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Die christlich-kommunistische Propaganda nach dem Bauernkrieg. – Die Wiedertäufer. – Erste Maßnahmen. – Ausnahmegesetz des Reichstags gegen die Wiedertäufer. – Das Wesen der Wiedertäuferei. – Verfolgungen und Hinrichtungen. – Die Täufer in Mähren. – Die Täufer in Straßburg; Melchior Hofmann. – Hofmanns Ende. – Die Wiedertäuferei in Norddeutschland. – Entwickelung in Münster. – Lokaler Sieg der Täufer; Knipperdolling, Bürgermeister der Stadt. – Aufrichtung des »neuen Zion« und Beginn der Belagerung. – Johann von Leyden. – »Kleiderpracht«, Feste und Theater in Münster. – Verteidigungsorganisation der Wiedertäufer. – Der Hunger. – Die »Vielweiberei«. – Heldenmütige Verteidigung Münsters. – Niederwerfung der Täuferei in Norddeutschland. – Sieg und Untergang der lübischen Demokratie; Jürgen Wullenweber. – Landgraf Philipp und die Wiedertäufer. – Hungerwahnsinn. – Münsters Verrat durch den Schreiner Gresbeck und nächtliche Erstürmung am 25. Juni 1535. – Niedermetzelung der Täufer. – Münsters Fall. – Johann von Leydens, Knipperdollings und Krechtings grausame Hinrichtung vor dem Bischof von Münster.
Die herrschenden Klassen in Deutschland lebten seit dem Jahre 1525 in beständiger Furcht vor einer neuen Volkserhebung. Das Blut der hunderttausend Erschlagenen ängstigte sie. Sie sahen überall Verschwörung und Komplotte. Das Schwert hatte wohl äußerlich Ruhe geschaffen, doch der Geist des Aufruhrs ging um und schreckte die kirchlichen und die weltlichen Mächte.
Ob auch der Bauernkrieg mit noch so vielen sich widerstreitenden Sonderinteressen durchsetzt gewesen war, so war doch sein Grundton der Kommunismus. In allen Bauernhaufen war ein Kern Münzerischer Leute gewesen, die das »Evangelium«, nämlich den Kommunismus, auf ihre Fahne geschrieben hatten. Dieser Kommunismus stützte sich auf die urchristliche Ueberlieferung. Die Askese, die Gemeinsamkeit der Genußmittel, die Gründung eines »tausendjährigen Reiches«, das heißt eines Staates der Gleichheit und Freiheit Aller unter Christi Oberherrschaft, sind das Charakteristikum und das Ziel dieser Kommunisten.
In den Kämpfen der Jahre 1517 bis 1525 hatte dieser Kommunismus offen heraustreten können, und Thomas Münzer war in Deutschland seine bedeutendste agitatorische und organisatorische Kraft geworden. Aus dem Blutbade des Bauernkrieges flüchtete er sich in kleine Konventikel. Das geschlossene Heer der Kommunisten löste sich in viele kleine Gruppen auf, welche in den Städten, in der Industrie, Unterschlupf fanden. Getäuscht in ihrer Hoffnung, in der allgemeinen Bauernerhebung zum Siege zu gelangen, wirkten sie jetzt in der Stille nicht minder eifrig für die Verwirklichung ihrer Ideale.
Diese kommunistische Agitation trat unter dem Namen der Täufer oder der Wiedertäufer auf.
Schon ein Jahr nach dem Bauernkrieg, 1526, schreibt Sebastian Franck in seiner Chronik: »Gleich in und nach dem Aufruhr der Bauern entstand aus dem Buchstaben der Schrift eine neue Sekte und besondere Kirche, die nannten etliche Wiedertäufer, etliche Täufer. Die fingen an mit einer besonderen Taufe sich von den anderen zu unterscheiden und alle anderen Gemeinden als unchristlich zu verachten … Deren Lauf ging so schnell, daß ihre Lehre bald das ganze Land durchkroch und sie bald einen großen Anhang erlangten … Sie brachen das Brot miteinander zum Zeichen der Einigkeit und Liebe, halfen einander treulich mit Vorsatz, Leihn, Borgen, Schenken, und lehrten, alle Dinge gemein haben, hießen einander Brüder. Wer aber ihrer Sekte nicht war, den grüßten sie kaum, boten auch dem keine Hand; hielten sich auch zusammen und nahmen so jählings zu, daß die Welt sich eines Aufruhrs von ihnen besorgte, dessen sie doch, wie ich höre, allenthalben unschuldig befunden worden sind.«
Die neue Agitation blieb den herrschenden Gewalten nicht lange verborgen. Zwar traten die Täufer friedlich auf, aber sobald die Regierungen den kommunistischen Charakter der Sekten erkannt hatten, wurden sie auch von großer Besorgnis erfaßt. Briefe, Boten, Erkundigungen, Ratschläge flogen hin und her und die Kanzleien bekamen zu tun. Ende November 1527 schrieb der bekannte Kanzler Dr. Eck an den Herzog Georg von Sachsen: »Gar besorgniserregend ist diese Sekte, und wie gnädiger Herr und seine fürstlichen Räte erwägen, mehr Schadens da zu fürchten, denn bei dem jüngsten bäurischen Aufruhr: denn diese Sekte wurzelt in den Städten. Wenn nun der Aufruhr anginge, würden die in den Städten sich erheben, da würden sie Geschütze, Pulver und Harnische, auch kriegsgeübte Knechte haben, und es würde ihnen das Bauernvolk auf dem Land zufallen, und es würde Alles über sich gehn wider die Geistlichkeit, Fürsten und Adel. Darum die Fürsten und der Adel wohl aufsehen müssen.«
Bald begannen überall die Prozesse gegen diese neuen »Aufrührer« und die Henker, die noch das Blut der Bauern an den Fäusten hatten, bekamen mit dem Köpfen, Hängen und Brennen der »Täufer« Arbeit. Ergreifend besang der Franziskanermönch Leonhard Schiemer, der sich den Täufern angeschlossen hatte und 1528 selbst dem Henker verfiel, das Schicksal der Verfolgten:
»Man hat sie an die Bäum' gehenkt, erwürget und zerhauen,
Heimlich und oeffentlich ertränkt, viel Weiber und Jungfrauen.
Die haben frei, ohn' alle Scheu, der Wahrheit Zeugnuß geben,
Dass Jesus Christ die Wahrheit ist, der Weg und auch das Leben.«
Aus der lokalen Verfolgung wurde bald eine allgemeine. Alle die Funktionen, welche früher, in den Tagen der kirchlichen Macht, das Papsttum in der Verfolgung der Ketzerei gehabt hatte, übernahm jetzt die Reichsgewalt und mit ihr die Fürsten. Die Bezeichnung hatte gewechselt, in der Sache war es dasselbe geblieben. Es war die »bedrohte Ordnung« Hand in Hand mit der fanatischen Unduldsamkeit der Klerisei, welche das Henkerschwert gegen die Umstürzler zückte. Namens des Reiches erließ 1529 der damals in Speyer versammelte deutsche Reichstag ein drakonisches Ausnahmegesetz gegen die kommunistischen Feinde der Staats- und Gesellschaftsordnung. Der § 6 des »Reichstagsabschieds« von Speyer sagt:
»Nachdem auch kürzlich eine neue Sekte der Wiedertaufe entstanden, so in gemeinen Rechten verboten und vor viel hundert Jahren verdammt worden ist (auf die vermoderten Bannflüche des Papstes bezog sich diese neue Staatsrettung!), welche Sekte … je länger je schwerlicher einbricht und überhand nimmt, hat ihre Majestät, um solch schwerem Uebel und was daraus folgen mag, zuvorzukommen und Fried und Einigkeit im heiligen Reich zu erhalten, eine rechtmäßige Konstitution, Satzung und Ordnung aufgerichtet und allenthalben im heiligen Reiche zu verkünden beschlossen, also lautend, daß alle und jede Wiedertäufer und Wiedergetaufte, Männer und Weibspersonen verständigen Alters vom natürlichen Leben zum Tode mit Feuer, Schwert oder dergleichen nach Gelegenheit der Personen ohne vorhergehende Inquisition der geistlichen Richter gerichtet oder gebracht werden.«
Ohne Untersuchung, ohne Gericht sollten die im Gewande der Täufer auftretenden Kommunisten umgebracht werden. Es war nicht die »Bestrafung«, es war die Ausrottung des aus dem Mittelalter überkommenen Kommunismus, was dieses Blutgesetz vorschrieb.
Die Kommunisten aber, gegen welche die herrschenden Gewalten mit Feuer und Schwert vorgingen, waren von reiner Friedens- und Menschenliebe erfüllte Idealisten. Alle in den biblischen Schriften niedergelegten Grundsätze des Christentums hatten sie auf ihrer Seite, während sich ihre bluttriefenden Verfolger auf nichts berufen konnten, als auf die rohe Übermacht, die ihnen das Henkerschwert in die Hand drückte. Es war der alte in der Menschheitsgeschichte immer wiederholte Vorgang. Aus dem eben abgeschlossenen Bauernkriege hatten diese Vorkämpfer der Freiheit, Gerechtigkeit und Bruderliebe gelernt, daß mit Gewalt nichts erreicht sei. Nicht die Fäuste, sondern die Köpfe und die Geister mußten zusammengerottet werden gegen das herrschende Unrecht. Auf friedlichem und gesetzlichem Wege wollten diese »Schwärmer« ihre urchristlich-kommunistischen Ideen durchsetzen. Doch gerade diese Gesetzlichkeit machte sie ihren Gegnern gefährlich, welche die »je länger je schwerlichere Ueberhandnahme« der »Täuferei« vor Augen hatten.
