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Münzers Rückkehr nach Mühlhausen. – Die Mühlhäuser Stadtrevolution. – Die kommunistische Kolonie im Johanniterhof. – Unermüdliche Agitation Münzers. – Münzers Größe und worin sie begründet. – Luthers anfängliche volksfreundliche Stellungnahme. – Kurfürst Friedrichs Ängste. – Die thüringisch-sächsische Erhebung. – Luthers Frontwechsel. – »Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern!« – Luthers Wüten gegen die Bauern. – Münzers verzweifelte Lage. – Auszug aus Mühlhausen. – Die fürstliche Armee zieht gegen die Bauern. – Einnahme von Fulda durch Landgraf Philipp. – Münzers letzte Proklamationen. – Das Massaker von Frankenhausen. – Fünftausend Bauern erschlagen. – Das Blutgericht vor dem Rathause. Münzers Entdeckung und Marterung. – Mühlhausens Fall. – Münzers und Pfeifers Henkertod. – Die Rachezüge der Sieger.
Als bereits vom Süden herauf der Donner des inneren Krieges über die thüringer Grenze drang – anfangs März 1525 – kam Thomas Münzer, der Gejagte und Verhaßte, wieder nach Mühlhausen zurück. »Ein ehrbarer Rat« der freien Reichsstadt befand sich in harten Nöten. Bereits Mitte Dezember 1524 war der Mönch Pfeifer zurückgekehrt, ohne daß der Rat die Macht hatte, den Ausgewiesenen wieder zu vertreiben. Da Pfeifer gute Stimmung in der Bevölkerung traf, bewirkte er mit den Anhängern Münzers auch dessen Rückkehr. Münzer kam eilends vom Süden herauf, auf seinem Wege überall anfeuernd, redend, schreibend. Im Fuldischen, wo er den Bauern gepredigt hatte, ließen ihn die Behörden als einen verdächtigen Aufrührer in den Turm werfen. Sein Glück war, daß man ihn nicht kannte; so ließ man ihn nach einiger Zeit wieder laufen. Zu spät erfuhr der Abt von Fulda, wer im Turm gelegen hatte, »hätte er gewußt, daß es Thomas Münzer gewesen, er wollte ihn nicht ledig gegeben haben«.
Münzers Rückkehr nach Mühlhausen wirkte auf die Stadtregierung wie eine Kriegserklärung. Man wollte dem Gefürchteten wenigstens das öffentliche Auftreten unmöglich machen. Aber die kleinbürgerliche Partei Pfeifers und die proletarische Partei der Arbeiter und Bauern zwangen den Rat, Münzers Agitation zu dulden. So wurde denn auch hier das Feuer erneut entzündet. Während Pfeifer, der Prediger zu Sankt Nikolai, als Führer der bürgerlichen Partei in der Stadt agitierte, warb Münzer, der Prediger an der Marienkirche, in der Vorstadt und den Dörfern, agitierte und organisierte unter Bauern und Arbeitern. Da ließ der Rat, als die Stimmung der Bevölkerung ihm immer bedrohlicher wurde, die Stadttore schließen, um niemanden mehr hinaus oder herein zu lassen. Jetzt aber brach in der Stadt selbst der Aufruhr aus, den der Rat in der Entwickelung hatte ersticken wollen. Die Kirchen wurden gestürmt, die Bilder verbrannt, der Stadtadel mit dem Tode bedroht. Der Rat wollte Waffengewalt anwenden, aber als auf der Wendwehr die Bürgerschaft unter die Waffen trat, stellte sich Münzer ihr entgegen und bewog sie durch eine feurige Rede, die alle mit fortriß, zum Volke überzutreten. Das bewaffnete Volk zog in die Marienkirche, hielt dort Volksversammlung und beschloß die Absetzung des alten Rates. Ein »ewiger Rat« trat an seine Stelle, der aus dem von Pfeifer geführten Kleinbürgertum gebildet war.
So war der Mönch Pfeifer Herr der Stadt Mühlhausen geworden, während Münzer für sich selbst nicht viel mehr als unbeschränkte Bewegungsfreiheit erzielt hatte. Pfeifer war das Haupt des lokalen bürgerlichen Radikalismus und wirkte daher auch nur auf dem Mühlhauser Boden. Münzer dagegen, seit Jahren das Haupt der kommunistischen Bewegung Deutschlands, strebte über Mühlhausens Mauern hinaus und wollte Mühlhausen zum Zentrum der Revolution in Thüringen und Sachsen machen.
Das siegreiche Volk hatte sich, wie anderwärts so auch hier, mit gleichem Eifer gegen Kirche und Klerus gewendet. Die wohlgenährten Mönche wurden vertrieben, Klöster und Stiftsgüter eingenommen. Die Johanniter hatten in der Stadt einen großen Hof mit reichen Erträgnissen, den nahm Münzer ein, schlug sein Hauptquartier darin auf und wohnte dort mit einer Anzahl seiner Anhänger. Hier im Johanniterhof machte er auch den Versuch zur praktischen Durchführung seiner kommunistischen Ideen, indem er eine kommunistische Gemeinde bildete. Alles sollte allen gemeinsam sein, keiner mehr haben als der andere. Sie teilten was sie vorfanden und arme Proletarierfrauen, die nie ein sonntäglich Kleid besessen hatten, schnitten sich aus den reichen Messgewändern des Mühlhäuser Klerus Sonntagskleider zurecht. Auch Münzer ließ, so einfach und bescheiden er sonst in seinen Ansprüchen war, seiner jungen Frau aus Klostertuch ein hübsch Wams und Koller machen. Eine hinreißende Begeisterung hatte sie alle erfaßt. Am Sonntag strömte das Landvolk zu Tausenden in die Stadt, Münzers Predigten zu lauschen. Überall war die Stimmung den Münzerischen günstig. Über das Rhöngebirge kamen die Nachrichten von der Schleifung der Klöster und der Burgen. Ja, in den Grafschaften rings um Mühlhausen herum, sowie in Hessen, im Eichsfeld, im Braunschweigischen, im Sächsischen bis ins Erzgebirge und Vogtland hinauf, begannen die Bauern aufzustehen und Klerus und Herren mit Krieg zu überziehen. In den Johanniterhof strömte die Beute aus Kirchen, Klöstern und Schlössern. Im Barfüßer-Kloster ließ Münzer grobes Geschütz gießen und, um die Süddeutschen aufzumuntern, ihnen Mitteilung und Zeichnung davon zuschicken. Seine Agitatoren schweiften weit umher. Man sah sie in der Mühlhäuser Umgegend, in den Orten an den Elbufern und man sah sie in den Bergwerken von Schneeberg, Annaberg, Marienberg im Erzgebirge im Knappenkittel in die Schächte steigen. Unermüdlich sandte Münzer Briefe durch Thüringen und Sachsen, seine offenen und geheimen Anhänger anfeuernd zu Arbeit und Aufopferung, eine bessere Welt zu bauen. In den Stürmen dieser aufgeregten Zeit wuchs dieser Mann zu einem Riesen empor, dessen Schatten Luther, Melanchthon und die Wittenberger Reformatorenkreise völlig verdunkelte. Man sieht es allen ihren Publikationen über Münzer an, wie dieser über sie emporwuchs und wie sie sich vergebens seiner Größe zu erwehren suchten. Nichts Schlechtes, das sie ihm nicht nachsagten, ohne ihn doch wirklich verkleinern zu können.
