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Blühender Zustand der Niederlande. – Ketzerverfolgungen unter Karl V. – Die Brüskierungs- und Gewaltpolitik Philipps II. – Die Gründung des Geusenbundes. – Der Bildersturm. – Das Blutgericht Albas. – Die Ermordung Oraniens. – Sieg der Niederlande. – Ein Blutakt des Calvinismus. – Die Niederlande als Weltmacht. – Der Fluch der spanischen Pfafferei. – Protestantenverfolgungen in Frankreich. – Entstehung der Hugenottenpartei. – Der Kampf um die Herrschaft in religiöser Vermummung. – Die Ermordung des Herzogs von Guise. – Die Bartholomäusnacht oder die Pariser Bluthochzeit. – Freude des Papstes über den Massenmeuchelmord. – Die Liga. – Die Ermordung Heinrichs III. – Der Hugenottenführer als König. – Der Sieg des Absolutismus. – Die Abfindung der Junker und Pfaffen. – Das Resultat der Religionskriege für das Volk.
Was für Deutschland der dreißigjährige Krieg, das waren für die Niederlandeund Frankreich die furchtbaren Religionskriege, die in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die entsetzlichsten Verheerungen über diese unglücklichen Länder brachten. Allen Scheußlichkeiten einer entmenschten Kriegsführung, die den dreißigjährigen Krieg so berüchtigt gemacht haben, begegnen wir auch bereits in den Religionskriegen in den Niederlanden und in Frankreich.
Wenn wir von Religionskriegen sprechen, so muß diese Bezeichnung mit dem nötigen Körnchen Salz verstanden werden. Religionskriege, bei denen es sich ganz allein um Glaubensstreitigkeiten gehandelt hätte, hat es nie gegeben. Das religiöse Moment war stets nur eine Begleiterscheinung, auch wenn es noch so sehr im Vordergrund zu stehen schien. Die Religion war immer nur die Maske, unter der man bestimmte politische und soziale Interessen verfocht. Für die Kirche bedeutete jede Glaubensabweichung eine Gefährdung ihrer materiellen Herrschaft. Das Volk hatte von der »evangelischen Freiheit« zugleich eine Befreiung vom politischen und sozialen Druck erwartet – man erinnere sich nur an den Bauernkrieg und die Wiedertäuferbewegung. Und wenn die Fürsten in dem Religionsstreit Stellung nahmen, so hatten sie dafür ebenfalls die triftigsten politischen Beweggründe.
Die Reformation war von den deutschen Fürsten als Mittel benutzt worden, die despotische Gewalt nach innen und die Unabhängigkeit nach außen zu erringen. Dem habsburgischen Kaiserhaus, dessen Macht durch die wachsende Unabhängigkeit der Fürsten bedroht wurde, mußte umgekehrt die Kirchenreform ein Greuel sein. Kaiser Karl V. (Bild 342) wollte als absoluter Monarch sein Weltreich beherrschen. Wie ihm die Selbständigkeit der deutschen Fürsten ein Ärgernis war, so war ihm jede Volksfreiheit ein Dorn im Auge. Eine womöglich noch despotischere Natur als Karl V. war sein Sohn Philipp II., der außer anderen Teilen des väterlichen Weltreiches vornehmlich Spanien und die Niederlande geerbt hatte. Philipp träumte von einer streng absolutistischen und streng katholischen Weltmonarchie. Und wie er in Spanien Adel und Städte dem königlichen Absolutismus unterworfen, so gedachte er auch in den Niederlanden ein absolutistisches Regiment aufzurichten und alle »Ketzerei« auszurotten.
In den Niederlanden aber hatte die Reformation bisher allen Verfolgungen Karls V. widerstanden. Die furchtbarsten Strafen, Vermögenskonfiskation und Todesstrafe, an vielen Tausenden vollstreckt, waren völlig fruchtlos geblieben. Philipp II. versuchte es mit noch grausameren Verfolgungen. Aber nur mit dem Erfolg, daß das Land sich erhob und ein erbitterter Kampf um die Unabhängigkeit ausbrach.
Die religiösen Verfolgungen allein hätten freilich den Aufstand der Niederlande nicht hervorgerufen. Erst als zu den Protestantenverfolgungen materielle Ausplünderung und politische Entrechtung hinzukamen, loderte die Flamme des Aufruhrs lichterloh empor.
Karl V., der in den Niederlanden geboren und erzogen war, hatte zwar ebenfalls schon ein absolutistisches Regime zu begründen versucht, aber er hatte doch die alten Verwaltungsformen wenigstens äußerlich respektiert. Außerdem hatte er den Despotismus für Adel und Kaufmannschaft durch materielle Begünstigung minder fühlbar gemacht. »Die oberen Klassen der Niederlande, die Adligen und die Kaufleute, befanden sich unter Karls V. Absolutismus sehr wohl … In seinen Diensten winkte dem niederländischen Adel Sold und Beute; und die niederländischen Kaufleute wurden den spanischen gleichgestellt und heimsten fette Profite aus der spanischen Kolonialpolitik ein.«
»Das sollte sich unter Karls Sohn, Philipp, ändern, der 1555 die Regierung antrat. Dieser war als Spanier erzogen. Die Interessen der herrschenden Klassen in Spanien waren aber mit denen der Niederländer unvereinbar. Man konnte nicht die Spanier befriedigen, ohne die Niederländer zu empören, und umgekehrt. Karls niederländische Neigungen waren einer der Hauptgründe der Empörung der spanischen Städte 1522 gewesen; Philipp verschloß die vorteilhaften Posten in seiner Armee und seiner Verwaltung ebenso wie die Kolonien den Niederländern und machte sie zu einem Monopol der Spanier oder, genauer genommen: der Kastilier. Das trieb die Niederlande zur Empörung.« (Kautsky.)
Länger als drei Jahrzehnte tobte der auf beiden Seiten mit rasender Erbitterung und ungeheuerlicher Grausamkeit geführte Kampf, der mit dem Siege und der Unabhängigkeit der Niederlande endete. Und auf den Trümmern der spanischen wuchs die holländische Seeherrschaft mächtig empor. –
Während eines noch längeren Zeitraums, wenn auch mit Unterbrechungen, verheerten die Religionskriege Frankreich. Auch hier war die Frage der Duldung und Gleichberechtigung der calvinistischen Lehre nur das Banner, unter dem für wirtschaftliche und politische Klasseninteressen gekämpft wurde.
Der Calvinismus hatte sich von Genf aus rasch über viele Teile Frankreichs verbreitet. Im Jahre 1562 zählte man, wie wir schon in einem anderen Zusammenhange bemerkten, in Frankreich nicht weniger als 2150 reformierte Gemeinden. Anfangs hatte die Reformation nur unter der niederen Bevölkerung der Städte Anhänger gefunden: »Nur törichte Leute in geringen Verhältnissen wagten es, öffentlich von der genannten Häresie und angeblichen Religion zu sprechen und sie auszuüben, wie Schuhmacher, Schneider und andere Handwerker« (bei Weill). Während dieser ersten Zeit trug der Calvinismus in Frankreich auch einen ausgesprochen demokratischen Charakter. Allmählich aber schlossen sich auch der Landadel und die eigentliche Bourgeoisie dem Calvinismus an. Diese Klassen erblickten in dem Calvinismus einen Hebel zur energischeren Durchsetzung ihrer Klasseninteressen. »Der Adel sah in ihm ein Mittel in dem Kampfe, den er mit dem Königtum für die Herrschaft der Feudalität führte; die Bourgeoisie, deren Scheidung von den Kleinhandwerkern in diesem Jahrhundert sich vollendet, schloß sich ihm an, weil sie in der die königliche Autorität bekämpfenden Lehre etwas ihrer historischen Aufgabe Kongeniales herausfühlte.« (C. Hugo.) Adel und Bourgeoisie kämpften unter dem Zeichen des Calvinismus gegen den Absolutismus des Monarchen. Die französische Monarchie sollte kein Erb-, sondern ein Wahlkönigtum sein, eine lebenslängliche obrigkeitliche Würde. Sie traten keineswegs für eine Souveränität des Volkes ein, sondern für die Herrschaft der privilegierten Stände.
Da nun aber seit Jahrhunderten das französische Königtum gerade alle Energie eingesetzt hatte, die Macht des Feudaladels zu brechen und ihn in einen abhängigen Hofadel zu verwandeln, so mußte es dieser erneuten Revolte des Feudalismus mit größter Entschiedenheit entgegentreten. So entbrannte der Kampf um die Herrschaft, und da Adel und Bourgeoisie unter dem Zeichen des Calvinismus fochten, in der Form des Religionskrieges.