Die lutherische Geschichtsschreibung versucht die »Wiedertäuferei« stets als die Folge »mißverstandener« lutherischer Lehren abzutun. Diese Darstellung beweist nicht nur die gänzliche Unkenntnis dieser Historiker über das Wesen des mittelalterlichen Kommunismus, sondern läßt auch die Tatsache völlig außer acht, daß die Wiedertäufer sich mit derselben Erbitterung gegen Luther und die neue Theologie wandten wie gegen den Papst und die alte Klerisei. Auch in Luther und seinen Leuten sahen sie »Feinde des wahren Christentums.« Sie verwarfen die Kindertaufe und tauften nur die Erwachsenen, denn die Taufhandlung war ihnen die äußerliche heilige Form, durch welche der Neugeworbene seinen Beitritt zu der Gemeinschaft erklärte. »Die Wiedertäufer,« schrieb Bonifazius Amerbach 1527 an Montanus, »fingen an mit dem Widerspruch gegen die Kindertaufe; dann folgten die Lehren von der Güterteilung, vom Verbot des Eides, von der Unzulässigkeit einer bürgerlichen Obrigkeit, der Bekehrung des Teufels und Ähnliches.« Ihr heiß ersehntes Ziel war »das Reich Christi«, aber nicht in einem Jenseits, wohin es die Kirche verlegt hatte, sondern auf Erden. Die Errichtung dieses Reiches sollten die Brüder und Schwestern vornehmen, sobald es gelungen sei, alle Gottlosen »auszureuten.« Das erstrebte »Reich Christi« war die kommunistische Gesellschaft. »In diesem Reiche der vollkommenen Kinder Gottes würden alle Kriege und Feindseligkeiten aufhören, Alle würden Allen gleich, Allen würde Alles gemeinsam sein: Niemand würde auf irgend ein Vorrecht Anspruch erheben, Keiner persönliches Eigentum besitzen wollen, auch keine »sündliche Ehe« mehr eingehen, sondern reine Frucht zeugen ohne bösen Willen des Fleisches.« (Janssen.) Das alte Sehnsuchtslied der Menschheit klang wieder durch die Hütten der Armen.
Als die herrschenden Gewalten die Herde des Kommunismus aufgespürt hatten, begannen sie mit blutiger Gründlichkeit das schreckliche Werk seiner Ausrottung. Die politische Zentralmacht sah in dem Kommunismus das einzige Hindernis ihrer künftigen Entwicklung; die kirchliche Macht hoffte in dem Autodafé die ganze revolutionäre Bewegung gegen die Kirche zu erwürgen und dann die Kraft zur Wiedereroberung der alten Position zu erlangen. So ließen sie denn mit gleichem Eifer Henker und Söldner auf die Wiedertäufer los.
Die Verfolgungen begannen in Zürich. Dort stellte der Rat 1526 die Täufer durch eine Verordnung außerhalb allen Rechtes, ja außerhalb der Menschlichkeit. Die Täufer sollten »auf Stroh in den neuen Turm gelegt werden«; Niemand solle sie besuchen dürfen, »man wolle sie im Turm ersterben und faulen lassen.« Auch die Frauen und Töchter sollten so behandelt werden und auf Rückfall wurde die Strafe des Ertränkens gesetzt. Niemand solle einen Täufer beherbergen dürfen, ihm Speise oder Trank geben. »Ertränken, verbrennen oder enthaupten, wie es sie dann gut dünke und ihnen gefalle,« so sollten die Züricher Herren mit den Täufern verfahren dürfen.
Und so wurde denn auch mit ihnen verfahren, nicht bloß in Zürich, sondern überall, wo die blutigen Verfolger der Wiedertäufer habhaft wurden. Protestanten und Katholiken wetteiferten in der Verfolgung der Täufer. (Kautsky.) Das meiste Blut floß in katholischen Ländern. (Cornelius.) In Deutschland freilich übertrafen in harter blutiger Verfolgung die protestantischen Stände sogar die katholischen. (Beck.) »Etliche hat man zerreckt und zerstreckt, Etliche zu Asche und Pulver verbrannt, Etliche an Säulen gebraten, Etliche mit glühenden Zangen zerrissen, Einige in Häuser versperrt und Alles mit einander verbrannt, Andere an die Bäume gehängt, Etliche mit dem Schwert hingerichtet, Etliche ins Wasser gestoßen. Vielen wurden Knebel ins Maul gelegt, daß sie nicht sollten reden, und sind also zum Tode geführt worden. Wie die Schafe und Lämmer führte man sie in Haufen zur Schlacht und Metzg. Die biblischen Bücher hat man an etlichen Orten aufs Höchste verboten, an manchen Orten verbrannt. Andere sind in finstern Türmen verhungert oder verfault; gar viele sind, ehe man sie tötete, mit allerlei Plag gepeinigt. Etliche, die man zu jung geachtet zum Richten, mit Ruten geschwungen worden. Auch sind viele zu Jahren in Türmen und Gefängnissen gelegen. Vielen wurden Löcher durch die Backen gebrannt und sie hierauf entlassen. Die Uebrigen, die dem Allen entronnen waren, hat man verjagt von einem Land zum andern, von einem Ort zum andern. Gleichwie die Eulen und Nachtraben, die des Tags nicht wandeln dürfen, mußten sie sich oftmals in Felsen und Steinklüften, in wilden Wäldern, in Gruben und Löchern der Erde aufhalten und verkriechen. Man suchte sie mit Hunden und Schergen, man stellte ihnen nach wie den Vögeln in den Lüften – und das ohne alle Schuld, ohne alle Übeltat, Leuten, die niemandem Leid oder Schaden taten noch zu tun begehrten.« (Beck.)
Die blutige Grausamkeit, mit welcher die Täuferei verfolgt wurde, hatte einmal ihren Grund in der raschen Ausbreitung der kommunistischen Sekten in den Städten, sowie in der weitverzweigten Verbindung der Täufersekten untereinander, zum andern in der Kriegsgefahr, die von den Türken drohte. Die Türken beabsichtigten einen Einbruch in Deutschland, den sie 1529 auch wirklich unternahmen, wobei sie jedoch bei Wien unterlagen. Ein siegreicher Einfall der Türken hätte nicht nur die habsburgische Kaisermacht, sondern auch die Kirche in Deutschland gänzlich vernichtet. Die Herrschenden fürchteten, daß aus dem Zusammenbruch der Kommunismus als die größte tragende Kraft hervorgehen und die kommunistische Gesellschaft aufrichten werde. Die Täufer rechneten bei ihrer Agitation auch mit der türkischen Invasion. Der Täufer Hans Hut lehrte: die Türken würden das Reich zerstören; währenddessen sollten sich die Brüder in den Wäldern verborgen halten, hervorkommen, wenn die Türken ihre Arbeit getan hätten und das Werk vollenden. Auf den baldigen Einbruch der Türken bauend, bezeichnete Hut Pfingsten 1528 als den Beginn des »tausendjährigen Reiches«, d. h. der kommunistischen Gesellschaft. Die Feinde der Wiedertäufer machten aus dieser Hoffnung die feste Verbindung mit den Türken. Sie sagten: »Wenn die Türken ins Land kommen, wollen die Wiedertäufer sich ihnen anschließen, ihren Obrigkeiten nicht helfen, auch Alle, so nicht ihres Glaubens seien, totschlagen, den Kaiser nicht ausgenommen.« (Loseth.) Man bezichtete die Wiedertäufer aller möglichen Gewalttätigkeiten, indem man ihre biblisch-bilderreiche Sprache wörtlich nahm oder die Äußerungen einzelner als grundsätzliches Streben der gesamten Wiedertäuferei auffaßte. Die herrschende Klasse in Kirche und Staat bedurfte des angeblichen gewalttätigen Charakters der Wiedertäuferei zur Rechtfertigung ihrer blutigen Unterdrückung. Sie schrieb ihn ihr also einfach zu.
Dem Klerus erschienen die kommunistischen Wiedertäufer weit gefährlicher als die Wittenberger Reformatoren, weil sie, gleich Thomas Münzer, den geistlichen Stand als solchen abschaffen wollten. Deshalb eiferte auch Luther mit derselben Erbitterung gegen sie wie der alte Klerus. Die Standhaftigkeit der Täufer galt als »höllische Verstocktheit« und kein Mittel schien den lutherischen Theologen scharf genug, um nur alle Wiedertäufer auszurotten.
Dieselben Vorgänge wiederholten sich wie zum Beginne der christlichen Zeit, als das Christentum, eine Bewegung der Armen und Unterdrückten, in dem zerfallenden Römerreiche auftrat. Wie damals auf der Seite der Machthaber: entsetzliche Grausamkeiten; auf der Seite der wehrlosen Verfolgten: heldenmütige Standhaftigkeit und Bekennerfreudigkeit. Nur eines hatten die neronischen Verfolger der urchristlichen Kommunisten vor denen des sechzehnten Jahrhunderts voraus: Jene waren »Heiden«, diese aber nannten sich ebenfalls Christen und schlachteten dennoch die Bekenner der christlichen Ideen grausam ab.