Diese Größe Münzers aber ist begründet in der Zeit, in welcher er lebte. Es war die Periode großer politischer Kämpfe, des Reflexes der ökonomischen Umwälzung, in der sich die Gesellschaft befand. Münzers Bedeutung war gewachsen, weil er seine Zeit begriffen und nicht gezögert hatte, den aus ihr geborenen Forderungen der Massen Führer und Bahnbrecher zu sein. Darin unterschied sich dieser kühne Agitator und Organisator von der Persönlichkeit Luthers. Dieser hatte aus Rücksichten auf die Fürsten nicht gewagt, sich an des Volkes Spitze zu stellen und war dadurch von den Ereignissen überholt und hinweggeschwemmt worden. Münzer aber war mit Leib und Seele bei der großen Sache, er lebte ausschließlich in ihr. Sein Geist eilte den Kämpfen des Tages voraus, dem Ziele entgegen. Hieraus erklärt sich auch der alttestamentliche Prophetenton, den er immer lauter und bewußter in seinen Reden und Briefen anschlug. »Thomas Münzer, ein Knecht Gottes, wider die Gottlosen«, nennt er sich in seinen Briefen und revolutionären Manifesten. An seine Verbündeten im Mansfeldischen schreibt er: »Fahet an und streitet den Streit des Herrn. Es ist hohe Zeit. Haltet eure Brüder all dazu, daß sie göttliches Zeugnis nicht verspotten, sonst müssen sie alle verderben. Das ganze Deutsch-, Französisch- und Welschland ist erregt. Der Meister will ein Spiel machen, die Bösewichter müssen dran. Zu Fulda haben sie in der Osterwoche vier Stiftskirchen verwüstet. Die Bauern im Klettgau, im Hegau und Schwarzwald sind auf, als Dreißigtausend stark und wird der Haufen je länger je größer … Ihr müsset dran, dran, es ist Zeit! Balthasar und Barthel! Krumpf, Velten und Bischof gehet seine an! Diesen Brief lasset den Burggesellen werden … Schmiedet Pinckepanck auf dem Ambos Nimrods, werft ihm den Turm zu Boden!« usw.
Man fühlt heraus, daß diese Sprache nur der Widerhall der Ereignisse ist, die Deutschland aufwühlten. Selbst Luther wurde von ihnen hingerissen. Als der dumpfe Massenschritt des Volksaufstandes daherdröhnte, schrieb er in der Stimmung erster Überraschung seine »Ermahnung zum Frieden auf die zwölf Artikel der Bauernschaft in Schwaben«. Darin sagt er: »Erstlich mögen wir niemand auf Erden danken, solches Unrats und Aufruhrs, denn euch Fürsten und Herren, sonderlich euch blinden Bischöfen, Pfaffen und Mönchen … Das Schwert sitzt euch auf dem Halse; noch meint ihr, ihr sitzt so fest im Sattel, man werde euch nicht mögen aufheben. Solche Sicherheit und verstockte Vermessenheit wird euch den Hals brechen, das werdet ihr sehen … Wohlan, weil ihr denn Ursach seid solches Gottes Zorn, wirds ohne Zweifel auch über euch ausgehn, wo ihr euch nicht mit der Zeit bessert … Denn das sollt ihr wissen, liebe Herrn, Gott schaffts also, daß man nicht kann noch will eure Wüterei die Länge dulden. Ihr müsset anders werden und Gottes Wort weisen. Tut ihrs nicht durch freundliche, willige Weise, so müsset ihrs tun durch gewaltige und verderbliche Unweise … Es sind nicht Bauern, liebe Herrn, die sich wider euch setzen, Gott ist's selber, der setzt sich wider euch, heimzusuchen eure Wüterei!«
Als Luther diese Sätze niederschrieb, ließ er sich, wie immer, auch nur vom Strome treiben; dieses Mal von den Wellenschlägen der Revolution, die auch nach Wittenberg brandeten. Die Massenhaftigkeit der Aufständischen, die Gleichzeitigkeit der Bewegung über ganz Deutschland hin, das war für jene Zeit etwas so Ungewöhnliches und Überraschendes, daß man bereits an den sicheren Zusammenbruch des alten Herrschaftssystems glaubte. Selbst der Kurfürst Friedrich von Sachsen erwartete ihn. Am 14. April 1525 schrieb er an seinen Bruder, Herzog Johann von Sachsen: »Es ist das ein großer Handel, daß man mit Gewalt handeln soll. Vielleicht hat man denen armen Leuten zu solchem Aufruhr Ursach gegeben, und sonderlich mit Verbietung des Wortes Gottes. So werden die Armen in viel Wegen von uns geistlicher und weltlicher Obrigkeit beschwert. Gott wende seinen Zorn von uns. Will es Gott also haben, so wird es also hinausgehen, daß der gemeine Mann regieren soll.« Der friedliebende Friedrich brauchte sich des »gemeinen Mannes« wegen nicht mehr lange den Kopf zu zerbrechen. Drei Wochen später, am 5. Mai, starb er und in seinem Bruder Johann kam ein scharfer Draufgänger an die Regierung, der sich, vereinigt mit den anderen Fürsten, mit militärischer Gewalt dem Aufruhr entgegenstellte.
Dieser war inzwischen in Thüringen und den sächsischen Herzogtümern, im Eichsfeld, im Harz, Hessen, Fulda und im Vogtlande bedrohlich angewachsen. Im April standen überall die Bauern auf, traten in Lagern zusammen und zogen in starken Haufen von Kloster zu Kloster, von Schloß zu Schloß. Die Volkserhebung in der einen Landschaft hatte die Erhebung in der anderen zur Folge. Innerhalb dreier Tage waren die Arbeiter und Bauern im Stift Fulda und im Harzwalde, »in der Buchen«, sowie die hessischen Bauern um Vacha, Heringen, Hersfeld, zu zehntausend Mann stark versammelt. Sie brachen in die Klöster, in die Burgen und Schlösser ein, um sie zu plündern und zu schleifen. (Bild 263.) Scharenweise sah man die vertriebenen Mönche und Nonnen umherziehen, während die Bauern ihnen den guten Klosterwein austranken und die Vorräte der Klosterkeller aufzehrten. Auch viele Edelleute sah man mit ihren Frauen obdachlos umherirren, sofern sie nicht eilig der »christlichen Brüderschaft« der Aufständischen beigetreten waren. Täglich erhielten die Bauernhaufen Zuzug und Beistand, denn sie schrieben überall hin und drohten, die Säumigen an ihrer Feldfrucht, an Leib und Gut zu schädigen. Selbst der Koadjutor (Verweser) des Stiftes Fulda hatte sich der Brüderschaft anschließen müssen. Sie wollten keinen »Kuhhirten« mehr, sagten die Bauern in Verspottung seines Titels »Koadjutor«.