Das Königtum mußte sich in seinem Kampfe gegen die Calvinisten oder, wie man sie nannte, die Hugenotten, auf einen anderen Teil des Adels stützen, der der katholischen Religion treu geblieben war. Aber diese Adligen ließen dem Königtum ihre Unterstützung keineswegs in selbstloser Treue zuteil werden. Im Gegenteil, gerade die mächtigsten dieser Gruppe, die Herzöge von Guise, warfen sich zu Hausmeiern auf und trachteten selbst nach der Krone. So kam es denn, daß das Königtum, um sich vor seinen »Freunden« zu retten, zeitweise seinen Frieden mit den Hugenotten schließen mußte. Diese Annäherung an die Hugenotten führte zu einem Bund des katholischen Adels, der Liga. Diese war angeblich zum Schutze der katholischen Religion gegründet. In einem Manifest der Liga heißt es dann freilich, daß die Verbündeten erstrebten, »den Provinzen die alten Rechte, Privilegien und Freiheiten, wie sie zu der Zeit des ersten Königs Clovis existierten, wieder zu beschaffen, und noch bessere und vorteilhaftere dazu«. So erstrebten, wenn auch in zwei Lagern und in wütender gegenseitiger Eifersucht, Hugenotten und Liguisten schließlich das Gleiche: Schwächung der königlichen Macht und Stärkung des Einflusses der privilegierten Klassen.
In diesen wilden Herrschaftskämpfen zwischen Königtum, Adel und Bourgeoisie ergriffen schließlich auch die unteren Volksschichten wiederholt Partei, manchmal auch kämpften sie völlig auf eigene Faust. Die ganze verworrene Lage, den Kampf aller gegen alle schildert d'Ossat dahin: »Der Adel wollte keinen König haben, alle großen Edelleute wollten seine Rolle spielen. Das Volk aber wollte weder vom Souverän, noch Adel etwas wissen und erkannte weder Fürst noch Edelmann an. Bis zu den geringsten Bewohnern des Landes wollten sich alle ihrer Herrschaft entziehen.« Und da dies chaotische Ringen sich in der Form der Religionskriege abspielte, ist es kein Wunder, daß diese Hugenottenkriege, die schließlich mit dem Siege des Königtums resp. der Aussöhnung der herrschenden Mächte auf Kosten des furchtbar bedrückten und ausgebeuteten Volkes endeten, von Meuchelmorden und Bestialitäten aller Art überschäumten und von Blut und Schmutz nur so trieften!
Die Niederlande waren durch die Vermählung Marias von Burgund mit Maximilian von Österreich an das Haus Habsburg übergegangen. Unter der Herrschaft des burgundischen Hauses hatten die freien Bauernschaften und die blühenden Handelsstädte die Privilegien und Freiheiten, die sie im Laufe der Jahrhunderte von den Grafen und Herzögen in zähem Ringen ertrotzt, keineswegs eingebüßt, und den neuen Regierungswechsel benutzten die Provinzen dazu, sich neue Zugeständnisse machen zu lassen. Seit 1515 herrschte Karl V. über die Niederlande, die er allmählich abrundete, so daß er 1538 siebzehn Provinzen: Brabant, Limburg, Luxemburg, Gelderland, Flandern, Artois, Hennegau, Holland, Zeeland, Namur, Zütphen, Ost- und Westfriesland, Mecheln, Utrecht, Oberyssel und Groningen, unter seinem Szepter vereinigte. Karl verband im Jahre 1548 durch den Augsburger Vertrag die siebzehn Provinzen auch zu einer staatsrechtlichen Einheit.
Die Niederlande boten damals ein Bild reichster gewerblicher Blüte. Das Land war von zahllosen Wasserstraßen durchzogen, auf denen eine Anzahl von Frachtschiffen den Verkehr zwischen den vielen volkreichen Städten vermittelte. Diese Städte mit ihren blühenden Manufakturen, ihrem weitberühmten Gewerbefleiß waren gleichzeitig Stapelplätze des Welthandels. Nicht nur aus Italien und Deutschland ging der Warenstrom nach den Niederlanden, auch aus Spanien und Portugal, aus dem neuentdeckten Amerika ergossen sich die Schätze nach den Niederlanden. Die Kontore und Bankhäuser der Niederlande beherrschten den Waren- und Geldmarkt Europas. Aber nicht nur Handel und Kunstgewerbe hatten in den Niederlanden ihren Hauptsitz aufgeschlagen: Flandern und Hennegau, Namur und Artois lieferten reiche Getreideernten, während die nördlichen Provinzen Schlachtvieh, Butter und Käse in großen Massen ausführten. Großen Ruf genoß auch der Handel mit Fischen. Und das friesische Küstenland, das mühsam dem Meere abgerungen, mit seinen Dämmen, Kanälen und Schleusen war zugleich berühmt als die Heimat kühner und geschickter Seeleute.
Dem Wohlstand und der Tatkraft der Bevölkerung, der Blüte und Macht der Städte entsprach der politische Unabhängigkeitssinn der Niederländer. Die nördlichen Provinzen, vor allen Dingen Friesland, hatten seit alten Zeiten ihre demokratischen Einrichtungen gegen fürstliche Angriffe verteidigt. Die großen Handelsstädte, wie Gent, Brüssel, Antwerpen und viele andere, waren fast zu dem Rang städtischer Republiken aufgestiegen, wenigstens hatten sie sich weitgehendste städtische Selbstverwaltung errungen. Eine ähnlich unabhängige Stellung hatte sich auch der Adel zu schaffen verstanden. In der früheren Feudalzeit hatten auch in den Niederlanden heftige Kämpfe zwischen dem Adel und den Städten getobt, allein diese Fehden hatten aufgehört, wenn auch die Eifersucht des Adels auf die reichen Städte geblieben war, und ein reicher grundbesitzender Adel teilte sich in Flandern und Brabant mit den Städten in Einfluß und Ansehen.
Diese Zustände schufen einem Despoten wie Karl V. wenig Behagen. Und soweit es seine Macht irgend erlaubte, suchte er die Unabhängigkeit von Bürgern und Adel zu vernichten. Als sich 1539 Gent geweigert hatte, eine der Grafschaft Flandern auferlegte neue Steuer zu zahlen und sich trotzig gegen Karl V. erhob, warf dieser 1540 mit Waffengewalt die Erhebung nieder. Karl ließ 26 der vornehmsten Bürger hinrichten, verwies viele andere des Landes, errichtete in der Stadt eine Zwingburg, trieb eine Geldbuße von 150 000 Goldgulden ein und nahm der Stadt vor allen Dingen alle ihre Privilegien. Eine überaus arglistige Methode wandte Karl V. dem niederländischen Adel gegenüber an. Er übertrug ihm hohe Staatsämter, Befehlshaberstellen oder Gesandtschaften, die zu großen Ausgaben nötigten, ohne daß sie mit entsprechenden Besoldungen verbunden gewesen wären.
Mit äußerster Rücksichtslosigkeit aber verfolgte Karl in den Niederlanden den reformierten Glauben. Harte Verordnungen ließ er ergehen gegen das Lesen der Bibel, gegen alle gottesdienstlichen Handlungen im Geiste der Reformation, ja selbst gegen alle Religionsgespräche über die neue Lehre in Privathäusern. Wer einer geheimen Versammlung beiwohnte, wurde zum Tode verurteilt: die Männer wurden enthauptet, die Frauen lebendig begraben! Wer seine »Ketzerei« bereits einmal abgeschworen hatte und wieder rückfällig wurde, endete auf dem Scheiterhaufen. Die Güter der Verurteilten verfielen dem Fiskus. In Limburg wurde eine ganze protestantische Familie, Vater, Mutter, zwei Töchter und Schwiegersöhne, den Flammen übergeben. In Löwen wurden 1543 dreißig Protestanten beiderlei Geschlechts verbrannt. Im ganzen wurden von Karl V. viele Tausende wegen ihrer protestantischen Neigungen enthauptet, ersäuft, verbrannt oder lebendig begraben. Diese Scheusäligkeiten fanden natürlich das höchste Lob des katholischen Klerus und die Billigung des »Heiligen Vaters« in Rom!
Daß sich die Niederländer diese gräßlichen Glaubensschlächtereien gefallen ließen, erklärt sich aus der materiellen Begünstigung, welche die besitzenden Klassen des Landes unter Karls V. Regiment erfuhren. Durch die Öffnung der spanischen Kolonien für den niederländischen Handel flossen große Reichtümer in das Land. Der Wohlstand der Niederlande war so groß, daß Karl V. während seiner Regierung Einkünfte aus dem Lande ziehen konnte, z. B. zu einem einzigen Kriege eine Beisteuer von vierzig Millionen Dukaten, wie sie ihm sein ganzes übriges Reich nicht einbrachte. Und der niederländische Adel fühlte sich hinlänglich geschmeichelt, zu dem Rate, den Offiziersstellen, dem Hofe des mächtigen Kaisers gezogen zu werden. Überhaupt verstand es Karl V. meisterhaft, den kleinlichen Partikularismus, die kurzsichtige Kirchtumspolitik der Niederländer, die sie sich nur um das Separatinteresse der einzelnen Gemeinde, Stadt oder Provinz kümmern ließ, für sich auszunützen.