Erfüllt von einer wahrhaft großen Idee, die sie hoch über die Misere ihrer Zeit erhob, gingen die wiedertäuferischen Kommunisten jubelnd und jauchzend in Kerker und Marter, in Qual und Tod. »Wir haben es in unseren Zeiten gesehen,« schrieb der Assessor am Reichskammergericht Conrad Braun, »daß man die Wiedertäufer mit hartem Gefängnis, Hunger, Feuer, Wasser, Schwert und anderen erschrecklichen Strafen nicht hat zum Widerruf bringen mögen. Ich habe selbst viel gesehen, daß auch junge Menschen, Manns- und Weibspersonen, singend und frohlockend in das Feuer gegangen sind, und ich mag sagen, daß mich mein Lebenlang nie kein Ding mehr bewegt hat.«
Wie ruhig und ergeben betrat Balthasar Hubmeier von Waldshut, Münzers Genosse aus der Bauernrevolution, im März 1528 zu Wien den Scheiterhaufen. Wie standhaft benahm sich sein treues Weib Elsbeth, die den dem Tode geweihten Gatten tröstete und ihm drei Tage darauf folgte, indem sie der Henker in der Donau ertränkte. Die 35 Täufer, die man 1528 aus Augsburg hinaus von allem Hab und Gut verjagte, sah man »Alle freudig von ihren Familien sich trennen und jubelnd aus den Toren ziehen.« Wie herzergreifend ist der Tod jenes sechszehnjährigen Täufermädchens in Salzburg, das man nicht zum Widerruf zu bringen vermochte und um deren Leben doch alles Volk bat und weinte, weil jeder fühlte, »daß sie rein und unschuldig war wie ein Kind.« »Der Nachrichter nahm sie auf den Arm, trug sie an die Roßtränke, tauchte sie unter das Wasser, bis sie ertrunken war, dann zog er den entseelten Leib wieder hervor und übergab ihn dem Feuer.«
Diese Todesverachtung entsprang teils auch dem Bewußtsein: der Widerruf nützt nichts. Der gräßliche Befehl des frommen Herzogs Wilhelm von Bayern: »Welcher revoziert, den soll man köpfen; welcher nicht revoziert, den soll man brennen!« zeigt, daß der Widerruf keine Wirkung hatte. Es war eben nicht auf die »Bekehrung«, es war auf die Erwürgung des mittelalterlichen Kommunismus abgesehen. In Bayern wurden die Wiedertäufer nach der Vorschrift des Reichstagsabschieds behandelt. »Man verlas ihr Urteil und ließ sie darauf richten.« … »Ich glaube,« schreibt 1531 Georg Kirchmair, »daß allein im Land Tirol und Görz 1000 Menschen darum verbrannt, geköpft und ertränkt worden seien.« Und Sebastian Franck meldet um 1530: »daß Etliche über Zweitausend anschlagen, welche an allen Orten getötet worden.«
Infolge der blutigen Unterdrückung des täuferischen Kommunismus in Zürich zog sich dieser nach Süddeutschland und sammelte seine flüchtigen Anhänger in den größeren Städten. Von hier aus breiteten seine rastlos umherwandernden Agitatoren die Wiedertäuferei bald weit aus. Von Straßburg zogen sich die wiedertäuferischen Geheimbünde nach Augsburg, die Donau hinab und bis nach Mähren hinüber. In diesem Lande traf das kommunistische Täufertum auf sehr günstige Vorbedingungen, die teils in der ökonomischen Verfassung und der Zersplitterung der politischen Macht auf den kleinen Adel, teils in der hussitischen Vorgeschichte des Landes begründet waren. Es konnte sich hier, ungestört durch Verfolgungen, entwickeln und es schuf Organisationen, die deutlich die Überlegenheit des Kommunismus über seine Zeit zeigten. Die Wiedertäufer gründeten Hausgenossenschaften, in welchen mehrere hundert Personen gemeinschaftlich wohnten. »Sie alle hatten nur eine Kuchel (Küche), Ein Backhaus, Ein Bräuhaus, Eine Schul, Eine Stube für die Kindbetterinnen, Eine Stube, da alle Mütter mit ihren jungen Kindern beieinander waren, und so fortan.« Ihre gemeinschaftliche Kindererziehung entriß die Kinder dem Jammer elender Haushaltungen und mangelnder Pflege und setzte an deren Stelle eine organisierte, vernünftige und gesunde Kinderaufziehung. Selbst die Feinde dieser Kommunisten mußten die Überlegenheit der kommunistischen Jugendpflege anerkennen, indem sie bald, wie die Chronisten berichten, als Ammen und Kindswärterinnen »lauter wiedertäuferische Weiber« bevorzugten. Die von den Wiedertäufern begründeten Schulen standen turmhoch über den finsteren Jugend-Marterkammern, die sich in jener Zeit Schulen nannten. Daher konnten denn auch die Wiedertäufer fast sämtlich lesen und schreiben. Während eine verlogene Historik sie als die Narren ihrer Zeit darstellt, erhoben sie sich in Wahrheit durch ihre größere Bildung über die Massen und waren die fortgeschrittensten Geister ihrer Epoche. Vor allem aber eilte die kommunistische Produktionsweise der Wiedertäufer ihrer Zeit weit voraus. Sie brachen mit der Zwergproduktion und schufen Großbetriebe, die namentlich in der Weberei Bedeutendes leisteten. Nicht sowohl das Lob der Freunde, als die Wutausbrüche ihrer durch die Konkurrenz der kommunistischen Produktionsbetriebe bedrängten Feinde sind historische Beweisstücke für die überlegenen ökonomischen Kräfte, die in dem Kommunismus des 16. Jahrhunderts schlummerten und die Deutschland in seinem Wirtschaftsleben mit Siebenmeilenstiefeln vorwärts gebracht hätten, wenn man sie nutzbar gemacht haben würde, anstatt sie im Blute zu ersticken.
Der wiedertäuferische Kommunismus erhielt sich in Mähren bis in das siebzehnte Jahrhundert hinein. Dann erst gelang der Kirchenmacht unter Führung des Kardinals Dietrichstein seine »Ausrottung«. Teils unterwarfen sich die Wiedertäufer der Kirche, teils wanderten sie nach Ungarn aus. Dort aber fehlten die wirtschaftlichen Vorbedingungen zu einem neuen Aufblühen der kommunistischen Produktion. Der täuferische Kommunismus verschwand dort allmählich.
Als die Abwanderung der Wiedertäufer aus Süddeutschland nach Mähren sich erst langsam vollzog, war Straßburg die Zentrale der wiedertäuferischen Agitation, die da hoffte, von hier aus eine kommunistische Umgestaltung Deutschlands und die Vernichtung der alten Kirche ins Werk setzen zu können.
In Straßburg war, dank seiner Produktionsentwicklung, die Arbeiterklasse eine Macht, mit welcher die Stadtregierung rechnen mußte. Es herrschte daher eine große politische Bewegungsfreiheit im Stadtgebiet. Der gerade hier weit fortgeschrittene Verfall der alten Kirche gesellte sich als weiterer Faktor hinzu, um eine rege Volksbewegung zu schaffen, die der Wiedertäuferei als Grundlage diente. Die vor den Henkern, vor Rad und Brand und Schwert geflohenen Kommunisten ganz Süddeutschlands, vor allem Augsburgs, konnten hier rasch neue Anhänger sammeln und Organisationen gründen. 1529 wanderte der Kürschnergeselle Melchior Hofmann aus Hall ein. Er hatte schon vordem gegen den Klerus im Kampfe gestanden und als Prädikant »das Evangelium« gepredigt. Ausgewiesen und verfolgt suchte er in dem demokratischen Straßburg eine Freistatt. Er kam mit den Kommunisten in Berührung und trat ihnen bereits ein Jahr später, 1530, indem er die Wiedertaufe vollzog, als ihr Genosse bei. Von da an predigte er unermüdlich den baldigen Zusammenbruch des Bestehenden und die Aufrichtung des tausendjährigen Reiches. Dessen Beginn erschien ihm angesichts all' des Blutvergießens der Herrschenden, all' des Zerfalles und all' der Erbitterung des Volkes als so nahe bevorstehend, daß er das Jahr 1533 als das Jahr des großen Umschwungs bezeichnete.
Noch im Jahre 1530 ging der neue glänzende Agitator rheinabwärts und predigte in den politisch und sozial erregten Niederlanden sein neues Evangelium. In der norddeutschen Täuferbewegung zeigten sich später die Früchte dieser Agitation. Aber als das Jahr 1533 kam, fand sich Hofmann wieder in Straßburg ein. Dort hatte die Wiedertäuferei sich inzwischen einen großen Teil des Volkes erobert. Tausende »Brüder und Schwestern« warteten des Zusammenbruches, um dann von Straßburg, dem neuen Jerusalem aus, ganz Süddeutschland dem Kommunismus zu erobern. Die Stadtregierung erwartete einen Aufstand, und da nun auch das Haupt der Bewegung sich wieder in Straßburgs Mauern einfand, beschloß sie, dem Aufstand zuvorzukommen, indem sie Melchior Hofmann, den »neuen Elias«, verhaftete. Er ward eingetürmt und starb nach langen Jahren im Kerker. Noch hinter den Eisengittern des Kerkers heraus drang seine Prophetenstimme ans Ohr der im Stadtgraben versammelten Anhänger. Aber sein Feuergeist erlosch hinter kalten Steinmauern und der Bewegung draußen war ihre Hauptkraft genommen. Sie ging zurück und versiegte. Unter den Täufern aber ging das Wort um: der Herr habe Straßburg um seines Unglaubens willen verworfen; Münster werde an seiner Statt das neue Jerusalem werden. (Cornelius.)
Münster! Auf diese westfälische Stadt konzentrierten sich schließlich alle Hoffnungen des wiedertäuferischen Kommunismus. All' sein gutes Wollen, all' sein Heldentum strömte hier wie in einem Brennpunkt zusammen. Es ist nur natürlich, daß sich zugleich auch alle historische Verleumdung der Wiedertäuferei wie ein undurchdringliches giftiges Spinngeweb' auf Münster gehäuft hat.
Doch die wiedertäuferische Bewegung beschränkte sich nicht auf Münster. Sie hatte vielmehr ganz Norddeutschland ergriffen. Durch alle Städte huschten die geheimen Sendboten der Brüder und suchten Organisation und Bewegung zu schaffen. In Norddeutschland lag die Kirchenmacht ebenso am Boden wie in Süddeutschland. Das Volk sprach vom Klerus nur mit Worten des Hohnes oder der Wut. Er befand sich in voller Auflösung. Während der niedere Klerus auseinander lief und verkam, suchten die großen geistlichen Herren aus dem kirchlichen Verfalle für sich soviel als nur möglich zu ergattern. So verkaufte beispielsweise 1530 der münsterische Bischof Friedrich von Wied, der niemals die bischöfliche Weihe empfangen hatte, sein Bistum an Fürstbischof Erich von Paderborn um vierzigtausend Gulden und der Kölner Erzbischof Hermann von Wied machte bei dem Handel den Vermittler. Mit Verachtung redete das Volk von »solch geistlichen Judassen«. (Janssen.) Anscheinend brauchte in den norddeutschen Städten nur eine rücksichtslose Agitation einzusetzen, um bei der kirchlichen Anarchie den täuferischen Kommunismus zum Siege zu führen.
Die Lebhaftigkeit der kommunistischen Agitation hatte ihren weiteren Grund in der noch ungebrochenen Kraft der norddeutschen Bevölkerung. Denn Norddeutschland war am Bauernkriege von 1525 nur wenig beteiligt gewesen und hatte deshalb auch nicht jene furchtbare Blutrache des Herrentums aushalten müssen wie das unglückliche Mittel- und Süddeutschland. Auf dieses noch nicht gebrochene Volk gestützt, glaubten die Wiedertäufer ihre Ideen durchsetzen zu können. Entsprechend der Erbitterung und der Kraft des Volkes hatte die Täuferei in diesem Teile Deutschlands denn auch, ganz im Gegensatz zu der friedfertigen Agitation der süddeutschen Täufer, einen agressiven und radikalen Charakter.
In das dichtbewohnte Gebiet zwischen Rhein, Ruhr und Ems kam im Anfange der dreißiger Jahre eine starke Einwanderung wiedertäuferischer Flüchtlinge aus den Niederlanden. Unter den erregten Volksmassen, die in hellem Aufruhr gegen die Kirche standen, fanden sie Zuflucht und guten Agitationsboden. Von hier aus gingen sie durch die südlich, westlich, östlich, nördlich gelegenen Städte. In ganz Westfalen und dem Rheinland, in Holland, Westfriesland, Brabant, bis nach den reichen Städten Bremen und Lübeck, vor denen sich das weite Meer öffnete, agitierten die wiedertäuferischen Agitatoren. Wo in den Städten der »gemeine Mann« Einfluß auf die Stadtregierung übte, konnten sich die Kommunisten halten. An anderen Orten wieder trieben die Stadtknechte die gefürchteten »Volksaufwiegler« ebenso schnell wieder zu den Toren hinaus, wie sie hereingekommen waren.