Durch den Werragrund zog ein Bauernhaufen, verbrannte die Nonnenklöster Frauensee und Frauenbreitungen, die Stifte und vier Kirchen zu beiden Seiten der Werra. Über Salzungen kam er nach Schmalkalden, holte sich aus dem Dom- und Georgenstift Waffen und andere Kriegsmittel und zog dann gen Eisenach und von dort weiter aufwärts auf Mühlhausen zu.
Ein anderer Haufe, der an der Unstrut daherzog, holte den Grafen v. Gleichen gefangen von seinem Schlosse zu Tonna herab. Der Gleichen war ein stolzer Herr, aber all' sein Stolz half ihm hier nichts. »Sieh' da, Philipp«, höhnten seine Bauern, die er so lange verachtet hatte, »bist du uns jetzo auch gleich?« (Bild 260).
Über das alte Kloster Reinhardsborn kam ebenfalls die Zerstörung. In der Woche nach Ostern stürmten es die Bürger und Bauern von Waltershausen, vertrieben den Prior und die Mönche (Bild 262.) Das Vieh und alle Vorräte führten die Bauern hinweg, verbrannten die Urkunden und Handschriften, in denen sie nur die Rechtstitel ihrer Knechtschaft sahen, zerstörten die Grabmale, Steine, Inschriften des Landgrafen von Thüringen, zerschlugen die Altäre, Gemälde und brannten die alte Klosterkirche aus. Selbst die Grafen von Schwarzburg mußten in Arnstadt auf die zwölf Artikel (Bild 257) der Bauern schwören, weil sie sich durch einen Haufen von acht- bis zehntausend Mann bedroht sahen. In das Herzogtum Sachsen sprang die Bewegung hinüber; nach Erfurt, welches damals dem Stifte Mainz gehörte, kam Ende April der Aufruhr. Die Volksbewegung lief durch die ganzen benachbarten sächsischen Lande. Zu Noda und Lobda standen gegen dreitausend, zu Neuenstadt und Pesink ebensoviele, zu Saalfeld zweitausend, um Gera und Ronneberg viertausend, zu Plauen hoch droben im Vogtland achttausend Bauern. Bei Elferlein im Erzgebirge sah man 1500 Bauern und Bergleute gelagert, die des Abtes von Grünhain Güter verwüsteten. Die Bauern der erzgebirgischen Orte Königswalde, Mildenau, Schönbrunn, Arnsfeld bei Annaberg, Raschau, Grünhain, Aue, die Bauern um Marienberg und Wolkenstein, sie alle erhoben sich, vertrieben und brandschatzten Geistliche und Edelleute, plünderten und verwüsteten die Kirchen. Von der Rhön, durch den Thüringer- und Franken-Wald, durch das Vogtland und das Erzgebirge, hinunter an der Elbe, der Mulde, der Saale, durch den Harz, das Eichsfeld und das hessische Bergland, wie durch alle Ländereien, die dazwischen liegen, hörte man das Waffenklirren des Volkskrieges wider Kirchenherrschaft und Herrentum, standen die Bauern in starken Lagern, und sah man am nächtlichen Himmel, weithin leuchtend, den blutigroten Feuerschein brennender Klöster und Schlösser. Auch um den Berg der alten Sage, den Kyffhäuser, leuchteten die Fackeln der daherziehenden Bauernhaufen, hinein in die unheimlichen Verliese und Zellen.
Als dergestalt die Volksbewegung in wenigen Tagen sich von Landschaft zu Landschaft ausbreitete, entsank den Herren der Mut. Die herrschende Klasse von Kirche und Staat sah sich dem Untergang alles Bestehenden gegenüber. Sie machte Luther mit verantwortlich für die Revolution und sah in seinem Kampfe gegen Papst und Klerus fälschlich eine der Grundursachen des Zusammenbruches aller Autorität vor dem Volke. Schon im Vorjahre, 1524, hatte Luther seinen alten Einfluß bei den Fürsten schwinden sehen, da die sächsischen Regierungskreise über die Münzerische Agitation lebhafte Besorgnisse empfanden. Damals war es Luther noch mit Aufbietung all' seiner Kraft, vor allem auch durch Denunziation, gelungen, Münzer und die kommunistischen Agitatoren aus Sachsen und Thüringen zu vertreiben. Nun aber war Münzer wieder da, mächtiger als vorher, und rings durch alle Lande tobte der Aufruhr. Wie die Regierungskreise für den Ausbruch der Revolution Luther mit verantwortlich machten, so führte Luther die ganze Revolution auf Münzers Wirken zurück. Er war ihm der »Verführer«, der »Mordprophet«, der an allem Aufruhr einzig die Schuld trug. Der persönliche Ärger über Münzers Popularität unter dem Volke Thüringens und Sachsens und seine Wut über Münzers messerscharfe Sprache in der »Hochverursachten Schutzrede« verhinderten vollends, daß Luther Münzers Bedeutung nur entfernt richtig hätte würdigen können. Als die sächsisch-thüringische Bauernrevolution begann, erhob sich auch Luther. Er glaubte noch immer an seine alte Popularität. Vor das Volk wollte er hintreten und durch des Wortes Gewalt den ganzen Aufruhr niederschlagen. So reiste er denn ins Mansfeldische, sein Geburtsland; von da weiter über Stollberg, Nordhausen, Erfurt, Weimar, Orlamünde, Kahla, Jena. Überall redete er, überall forderte er die Obrigkeiten auf, »die Untertanen im Gehorsam zu halten«, sie vor dem »Mordpropheten« zu bewahren. Doch wo er hintrat, sah er nur, wie ungeheuer er in kurzer Zeit verloren hatte, wie seine einstige Popularität gänzlich geschwunden war. Statt sich rühmen zu können, mit seinem Machtwort das Volk zur Unterwerfung zurückgerufen zu haben, mußte er förmlich vor dem Aufruhr fliehen. »Luther heuchelt jetzt den Fürsten« und ähnliche bittere Worte trafen sein Ohr. Ingrimmig und verbittert kam er nach Wittenberg zurück. Kurfürst Friedrich, Luthers Protektor, lag totkrank; bald mußte dessen Bruder Johann die Regierung erhalten, der gegenüber den Bauern mit dem Schwert handeln wollte. Luther wußte, daß unter den Fürsten Herzog Georg von Sachsen ihm namentlich alle Schuld am Bauernkrieg beimesse. Die Nachricht von Jäcklein Rohrbachs Blutgericht bei Weinsberg ging von Mund zu Mund. Bald darauf wurden die ersten blutigen Siege des Truchseß gemeldet, die Kunde von den gewaltigen militärischen Rüstungen der Herren flog durchs Land. Die auf den ersten Anprall in die Knie gesunkene alte Macht erhob sich und sammelte Kraft zur Niederschlagung des Aufstandes. Jetzt galt es schleunigst und unzweideutig Stellung zu nehmen, damit man nicht mitgetroffen wurde, wenn die Reaktion das Schwert zum Schlage erhob.
