesens einen solchen Umfang in Deutschland, wie in den fünfzig Jahren vor Ausbruch dieses furchtbaren Krieges. In ungeheurer Zahl durchzogen die Horden dieser Ausgestoßenen, an den Bettelstab gebrachte Bauern, beschäftigungslose Landsknechte, nach einem Erwerb suchendes städtisches Proletariat, Diebe, Räuber, Verbrecher aller Art das Land (Bild 384). In Straßburg wurden in dem einen Jahre 1585/86 41 000 fremde Bettler gezählt, in Basel ebenfalls in einem Jahre 40 000. Ebenso herrschte in Württemberg ein »unerschwinglicher Überlauf nicht allein von armen Weibern und Kindern aus den benachbarten Städten und Flecken, sondern auch von einheimischen und fremden Gartknechten, Landröcken, Studenten, Musikanten, Schreibern, Schulmeistern, Lakaien und dergleichen.« Aus dem Bettler- und Vagantentum wuchs das gewerbsmäßige Gauner- und Verbrechertum mit Naturnotwendigkeit hervor. Dies Verbrechertum hielt landauf landab das Volk in Schrecken. In allen deutschen Gebieten wird Klage geführt über »die schier unausrottliche, oft unmenschliche Auszweckung, Beraubung, Ausbrennung unzähliger Bauern und armer Leute« durch »Bettler, Landfarer, Zigeuner, lose Buben, gartende Knechte und Mordbrenner«. Die Chroniken aller Landesteile aus damaliger Zeit sind voll von Schreckensberichten über ungeheuerliche Schandtaten zahlreicher Verbrecherbanden. Nicht nur einzelne Gehöfte wurden überfallen, ganze Dörfer und Schlösser wurden von den Mordbrennerbanden eingeäschert. Die Mord- und Greueltaten wurden mit viehischer Grausamkeit ausgeführt. Schauerliche Verbrechen wurden dabei aus blödem Aberglauben begangen – wir verweisen hier, um uns nicht zu wiederholen, auf das im Kapitel XXI Gesagte. Die Kriminaljustiz aber vergalt Bestialität getreulich mit Bestialität. Die Folter wurde nicht nur bei Hexen und Ketzern angewandt, sie war das gebräuchliche Mittel der Justiz, ein Geständnis zu erpressen. Die Todesstrafen des Hängens oder Köpfens waren zu einfach: man flocht die Missetäter aufs Rad, man vierteilte oder pfählte sie bei lebendigem Leibe. Man zwickte die Verurteilten mit glühenden Zangen, man riß ihnen die Zunge aus dem Halse, man schnitt den Weibern die Brüste ab. Diese viehische Strafjustiz minderte natürlich die Verbrechen nicht, sie mehrte nur die ungeheure Verrohung des Zeitalters (Bild 379 bis 381 und 385).

In dieses Zeitalter fiel ein dreißigjähriger Kriegsbrand. Kein Wunder, daß. damit gleichsam alle Dämonen der Hölle auf das arme Volk losgelassen erschienen!


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