In der Stadt Münster hatten die Täufer rasch großen Anhang gewonnen. Das Proletariat hielt zu ihnen, während der Bischof, die Geistlichkeit, der Rat und das Zunftbürgertum, unter sich nach seinen Sonderinteressen gespalten, zunächst nicht dazu kamen, etwas zu unternehmen. Als dann schließlich der Rat mit Unterstützung der Zünfte Waffengewalt anwenden wollte, war die kommunistische Bewegung Münsters bereits so stark geworden, daß man ihr nichts mehr anhaben konnte. Die Wiedertäufer bekamen jetzt erst recht Bewegungsfreiheit und brachten ganz Münster in ihre Organisation.
In den Wiedertäufern von Münster lebte der entsagungsfreudige, todesmutige Idealismus der Urchristen wieder auf. Ihre Führer, der Kaplan Bernt Rothmann, ein vom Klerus abgefallener, für die Sache des Volkes begeisterter Reformator, und der Tuchhändler Bernt Knipperdolling (Bild 275), rissen nicht bloß die Armen, sondern auch die Besitzenden mit fort. Diese letzteren »legten all' ihr Geld zu den Füßen Rothmanns nieder, zerrissen und verbrannten alle Schuldverschreibungen, die sie besaßen und erließen ihren Schuldnern ihre ganze Schuld; und dieses taten nicht allein Männer, sondern auch Frauen, die sonst nichts wegzuwerfen pflegen. Denn die Brandsteinin, Knipperdollings Schwiegermutter, eine sehr reiche Frau, wurde von dem Geiste Gottes dergestalt getrieben, daß sie ihren Schuldnern ihre Schuldbriefe samt den bereits erhobenen Zinsen wieder zustellte.« (Kerssenbroick.)
Welche heilige Begeisterung für die Sache des armen Volkes, welcher Glaube an den endlichen Sieg der großen Idee zeigt sich in diesem Verhalten! Es erklärt zugleich auch, wie es kam, daß die Wiedertäuferbewegung förmlich wie der Sturmwind sich durch Münster und seine Umgegend verbreitete. Solcher Idealismus warb mehr Anhänger als alle »Aufhetzerei« der »Volksverführer.« Und die Gegner hatten ihnen nichts entgegenzusetzen als die blasse Spießbürgerangst um ihr Eigentum. Sie stieg noch, als nun auch Führer der niederländischen Wiedertäufer in Münster eintrafen, unter ihnen Jan Mathys und Jan Beuckelszoon, (Böckelson) von Leyden, kurzweg Johann von Leyden genannt (Bild 277). Es war offenbar, daß in kurzer Zeit die Täufer das Stadtregiment ganz an sich reißen würden. Das besitzende Bürgertum der Stadt fürchtete für sein mühsam zusammengeschartes Geld, seinen Besitz aller Art, und diese Angst vermochte es, so feindselig es sonst der Kirche gesonnen war, sich der kirchlichen Gewalt wieder in die Arme zu werfen. Der Rat und ein Teil der wohlhabenderen Bürger verbanden sich heimlich mit dem Bischof von Münster. Sie öffneten ihm am 10. Februar 1534 zwei Tore der Stadt, so daß er ein paar Tausend Bauern und Reiter in die Stadt fallen lassen konnte, um die Wiedertäufer blutig zu richten und die alte Ordnung wieder herzustellen. Aber der Plan mißlang. Die proletarische Bevölkerung Münsters wußte in ihren engen Gassen besser Bescheid als die Bauern und fremden Reiter und warf die Angreifer in heftigem Straßenkampfe wieder zu den Toren hinaus. Der mißlungene Angriff vollendete die gänzliche Niederlage der alten Ordnung. Der Rat verlor seine letzten Anhänger und in den bald darauf vorgenommenen Magistratswahlen wurden die beiden Wiedertäuferführer, der Tuchhändler Knipperdolling und der Tuchmacher Kippenbroick zu Bürgermeistern der Stadt gewählt. Münster war in den Händen der kommunistischen Bewegung.
Die evangelische wie die katholische Geschichtsschreibung überbieten sich gegenseitig in Schilderungen, welche beweisen sollen, daß mit dem Siege der Wiedertäufer in Münster die wildeste Anarchie ausgebrochen sei; Raub, Plünderung, Tollheit, Größenwahnsinn und schändlicher Volksbetrug, neronische Ausschweifungen, Vielweiberei, Wollust- und Grausamkeitsorgien – das soll das tägliche Bild des wiedertäuferischen Münsters gewesen sein. Diese Schilderungen sind allmählich auch in die Vorstellung des Volkes übergegangen und werden heute fast allgemein für wahr gehalten. Aber nichts von alledem ist wahr. Wohl nur bei wenigen Episoden der Geschichte ist so viel gelogen und gefälscht worden wie bei der Schilderung der münsterischen Wiedertäuferei.
Noch nie in der Geschichte der Menschheit haben sich die Sieger um ihre Geschichtsschreiber zu sorgen brauchen. Sie haben immer der Lobhudler genug gefunden, die alle ihre Taten in den Himmel erhoben. Anders die Besiegten. Für sie rühren sich nur wenig und meist sehr spät die Federn. Desto zahlreicher aber sind die Ankläger, die eine Flut von Beschuldigungen auf die Unterlegenen wälzen, um das Verdienst der Sieger desto glänzender erscheinen zu lassen. Vollends war dies bei den Kommunisten Münsters der Fall. Bei der Einnahme Münsters sind alle Wiedertäufer, die fähig gewesen wären, die Geschichte der münsterischen Erhebung zu schreiben, von den Siegern mit umgebracht worden. Auch war nach der Erwürgung des mittelalterlichen Kommunismus gar keine Möglichkeit mehr vorhanden, eine solche Verteidigungsschrift des Kommunismus in Druck zu legen. Überall standen hinter den Druckern die Zensoren und fahndeten eifrig auf jede mißliebige Schrift. Gedruckt wurde in Deutschland nur noch, was dem Herrentum wohl gefiel. Eine kommunistische Schrift wäre alsbald der Konfiskation, ihr Verfasser dem Henker verfallen. Denn die Sieger fürchteten den mittelalterlichen Kommunismus noch, als sich längst über ihm das Grab wölbte.
So hat das »neue Jerusalem« in Münster keinen objektiven Geschichtsschreiber gefunden. Auch der Schreiner Gresbeck, der Augenzeuge, auf welchen man sich heute mit am meisten beruft, verdient keinen Glauben. War er es doch, der Münster verraten hat und der den Belagerern den Weg in die Stadt wies. Die übrigen Schilderer der münsterischen Tage entwerfen erst recht bewußt und mit Absicht eine abschreckende Schilderung des »Wiedertäuferreiches«. Galt es doch, die blutige Abschlachtung der Täufer von Münster zu rechtfertigen und dem Volke durch ein Zerrbild für immer Gruseln einzuflößen. So wurden denn kühne und begeisterte Männer aus dem Volke zu Narren und Bösewichtern gestempelt, die Masse aber zu einem mißleiteten und vertierten Idiotenhaufen. Das alte Schicksal der Unterlegenen!
Vom Augenblick ihres städtischen Sieges an hätten die Wiedertäufer ihre Bewegung über Münsters Mauern hinaus in die umliegenden Lande tragen müssen. Es scheint, als ob sie hierzu wohl imstande gewesen wären. Denn obwohl die Belagerung Münsters durch den Bischof an demselben Tage begann, da hinter den Mauern die Wiedertäufer Herr wurden, hatten die Belagerer doch keine hinlänglichen Streitkräfte, kein Geschütz, kein Pulver, keine Geldmittel. Noch im Mai war der Munitionsmangel so groß, daß in zwei Tagen nur zwölf Schüsse abgegeben werden konnten. Aber auch hier zeigte sich wieder der Fehler des Bauernkrieges, der aus dem begrenzten Denken der Zeit entsprang. Die ganze Kraft wurde an den lokalen Boden verwendet. Auf ihre durch das ganze Land reichenden Verbindungen bauend, verließen sich die Täufer darauf, daß ein Kriegszug der Herren gegen Münster die Erhebung anderer Städte zur Folge haben werde. »Die Gotteskinder … hofften auf Hilfe von den fernen Brüdern und wollten selbst mit kleiner Macht die Gottlosen schlagen und erwürgen.« Dieses Zaudern setzte die Belagerer von vornherein in Vorteil. Sie konnten die eiserne Umklammerung Münsters in Ruhe vollenden.
Als der Rat Münsters in kommunistische Hände gekommen war, verließ ein großer Teil des besitzenden Bürgertums, von einer förmlichen Panik ergriffen, die Stadt. Gleichzeitig erhob sich das Volk. Es zerbrach die äußeren Zeichen der bisherigen Kirchenherrschaft, indem es Kirchen und Klöster stürmte. Es ereignete sich dabei auch manche Gewalttat. So wurde die kunstreiche Domuhr zertrümmert, viele Bilder und Glasmalereien zerstört, der Inhalt der Archive und Bibliotheken verbrannt. An allem klebte der Haß des Volkes, und wenn sich die gegnerische Geschichtsschreibung über das Zerstörungswerk entrüstet, muß darauf verwiesen werden, daß die Landsknechte bei der Ausplünderung der Städte mindestens ebensoviel Schaden anrichteten, worüber diese Geschichtsschreibung aber kein Wort verliert. Mehrere Kirchen wurden gänzlich in Trümmer gelegt. Auch wurde die Jahreseinteilung nach den kirchlichen Festen abgeschafft, um dergestalt auch in der Erinnerung die alte Kirchenherrschaft auszulöschen.
Aus der ganzen Umgegend der Stadt erhielten die Wiedertäufer anfänglich Zulauf von Gleichgesinnten. Sie schrieben auch nach allen Orten. »Kommt«, hieß es in solchen Briefen, »denn hier sollt ihr aller Notdurft genug haben. Die Ärmsten, die bei uns sind und die vormals verachtet waren als die Bettler, die gehen nun so köstlich gekleidet als die Höchsten und Vornehmsten, die bei euch oder bei uns zu sein pflegen.« Und der Prädikant Rothmann rief die Brüder der Umgegend nach Münster: »Nach dem Worte des Propheten sollen in dieser Stadt alle Heiligen versammelt werden; darum ist mir befohlen, euch zu schreiben, daß ihr mit allen Brüdern zu uns eilet und mitbringet an Geld, Gold und Silber, was ihr besitzet.«
Unterdessen zog sich der Ring der Belagerer fester um die Stadt, und die Täufer bemerkten wohl, daß über die Mauern und durch die Tore ein heimlicher Verkehr und Nachrichtendienst zwischen ihren Gegnern drinnen und draußen stattfand. Denn viele der ihnen feindlich gesonnenen Bürgerlichen waren eben doch in der Stadt geblieben, und wirklich brachte ja in Münster, ebenso wie 1525 im Süden, der Verrat den Herren den Sieg. So verkündete man denn Ende Februar den Befehl, nur die Einwohner, welche die Wiedertaufe annehmen wollten, dürften in der Stadt bleiben. Bewaffnete Männer riefen in den Straßen: »Hinaus, ihr Gottlosen! Gott will erwachen und euch strafen!« Alles, was feindlich war, mußte aus der Stadt hinaus. Wer drinnen blieb, mußte sich taufen lassen und dadurch in die Gemeinschaft der Kommunisten eintreten. In die Häuser und die Güter der Vertriebenen, in die Besitztümer des Klerus, zogen die Wiedertäufer ein.