Das war Luthers Stimmung, als er sich dazu entschloß, eine Flugschrift gegen die Bauernrevolution zu versenden. Haß auf Münzer, Karlstadt und all' die Männer, die ihn verdunkelten, Enttäuschung über die Volksstimmung, die er vorgefunden hatte, Furcht vor der Rache der siegreichen Reaktion, das drückte ihm die Feder in die Hand. Und noch ein anderer Umstand fiel ins Gewicht: Luther war inzwischen aus dem armen Augustinermönch längst zu einem Besitzenden geworden. Er saß in Wittenberg in Amt, Würden und guter Existenz. Die Bauernrevolution aber hatte einen kommunistischen Grundton. Die »christliche Brüderlichkeit« der Bauern war die Gemeinsamkeit alten Besitzes. Das Eigentum war in Gefahr. Selbst ein Besitzender, fühlte sich Luther durch die Bauernrevolution in seinen Klasseninteressen aufs schwerste angegriffen. So warf er denn am 6. Mai 1525 eine Flugschrift heraus, die nicht nur das Volk, nein, auch die besten Freunde Luthers vor Entsetzen aufschreien ließ.
»Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern«, lautete der Titel der Schrift, in der Luther die Fürsten geradezu und unverhohlen aufforderte, durch blutige Metzeleien die Bauern niederzuschlagen. Die Bauern trieben eitel Teufels Werk. »Insonderheit ist's der Erzteufel, der zu Mühlhausen regiert und nichts denn Raub, Mord und Blutvergießen anricht, wie denn Christus, Johann. 8, von ihm sagt, daß er sei ein Mörder von Anbeginn.« Der Aufruhr sei schlimmer als Mord. »Darum soll hie zuschmeissen, würgen und stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, und gedenken, daß nichts giftigers, schädlichers und teuflischers sein kann, denn ein aufrührerischer Mensch. Gleich als wenn man einen tollen Hund totschlagen; schlägst du nicht, so schlägt er dich und ein ganzes Land mit ihm … Darum ist hie nicht zu schlaffen. Es gilt auch hie nicht Geduld und Barmherzigkeit; es ist des Schwerts und Zorns Zeit hin und nicht der Gnaden Zeit … Wer für die Obrigkeit fällt, ist ein rechter Märtyrer für Gott … was auf der Bauern Seite umkommt, ein ewiger Höllenbrand … Solche wunderliche Zeiten sind jetzt, daß ein Fürst den Himmel mit Blutvergießen besser verdienen kann, denn andere mit Beten … Steche, schlage, würge, wer da kann. Bleibst du darüber tot, wohl dir, seliglicheren Todes kannst du nimmermehr überkommen. Denn du stirbst im Gehorsam göttlichen Worts und Befehls, Röm. 13 und im Dienst der Liebe, deinen Nächsten zu retten aus der Höllen und des Teufels Banden.« (Luthers sämtl. Werke.)
Mit dieser Schrift allein begnügte sich jedoch Luther nicht. In seinen Predigten, mit dem gesprochenen Wort, in seinen Briefen, mit dem Federkiel, forderte er immer wieder zum Niederschlagen der aufständischen Bauern auf. Unter den Anhängern der alten Kirche ging Luthers Schrift von Land zu Land und man sagte: »Er hat dieses Feuer angezündet und hetzt jetzt die Obrigkeit an sie, zu stechen, zu hauen, zu morden, und beredet sie, damit das Himmelreich zu verdienen; da es allenthalben brennt, will er wieder löschen, da es nicht mehr helfen will.« Wenn zur lutherischen Predigt die Glocken geläutet wurden, stießen sich die Römischen an, denn sie wußten wohl, auf welchen Ton Luthers Predigten jetzt gestimmt waren. »Da läutet man wieder die Mordglocke,« sagten sie. Aber Luther fuhr fort, gegen die Bauern zu schüren. Als ihm der mansfeldische Kanzler Kaspar Müller, empört gleich den andern, »blutdürstige Unbarmherzigkeit« vorwarf, verfaßte Luther einen »Sendbrief«. Wer sein Büchlein tadle, solle sich vorsehen, »er ist aufrührerisch im Herzen«. In dem Krieg – dieser Sendbrief erschien nach der Niederschlagung der Bauern – sei Gottes Wille geschehen, »damit die Bauern lernten, wie ihnen zu wohl gewest ist und sie gute Tage in Frieden nicht wollten erleiden, daß sie hinfürder Gott lernten danken, wenn sie eine Kuh müßten geben, auf daß sie der anderen mit Frieden genießen könnten … Es war keine Furcht noch Scheu mehr im Volke, ein jeglicher thät schier, was er wollte. Niemand wollt nichts geben und doch prassen, saufen, kleiden und müßig gehn, als wären sie allzumal Herrn. Der Esel will Schläge haben und der Pöbel will mit Gewalt regiert sein.« (Luthers sämtl. Werke.) An den mansfeldischen Rat Dr. Rühl schrieb er am 30. Mai: »Daß man den Bauern will Barmherzigkeit wünschen, sind Unschuldige drunter, die wird Gott wohl erretten und bewahren, wie er Loth und Jeremiä thät; thut er's nicht, sind sie gewiß nicht unschuldig, sondern sie haben zum Wenigsten geschwiegen und bewilligt. Der weise Mann sagt: Cibus, onus et virga asino (Futter, Last und Prügel gebühren dem Esel), in einen Bauern gehört Haberstroh. Sie hören nicht das Wort und sind unsinnig; so müssen sie die virgam, die Büchsen hören, und geschieht ihnen recht. Bitten wollen wir für sie, daß sie gehorchen: wo nicht, so gilts hie nicht viel Erbarmens. Lasset nur die Büchsen unter sie sausen, sie machens sonst tausendmal ärger … Wohlan, wer Münzer gesehn hat, der mag sagen, er habe den Teufel leibhaftig gesehn in seinem höchsten Grimm. O Herr Gott, wo solcher Geist in den Bauern auch ist, wie hohe Zeit ist's, daß sie erwürgt werden wie tolle Hunde.« Ja, noch später, als längst in den unterworfenen Bauerndörfern das Schweigen des Todes eingekehrt war, rühmte sich Luther laut, er habe »im Aufruhr alle Bauern erschlagen, denn ich habe sie heißen totschlagen; all' ihr Blut ist auf meinem Hals.«