Hierzu kam noch eins: auch in den Niederlanden hatte der Protestantismus zunächst bei den niederen Volksschichten Verbreitung gefunden. Hier in dem ökonomisch so entwickelten Lande hatten auch die sozialen Gegensätze bereits eine scharfe Ausprägung erhalten. Unter den Schichten des Proletariats fand der Protestantismus seine ersten Anhänger. Und dieser Protestantismus trug einen sozialen Charakter, er trat auf als Chiliasmus, als Wiedertäufertum. Wir sahen ja in einem früheren Kapitel, wie die Münsterische Wiedertäuferbewegung ihren Ausgang aus den Niederlanden nahm. Die Häupter der Münsterischen Kommunisten, Johann Matthys und Johann Bockelson, stammten aus Haarlem und Leyden. Und auch nachdem die Wiedertäuferbewegung in Münster in Strömen Blutes erstickt war, machten sich in den Niederlanden noch täuferische, chiliastische Strömungen bemerkbar. Diese Sektierer waren aber den herrschenden Klassen in den Niederlanden ebenso verhaßt wie den Ketzertribunalen Karls V. So wurden z. B. die Davidisten, die Anhänger Johann Joriszoons, seit 1538 von der holländischen Regierung grausam verfolgt.
Solange der Protestantismus seine Anhänger hauptsächlich aus den nichtbesitzenden Schichten rekrutierte und einen sozialrevolutionären Charakter offenbarte, ertrugen die herrschenden Klassen der Niederlande das kaiserliche Blutregiment. Sie sahen es ruhig mit an, daß – wie behauptet wird – 50 000 Menschen von den geistlichen Schergen Karls V. aufs Schafott oder den Scheiterhaufen geschleppt wurden. Erst als es ihnen an den Geldbeutel ging, begannen sie den Kampf für die – Glaubensfreiheit!
Im Jahre 1555 entsagte Karl V. der Krone. Er übertrug die Herrschaft über die Niederlande und Spanien seinem Sohn Philipp II. Philipp glaubte die Despotie seines Vaters fortsetzen zu können, ohne zugleich die materielle Begünstigungspolitik der Niederlande fortzusetzen. Der Protestantismus sollte unnachsichtig mit Feuer und Schwert ausgerottet, das eigenartige Staatenmosaik der siebzehn Staaten in eine absolutistisch beherrschte spanische Provinz verwandelt werden, zugleich aber sollte der niederländische Handel von den spanischen Kolonien und der niederländische Adel von den Heeres- und Beamtenstellen des Reiches ausgeschlossen sein. Philipp folgte dabei keiner aberwitzigen Despotenlaune, er handelte nur so, wie es eine konsequent spanische Politik – und Philipp fühlte sich ganz als Spanier – erheischte; er täuschte sich nur darin, daß er sich einbildete, die Niederlande würden sich auch bei einer solchen, den Interessen des Landes geradezu ins Gesicht schlagenden Politik durch seine Soldateska im Zaume halten lassen.
Philipp verdarb es zunächst mit den Häuptern des Adels. Die angesehensten und einflußreichsten Vertreter des Adels waren Wilhelm von Oranien, Graf Egmont und Graf Hoorn. Der junge Wilhelm von Oranien, aus nassauischem Geschlecht, war ein Günstling Karls V. gewesen. Als Philipp die Niederlande verließ, um seine castilische Residenz zu beziehen, hatte er gehofft, die Würde eines Regenten und Oberstatthalters übertragen zu erhalten. Statt dessen machte Philipp seine Halbschwester Margarete von Parma zur Regentin. Aber noch mehr: die öffentliche Gewalt sollte in dem Staatsrat liegen, dem Oranien, Egmont, Graf Hoorn und andere Adlige angehörten. Es stellte sich jedoch bald heraus, daß der Staatsrat nur eine Scheinkörperschaft darstellte, deren Einfluß gelähmt wurde durch einen »geheimen Rat«, der aus Kreaturen Philipps bestand und dessen Vorsitz der Kardinal Granvella, Bischof von Arras, führte. Bald darauf erregte Philipp durch einen Anschlag auch die Erbitterung der Geistlichkeit und der Bürgerschaft. Philipp gestaltete nämlich die ganze Organisation der Kirche um. Die Zahl der Bistümer wurde um vier vermehrt, und mit dem Erzbistum Mecheln, das den ersten Rang einnahm, der verhaßte Kardinal Granvella belehnt. »Alle drei Stände waren durch die Neuerung in gleichem Maße verletzt und beeinträchtigt. Dem Klerus drohte eine Minderung seines Besitzstandes, weil man die neuen Bistümer aus dem kirchlichen Vermögen, insbesondere den reichen Abteien, dotieren wollte; der Adel und die Bürgerschaften fürchteten für ihre ständischen Versammlungen, wenn statt der von der Klostergeistlichkeit gewählten Äbte ein von dem König ernannter Prälatenstand an den Sitzungen teilnehmen würde. Alle aber wurden von der Sorge erfaßt, daß eine unter spanischem und päpstlichem Einfluß stehende Hierarchie, an deren Spitze ein absolutistisch gesinnter Prälat als Primas stände, und die voraussichtlich durch neue fremde Kleriker verstärkt werden würde, die Freiheit und Landesverfassung gefährden werde.«
Gleichzeitig wurde die Verfolgung gegen die Protestanten systematisch und mit besonderer Energie aufgenommen. Diese Verfolgung aber war für Adel und Bürgertum jetzt keine gleichgültige Sache mehr, da sich nach dem Vorbild der Hugenotten inzwischen zahlreiche Angehörige der herrschenden Klassen dem Calvinismus angeschlossen hatten. Auch für die Niederlande begann wie für Frankreich die »Glaubensfreiheit« das politische Banner zu werden, um das man sich sammelte. Auch Wilhelm von Oranien war durch Eingehen einer Ehe mit einer Tochter des Kurfürsten Moritz von Sachsen, einer Enkelin Philipps von Hessen, in enge Beziehungen zu den evangelischen Widersachern der spanisch-habsburgischen Dynastie getreten. Seit seiner Hochzeit hatte er den lutherischen Gottesdienst in Brüssel eingeführt.
So verschärfte sich allmählich der Konflikt. Vergebens versuchte Philipp durch eine halbe Maßregel: die Entlassung Granvellas, die Aufregung zu beschwichtigen. Zahlreiche Edelleute schlossen sich 1565 zu einem Bund zusammen, der den Spottnamen » Geusen« (Bettler) zu seinem Ehren- und Kampfnamen machte und am 28. Juli 1566 unbedingte Religionsfreiheit forderte. Das Vorgehen des Adels blieb im Volke nicht ohne Nachahmung. Zahllose Versammlungen fanden statt, in denen man für Religionsfreiheit demonstrierte. »Mit Pistolen, Hakenbüchsen, Dreschflegeln und Heugabeln zog man hinaus. Der Versammlungsort wurde wie ein Feldlager mit umgestürzten Wagen, Baumästen, Brettern abgesteckt und mit Wachen umstellt; Tausende von Menschen waren versammelt, die bewaffneten Männer außen, zum Teil zu Pferd, die Weiber in der Mitte des Kreises. Höker und Händler verkauften religiöse Schriften und Traktate, geistliche Lieder- und Gebetbücher, ein mit Todesstrafe bedrohtes Verbrechen; wenn der unermeßliche Chor den Psalm gesungen, dann erschien, häufig von zwei Lanzenträgern geleitet, einer der geächteten Prediger und legte die neue Lehre aus … Und das wiederholte sich Tag für Tag, von einem Ende des Landes bis zum andern, und niemand wagte, den bewaffneten Feldpredigten zu wehren.«
Aber das war nur der Anfang; bald entlud sich der aufgespeicherte Ingrimm des jahrzehntelang durch die Ketzergerichte höllisch gemarterten Volkes in minder harmlosen Kundgebungen. Bei einer Prozession in der Provinz Flandern kam es zu einem Exzeß protestantischer Elemente, und als ob das Volk nur auf dieses Zeichen gewartet, durchtobte nunmehr ein Bildersturm mit zügellosem Vandalismus das ganze Land. Alle Bilder und Statuen wurden zertrümmert, zahllose Kirchen und Kapellen verwüstet, selbst die Orgeln wurden zerschlagen und viele wertvolle Manuskripte bei dem planlosen Zerstörungswerk vernichtet. Dieser Bildersturm war losgebrochen wie ein elementares Ereignis, als eine völlig spontane Eruption des Volkszorns. Er war in keiner Weise organisiert und angestiftet, calvinische Prediger eiferten im Gegenteil gegen den ungestümen Ausbruch der Volkswut. »Jene Bildsäulen, verknüpft wie sie waren mit der erbarmungslosen Verfolgung, welche so lange Jahre hindurch auf den Provinzen gelastet, hatten aufgehört, bloße Bilder zu sein. Sie erschienen dem Volk wie lebendige Wesen, wie verhaßte blutige Götzen, so daß es sich erhob und sie einer massenhaften Vernichtung weihte.«
Dieser Volksausbruch war freilich nicht nach dem Geschmack der Führer des Geusenbundes, die dadurch einen übereilten Bruch mit Spanien fürchteten und eigenmächtigen Massenaktionen überhaupt abhold waren. Wilhelm von Oranien sorgte deshalb selbst in Antwerpen für strenge Bestrafung der »Rädelsführer«. Aber während Oranien doch wenigstens noch ein gewisses Maß hielt, tobte und würgte Graf Egmont wie ein tollwütiger Wolf in Flandern und Artois unter den Bilderstürmern. Er verscherzte sich durch diese Bestialität unter den Massen gründlich die Sympathien, die er sich früher durch seine soldatischen Erfolge und die herablassende Leutseligkeit des leichtlebigen, genußfreudigen Kavaliers erworben hatte.