So war die alte Ordnung in Münster gänzlich beseitigt. An ihre Stelle eine neue: die kommunistische Ordnung zu setzen, war das Streben der Wiedertäufer. Doch Münster war eine belagerte, im Kriegszustande befindliche Stadt. Deshalb kamen die Täufer nicht dazu, die wirtschaftliche Grundlage einer neuen Ordnung: eine kommunistische Produktionsweise zu schaffen. Die Verfassung, welche sie im belagerten Münster aufrichteten, war halb Kriegsrecht, halb Kommunismus.
Wie die ganze Ketzerei des Mittelalters, so entnahmen auch die Ketzer von Münster die theoretische Grundlage ihres Strebens den biblischen Schriften, dem sogenannten Alten Testament. Die dort dargestellte Regierung des jüdischen Volkes wurde ihr Vorbild. So ward denn Münster zum »neuen Jerusalem«, der Oberbefehlshaber in der Stadt zum »König in Israel«, der vom Volk erwählte Rat zu den »Ältesten«, die Volksredner zu »Propheten«.
Johann Mathys, einer der kühnsten Köpfe der Täufer, war schon in den ersten Kämpfen mit den Belagerern gefallen. An seiner Statt wurde Johann von Leyden zum Oberbefehlshaber erwählt und nannte sich »König in Israel.«
Das wahre Charakterbild dieses Mannes hat eine gehässige Geschichtsschreibung leider für immer begraben. Es ist von den im Dienste der Reaktion arbeitenden Federn zu einem größenwahnsinnigen Hanswurst umgelogen worden. In Wahrheit war er ein ungewöhnlich begabter und geschickter Volksführer, hervorgegangen aus der Masse. Er war 1509 zu Leyden als Sohn einer münsterischen Leibeigenen geboren worden, die, nachdem sie sich losgekauft hatte, seinen Vater, den Schultheißen Böckel, heiratete. Der Sohn Johann, der das Schneiderhandwerk erlernte, wurde schon frühzeitig durch seine eigene Klassenlage auf den Jammer der Zeit aufmerksam. Die an allen Orten gepredigten Ideen des Kommunismus zogen ihn gewaltig an. Mit brennendem Eifer las er Münzers Schriften. Seine Wanderschaft brachte ihn nach Flandern und England, der Kaufmannsberuf, dem er sich später zugewandt hatte, nach Lübeck und Lissabon. Als er nach den Niederlanden zurückkam, loderte dort gerade das Feuer auf, welches Melchior Hofmann, der Straßburger Täufer, entzündet hatte. Noch nicht fünfundzwanzig Jahre alt trat er in die Reihen der Wiedertäufer.
Mit körperlicher Schönheit vereinigte Johann von Leyden eine Fülle geistiger Gaben, die ihn zum Führer der täuferischen Sache wie geschaffen machten. Er war ein ebenso glänzender Redner wie tüchtiger Kriegsmann. Die Verteidigung der Stadt Münster gegen eine erdrückende Übermacht hat er mit großem militärischem Geschick geleitet, in der Stadt selbst hat er strenge Zucht gehalten, hat er verstanden, bei seinen Feinden Furcht, bei seinen Freunden Achtung und Liebe zu erwecken. Ganz im Gegensatz zu der sonstigen asketischen Strenge des Täufertums scheint ihm eine heitere Gemütsart eigen gewesen zu sein; eine »lebensfrohe Künstlernatur« nennt ihn Kautsky mit Recht. Um der zaghaften, in knechtischer Anbetung des Glanzes herrischer Stellung erzogenen Masse auch äußerlich zu imponieren, umgab Johann sich und seinen Rat mit einem gewissen Prunke der Kleidung, der aus dem Gold und Silber sowie den Gewändern und Zierraten des Klerus und der städtischen Ehrbarkeit zusammengestellt war.
Die gegnerische Geschichtsschreibung weiß darüber tapfer zu schelten und gefällt sich in grotesken Übertreibungen des »Kleiderluxus«. Wie konnten auch arme Proletarier es wagen, die Röcke der Ehrbarkeit anzuziehen! Waren sie doch nur dazu da, sie zu verfertigen, nicht zu verbrauchen – was nach diesen Geschichtsschreibern ein unveräußerliches Vorrecht der Besitzenden ist.
»König Johann« ließ sich auch eine Krone machen, auf deren Herstellung viel Kunstfleiß verwandt worden sein soll. Doch darin ist kein »Größenwahnsinn« zu sehen, sondern nur das bewußte Streben, sich vor den beschränkten Massen dadurch ein Ansehen zu verschaffen, daß der erwählte Volkskönig sich mit den Attributen der Herrscherwürde zeigte. Dasselbe Streben zeigen die Münzen, welche Johann prägen ließ, zum Teil mit der Aufschrift versehen: »Ein rechter König über Alle; ein Gott, ein Glaube, eine Taufe.« (Bild 282 und 284.)
Je länger die erwartete Hilfe von auswärts zur »Aufrichtung des Reiches Gottes« auf sich warten ließ, je fester der Ring der Belagerer die Stadt umzog und je kümmerlicher die Ernährung der Bevölkerung wurde, desto tiefer fraß sich naturgemäß eine dumpfe, lähmende Angst beim Volke fest. Draußen griffen die bischöflichen Reisigen und Landsknechte alle Täufer auf, deren sie habhaft werden konnten, und der Bischof, der sich in gleichzeitigen Briefen nicht genug über die Austreibung der Nichttäufer durch die Täufer aus Münster entrüsten konnte, »bekehrte« alle ihm in die Hände fallenden Täufer auf eine einfache Weise: wars ein Mann, wurde er geköpft, wars eine Frau, wurde sie ersäuft. Die Täufer kannten das Schicksal, das ihrer harrte, wenn sie den Belagerern in die Hände fielen. Die Schlacht bei Frankenhausen, die Blutgerichte des Truchseß in Franken und Schwaben, die Ketzerverfolgungen durch die Heere der Kirche … das Alles schrieb ihnen ihr Schicksal mit roter Flammenschrift an die Wand. Im April 1535 wurde die Vernichtung der Wiedertäuferei in Münster durch den Reichstag in Worms zu einer Angelegenheit der Reichsgewalt gemacht, und aus Reichsmitteln wurden die nötigen Gelder aufgebracht. Wehe den Besiegten! In solcher Situation suchte nun Johann von Leyden der Volksmasse Zerstreuungen zu bieten und dergestalt ihren Mut aufzurichten, und es gelang ihm dies auch in so glücklicher Weise, daß das Volk bis zuletzt guten Mutes blieb. Wenn die Massen nicht mit Berufs- oder Ackerarbeiten beschäftigt, nicht an Festungs- und Verteidigungstätigkeit beteiligt, waren, so wurden die Wehrpflichtigen zusammenberufen und vor der Bevölkerung eine pomphafte militärische Übung abgehalten, die ihren Mut erhöhte. Oder die ganze Bevölkerung vereinigte sich zu einem Liebesmahle, bei welchem sie mit Jubel und Scherzen ihr kümmerliches Hungerbrot verzehrte. Der »König« und die »Königin« gingen dabei mit Schüsseln und Krügen von Tisch zu Tisch und bedienten die Gemeinde, also bezeigend, daß sie selbst nicht mehr sein wollten wie der Letzte am Tische. Ihre Feinde im Lager vor Münster machten daraus, als sie zu ihrem Ärger Kenntnis von der unverwüstlichen Lebensfreude der Belagerten bekamen, tolle Schwelgereien mit Blutopfern und Wollustorgien. Volksbelustigungen aller Art, bunt dekorative Umzüge, sogar Theatervorstellungen veranstaltete Johann für das Volk. In Letzterem bediente er sich mit Geschick der Mittel der kirchlichen Kunst. Bereits früher haben wir gesehen, daß das kirchliche Schauspiel ein wesentliches rhetorisches Machtmittel war, durch welches der Klerus Einfluß auf das Volk übte. Der Wiedertäuferführer ließ es neu aufleben. »So hat der König eine Bühne machen lassen, mit Gardinen umher behangen, auf dem Chor in dem Dom, wo der Hochaltar steht, den ein jeder umher sah, da spielten sie das Spiel vom reichen Mann und vom armen Lazarus. So haben sie das Spiel angefangen und haben gespielt und haben die Sprüche gegeneinander getan. Wenn der Mann einen Spruch getan hatte mit Lazarus, so standen am Fuße der Bühne drei Pfeifer mit Querpfeifen und spielten ein Stück mit drei Stimmen. Dann begann der reiche Mann wieder zu sprechen und dann spielten die Pfeifer wieder. So dauerte das Spiel bis zum Ende. Zuletzt sind Teufel gekommen und haben den reichen Mann mit Leib und Seele geholt und hinter die Gardine geführt. Da war ein großes Lachen in dem Dome, da sahn sie große Freude.« (Gresbeck.) Das alte kirchliche Schauspiel des Mittelalters! Aber nicht mit dem düsteren Charakter klerikaler Dichtkunst, sondern in einer heiteren volksfreundlichen Art die Erhöhung der Armut über den Besitz darstellend.