Das war das Ende Martin Luthers, des Reformators. Als ein Ketzer gegen die Papstkirche hatte er begonnen. Mit genauer Not war er dem alten Ketzerschicksal: dem Scheiterhaufen, entronnen. Und er endete damit, daß er als Ketzerrichter die Fürsten und Herren – auch das kirchliche Fürsten- und Herrentum – aufrief, die proletarischen Ketzer in einem Blutbade niederzuschlagen. Und die Form, in der er dieses tat! Ob man auch die ganze Greuelgeschichte der mittelalterlichen Ketzerverfolgungen vorüberziehen läßt, man wird kein Dokument finden, in welchem der alte Klerus seine Ketzervernichtung mit solchen Wutausbrüchen begleitet hätte. Selbst jene Priesterlosung bei der Niederschlagung der Albigenser und Waldenser: »Schlagt Alles tot, der Herr erkennt die Seinen,« klingt in der Form milder als dieses gräßliche: »Steche, schlage, würge sie wer da kann!« Die lutherische Geschichtsschreibung verweist, zur Entschuldigung dieser Sprache Luthers, auf die Taten der Bauernhaufen. Allein Luther hatte vordem weit Schlimmeres als diesen Aufruhr gepredigt, den jetzt die Bauern machten. 1517 hatte er geschrieben: »So wir Diebe mit Strang, Mörder mit Schwert, Ketzer mit Feuer strafen: warum greifen wir nicht viel mehr an diese schädlichen Lehrer des Verderbens, als Päpste, Kardinäle, Bischöfe und das ganze Geschwärm der römischen Sodoma mit allerlei Waffen und waschen unsere Hände in ihrem Blut?« Als Franz von Sickingen sich an der Spitze des Kleinadels gegen die geistlichen Fürsten erhob, schrieb Luther: »Wenn die geistlichen Fürsten nicht hören wollen Gottes Wort, sondern wüten und toben, mit Bannen, Brennen, Morden und allem Übel, was begegnet ihnen billiger denn ein starker Aufruhr, der sie von der Welt ausrotte? Und dessen wäre nur zu lachen, wo es geschähe!« Zu gleicher Zeit ließ er drucken: »Alle, die dazu tun, Leib, Gut und Ehre daran zu setzen, daß die Bistümer verstört und der Bischöfe Regiment vertilgt werde, das sind liebe Gotteskinder und rechte Christen, sie streiten wider des Teufels Ordnung … Es sollte ein jeglicher Christ dazu helfen mit Leib und Gut, daß ihre Tyrannei ein Ende nehme und fröhlich den Gehorsam gegen sie mit Füßen treten, als Teufelsgehorsam. Das sei meine, Doktor Luthers, Bulle, die da gibt Gottes Gnade zur Lehre Allen, die ihr folgen. Amen!«
So hatten die Anhänger der alten Kirche recht, wenn sie Luther beschuldigten, den Aufruhr mit »angestiftet« zu haben, zu dessen blutiger Niederschlagung er jetzt die Fürsten aufforderte. Auf die Fürsten selbst tat Luthers Schrift freilich wenig Wirkung. Sie handelten auch ohne seine Aufforderung genau ebenso wie der Oberbefehlshaber des schwäbischen Bundes, der Truchseß von Waldburg. Das Volk aber schrie auf über Luthers erbarmungslose Sprache, und eine Flut von Angriffen ergoß sich über ihn. Schließlich tat Luther mit seinem reaktionären Wüten sich selbst den meisten Schaden. Die Bauern, gegen welche er das Schwert aufrief, waren das deutsche Volk. Zwischen Luther und dem Volk bildete sich jetzt eine tiefe Kluft. Mit Haß und Wut wurde Luthers Name in den Bauernhütten und Handwerkerstuben genannt. Er bedeutete seinem Volke von nun ab nichts mehr, und auch die Sieger wußten ihm keinen Dank. Vereinsamt und verbittert saß er zuletzt in Wittenberg.
Während Luther sich auf die Seite der rüstenden Fürsten und Herren warf und seine Flugschrift wider die Bauern verfaßte, war Thomas Münzer, das Haupt der Bauernbewegung, zu Mühlhausen in einen förmlichen Fiebertaumel geraten. Jetzt, inmitten des allgemeinen Sturmes, jetzt, da es ernst wurde, scheint ihm allmählich die Erkenntnis gekommen zu sein, daß er noch allzuweit von seinem Ziele entfernt sei. Unter den Massen, die sich jetzt herandrängten, die in ganz Thüringen und Sachsen aufstanden, verlor sich seine feste und zielbewußte Anhängerschaft. Der Führer sah sich umgeben von einer großen Proletariermasse, die viel zu rückständig, zu unwissend, zu undiszipliniert war, um seine Ideen verwirklichen zu können. Das hatte Münzer vor Augen, aber er wollte es nicht sehen, und so sprach, schrieb, agitierte er sich in einen förmlichen Fanatismus hinein, redete sich selbst vor, daß er mit diesen Massen seine Ideen durchführen könne, obwohl er wußte, daß sie im ersten ernsten Augenblick nach allen Windrichtungen auseinander stieben würden. Hatte er doch selbst an die Schmalkaldischen, die zu Eisenach im Lager standen, über die Mühlhäuser abfällig geschrieben, »die zu meistern wir über die Maßen zu schaffen haben, denn es viel ein grobes Volk ist«; schließlich hatte er seiner Besorgnis Ausdruck gegeben, »mit Unwitzigen vorgehn zu müssen.« Wirklich wurde er auch gezwungen, früher loszubrechen, als er selbst wollte. Der Mönch Pfeifer, das Haupt Mühlhausens, übte diesen Zwang aus. Dieser lokale bürgerliche Führer betrieb die Vernichtung des umwohnenden Herrentums im bürgerlichen Interesse. Er hielt die Zeit zum Handeln für günstig, und da Münzer sich sträubte, drohte er, das Volk wider ihn aufzuwiegeln. Es habe ihm geträumt, so sagte er, er sehe sich im Harnisch in einer großen Scheune und um sich her einen gewaltigen Haufen Mäuse, die habe er alle miteinander vertrieben und der Geist sage ihm, die Deutung des Traumes sei, daß er alle Junker in Thüringen und auf dem Eichsfelde ausrotten werde. Da fiel die indifferente Volksmasse dem bürgerlichen Führer zu. Er zog mit großem Anhang aus ins erzbischöfliche Eichsfeld, plünderte Kirchen, Klöster, Edelhöfe, nahm etliche Junker gefangen und kam mit ihnen, wie mit reicher Beute, nach Mühlhausen zurück. Dieser Erfolg gefährdete Münzers Führerrolle; wollte er sie nicht verlieren, so mußte er dem Volke den Willen tun und ausziehen.
Am 26. April 1525 erhob sich Münzer und zog aus Mühlhausen aus – in Tod und Verderben. Als er aus den Toren der Reichsstadt zog, sank bereits im Süden Deutschlands auf blutgetränkten Schlachtfeldern die Fahne der Volkssache. Münzer hatte keine Ahnung vom Wesen eines Feldzuges, und wenn er hinter sich blickte und sah seinen kläglichen Kriegshaufen von etwa vierhundert Mann, »mehrentheils fremdes Gesindlein«, also zusammengelaufene arme und elende Leute, mußte er an gutem Ausgang verzweifeln. Aber er machte sich selbst Mut und ließ sein Feldzeichen, »eine weiße Fahne, darin ein Regenbogen stand«, stolz im Winde flattern. Er zog gen Langensalza und vereinigte sich mit den dortigen Aufständischen. Dann kam er nach Tungeda, wo ihm ein Schwarm Eichsfelder zuzog. So ging er weiter mit den Seinigen ins Feld.