Aber dieser scheinbare Loyalitätsakt täuschte Philipp nicht. Er sandte nunmehr den Herzog Alba nach den Niederlanden, um alle Selbständigkeitsgelüste mit eiserner Faust niederzuzwingen. Und Alba zeigte sich als der Mann nach dem Herzen des störrisch-grausamen Königs (Bild 345).
»Die Galgen, Räder, Scheiterhaufen und die Bäume auf den Landstraßen waren mit den Leichnamen und Gliedern der Gehängten, Enthaupteten oder durch Feuer Getöteten beladen, so daß die Luft, welche Gott zum Atmen für die Lebenden schuf, nun das gemeinschaftliche Grab oder die Wohnung der Toten wurde. Jeder Tag hatte seine Trauer, und der Klang der Totenglocke, geläutet zu der Hinrichtung der zahllosen Schlachtopfer, hallte wider im Herzen der Kinder, Eltern, Verwandten und Freunde.« (Bild 347.) Der gefühllose Blutmensch Alba rühmte sich später selbst, 18 000 Menschen in den Niederlanden dem Henker überliefert zu haben!
Auch Egmont und Hoorn bestiegen das Schafott.
Die Geschichte des Unabhängigkeitskampfes fällt in ihren Einzelheiten nicht unter die Aufgabe unseres Buches. Verlor dieser Unabhängigkeitskampf doch von Albas Eingreifen ab völlig den Charakter eines Religionskrieges. Das niederländische Volk kämpfte jahrzehntelang mit wechselndem Glück, aber unerschütterlicher Zähigkeit um die nationale Unabhängigkeit und die Entwicklung der holländischen Handelsherrschaft. Den Hauptträger dieses Kampfes bildete das Handelspatriziat. Die diplomatische und militärische Führung fiel Wilhelm von Oranien zu, der seinerseits seine rastlose Energie und seine nicht geringe staatsmännische Begabung in den Dienst des Freiheitskampfes stellte, weil er, der in den Niederlanden reichbegüterte Feudalherr, nach dem endlichen Siege begründete Anwartschaft auf die niederländische Krone zu haben glaubte.
Alba vermochte auf die Dauer nichts auszurichten. Ihm folgten verschiedene Statthalter, die sich vergebens mühten, bald durch Güte, bald wieder durch Waffengewalt des Aufstandes Herr zu werden.
Der einzige spanische Erfolg war der, die südlichen, wallonischen Provinzen, das heutige Belgien, von den nördlichen Provinzen loszulösen. Die wallonischen Provinzen waren katholisch geblieben, wodurch ein gewisser Gegensatz zu den calvinischen Nordprovinzen gegeben war. Vor allen Dingen aber war der Adel von Mißtrauen und Eifersucht gegen Oranien erfüllt. Diese Eifersucht benutzte Spanien, den Adel durch Gunstbezeugungen und Geschenke auf seine Seite zu bringen und damit schließlich die völlige Spaltung der Niederlande herbeizuführen.
Die nördlichen Staaten führten ihrerseits den Kampf trotz mancher Niederlagen mit wachsendem Erfolge fort. Ihr Widerstand wurde auch nicht erschüttert, als Wilhelm von Oranien durch feigen Meuchelmord aus dem Wege geräumt wurde.
Oranien wurde bereits seit Jahren von Meuchelmördern umlauert, die sich die 25 000 Goldkronen verdienen wollten, die bereits 1580 durch eine Proklamation Philipps auf seinen Kopf gesetzt worden waren. In jenem Aktenstück, das unter Beihülfe Granvellas abgefaßt worden war, hatte es geheißen: »Binnen Monatsfrist soll bei Verlust von Adel und Ehre, Gut und Leben, jeder Freund und Anhänger Oranien verlassen, damit er geächtet und vogelfrei jedermann preisgegeben sei. Wer ihn lebendig oder tot überliefert, sei es ein Fremder oder Untertan des Königs, oder wer ihm das Leben nimmt, soll sogleich nach gelungener Tat für sich oder seine Leibeserben eine Summe von 25 000 Goldkronen erhalten, in Geld oder Landbesitz, je nach Belieben, und falls er sich irgend eines Verbrechens schuldig gemacht, wie abscheulich es immer sein möge, so soll er völlige Verzeihung dafür erhalten, und soll, wenn er nicht von adliger Abkunft ist, mit allen, die ihm bei dem Werke geholfen, in den Adelstand erhoben werden.«
Bereits am 18. März 1582 war Oranien nur um Haaresbreite dem Tode entgangen. Der Pistolenschuß eines Handlungsdieners, der von seinem Arbeitgeber, einem Spanier, und einem Dominikanermönch zu der Tat angestiftet worden war, hatte ihn an Kopf und Hals schwer verwundet. Diesem Attentat folgte eine ganze Reihe weiterer. Endlich, am 10. Juni 1584, führte ein neuer Mordanfall zu dem von Philipp und der römischen Pfaffheit so heiß ersehnten Ziele. Ein Schreiber, der seine Absicht vorher dem Herzog von Parma und zwei Jesuitenvätern anvertraut, streckte den gefährlichen Nebenbuhler der spanischen Herrschaft mit einem wohlgezielten Pistolenschuß nieder. Der Mörder, der die Tat aus religiösem Fanatismus begangen zu haben scheint, wurde nach der barbarischen Sitte jener Zeit förmlich zu Tode gemartert. Sein aufgespießtes Haupt aber wurde gestohlen und bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts in Köln als Reliquie eines Märtyrers verehrt. Den Angehörigen des Mörders wurde vom König Philipp der ausgesetzte Preis ausbezahlt.
Der Unabhängigkeitskampf nahm auch nach Oraniens Tod seinen Fortgang. An Stelle des ermordeten Wilhelm von Oranien wurde auf Vorschlag des Ratspensionärs (obersten Verwaltungsbeamten) von Holland, Johann von Oldenbarneveldt, Wilhelms ältester Sohn Moritz von Oranien zum Statthalter gewählt und mit der Führung des Krieges betraut. Moritz bewies ein bedeutendes Feldherrntalent und warf schließlich die Spanier völlig aus den nördlichen Provinzen heraus. Erzherzog Albrecht von Österreich, dem nach Philipps Tod das Erbrecht auf die Niederlande zugefallen war, mußte 1609 in einen zwölfjährigen Waffenstillstand willigen, der nur den Vorläufer des endgültigen Friedensschlusses und der Anerkennung der Unabhängigkeit der Niederlande bildete.
Aber mit dem Siege der Niederlande war für das Land die Zeit der religiösen Wirren noch nicht vorbei. In den unabhängigen Nordstaaten war der Calvinismus zum offiziellen Regierungsbekenntnis geworden. Aber kaum war der Calvinismus der spanisch-papistischen Gefahr ledig, so entbrannte er selbst in inquisitorischer Verfolgungswut gegen abweichende konfessionelle Strömungen. Ja, er etablierte sogar in der Dordrechter Synode 1618-19 ein richtiges Inquisitionstribunal, das ein so brutales Todesurteil vollstreckte, wie nur je ein Ketzergericht Karls V. und Philipps II. Freilich verbarg sich auch hier hinter dem wütenden Glaubenseifer nur dürftig die politische Intrigue.