Innerhalb der belagerten Stadt konnten die Wiedertäufer nicht dazu übergehen, eine vollständige kommunistische Ordnung aufzurichten. Sie blieb auf die Anfänge beschränkt. Nur das Privateigentum an Gold und Silber wurde aufgehoben und mit dem zusammengekommenen Gelde wurden die Reisekosten der Sendboten in die befreundeten Städte bestritten, sowie Landsknechte für die Verteidigung angeworben. Im übrigen bestand das Privateigentum weiter. Die Truppen, die beständig zur Verteidigung der Tore und Wälle unter Waffen waren, wurden in »Gemeinhäusern« bei den Toren in gemeinschaftlichen Mahlzeiten gespeist, Männer und Frauen, denn auch die Frauen beteiligten sich mit heldenmütiger Ausdauer an der Verteidigung Münsters. Es ging förmlich streng bei diesen Mahlzeiten her. Die Brüder und Schwestern mußten »jedesmal gesondert an ihren Tischen ganz bescheiden und mit gehöriger Schamhaftigkeit sitzen und keine andere Speise fordern als diejenige, so aufgetragen worden.« (Kerssenbroick.) Besondere Diakone sorgten in den einzelnen Kirchspielen für die Bedürftigen. Sie stellten den Lebensmittelvorrat der Stadt fest, legten später, als der Hunger aus allen Winkeln hervorgrinste, Beschlag darauf und gaben Lebensmittel an die einzelnen Familien ab. Auch wurde an jedes Haus Saat verteilt und auf dem zwischen und hinter den Häusern vorhandenen Acker- und Gartenboden gesäet, damit Kohl, Rüben, Bohnen, Erbsen gezogen werden konnten. Die Not machte die eingeschlossene Stadt erfinderisch im Auffinden von Hilfsquellen.
Aber alle Erfindungskunst vermochte nicht den größten und unerbittlichsten Feind: den Hunger, zu bannen. Der trat aus den Winkeln heraus in die Gassen, zog durch die ganze Stadt und wuchs riesengroß empor. Er tötete Kinder und Männer und Frauen und Greise. »Der gemeine Mann«, sagte ein von den Bischöflichen aufgefangener Sendbote, »Weiber und Kinder leiden großen Hunger und Kummer und schreien auf den Gassen elendiglich nach Brot. Sie leben von Gras und grünem Kraut.« »Man aß gesottene Schuhlappen und Pferdehäute, man schabte den Anstrich der Wände ab und trank ihn in Wasser.« Scharenweise mußten die Verhungerten gegen Ende der langen Belagerung in die Grube gelegt werden. Der Schreiner Gresbeck berichtet: »Sie haben zuerst gegessen Pferde, das Haupt mit den Füßen, Leber und Lunge. Sie haben gegessen Katzen, Hunde, Mäuse, Ratten, große breite Muscheln, Frösche und Gras und ist Moos ihr Brot gewesen. Solange als sie Salz hatten, ist das ihr Fett gewesen. So haben sie auch Ochsenhäute gegessen und alte Schuhe haben sie eingeweicht und haben sie gegessen … Ihre Kinder starben vor Hunger, die Alten starben vor Hunger, der Eine starb über den Andern.« Hieran knüpften die Belagerer die Verleumdung, »König Johann« habe mit den Seinen im Überfluß geschwelgt, während alles ringsum den Hungertod erlitt. Nur so konnte es nämlich der fromme Bischof von Münster »rechtfertigen«, daß er trotz allem gräßlichen Hunger und Elend das »Ketzernest« weiter durch seine Landsknechte grausam umklammert hielt. Was läßt doch Schiller den König Philipp sagen? »Der Verwesung lieber als der Freiheit …«
Und an die eine Verleumdung hingen die Belagerer eine andere, die »Vielweiberei« der Wiedertäufer.
Münster hatte nach begonnener Belagerung eine besonders starke weibliche Bevölkerung. Viele der geflohenen Bürger hatten ihre Frauen zurückgelassen. Anderen starben die Männer im Kampfe. Auch das weibliche Gesinde war in der Stadt geblieben. Nach etwa fünf Monaten der Belagerung befanden sich wohl an dreimal soviel Frauen als Männer in Münsters Mauern. Eine solche Überzahl von Frauen mußte in der im Kriegszustande befindlichen Stadt Unzuträglichkeiten aller Art hervorrufen. Der von den Frauen am schlimmsten empfundene Übelstand war wohl der, daß sie schutzlos waren. Dann aber werden wohl auch in der Stadt, da ein großer Teil der männlichen Bevölkerung ledig war, sittliche Exzesse vorgefallen sein. Derlei Vorfälle aber wurden gerade von den Wiedertäufern übel vermerkt. Ihre ganze Lebensauffassung war der strengen Askese des Urchristentums verwandt. Die »Fleischeslust« war eine der heftigsten Anklagen, welche die wiedertäuferischen Agitatoren gegen die herrschende Gesellschaft schleuderten. Mieden sie das Weib auch nicht, so hatten sie doch eine überaus strenge Auffassung über den Geschlechtsverkehr, ähnlich den urchristlichen Asketen, die sich zergeißelten und marterten, um den »Fleischesteufel« zu bekämpfen. Ein besonderes Zukunftsideal der Wiedertäufer war der Gesellschaftszustand, da man »reine Frucht« zeugen werde, ohne »sündliche Fleischeslust«. Rothmann, der münsterische Wiedertäuferprediger, war von einer so strengen Auffassung, daß er öffentlich den Beischlaf mit schwangeren oder unfruchtbaren Frauen als Sünde verurteilte, weil hier »nur die Lust«, nicht die Vermehrung der Art Ursache sei.
Auf solche allen Wiedertäufern gemeinsame strenge Lebensauffassung, die den Geschlechtsverkehr als Sünde betrachtete, mußte es also doppelt anstößig wirken, als sich die ersten Folgen des Kriegszustandes in der Lockerung der Sitten zeigten. Ledige Frauen ließen sich wohl von Landsknechten und täuferischen Soldaten umarmen. Da griff die Stadtregierung, in der sich die strengsten und konsequentesten Elemente der Wiedertäufer befanden, zu dem Auskunftsmittel, die sämtlichen in der Stadt wohnenden, unbemannten Frauen den Haushaltungen der Eheleute anzugliedern. Mit der Ehefrau teilten sie des Mannes Haushalt. Sie standen unter seinem Schutz und – entsprechend der beschränkten Auffassung der Zeit von der Untertänigkeit der Frau – auch unter seiner Aufsicht. Die Zuzüglerinnen waren den Männern nicht Weib, sondern nur Hausgenossinnen, für deren Schutz und Wandel sie sorgen sollten. Es war nicht die »Vielweiberei«, es war gerade die Verhinderung der Vielweiberei, welche die Täufer durch ihre Neuordnung erstrebten. Daß sie sich für die Begründung derselben, anstatt auf die wirklichen Vorfälle während der ersten fünf Belagerungsmonate, auf das alte Testament und die Patriarchen des jüdischen Volkes bezogen, entspricht nur dem ganzen Charakter der Wiedertäufer, stets ihre Gesetzgebung mit den biblischen Schriften zu begründen. Es ist nur natürlich, daß bei einem so engen Zusammenwohnen der Geschlechter diese strenge Ordnung, welche die wiedertäuferische Regierung aufgerichtet hatte, auch durchbrochen worden ist. Aber es war die Ausnahme, nicht die Regel, und solche Fälle wurden, wenn man Kenntnis davon erhielt, hart bestraft; wie denn die Wiedertäufer überhaupt die Ordnung mit drakonischer Strenge handhabten. So ward die Ehefrau Barbara Butendick, welche gegen ihren Mann zu unrecht den Vorwurf erhoben hatte, daß er »mit seinen übrigen Weibern und Mitschwestern nicht geistlich, sondern fleischlich lebe und sich mit ihnen öfters fleischlich vermische,« wegen dieser ungerechten Anschuldigung zum Tode verurteilt, jedoch begnadigt, nachdem sie ihren Mann um Verzeihung gebeten hatte. (Kerssenbroick.)
Gegenüber den wenigen erhalten gebliebenen einwandfreien Tatsachen löst sich die Wolke von wüsten Lügen der Belagerer über die »Vielweiberei« der münsterischen Wiedertäufer in Nichts auf. Wäre aber wirklich das wiedertäuferische Münster das Babel gewesen, als welches die gegnerische Geschichtsschreibung es schildert, so hätten die Belagerer daran allein die Schuld. Denn die eiserne Umklammerung Münsters wäre die ursächliche Veranlassung zur »Auflösung der sittlichen Ordnung« gewesen, von welcher diese Geschichtsschreiber reden.
Aber es ist alles entstellt und übertrieben. Die glänzende und ausdauernde Verteidigung Münsters durch die Täufer zeugt von einer strengen Selbstzucht im Innern. Woher sollten auch die verhungernden Massen, die Kalk von den Wänden kratzten und Schuhe weichten, um sie zu verzehren, die Kraft zu den neronischen und orientalischen Ausschweifungen nehmen, die ihre biederen Feinde ihnen nachsagen.
Mit dem Mute der Verzweiflung wehrte sich das proletarische Volk Münsters gegen seine Feinde. Und die Frauen taten es den Männern gleich. Als Johann von Leyden einmal gegen die Belagerer ausrückte, liefen auch die »Frauensleute« auf den Musterungsplatz, den Domhof. »Derer waren an Dreihundert. Sie kamen mit ihren Gewehren angerückt; die eine hatte eine Hellebarde, die andere einen Spieß und gingen so in der Ordnung.« Einundfünfzig wurden ausgewählt. »So haben sie den andern Tags alle die Frauensleute auf den Domhof lassen kommen, die in der Stadt bleiben wollten, von den jüngsten Frauensleuten. Dieselben sind auch gekommen mit ihrem Gewehr und sind auf dem Domhof in der Ordnung umhergegangen, gleich wie ein Haufen Landsknechte.« So stellte sich das zum Denken erwachte Weib aus dem Volke kämpfend neben den Mann und focht mutig für sein Ideal.
Das wiedertäuferische Verteidigungsheer war zu seiner besten Zeit 1500 Köpfe stark, während der Bischof von Münster bald nach Beginn der Belagerung 8000 Landsknechte in seinem Lager beisammen hatte. Trotz dieser Übermacht hielten die Täufer die Belagerer im Schach und schickten sie, als sie die festen Mauern Münsters im Sturm nehmen wollten, mit blutigen Köpfen heim. Gleich beim ersten Sturm am 25. Mai 1534 erlitten die trunkenen Landsknechte eine schwere Niederlage und beim zweiten Versuch, Münster im Sturm zu nehmen, büßten Tausende von Knechten ihr Leben ein. So schwer war diese Niederlage, daß sie noch lange im Gedächtnis des Kriegsvolkes haften blieb. In der Schenke und am Lagerfeuer hörte man die Landsknechte singen:
»Die Landsknecht waren in großer Noth,
Da blieben wohl dreitausend todt
Zu Münster unter den Mauern.