Um dieselbe Zeit sammelte sich auch die Fürstenmacht. Dem Landgrafen Philipp von Hessen (Bild 264) gelang es zuerst, militärische Macht zusammenzuziehen, und er bekam dadurch das Oberkommando beim Zuge gegen die mitteldeutschen Bauern. In ein paar raschen Märschen überwältigte er die hessischen Aufständischen und zog dann dem Stift Fulda zu Hilfe. Beim ersten Feuer der hessischen Artillerie auf die Stadt öffneten die Bürger bereits die Tore. Der Landgraf nahm Stift und Stadt und fing fünfzehnhundert Aufständische im Schloßgraben. Drei Tage ließ er sie ohne Wasser und Brot schmachten, dann durften sie heraus. »Sie rauften sich um das Gespüle an der Schloßküche. Man warf ihnen Brot vor gleich unvernünftigen Tieren, sie mußten sich mit höhnischen Worten schmähen und sich sagen lassen: wo ist nun ein schwarzer Bauer und evangelischer Gott, der euch jetzt Hülf und Beistand thue?« Denn die Sage ging umher unter dem unwissenden Volke, in Zeiten der Gefahr werde ein schwarzer Bauer erscheinen, der ihnen Rat und Hilfe bringe. Schließlich durften sie sich halbverschmachtet in ihre Dörfer schleppen, während die Hauptleute dem Henkerschwert verfielen und ihre blutigen Köpfe, auf Spieße gesteckt, vor dem Stadttore aufgestellt wurden.
Vor Eisenach stieß Herzog Heinrich von Braunschweig mit frischen Truppen zu dem hessischen Kontingent. Auf dem Markt von Eisenach wurden vierundzwanzig Bauern und Bürger geköpft. Dann marschierte die vereinigte Armee eilig auf Langensalza, setzte über die Unstrut und die Wipper und erschien am 15. Mai vor Frankenhausen. Inzwischen stieß noch der Herzog Georg von Sachsen zu ihr, während der Nachfolger des am 5. Mai gestorbenen Kurfürsten Friedrich, Johann, mit 800 Reisigen und 2400 Fußknechten in heißem Marsche nachkam. Nach der Vereinigung im Lager vor Frankenhausen zählte die thüringisch-sächsische Armee 6000 Mann Fußvolk, 2600 Mann Reiterei und eine starke und treffliche Artillerie.
Vor Frankenhausen lagerten die mansfeldischen und schwarzburgischen Bauern, unschlüssig, was sie zu tun hätten. Sie pflogen Unterhandlungen mit dem Grafen Albrecht von Mansfeld, der sich ihnen ins Gesicht freundlich und friedfertig zeigte und sie dadurch hinhielt, während er sie gleichzeitig in Gemeinschaft mit seinem Bruder, Grafen Ernst, hinterrücks überfiel und schädigte. Münzer, der den Untergang vor Augen hatte, versuchte vergeblich, etwas zu unternehmen. Auch Pfeifer, der ihn doch erst zum Losschlagen bewogen hatte, ließ ihn jetzt im Stich, und die Mühlhäuser blieben in ihren Mauern, denn die Nachrichten der Einnahme von Fulda, Eisenach und anderen Städten durch die heranziehende Armee hatten sich rasch und erschreckend verbreitet. Was Münzer zuzog, waren verzagte, zum Teil durch Drohungen erzwungene Aufgebote aus den umliegenden Dörfern. »Weiber und Kinder geleiteten Gatten, Väter und Brüder auf allen Straßen Frankenhausen zu; teils mit Weinen und Seufzen, teils mit Jauchzen und Frohlocken, nachdem sie Furcht oder Hoffnung bei dem Handel hatten.« Neben ihrem mangelnden Mut hatten die Bauern noch den Nachteil, schlecht bewaffnet und des Krieges gänzlich unerfahren zu sein. Die achttausend unentschlossenen und furchtsamen Bauern, die bei Frankenhausen um Münzers Fahne standen, hielten nicht den Vergleich aus mit den wehrkräftigen Haufen, die im Süden der schwäbischen Bundesarmee gegenüberstanden.
Die Unentschlossenheit und Angst seines Haufens suchte Münzer zu besiegen durch einen desto energischeren, siegeszuversichtlichen Ton, den er in seinen Proklamationen anschlug. »Thomas Münzer mit dem Schwert Gideons« nannte er sich hier, wohl um sein Feldherrnansehen über das der feindlichen Befehlshaber zu erheben. In einer Proklamation an die mansfeldischen Grafen schrieb er, und zwar zunächst an den Grafen Albrecht: »Furcht und Zittern sei einem jeden, der übel tut. Röm. 2. 9 … Hast du in deiner lutherischen Grütz und deiner Wittenbergischen Suppen nicht mögen finden, was Ezech. an seinem 37. Kapitel weissagt? … Willst du erkennen, Danielis 7, wie Gott die Gewalt der Gemeinde gegeben hat und vor uns erscheinen und deinen Glauben brechen, wollen wir dir das gerne geständig sein und dich für einen gemeinen Bruder ansehn; wo aber nicht, werden wir uns an deine lahme schale Fratze nicht kehren und wider dich fechten, wie wider einen Erzfeind des Christenglaubens.« Dann an den Grafen Ernst: »Du elender, dürftiger Madensack … du sollst und mußt deinen Glauben brechen, wie 1. Petri 3 befohlen. Du sollst in wahrhaftiger Weise gut sicher Geleit haben, deinen Glauben an den Tag zu bringen, das hat dir eine ganze Gemeinde im Ringe zugesagt und sollst dich auch entschuldigen deiner offenbarlichen Tyrannei, auch ansagen, wer dich so dürftiglich gemacht, daß du allen Christen zum Nachteil unter einem christlichen Namen willst ein solcher heidnischer Bösewicht sein … Du bist ein schädlicher Staupbesen der Freunde Gottes … Wir wollen deine Antwort noch heut haben, oder dich im Namen Gottes der Heerschaaren heimsuchen. Wir werden unverzüglich thun, was uns Gott befohlen hat; ich fahre daher.«
Aber auch dieser absichtlich scharfe Ton der revolutionären Proklamationen Münzers vermochte dem Bauernhaufen keinen Mut zu machen. Der Haufe setzte sich auf einer Anhöhe bei Frankenhausen fest und umzog sich mit einem Graben und einer Wagenburg, um sich vor den Angriffen der Reiterei zu schützen. Nur ein Teil der Bauern wollte schlagen, der andere, an dessen Spitze die zum Haufen gezwungenen paar Adligen standen, war für Unterhandlung. So hatten es die Fürsten leicht. Während die Friedenspartei der Bauern Briefe schrieb und unterhandelte, umzogen sie die Höhe mit ihren Truppen und richteten das Geschütz auf die Wagenburg. Es scheint, daß auch bei Frankenhausen die Unterhandlungstaktik des Truchseß geübt wurde. Denn ein 1525 zu Wittenberg erschienener »nützlicher Dialogus« eines »Müntzerischen schwermer« sagt: »Nun wohlan, ist das auch ehrlich von den Fürsten und Herrn, daß sie uns drei Stunden Bedenkzeit gaben und doch nicht eine Stunde Glauben hielten, sondern sobald sie den Grafen von Stolberg mit etlichen vom Adel von uns zu sich brachten, da ließen sie das Geschütz in uns gehen und griffen uns alsbald an.«
Der blutige Sturm auf die Wagenburg geschah am 16. Mai. Der Feind hatte die Bedingung der Auslieferung Münzers gestellt, und hinter der Wagenburg beriet die Bauerngemeinde. Einen Edelmann und einen Priester, welche die Annahme der Bedingung empfahlen, ließ Münzer im Ring enthaupten. Dergestalt wollte er Festigkeit in den verzagenden Haufen bringen. Melanchthon erfand überdies in seiner von Unwahrheiten strotzenden Biographie des verhaßten Münzer eigens eine Rede, in welcher Münzer gesagt haben soll: er wolle alle feindlichen Büchsensteine in den weiten Ärmeln seines Priestermantels auffangen. Nichts von alledem ist wahr. Wird doch dasselbe auch Jakob Wehe nachgeredet. (Zimmermann.) Wahr scheint nur zu sein, daß sich am Firmament im Augenblick der Beratung ein Regenbogen zeigte und Münzer dies zu seinen Gunsten deutete, weil seine Fahne einen Regenbogen aufwies. Auch auf die bange, ratlose Masse wirkte es. Sie fühlte sich hingerissen und plötzlich tönte der feierliche Choral: »Komm, heiliger Geist, Herre Gott!« zu den schlachtbereit stehenden Reihen des Fürstenheeres.