Als die äußere Gefahr beseitigt, begann sich alsbald im inneren die Eifersucht zwischen dem republikanisch gesinnten Patriziat und dem herrschaftslüsternen Statthalter Moritz von Oranien zu regen. Moritz hätte gar zu gerne das Land in eine oranische Erbmonarchie verwandelt, während der Adel und das geldmächtige Handelspatriziat eine von einer Aristokratie beherrschte Republik, eine Geldsackrepublik, für die beste Staatsform hielten. Dem Patriziat paßte deshalb auch der strenge Calvinismus nicht, der der Kirche eine dominierende Stellung im Staate eingeräumt wissen wollte. Nicht die Kirche, sondern der Geldsack der reichen Mynherren sollte herrschen, die Kirche sollte nur die bescheidene Dienerin des Patriziats sein. Zu dieser Rolle taugte aber die Lutherische und Zwinglische Richtung des Protestantismus weit besser, als der Calvinismus. Die Vorkämpfer der aristokratischen Republik begünstigten deshalb eine theologische Richtung, welche auf die hierarchischen Herrschaftsansprüche des Calvinismus verzichtete und sich mehr dem Luthertum und Zwinglianismus näherte. Der Hauptträger dieser Richtung war der Leydener Professor Jacob Arminius, der Calvins Prädestinationslehre in ihrer schroffen Form verwarf und der Kirche die Unterwerfung unter die Staatsgewalt empfahl, während die streng calvinistische Richtung durch den Professor Gomarus vertreten wurde, der streng an der Prädestinationslehre festhielt und die Unabhängigkeit des kirchlichen Organismus von der Staatsgewalt forderte. Der kirchliche Streit entbrannte bald mit großer Heftigkeit. Die »Gomaristen« verfolgten die Gegner mit allen Gewaltmitteln, während die Arminianer oder »Remonstranten«, die ja die bürgerliche Gewalt verkörperten, besoldete Stadtwachen anwarben, um die Arminianer zu beschützen und Übergriffe der Calvinisten zu verhindern.
In dieser Schaffung einer Munizipalgarde erblickte nun Moritz von Oranien, der als Statthalter die militärische Macht des Landes befehligte, ein gefährliches Machtmittel des Patriziates, das seinen Herrschaftsgelüsten sehr im Wege stand. Er erklärte deshalb die Errichtung der bewaffneten Stadtwachen für eine Kompetenzüberschreitung der städtischen Gewalten, da alles Kriegsvolk dem Statthalter unterstellt sei. Und um sich der gefährlichsten Häupter des Patriziats zu entledigen, beschloß Oranien, sich des pfäffischen Fanatismus der Gomaristen zu bedienen. Der konfessionelle Streit war ihm absolut gleichgültig. Ihm galt es lediglich, die Führer der Republikaner zu verderben, in erster Linie jenen Johann van Oldenbarneveldt, der ihn zwar einst zum Statthalter gemacht hatte, sich aber jetzt seinen ehrgeizigen Plänen nachdrücklichst widersetzte. »Ich weiß von keiner Prädestination,« soll Moritz einst gesagt haben, »ob sie grau oder blau ist; das nur weiß ich, daß die Pfeiffen des Advokaten (Oldenbarneveldts) und die meinigen eine kreischende Dissonanz bilden.«
Unter Oraniens Betreiben wurde deshalb eine Synode zu Dordrecht einberufen, die vom Herbst 1618 bis zum Frühjahr 1619 tagte. Die Calvinisten unterhandelten hier nicht mit den »Remonstranten«, sie spielten sich als Ketzergericht auf. Die Artikel der Remonstranten wurden für Irrlehren erklärt, ihre Prediger ihres Amtes entsetzt, und auch die Leydener Universität wurde vom »remonstrantischen Sauerteig« gereinigt. Zuletzt aber wurde gegen die Hauptketzer ein barbarisches Bluturteil gefällt. Oldenbarneveldt wurde zum Tode verdammt, weil er die Verfassung verletzt, das Band der vereinigten Niederlande zu lösen versucht und die Kirche verwirrt habe. Unmittelbar nach der Urteilsverkündung mußte der greise Staatsmann das Blutgerüst besteigen. Zwei andere Hauptverbrecher wurden zu lebenslänglichem Kerker verurteilt, andere wurden des Landes verwiesen.
Moritz selbst überlebte den Tod seines Gegners nur um zwei Jahre. Der Kampf zwischen dem Patriziat und den Statthaltern aus dem Geschlecht der Oranier aber tobte noch lange.
Trotz all der furchtbaren Verheerungen des Krieges befanden sich die Niederlande bei dessen Ausgang in einer Periode des mächtigsten Aufschwungs. Gewaltig hatte sich gerade infolge des Krieges die niederländische Seemacht entwickelt. Anfangs hatten die Niederländer sich mit der Vernichtung der spanischen Schiffe an der friesischen Küste begnügt, dann hatten sie gegen die spanische Schiffahrt überhaupt einen furchtbaren Kaperkrieg geführt und schließlich waren sie zu der Eroberung der spanischen und portugiesischen Kolonien übergegangen. Portugals zu Anfang des 16. Jahrhunderts so glänzende Kolonialmacht wurde, da Philipp II. Portugal seinem Reiche einverleibt hatte, von den Niederländern schonungslos zertrümmert. Die wertvollen Gewürzinseln der Molukken wurden Portugal abgenommen, der Gewürzhandel wurde zu einem holländischen Monopol gemacht. Außerdem wurden auf Koromandel, Borneo, Java und Ceylon Niederlassungen gegründet und mit Japan, China und Siam Handelsverbindungen angeknüpft. Die Kapkolonie gelangte in den Besitz der niederländischen Ostindischen Kompagnie und die Westindische Kompagnie eroberte sogar vorübergehend Brasilien. Die Handelsflotte der Niederlande zählte 1634 35 000 Schiffe. Und auch die niederländische Großindustrie, deren Fabrikate auf der ganzen Erde vertrieben wurden, entwickelte sich in gleichem Schritt mit dem Welthandel. Freilich flossen die ungeheuren Reichtümer nur in die Taschen der besitzenden Klassen, während das Proletariat unter politischer Rechtlosigkeit und furchtbarer Ausbeutung seufzte.
Spanien dagegen wurde durch den erschöpfenden Krieg gegen die Niederlande dem traurigsten Ruin überliefert. Philipps von einer verfolgungssüchtigen und habgierigen Pfaffheit gehätschelter Despotentraum, eine spanische Weltmonarchie mit katholischem Glaubensbekenntnis zu errichten, zerrann in ein jämmerliches Nichts. Die zahllosen Kriege entvölkerten das Land und zwangen, zu einem immer furchtbareren Steuerdruck die Zuflucht zu nehmen, der alle Unternehmungslust lähmte und Handel und Wandel ins Stocken brachte. Selbst die notwendigsten Lebensmittel wurden mit hohen Abgaben belegt. Als das alles nicht zulangte, suchte man durch Ämter- und Stellenschacher und durch die schäbigsten Finanzmanöver die leeren Kassen zu füllen. Aber man erschütterte durch die Finanzexperimente nur den Staatskredit, so daß nichts übrig blieb, als immer neue Mittel der Erpressung zu suchen, die königlichen Regalien immer mehr auszudehnen und die Zoll- und Akziseabgaben immer drückender zu gestalten. Der Handel verfiel, die Fabriken und Werkstätten feierten, Bergwesen und Ackerbau verkamen, die maurischen Bewässerungsanlagen zerfielen, und blühende Gefilde wandelten sich in sandige Öde.
Die ewigen Kriegsraufereien entwöhnten breite Schichten der ehrlichen, friedlichen Arbeit. Die Hidalgos, zu vornehm zur Arbeit, kauften sich für ihre Kriegsbeute Ämter und Staatsrenten und schmarotzten auf Kosten des ausgeplünderten Volkes. In Stadt und Land wimmelte es von Bettlern und Landstreichern. Alles zerfiel, nur die Pfafferei und Möncherei gedieh üppig auf dem ausgesogenen Staatsboden. Nicht einmal im Kirchenstaat gab es verhältnismäßig so viel Mönche und Pfaffen. »Wo konnte der arbeitscheue Spanier der mittleren Klassen ein bequemeres, sorgenfreieres Leben finden, als im Kirchenamt oder in der Zelle? Ein sehr großer Teil des Nationalvermögens war in den Händen der Geistlichkeit und der Ordensleute, und der religiöse Eifer der Reichen und Mächtigen wurde nicht müde, immer noch neue Stiftungen und Schenkungen hinzuzufügen.« Philipp II. ging durch den Prachtbau des Klosters Escorial, der fünfeinviertel Millionen Dukaten verschlang, mit ansteckendem Beispiel voran; bald wurde es unter den Granden Mode, einander durch kostspielige Klosterbauten auszustechen.