Wußten mein Vater und Mutter dat,
Sie sollten mir helfen trauern.«
Der zähe Kampf Münsters tat auch seine Wirkung weit ins Land hinaus. Das Schauspiel, wie ein Bischof mit seinem Heere eine ganze große Stadt umklammert hielt, um die Bevölkerung langsam verhungern zu lassen, war selbst für jene an Blut und Grausamkeit gewöhnte Zeit zu gräßlich, um nicht überall Empörung hervorzurufen. Die geheimen Predigten münsterischer Sendboten, die verzweiflungsvollen Hilfsschreiben der belagerten Wiedertäufer bewirkten dazu eine fieberhafte Tätigkeit der wiedertäuferisch-kommunistischen Anhänger und Organisationen. »Es war im Jahre 1534 und 1535, wie wenn auf geheimen Bund und Absprachen der gemeine Mann in ganz Westfalen und Rheinland und den holländischen Landen und insgesamt dem nördlichen Deutschland und noch höher im Norden sich erheben wollte und Geistlichkeit und Adel und alle Besitzenden verjagen oder ermorden und alle christliche Ordnung umstürzen und die Güter teilen wollte.« (Aufzeichnungen eines Trierer Ungenannten über Zeitereignisse 1527-43, zitiert bei Janssen.) Begreiflich, daß das ganze Herrentum die Sache des Bischofs von Münster zur seinigen machte und des Reiches Kraft zur Niederwerfung der münsterischen Wiedertäufer aufbot. Wenn Münster gefallen war, dann war der Kommunismus in ganz Norddeutschland tot.
In der Umgegend Münsters war zumal die Bevölkerung von Coesfeld, Warendorf, Osnabrück, Hamm und der ganzen Grafschaft Mark erregt. In Hamm fand auf dem Kirchhofe eine Versammlung statt, in welcher ein wiedertäuferischer Agitator das Volk aufforderte, »die Hände darein zu schlagen und den Blutsäufer, den Bischof, von Münster fortzujagen!« In Essen und Wesel und in den Städten und Orten den Rhein hinauf waren die Wiedertäufer eifrig tätig. In Wesel kauften sie heimlich Waffen zusammen, um auch diese Stadt zur Erhebung zu bringen. In dem alten dem Klerus ergebenen Köln zählte man siebenhundert Täufer und der Erzbischof besorgte sich sehr um einen »Pöbelaufstand«. Selbst in dem kleinen Mörs, sowie rheinaufwärts in den nahe Bonn gelegenen damaligen Bauernschaften Beuel und Königswinter redeten wiedertäuferische Sendboten zum Volke. Vom uralten Aachen aus, wo im Dom Kaiser Karls Gebeine moderten, zogen sich die geheimen Fäden der täuferischen Agitation bis nach Lüttich und Maastricht. In den nördlichen Niederlanden gab es »kaum einen Flecken oder eine Stadt, in denen nicht die Fackel des Aufruhrs der Wiedertäufer heimlich glühte. Weil sie die Gemeinschaft der Güter predigen, so ziehen sie alle Besitzlosen an.« (Erasmus Schetus.) Besonders stark waren sie in Amsterdam, wo man eine Revolution befürchtete. Die »vom Geist ergriffenen« Propheten boten einen erschreckend seltsamen Anblick dar, wenn sie in der Ekstase, gleichviel ob Weib, ob Mann, nackten Leibes durch die Straßen liefen und schrieen: »sie seien von Gott gesendet, um den Gottlosen die nackte Wahrheit zu verkünden!« (Bild 283.) Es war die Raserei eines von hilfloser Verzweiflung über sein Elend erfaßten Volkes. Doch überall griffen die Behörden zu; das Henkersschwert fiel auf den Nacken der »Rädelsführer« und schuf Ruhe in den Städten und Dörfern. Die holländischen Täufer kamen im März 1534, ein paar tausend Mann stark, auf Schiffen den Rhein herauf, um durch einen kühnen Marsch einen Versuch zum Entsatze Münsters zu machen. Die Übermacht holländischer Truppen trieb jedoch die einzelnen Haufen schon bei Vollenhove auseinander. Es kam keine Hilfe.
In Bremen ging der Rat gegen die »ihr Gift aussäenden Wiedertäufer«, die »vielen aufrührerischen Schriften und Bücher aus Münster und von anderen Orten« mit scharfen Verordnungen vor und unterdrückte jegliche Agitation. In Lüneburg, Braunschweig, Rostock, Wismar, überall, wo sich münsterische Sendboten zeigten, trat ihnen die herrschende Klasse entgegen, trieb sie aus der Stadt hinaus und unterdrückte ihre Anhänger.
Nur aus Lübeck, der Stadt der reichen Seehandelsherren, schien Münster noch einmal Hoffnung auf Entsatz zu winken. Die Belagerer fingen im Mai 1534 einen lübischen Boten auf, Johann von Elheede. Der war von der Stadt Lübeck ausgesandt, sich in Münster umzusehen, dann zurückzukommen und zu berichten. »Könnten sie alsdann denen von Münster Hilfe tun mit Entsetzung oder anders, wollten sie sich darin beweisen.« In Lübeck hatte nämlich unter der Führung des kühnen Jürgen Wullenweber die Demokratie gesiegt und die Vorherrschaft der Kirche und der Geschlechter gebrochen. Der lübische Klerus, der sich an den fromm gespendeten Schenkungen der reichen Handelsherren gesättigt hatte, sah all' seine Kleinodien, seine Kunstschätze, sein Gold und Silber in den Händen des Volkes verschwinden. 1533 ergriff Wullenweber als Bürgermeister das Regiment der Stadt, Lübeck fiel von der alten Kirche ab und beteiligte sich tatkräftig an der Niederwerfung der klerikalen Macht längs der Seeküste. Die lübische Demokratie stützte sich auf die breite Masse des arbeitenden Volkes: die Handwerker, Arbeiter und Schiffer. So mußte sie denn auch dem politisch-ökonomisch-religiösen Ideal des arbeitenden Volkes, dem Kommunismus im Gewände der Wiedertäuferei, gewisse Konzessionen machen. Doch seit dem Mai 1534 wurde Lübeck in einen unglücklichen Krieg mit Dänemark verwickelt, der zum Sturze der Demokratie führte. Lübeck brauchte seine Waffen für sich selbst und konnte nicht mehr an einen Feldzug zugunsten Münsters denken.
In ihrer Ratlosigkeit wandten sich die Wiedertäuferführer sogar hilfesuchend an den Landgrafen Philipp von Hessen. Dieser galt neben dem sächsischen Fürsten als der besondere Vorkämpfer für die evangelische Sache in Deutschland. Die Wiedertäufer wußten sehr wohl, daß von ihrer Niederlage nicht bloß der Kommunismus im besonderen, sondern die kirchliche Reformation im allgemeinen schweren Schaden haben werde. Nur das Papsttum konnte davon profitieren, wenn der Bischof von Münster der Wiedertäufer Herr wurde; wie denn in der Tat nach der Niederwerfung der Täuferei auch die Sache der Reformation in Münster und seiner Umgegend begraben war. Vom Standpunkt der Reformation konnte also der Landgraf von Hessen nicht ruhig zusehen, wenn auf einem benachbarten Territorium die eben niedergeworfene Kirchenmacht sich glänzend restituierte. Solcher Triumph mußte den Landgrafen politisch schwächen. Auf diesen Gegensatz bauend, schrieben sie an ihn als einen »freundlichen Gönner der Wahrheit.« Mit logischer Schärfe setzten sie dem Fürsten auseinander: »Daß die Papisten uns entgegenstehen und verfolgen, das haben sie nach ihrem Gottesdienste Recht und Bescheid; aber daß die Evangelischen, die da wollen der frommen Wahrheit Freunde und Liebhaber Christi geachtet sein, den Papisten beifallen und helfen, wer mag solche Unbescheidenheit genugsam aussprechen?« Die vermeintlichen Evangelischen, die Lutherischen oder die Zwinglischen wollten sie der Unrechtmäßigkeit ihres Tuns aus der Schrift überführen. »Bis an den heutigen Tag ist uns keine andere bescheidenliche Antwort begegnet, denn wir seien Ketzer … Was wir leiden, ist um der Gerechtigkeit willen. Darum sind wir auch ganz unverzagt.« Mit prophetischem Zukunftsblick ist der Siegeslauf, den, trotz aller blutigen Verfolgung, die kommunistische Idee durch die arbeitenden Klassen aller Länder gemacht hat, vorausgesagt in den stolzen Worten: »Unser Beginnen ist das Feuer, das von Gott angeschürt ist. Alle Wasser der Erde sollen es nicht auslöschen mögen. Die Welt weine oder lache, so wird doch der kleine Stein zu einem solchen Berge wachsen, daß er die ganze Welt soll bedecken!« Auch mit diesem Seherwort zeigen sich die gehaßten Wiedertäufer abermals als die ihrer Zeit weit vorauseilenden Geister.
Die Wiedertäufer erkannten wohl richtig, daß der Landgraf gegen sein politisches Interesse handelte, wenn er den münsterischen Bischof siegen ließ, aber sie übersahen dabei, daß ihm sein wohlverstandenes Klasseninteresse solches um so mehr gebot. Vertrug sich ihr Kommunismus mit den biblischen Schriften, so vertrug er sich keineswegs mit den weltlichen Herrenrechten. Diese seine Herrenrechte 1535 vor Johann von Leyden ebenso zu schützen wie 1525 vor Thomas Münzer, machte sich Philipp von Hessen denn auch alsbald bereit. Zuvörderst sandte der evangelische Landgraf dem katholischen Bischof ein paar Fähnlein eigner Landsknechte zur Unterstützung gegen die Täufer und bewies damit, daß es bei der Vernichtung der Reste des mittelalterlichen Kommunismus für die herrschende Klasse keinen Unterschied des Glaubens gab. Dann schrieb er den Münsterischen einen langen Brief, in dem er sich umständlich mit einer Widerlegung ihrer Lehren abmühte. Verwerflich erschienen ihm insbesondere die Lehren von der Gütergemeinschaft und von der Vielweiberei. Das erstere war bei einem so großen Territorialeigentümer sehr begreiflich; bezüglich des letzteren aber war seine Entrüstung sehr überflüssig, sintemalen er selbst später zwei Frauen hatte.