Dort war inzwischen der Oberbefehlshaber Landgraf Philipp umhergeritten und hatte das Kriegsvolk zur Tapferkeit ermahnt. Denn die Fürsten wußten: schlugen sie die Münzerschen Haufen aufs Haupt und nahmen sie des Aufruhrs Hauptstadt, Mühlhausen, dann war die thüringisch-sächsische Bauernbewegung vernichtet. Als alles bereit war, ließ der Landgraf das Heer vorrücken, unbekümmert um den noch nicht geendeten dreistündigen Waffenstillstand. In die Klänge des Chorals hinein krachten plötzlich die Geschütze. Die Landsknechte rückten in geschlossener Sturmordnung heran, die totbringenden Spieße zu einer undurchdringlichen Mauer vorgestreckt. Die Handbüchsen knatterten zu Hunderten über den Graben und zwischen den Rädern der schützenden Wagen durch. Die Geschützkugeln der fürstlichen Artillerie schlugen in die dichten Bauernhaufen, während gleichzeitig der reisige Zug die Anhöhe hinaufjagte! Da ergriff die Bauern eine schreckliche Todesangst. Sie stürzten davon. Zugleich drangen die Angreifer durch eine Lücke in die Wagenburg und die Bauern wurden »erschossen, erstochen, ganz jämmerlich ermordet«. Mit wildem, vieltausendstimmigem Geschrei rannten die Bauern den Berg hinab, auf die nahen Waldhöhen, in die Stadt Frankenhausen hinein. Aber zweieinhalb Tausend Reisige jagten dicht hinter ihnen her und erstachen und erschlugen, was ihnen vor die Rosse kam. Als die wahnsinnige Flucht sich in Frankenhausens Gassen hineinwälzte, stürzten mit ihr zugleich die Landsknechte des »verlorenen Haufens« des Fürstenheeres hinein, und in den engen Gassen begann ein grausiges Morden. »In und um Frankenhausen war nichts als Jammer und Blutvergießen; selbst in den Kirchen und Klöstern und in den Häusern wurde gewürgt und geplündert; der durch die Stadt fließende Bach wälzte sich als Blutbach fort.« An diesem Tage wurden in Frankenhausen und draußen auf dem Felde an die fünftausend thüringische und sächsische Bauern erschlagen. So wurden die rauchenden Trümmerhaufen der Burgen und Klöster durch das Blut tausender von Bauern gerächt.
Als draußen die Bauern auseinander gejagt waren, ritten die Fürsten in die Stadt, um dem Morden Einhalt zu gebieten. Aber als die Spieße und Schwerter verrohter Landsknechte und Reisige ruhen mußten, bekam der Henker Arbeit. Ohne Untersuchung der Schuld wurden dreihundert Gefangene unter das Rathaus geführt und enthauptet, soweit es nicht dem Jammern und Weinen ihrer Frauen und Kinder gelang, sie kniefällig von den Siegern loszubitten. Andern Tags fuhr Wagen auf Wagen, hoch mit Erschlagenen beladen, aufs Feld hinaus, wo man sie alle in die Gruft warf, während die Fußknechte und Reisige bei Trunk, Spiel und Halloh ihren »Sieg« über die Bauern feierten.
Einen suchten sie unter den Erschlagenen vergeblich: Thomas Münzer. Sie tobten und fluchten schon, daß ihnen der Führer der Bauern entwischt sei. Da gab ihnen der Zufall den Gesuchten in die Hände. Münzer war, mit fortgerissen in der allgemeinen kopflosen Flucht, glücklich genug gewesen, durch das Nordhäuser Tor nach Frankenhausen hineinzugelangen. In eines der ersten Häuser stürzte er hinein, auf den oberen Boden. Dort stand ein Bett, er warf sich hinein und band sich ein Tuch um den Kopf, um sich unkenntlich zu machen. So traf ihn ein Reisiger, der das Haus gierig nach Beute durchsuchte. Münzer gab sich für einen Kranken aus, der seit langem da im Fieber liege. Schon wollte der Beutesuchende den schmutzigen Boden verlassen, als sein spähender Blick Münzers Ledertasche entdeckte. Geld! Seine Finger durchwühlten die Tasche, aber er fand nichts als Papiere. Wie er sie prüfte, sah er einen Brief des Grafen von Mansfeld an Münzer. Der Flüchtling war verraten. Die Fürsten hatten auf seinen Kopf einen Preis gesetzt. Dieses Lohnes gewiß, schleppte ihn der Reisige zu seinem Herrn; der brachte ihn vor die Fürsten.
Münzer hatte seinen verloren gegangenen Mut wieder gewonnen. Ruhig, gefaßt trat er vor die Feinde und verteidigte sich mit mannhaften Worten. Weshalb sollte er bitten, es wäre doch umsonst gewesen. Sie warfen ihn auf die Folter und weideten sich an seinen Qualen. Als sie endlich dem Henker befahlen, von dem Zermarterten abzulassen, wußte einer einen Hauptspaß. Meister Thomas hatte ja an den Grafen Ernst von Mansfeld drohend geschrieben: »Ich fahre daher!« Also schmiedete man ihn mit Ketten auf einen Karren fest und sandte ihn dem Grafen auf seine Veste Heldrungen »zu einem Beutepfennig«. So fuhr der Unglückliche daher, zu dem Heldrunger, der ihn mit Hohnlachen empfing, ihn in den tiefen Turm warf und dort also gräulich mit ihm umging, daß der Gequälte »im Wundfieber zwölf Kannen Wassers trank«.