Unter dem Fluche der Pfafferei und Möncherei steht das unselige Land noch heute! Noch immer ist Spanien das pfaffenreichste Land, und deshalb auch das Land des blödesten Glaubensfanatismus, der Analphabeten, der Hungeraufstände und der Stiergefechte!
Die Anhänger der Reformation in Frankreich waren jahrzehntelang wehrlos den blutigsten Verfolgungen ausgesetzt gewesen. Bereits 1524 und 1525 wurden mehrere Protestanten hingerichtet. Franz I. (Bild 349) befahl 1526, daß die weltliche Obrigkeit die Ketzer verfolge. Als 1534 Haufen von Schriften wider die Messe und die Brotverwandlung in Paris und anderen Städten verbreitet und öffentlich angeheftet wurden, wurden mehrere Verdächtige langsam am Feuer gebraten. Geistliche Inquisitoren und weltliche Gewalten wetteiferten in der Verfolgung der Protestanten.
Diese Ketzerverfolgungen stießen, genau wie in den Niederlanden, solange auf keinen Widerstand, als der Protestantismus seine Anhänger vorzüglich unter den niederen Volksschichten zählte. Und wir sahen ja bereits im Eingang dieses Kapitels, daß die Reformation anfangs nur bei Schustern, Schneidern und anderen »törichten Leuten in geringen Verhältnissen« Anklang gefunden hatte. Innerhalb eines Zeitraums von 40 Jahren befanden sich unter den zahlreichen Blutzeugen des französischen Protestantismus nur drei Adlige.
Aber um die Mitte des 16. Jahrhunderts änderte sich das. Der Protestantismus, und zwar der Calvinismus, breitete sich mächtig auch unter dem Adel und der besitzenden Bourgeoisie aus. Er wurde zu einem politischen Programm für diese Schichten. Und das Programm lautete: Aufrechterhaltung und Vergrößerung der ständischen Privilegien gegenüber der königlichen Gewalt.
Die französischen Könige waren eifrig bemüht, ihre Machtbefugnisse zu unumschränkten zu erweitern. Auf der anderen Seite wachten die Stände, die Vertretungen von Geistlichkeit, Adel und den Städten, eifersüchtig über ihre historischen Rechte, an der Gesetzgebung mitzuwirken. Die Vertretung dieser Stände, die Nationalversammlung oder das Parlament, betrachtete sich als die oberste Gesetzgeberin. Franz I. selbst erklärte einmal Karl V. gegenüber, daß er nichts Wichtiges unternehmen könne ohne Zustimmung seiner Parlamente, in deren Händen seine ganze Autorität ruhe. In dem Zeitraum von 1562-1589 wurden mehr als hundert königliche Edikte durch Parlamentsbeschlüsse verworfen. Dabei verteidigten die Parlamente namentlich den Grundsatz, daß die Steuerbewilligung nur durch die Generalstände ausgeübt werden könnte.
Die Masse des Volkes freilich, die Handwerker und die Bauern, waren völlig rechtlos. Auf dies »Peuple« blickten die Angehörigen der Bevorrechteten mit der größten Verachtung herab. Namentlich die Lage der Bauern war eine trostlose. Die Steuerlast war zu einer unerträglichen angewachsen. Besonders verhaßt war die Salzsteuer, die mit Zwangskonsum verbunden war. Diese Steuerlast wurde noch vermehrt durch eine ungeheure Zahl schmarotzender Zwischenerheber, die der unglücklichen Bauernschaft das Fünffache von dem auspreßten, was sie davon selbst dem Staate ablieferten. Der Grimm des verzweifelten Volkes machte sich denn auch in periodischen Aufständen Luft. So erhoben sich 1548 in der Guyenne 50 000 Bauern, deren Haufen anfangs siegreich das Land durchzogen, um dann von den Heeren der besitzenden Klassen überfallen und mit viehischer Grausamkeit niedergemetzelt zu werden. Dieser Erhebung folgten während der Religionskriege zahlreiche andere Erhebungen, die alle schließlich in Blutströmen erstickt wurden.
Die Rechte der Stände waren den Königen sehr unbequem. Durch offenen Widerstand und heimliche List suchten sie ihren Absolutismus durchzusetzen. Sie suchten in die Parlamente immer mehr Rechtsgelehrte hineinzuschmuggeln und so die Ständevertretung allmählich in einen Justizhof umzuwandeln, der den Einflüssen des Monarchen zugänglicher war. Sie suchten den Adel allmählich in einen Hof- und Beamtenadel umzuwandeln. Um besser zum Ziele zu gelangen, spielte der König dabei die einzelnen Stände gegen einander aus, begünstigte er die Bourgeoisie gegenüber Adel und Geistlichkeit. Diese Bedrohung seiner Privilegien trieb einen großen Teil des Adels allmählich in eine immer schärfere Kampfstellung zu dem Königtum. Und das äußere Band, das den opponierenden Adel umschloß, wurde der Calvinismus.
Die Hinneigung zum Protestantismus und die Bekämpfung des Königtums ergab sich auch noch aus ganz besonderen Umständen.
Der alte französische Adel, in erster Linie die Geschlechter der Bourbons, Montmorencys und Chatillons, war in Eifersucht entbrannt gegen die lothringische Familie der Guise, die sich durch Kriegstaten unter Franz I. zum Herzogsrang emporgeschwungen hatte und deren Glieder einflußreiche Stellungen bei Hof und Staat und hohe Kirchenämter einnahmen. Die Guise waren durch mannigfaches Familieninteresse an das Papsttum gefesselt und daher Vorkämpfer einer aristokratisch-hierarchischen Politik. Unter Heinrich II. (Bild 352) hatten sie am Hofe eine beherrschende Stellung eingenommen und unter seinem Nachfolger Franz II. rissen sie noch mehr alle Gewalt an sich. Die alten französischen Adelsgeschlechter sahen in den Guise unliebsame fremde Eindringlinge und höchst unbequeme Konkurrenten. Da nun die Familie der Guise in guten Beziehungen zu Rom und Madrid stand, war für die Bourbons und Chatillons die Stellung auf der Gegenseite, bei den Protestanten, gegeben.
Der calvinische Adel suchte die Bourgeoisie als Verbündeten zu gewinnen. Und das gelang ihm zum guten Teil, weil die damalige finanzielle Mißwirtschaft den dritten Stand gegen den Hof und die den Hof beherrschenden Guise erbitterte. Die vielen kostspieligen Kriege unter Franz I. und Heinrich II. hatten die Finanzquellen des Landes erschöpft und ihm eine gewaltige Schuldenlast aufgebürdet. Im Jahre 1558 war die Schuld bereits auf 36 Millionen, das jährliche Staatsdefizit bereits auf 2½ Millionen gestiegen (Ranke). Da Karl von Guise mehrere Jahre die Finanzgeschäfte verwaltet hatte, machte man ihn für die Zustände verantwortlich. Karl schränkte, um das Defizit zu vermindern, die Ausgaben des Hofs um eine halbe Million ein. Aber da diese Ersparnis auf Kosten einer Reihe adliger Stipendiaten des Hofes geschah, schürte er damit nur die Unzufriedenheit. Die Bauern, die den Hauptdruck der Steuern zu tragen hatten, verarmten und durchzogen massenhaft als Bettler das Land, aber die Zölle und Auflagen drückten auch auf Handel und Gewerbe, wodurch auch im Bürgerstand die Mißstimmung gewaltig um sich griff. So war es denn dem anti-guiseschen Adel nicht schwer, sich mit dem Bürgertum gegen das Königtum und das Guisesche Hausmaiertum zu verbünden. Zunächst allerdings versuchte der Adel allein einen Schlag gegen die verhaßten Guise. Fünfhundert verschworene Edelleute begaben sich nach Blois, wo damals der Hof residierte, um die Guise in ihre Gewalt zu bringen. Der Plan wurde jedoch verraten, und als die Verschworenen sich truppweise nahten, wurden sie überfallen und niedergemacht. Auch der Hauptangriff, den am 18. März 1560 hundertfünfzig bewaffnete Edelleute unternahmen, endete mit der Niedermetzelung der Verschworenen.
Die Guise gedachten diesen Handstreich mit einem Akt gleicher Art zu vergelten. Auf dem Reichstag in Orleans, der in dem gleichen Jahre stattfand, ließen sie die Häupter des kalvinistischen Adels oder der Hugenotten, wie wir sie künftig der Kürze wegen nennen wollen, den König von Navarra, den Prinzen von Condé (beide aus dem Hause Bourbon) und den Admiral Coligny (Bild 353) gefangen setzen und wegen Teilnahme an der Verschwörung der Fünfhundert zum Tode verurteilen. Da starb plötzlich Franz II., bevor er noch das Todesurteil unterzeichnet hatte. Katharina von Medici aber, die Vormünderin des erst elfjährigen Thronfolgers Karl IX., weigerte sich, ihre Unterschrift zu geben. Sie war selbst der Bevormundung der herrschsüchtigen Gebrüder Guise gründlich überdrüssig geworden.