So waren denn die wiedertäuferischen Kämpfer in Münster von aller Hilfe entblößt. Ihre Not stieg immer höher. Über die Mauern der eingeschlossenen Stadt blickten die hohlen Hungergesichter der »Ketzer« auf das Lager der Landsknechte, die sichs bei Trunk und Würfel und Karten wohl sein ließen, bis das Ketzernest sich dem Bischof ergeben würde. Die Belagerten konnten kaum mehr einen Schuß tun, weil ihr Pulvervorrat fast ganz zusammengeschmolzen war. »Die Weiber, Kinder und Männer liegen und gehen alle krank, etliche an Krücken. Sind alle geschwollen, machtlos, dürfen nicht weit vor das Tor gehn, denn sie könnten unsern Knechten nicht entlaufen.« Der Hunger nahm den Unglücklichen den Verstand. Insonders die Weiber waren wie rasend. Einige erhoben sich durch rasende Sprünge von der Erde, gleich als wollten sie fliegen. Einige wälzten sich im Kot; andern stand der Schaum vor dem Munde. Einige schrieen: sie sähen den Vater mit vielen tausend Engeln umgeben, wie er die Rute in der Hand halte, um die Gottlosen zu züchtigen …« Knipperdolling warf sich nieder und »wühlte wie ein Schwein in der Erde mit dem Angesicht.« Ein anderes Mal »fiel er nieder, schäumte und schrie laut: er müsse sterben oder aufstehen und Blinde sehend machen; denn Solches sei des Vaters Wille.« (Cornelius.)
Seit der Niederwerfung der kommunistisch-täuferischen Bewegung im nahen Holland war kein Entsatz mehr zu erwarten. Die münsterischen Kämpfer waren rettungslos verloren. Da ließ Johann von Leyden vier Tage lang freien Abzug für alle verkünden, die nicht mehr in der Stadt bleiben wollten. Viele gingen hinaus, Männer und Frauen. Draußen schlugen die Landsknechte des Bischofs sie nieder oder schleppten sie in harte Gefangenschaft. Die jungen Frauen aber trieben sie ins Lager, um die Unglücklichen dort bis zur Besinnungslosigkeit zu mißbrauchen. Die Bischöflichen hätten die Belagerung noch länger fortgesetzt, um auch den letzten Rest der Täufer im Hunger umkommen zu lassen. Doch da ward ihnen hinterbracht, Johann von Leyden habe den Plan, wenn ihm das Messer an der Kehle sitze, Münster an mehreren Stellen in Brand zu stecken und zu versuchen, sich mit dem Rest der Täufer nach Holland durchzuschlagen. Nicht sowohl die eine Aussicht, »die Rädelsführer« im Wirrwar eines Brandes entwischen zu sehen, als die andere, anstatt des festen Münster einen rauchenden Aschenhaufen zu erhalten, versetzte den Bischof in große Erregung. Hatte ihm doch der Ankauf dieses münsterischen Bischofssitzes Geld genug gekostet, welches er aus der Stadt wieder herauswirtschaften wollte. Eine wüste Brandstätte war keinen Pfifferling wert. Die Belagerer nahmen deshalb das Anerbieten des aus der Stadt heimlich entwichenen Schreiners Gresbeck an, sie über eine unbesetzte Stelle der Umwallung in die Stadt zu führen. Die Verteidiger der Stadt waren ja in Hunger und Elend so zusammengeschmolzen, daß sie längst nicht mehr alle Punkte besetzt halten konnten. In der Nacht des 25. Juni 1535 – nach sechszehnmonatiger Belagerung – brachte der Verrat das bischöfliche Heer über Münsters Mauern (Bild 285). Aber selbst bei diesem nächtlichem Überfall, der die Wiedertäufer völlig überraschte, hätten die Feinde durch ihr Ungeschick beinahe verloren. Erst gegen Morgen gewannen sie die Stadt. Aber selbst in den engen Gassen noch, als alles verloren war, kämpften die Halbverhungerten wie die Löwen mit ihren grausamen Gegnern. Ein Rest von zweihundert Mann setzte sich auf dem Markte fest und verbarrikadierte sich dort so furchtbar, daß die Bischöflichen besorgten, es würden gar viele Knechte ihr Leben lassen müssen. Aber man konnte den Sieg billiger haben. Einem Ketzer brauchte ja nicht Treu und Glauben gehalten zu werden. So ward dem Rest der Kämpfer freier Abzug und sicher Geleit versprochen. Und sie legten die Waffen nieder und traten heraus. Aber kaum waren sie wehrlos, da fielen auch die Kriegsknechte schon über sie her und metzelten sie nieder.
Dann raste der Mord durch Münsters Gassen. Aus den Häusern, aus den Verstecken holten sie die Überlebenden hervor und stachen sie nieder. Die hungernden Frauen trieben sie hinaus, daß sie sich in der Ferne, verjagt von ihrer Scholle, eine neue Existenz erbitten und erbetteln mußten. Der Bischof hatte den Frauen Gnade verheißen, wenn sie von der Wiedertaufe abließen. Es waren aber »derselbigen wenig befunden worden.« So mußten sie denn hinaus, soweit sie nicht gerichtet oder von den Landsknechten erschlagen wurden. Die unglückliche Stadt selbst aber verlor alle ihre Rechte an den Bischof, der von nun an ihr unumschränkter Herr wurde.
Johann von Leyden, Bernt Krechting (Bild 278) und Knipperdolling waren lebend den Bischöflichen in die Hände gefallen. Diese brachten sie ihrem Herrn.
»Bist du ein König?« frug der Bischof höhnisch Johann von Leyden.
»Bist du ein Bischof?« antwortete der Gefragte.
Die gefangenen Täuferführer wurden einem schrecklichen Kerker überantwortet. Der Bischof ließ eigens eiserne Halsbänder für sie schmieden. An diesen und an ihren Ketten wurden sie durch das ganze Münsterland geschleppt. Auf den Marktplätzen und bei den Kirchen stellte man sie aus, quälte und marterte man sie vor allem Volke. Unter solchen Qualen kamen die Unglücklichen körperlich und geistig herab. Nicht mehr sie selbst, standen sie da und mußten allen Hohn, alle Beschimpfung, alle Mißhandlung eines vom Klerus gegen sie aufgestachelten Volkes ertragen. Und doch hatten sie mit Einsetzung ihres Lebens heldenmütig und selbstlos für dieses Volk gekämpft, um Knechtschaft und Not von ihm zu nehmen und ihm eine schönere Zukunft zu bauen. Aber alles Schöne und Gute ihres Strebens war unter einem Berg von Lügen begraben worden. In ihren Ketten, in ihren Qualen erschienen sie dem Volke wie der Auswurf der Menschheit. Gerade das bezweckten die Sieger mit diesem Umherschleppen. Das Volk unterwarf sich demütig der Herrenfaust. Die ganze alte Kirchenmacht wurde im Münsterlande erneut aufgerichtet und der letzte Rest des christlich-mittelalterlichen Kommunismus floh aus seinen Schlupfwinkeln über die Grenzen.
Endlich, am 22. Januar 1536, winkte den Gepeinigten das Ende ihrer Qual durch den Tod. Doch selbst den Tod mußten sie sich durch die gräßlichsten aller Qualen erkaufen. Sie wurden auf den Markt von Münster geschleppt, an die Stelle, wo Johann von Leyden als »König von Zion« auf dem Thron gesessen hatte. Eine unzählige Menschenmenge stand Kopf an Kopf, und auch der fromme Bischof war anwesend, um die letzten Zuckungen seiner Opfer zu sehen, ihre letzten Schreie zu hören. Kerssenbroick, Rektor an der Domschule zu Münster, schildert in seinem in den sechziger Jahren des sechzehnten Jahrhunderts erschienenen Werke »Geschichte der Wiedertäufer zu Münster«, als Augenzeuge die Hinrichtung folgendermaßen:
»Und alsbald haben die Schinder zuerst den König in das Halseisen eingeschlossen und an den Pfahl gebunden, hiernach die glühende Zange ergriffen und denselben an allen fleischigen und übrigen Teilen seines Leibes dergestalt gezwickt, daß von einem jeden Ort, der von der Zange berührt wurde, die Flamme herausloderte und ein solcher Gestank entstand, daß beinahe alle, die auf dem Markte standen, solchen Geruch in ihren Nasen nicht ertragen konnten. Mit gleicher Strafe sind auch die übrigen belegt worden, welche jedoch diese Folter mit weit größerer Ungeduld und Empfindlichkeit als der König ausstanden und ihren Schmerz durch vieles Wehklagen und Rufen zu erkennen gaben. Als aber Knipperdolling durch den Anblick der entsetzlichen Marter geängstigt wurde, so hängte er sich an das Halseisen, mit welchem er an den Pfahl angebunden war, suchte sich damit die Kehle abzuschneiden und seinen Tod zu beschleunigen; allein da dieses die Schinder wahrnahmen, richteten sie ihn wieder auf, rissen ihm den Mund weit auseinander, zogen ihm ein Seil durch die Zähne und banden ihn so fest an den Pfahl, daß er weder sitzen, noch sich die Kehle abreißen, noch sich, da ihm die ganze Kehle aufgesperrt war, ersticken konnte. Als man sie aber lange genug gemartert hatte und sie noch lebendig waren, riß man ihnen endlich mit einer glühenden Zange die Zunge aus dem Halse und stieß ihnen zugleich, so stark man konnte, einen Dolch in das Herz.« (Bild 289.) Die dergestalt entsetzlich zugerichteten Leichname Johanns von Leyden, Knipperdollings und Krechtings hingen die Blutrichter in drei eisernen Käfigen hoch an den Turm der St. Lambertikirche, während man die Zangen, womit die Henker sie so schrecklich zugerichtet hatten, auf dem Markt an einem Pfeiler des Rathauses aufhing, »allen Aufrührern und Widersetzlichen gegen die ordentliche Obrigkeit zum Beispiel und Schrecken.« So schuf der Bischof Ruhe im Münsterlande.
Mit dem Fall Münsters war der christliche Kommunismus des Mittelalters begraben. Nicht bloß in Deutschland, auch im Auslande verlor er seine alte Kraft. Er verkroch sich in die Winkel und löste sich auf in das kleine bedeutungslose Sektentum, welches neben der Kirche fortbestand, ohne ihr oder dem weltlichen Herrentum gefährlich zu sein.
Der urchristliche Kommunismus war mit der römischen Gesellschaft zugrunde gegangen. Der christliche Kommunismus des Mittelalters wuchs und ging unter mit dem Wachstum und dem Zusammenbruche der ökonomischen Vorherrschaft der mittelalterlichen Kirche. Die neuen wirtschaftlichen Kräfte und politischen Mächte weiteten auch den geistigen Blick des Proletariats über den bisherigen Wirkungskreis hinaus.
Die Wiedertäuferei war das Erbe des Mittelalters. Sie war die letzte Form, unter welcher sich der mittelalterlich-christliche Kommunismus zur Geltung brachte. Nach seiner Niederwerfung spielte das Volk keine Rolle mehr in den Kämpfen der Zeit. Aber mit der blutigen Beiseitedrängung des Volkes brach auch eine düstere Reaktion über Deutschland herein. Es schien, als solle unser ganzes Kulturleben in Barbarei versinken.