Es ist nun wahrhaft ergreifend zu lesen, wie Münzer in den schrecklichsten Qualen der Folter mit seinen Gedanken immer bei Weib und Kind war. Sie liebte er über alles. In den Briefen, die er aus dem Heldrunger Turm, tief unter der Erde, herausschrieb, ist wiederholt eingeflochten die Bitte, seinem Weibe beizustehen, sie nichts entgelten und ihr das kleine Gut, das sie habe, folgen zu lassen. Als aber im Lager zu Mühlhausen Münzers hochschwangere Frau vor den Herren erschien und mit erhobenen Händen um ihres Mannes Leben flehte, geschah es, daß ein Ritter vor ihr niederkniete und höhnisch von ihr begehrte, sie solle sich ihm preisgeben. Selbst Luther war das zu viel und er schrieb: »Ich habe beides besorgt; würden die Bauern Herren, so würde der Teufel Abt werden. Wo aber solche Tyrannen Herren werden, so würde des Teufels Großmutter Äbtissin!« Ein magerer Trost für seine infame Hetze gegen die Bauern.
Von Frankenhausen zogen die Fürsten mit ihrem Heere nach Mühlhausen, der Zentrale der thüringischen Bewegung. Die Stadt hoffte auf Entsatz und verteidigte sich unter Pfeifers Führung mit dem Mute und der Ausdauer der Verzweiflung. Aber der Entsatz kam nicht. Das Blutbad von Frankenhausen schreckte; in ganz Thüringen und Sachsen verbreitete sich Kirchhofsstille. In Franken aber hatten die in den Lagern stehenden Bauernhaufen mit sich selbst zu tun, denn der Truchseß zog herauf. Da begann ein Teil der Bürgerschaft mit dem Feinde wegen Übergabe zu unterhandeln. Als Pfeifer solches erfuhr, entwich er in der Nacht des 24. Mai mit 400 Anhängern. Die fürstliche Reiterei setzte ihm nach und ereilte ihn in der Eisenacher Gegend, wo er ihr nach heftiger Gegenwehr in die Hände fiel. Verwundet aber lebend ward er ins Mühlhäuser Lager gebracht. Die Stadt hatte sich am selben Tage, dem 25. Mai, ergeben. Der Henker bekam in der Stadt viel zu tun, um die Rebellenhäupter abzuschlagen. Dann wurde die Stadt von den Fürsten schwer gebrandschatzt, ihrer Reichsfreiheit beraubt und den sächsischen Landen einverleibt. So brachte der Bauernkrieg den fürstlichen Siegern die klingendsten Vorteile. Nicht bloß durch Entschädigungssummen, durch ganze Städte und Landschaften konnten sie ihren Besitz vergrößern.
Nach Niederwerfung der festen Stadt Mühlhausen holten die Sieger Pfeifer und Münzer herbei. Beide wurden enthauptet, und beide empfingen mutig, mit Trotz gegen ihre Feinde, den tötlichen Streich. Ja, es wird behauptet, daß Münzer noch im Angesichte des Todes und angeschmiedet auf seinen Karren den Fürsten eine Anklagerede gehalten habe. Doch muß billig bezweifelt werden, ob er hierzu, nachdem er den weiten holprigen Weg von Heldrungen nach Mühlhausen, ein Schwerverwundeter, auf dem Karren transportiert worden war, noch fähig gewesen ist. Der Unglückliche wird wohl durch Marter und Transport bereits ein Halbtoter gewesen sein, als der Henker zum Schwertstreich ausholte. Wie »menschlich« und »brüderlich« ist demgegenüber der fromme Melanchthon, der in seiner Münzer-Biographie höhnt, Münzer sei »sehr kleinmütig gewest in derselben letzten Not«; Herzog Heinrich von Braunschweig habe ihm den Glauben vorbeten müssen, weil er selbst kein Wort hervorgebracht habe.
So starb Münzer, der größte und bedeutendste Volksführer der Reformationszeit, »die glänzendste Verkörperung des ketzerischen Kommunismus« (Kautsky), durch Henkershand. Aber seine Ideen lebten fort von Geschlecht zu Geschlecht. Ideen kann der Henker nicht töten. Sie erheben sich über dem Richtblock und finden an Stelle der Getöteten neue Künder.
An diesen Blutgerichten ließen sich die Fürsten nicht genügen. Wohin sie kamen, floß das Blut der Rache. In Germar wurden 26, in Tungeda 50 Aufrührer enthauptet. Am 31. Mai mußten die Herren auseinandergehen. Es war still im Lande geworden, kein Feind stand mehr im Felde. Das rohe Kriegsvolk hatte nichts mehr zu tun. Da es an den Bauern sein Mütchen nicht kühlen konnte, führte es ein wüstes Lagerleben. Täglich ereigneten sich Exzesse über Exzesse, die schließlich zu offenen Feindseligkeiten anwuchsen. Die hessischen Kriegsleute wollten sich auf die sächsischen stürzen. Die hatten ihnen schon ihr Geschütz abgelaufen, um sie damit zu beschießen, doch es gelang dem Landgrafen mit Bitten und Drohen, den Streit zu schlichten. Aber die Fürsten hielten es für ratsam, schleunigst auseinanderzugehen; dieses Kriegsvolk wurde eine Gefahr für sie selbst. So zog denn jeder auf eigene Faust umher, um seine nun wehrlosen Bauern an Freiheiten und Geld, an Leib und Leben »zu strafen«.
Zumal an den Fußtapfen des Herzogs Georg von Sachsen klebte das Blut. Auf dem Markt zu Langensalza ließ er 41 Köpfe abschlagen, zu Sangerhausen 12, zu Leipzig 8. Ungezählt sind dabei die Bürger, die er stäupen und aus seinen Landen ausweisen ließ. Außer dem Bürgerblut mußten die Ortschaften und Städte ungeheure Summen als Brandschatzung zahlen, und die herzoglichen Kassen füllten sich. Die Meißener, die sich fast ganz ruhig verhalten hatten, mußten große Geldbußen leisten. Selbst auf die Höhen des Erzgebirges zog der Herzog hinauf; in Annaberg und Grünhain wurde geköpft und gehängt, gestäupt und eingekerkert, in Mildenau, Arnsfeld, Schönbrunn und Wolkenstein enthauptet und gespießt.
Kurfürst Johann von Sachsen tat desgleichen. In allen Städten floß Bürgerblut, und allein die thüringischen Lande mußten dem Kurfürsten 40 000 Gulden Kriegskosten zahlen. In Zwickau hielt er »ernstes Gericht« über die Dörfer der Umgegend und es kostete viel Bitten und Flehen, hier Blutvergießen zu vermeiden.
So wurde auch in Thüringen und Sachsen der Aufruhr gebrochen, und als die Sommersonne kam, sah sie die Leibeigenen, die ein paar Wochen gehofft hatten, von den Ketten der mittelalterlichen Sklaverei los zu sein, seufzend wieder hinter dem Pfluge des Frohnvogts gehen.