Es trat nunmehr eine Art zweijährigen Waffenstillstandes zwischen den Parteien ein. Auch die Protestantenverfolgungen hörten während dieser Zeit auf. Da machten die Guise durch einen furchtbaren Gewaltstreich dem Zwischenakt wieder ein Ende. Auf einer Reise nach Paris passierten sie das Städtchen Vassy gerade zu der Zeit, wo sich eine calvinistische Gemeinde in einer Scheune zum Gottesdienst vereinigt hatte. Franz von Guise befahl seinen Leuten, die Versammelten auseinanderzutreiben. Als die Calvinisten im Vertrauen auf ein erst vor zwei Monaten erlassenes Toleranzedikt nicht gutwillig den Platz räumten, kam es zu einem Handgemenge, bei dem sechzig Calvinisten, darunter auch Frauen und Kinder, getötet wurden und zweihundert Verletzungen davontrugen.
Das war das Signal für die Hugenotten, sich wieder gegen ihre verhaßten Widersacher zu sammeln. In Orleans fanden sich im April 1562 dreitausend Edelleute ein, die den Prinzen von Condé zu ihrem Bundeshaupt erwählten. Auch fast alle namhaften Städte schlossen sich dem Bunde an. Beza, der Schüler und Vertraute Calvins, begleitete das Heer der Hugenotten als Lagerredner. Auch die reformierten Fürsten Deutschlands, sowie Elisabeth von England sagten ihnen Hülfe zu, während die Partei der Guise bei Philipp II. und dem Papst Unterstützung fand.
So begann denn auf beiden Seiten unter dem Zeichen des Kreuzes der Kampf um die Herrschaft und die Futterkrippe, der mit maßloser Erbitterung geführt wurde. Nicht nur auf den Schlachtfeldern erschlug man sich gegenseitig nach Tausenden, auch innerhalb der Mauern vieler Städte selbst entbrannte ein wilder Bruderkrieg, in dem Haß, Rachgier und Zerstörungswut wüste Orgien feierten. Die Katholischen schlachteten die Calvinisten, die ihnen in die Hände fielen, unbarmherzig ab, und die Hugenotten übten Zahn um Zahn, Auge um Auge blutige Vergeltung. »In Toulouse, wo die Stadträte dem Prinzen von Condé geneigt waren, während das Parlament und die untere Volksmenge zur priesterlichen Partei hielten, kämpfte man tagelang in Stadt und Umgegend, und die Zahl der Umgekommenen wurde über dreitausend geschätzt. In Guienne bezeichneten die wilden Truppen Montclus und seine spanischen Helfer ihren Weg mit Gehängten und Ertränkten, und der Hugenottenführer Adrets ahmte das Beispiel nach. Der fanatische Marschall Tavannes empfahl » Aderlässe« als die wirksamsten Heilmittel. Ganz Frankreich war ein Schauplatz des Entsetzens geworden, wo alle bösen Leidenschaften, alle wilden und rohen Triebe, Barbarei, Raubgier, mit Fanatismus gepaarte Wollust zum Schrecken und zur Schande der Menschheit ungezügelt walteten. Bewaffnete Banden durchzogen das Land, um unter dem Deckmantel der Religion und Loyalität zu rauben, zu brennen, zu morden, und wo das Schwert ausgetobt hatte, begann das Henkerbeil der Gerichte sein Werk.« (Weber.)
Auch Franz von Guise selbst fiel dem Orkan der aufgepeitschten Leidenschaften zum Opfer. Ein calvinistischer Edelmann, Poltrot de Merey, schlich sich in das feindliche Lager und brachte dem Herzog durch einen Pistolenschuß eine tötliche Wunde bei, der er nach sechs Tagen erlag (Bild 355). Poltrot, der in Paris hingerichtet wurde, behauptete, von Beza und Coligny zu der Tat angestiftet worden zu sein. Die Beschuldigten bestritten ihre Teilnahme. Tatsache ist, daß beide mit Poltrot Unterredungen hatten. Und im übrigen hatten die Hugenotten lange genug auf den Kanzeln gebetet, daß Gott sein Volk von dem Menschenwürger – eben dem Ermordeten – befreien möge. Der politische Meuchelmord wurde damals von allen Richtungen angewandt und verteidigt: von den Jesuiten so gut wie von den Protestanten, von den Spaniern sowohl wie von den Hugenotten. Es gibt keinen größeren Schwindel, als wenn heute angesichts der russischen Attentate Blätter vom Schlage des Reichsboten über die Ruchlosigkeit der Terroristen zetern und dieser sittlichen Verworfenheit gegenüber die christliche Moral herausstreichen. Wie die christliche Moral in Wahrheit aussah, davon zeugt jedes Blatt dieses Buches!
Der Tod Franz von Guises erleichterte die Bemühungen der Königin, den Frieden wieder herzustellen. Im März 1563 kam der Friede von Amboise zustande, durch den dem Protestantismus eine ziemlich weitgehende Duldung zugesichert wurde.
Aber der Friede konnte nicht von langer Dauer sein. Die Ursachen des Krieges waren ja nicht beseitigt, noch war die Macht der Guise nicht gebrochen, noch waren die Privilegien der Stände nicht gesichert. Im Jahre 1567 brach die Kriegsfurie von neuem los. Zwar kam es 1568 zum Friedensschluß von Lonjumeau, doch stellte dieser Friede nur einen Waffenstillstand von der Dauer weniger Monate dar. Gegen Ende des Jahres 1569 begann bereits der dritte Hugenottenkrieg. Papst Pius V. (Bild 356) war mit besonders heiligem Eifer bemüht, die Flammen zu schüren. Er machte allen Gläubigen zur Pflicht, die giftige Pflanze der Ketzerei mit der Wurzel auszurotten. An Karl IX. und seine Mutter richtete er die fromme Mahnung, sie möchten sich ja nicht säumig zeigen in der Erfüllung des »göttlichen Gebots« der Ketzervertilgung, sonst würde das Schicksal Sauls sie treffen. Weil dieser wider Gottes Gebot die ungläubigen Amalekiter verschont, sei er verworfen und David an seine Stelle gesetzt worden. So begann denn im Namen Gottes und mit dem Segen des Papstes das wüste Morden von neuem! Zwei Jahre lang dauerte diesmal die wilde Schlächterei, dann bequemte man sich zu dem Friedensschluß von St. Germain, durch den den Protestanten freie Religionsübung verbürgt wurde. Dem zweijährigen Kriegstoben folgte eine ebensolange Ruhe, die dann plötzlich wieder durch einen grausigen Akt religiösen Fanatismus und politischer Tücke unterbrochen werden sollte: durch den Massenmord der Bartholomäusnacht (Bild 350).
Nach dem Frieden von St. Germain schien es, als ob der Einfluß der Familie Guise auf den Hof sich mehr und mehr vermindere, während die gemäßigte Partei der Montmorency ans Ruder gelangte. Ja, schließlich schien sich sogar eine Aussöhnung zwischen den Hugenottenhäuptern und Karl IX. anbahnen zu wollen. Während Karl von Guise in Rom und die Königin-Mutter in Lothringen weilte, nahm das Verhältnis zwischen Coligny und dem König einen vertraulichen, fast innigen Charakter an. Coligny benutzte diese Annäherung dazu, den Ehrgeiz des jungen Monarchen zu erwecken und ihn für einen Krieg gegen Philipp von Spanien zu gewinnen. Als Katharina und die Guise nach Paris zurückkehrten, waren sie entsetzt und entrüstet über diese Entwicklung. Die Guise sahen all ihren Einfluß gefährdet, die ganze bisherige Politik des Hofes auf den Kopf gestellt. Und auch Katharina, so bitter sie zuweilen die Anmaßungen der Guise und ihres Verbündeten, Philipps II. empfunden, erblickte doch in dem beherrschenden Einfluß der Hugenotten die weit größere Gefahr. So faßten denn die Guise und die Königin den teuflischen Plan, die Hugenotten durch einen plötzlichen zerschmetternden Schlag zu verderben. Sie schmiedeten in ihren Zusammenkünften mit ihren Vertrauten mit allem Raffinement den furchtbaren Mordplan. Auch der päpstliche Nuntius Salviati wurde in das Komplott gezogen. Alle Häupter der Hugenotten, der greise Admiral Coligny an der Spitze, sollten fallen. Auch der König mußte zuletzt ins Geheimnis gezogen werden. Anfangs sträubte er sich lebhaft, als man ihm jedoch die Gefahren, die ihm von den Hugenotten drohten, in den schwärzesten Farben ausmalte, als man mit dem berühmten Umsturz von Thron und Altar operierte, gab der junge, wankelmütige und sittenlose Mensch seine Einwilligung. Nur stellte er die Bedingung, daß auch alle Hugenotten sterben sollten, damit keiner übrig bleibe, der ihm Vorwürfe machen könne.
Am 24. April 1572 mitternachts ertönten die Sturmglocken als Zeichen des Beginns des Gemetzels. Die königlichen Garden, die Bürgermiliz und bewaffnete Volkshaufen waren überall in der Hauptstadt bereit gehalten worden, um über die Hugenotten herzufallen, die durch die Vermählungsfeier Heinrichs von Navarra mit der Schwester Karls IX. in großer Zahl nach Paris gelockt worden waren.
Unter den ersten Opfern befand sich der greise Coligny. Der berühmte Kriegsmann fiel durch die Hand eines Dienstmannes der Guise. Die Leiche des Ermordeten wurde durchs Fenster in den Hof hinabgestürzt, wo zwei von den Guisen sich an dem verstümmelten Körper ihres Todfeindes weideten. »Nun richtete sich die Wut gegen die Übrigen. Die Mörderscharen, von Guise, Nevers, Tavannes, Montpensier u. a. geleitet und angefeuert durch den Ruf, der König wolle und befehle den Tod der Verschwörer durchstreiften alle Teile der Stadt, füllten Häuser, Straßen, Brücken mit Blut und Leichen und höhnten Gefühl, Menschlichkeit und Gesetz. Alle die tapferen Gefährten des Admirals, die Larochefoucauld, die Teligny, die Briquemont, die La Force, alle die getreuen Anhänger der Prinzen, die zu dem Ehrenfest des Bourbon nach der Hauptstadt gezogen waren, frohe südländische Gesellen, die in so mancher Feldschlacht mutig gefochten, sie alle mußten, Herr wie Diener, ihre Loyalität, ihr Vertrauen auf die Heiligkeit des Gastrechts, auf nationale Verwandtschaft und Treue mit bitterem, schmerzlichem Tod büßen, ohne Gegenwehr und ehrlichen Kampf dahinsinken. Selbst im Schloß wurden die Begleiter Heinrichs von Navarra ermordet; an den nackten Leichen weideten schamlose Hofdamen ihre neugierigen Blicke. Fanatismus, persönliche Feindschaft, Raubsucht, Mordgier, alle Leidenschaften und dämonischen Gewalten durchtobten die verwilderte Menschenbrust und trieben zu Gewalttaten, wie die Weltgeschichte alter und neuer Zeit kaum ein anderes Beispiel zu verbuchen hat.« Karl IX. selbst soll vom Balkon herab auf die fliehenden Ketzer geschossen haben, ein echt königlicher Jagdsport!
Drei Tage lang dauerte die Metzelei in Paris, durch die dreitausend Menschen hingemordet wurden. Und in vielen anderen Städten folgte man alsbald dem entsetzlichen Beispiel der Hauptstadt. »Mündliche Befehle, mit Windeseile von Stadt zu Stadt getragen, autorisierten überall den Fanatismus.« In Meaux, Orleans, Angers, Troyes, Bourges, Lyon, Toulouse und vielen anderen Städten, spielten sich die gleichen Greuelszenen ab. Zwanzig- bis dreißigtausend Menschen wurden binnen wenigen Tagen auf Befehl des Königs und der Staatskirche gleich Hammelherden abgeschlachtet. In Lyon war das Massakre ein besonders bestialisches, man verkaufte dort, wie erzählt wird, Menschenfett pfundweise!
Die Kirche schwamm ob dieses scheusäligen Verbrechens in Entzücken. Naude, der Beichtvater der Katharina, nannte die Bartholomäusnacht einen klugen Staatsstreich, und bedauerte nur, daß er bloß halb ausgeführt sei. Der Kardinal von Lothringen ließ dem Kurier, der die Freudenbotschaft von der großen Ketzerschlächterei überbrachte, tausend Dukaten überreichen. Der Papst Gregor XIII. veranstaltete Prozessionen und Dankgebete, er ließ die Kanonen der Engelsburg lösen, ein Festfeuerwerk veranstalten, ein Jubiläum publizieren, die Begebenheit auf einem Prachtgemälde verherrlichen und Karl IX. durch eine eigene Gesandtschaft Glück wünschen! Da entrüsten sich unsere ultramontanen Blätter darüber, daß die New Yorker Juden wegen der Ermordung Plehwes, des Urhebers der Kitschinewer Judenmetzelei, eine Feier veranstalteten. Die Kirche feierte den Meuchelmord mit ganz anderem Pomp; nur daß der Meuchelmord nicht an einem Schuldigen, sondern an vielen tausenden Unschuldiger verübt wurde!
Aber das furchtbare Blutbad verfehlte vollständig seinen Zweck. Die Hugenotten gaben ihre Sache keineswegs verloren, sondern hatten in den folgenden Kriegswirren derartige Erfolge aufzuweisen, daß man ihnen 1576 wieder die weitgehendsten Zugeständnisse machen mußte.
Karl IX. speziell sollte der gräßlichen Tat nicht froh werden. Seine ohnehin schwächliche Konstitution war durch wüste Ausschweifungen derart erschüttert, daß er rasch hinsiechte. Bereits 1574 starb er, kaum 24 Jahre alt. Seine letzte Lebenszeit war ihm durch furchtbare Gewissensskrupel zu einer Hölle geworden.
Auf Karl IX. folgte sein Bruder Heinrich von Anjou als Heinrich III. (Bild 351), gleich Karl ein jämmerlicher Schwächling und Wollüstling. Anfangs geneigt, den Hugenotten versöhnlich entgegenzukommen, hatte er sich von seiner Mutter, den Guise und dem Pfaffengeschmeiß bald wieder aufputschen lassen. Als sich aber im Kampfe die Wagschale zugunsten der Hugenotten neigte, machte er mit diesen 1576 seinen Frieden, durch den der calvinistischen Partei großer Einfluß auf die Staatsgeschäfte eingeräumt wurde.
Dieser Friedensschluß und die Belehnung der Hugenottenhäupter mit den einflußreichsten Stellungen rief wieder grimmige Erbitterung der bei Seite gedrängten Guise-Partei hervor. Sie schloß sich nun ihrerseits zu einem festen Schutz- und Trutzbündnis zusammen, der Liga. Dieser Bund erstrebte die Vernichtung der calvinistischen Ketzerei, die Verdrängung des hugenottischen Adels und – wie wir schon in unseren einleitenden Bemerkungen betonten – die Wiedergewinnung der alten feudalen Rechte.
Vergebens suchte Heinrich der Liga dadurch die oppositionelle Spitze abzubrechen, daß er selbst sich ihr anschloß. Erbitterte er den alten Adel doch gleichzeitig dadurch, daß er die hohen Ämter und Stellen, die bisher die Sinekuren der vornehmen Adelsgeschlechter gewesen waren, an seine männlichen Dirnen, seine »Mignons« vergab, die er aus dem Staub zu den höchsten Stellungen emporhob. Hinzu kam noch eine unvernünftige Verschwendung des Hofes, eine verlotterte Verwaltung der öffentlichen Gelder, wodurch die Finanzverhältnisse des Staates immer trostloser wurden. Kein Wunder, daß die Liga immer mächtiger wurde und auch beim Volke Sympathien fand. Einen besonderen Ansporn erhielt die liguistische Agitation durch ein Ereignis, das die Frage der Thronfolge aufrollte. Heinrichs Bruder und dereinstiger Nachfolger, der Herzog von Alençon, war 1584 gestorben. Der nächste Thronerbe nach dem Grade der Verwandtschaft war aber ein Bourbon, ein Haupt der Hugenotten, Heinrich von Navarra, einer der wenigen Hugenottenführer, die seinerzeit der Bartholomäusnacht entronnen waren! Die Guise gerieten in die furchtbarste Aufregung. All ihre Intriguen sollten vergebens gewesen sein, einer der verhaßtesten Rivalen, ein Hugenotte, sollte Thronfolger werden! Die Liga organisierte sich immer straffer und schloß in aller Form ein Bündnis mit Philipp II. von Spanien. Am 1. April 1585 erließ sie ein Manifest: Nimmermehr dürfe geduldet werden, daß ein ketzerischer König über Frankreich herrsche! Und dann folgten weitere Klagen: Der Adel des Landes werde aus seiner berechtigten Stellung verdrängt, alle Stände mit neu erfundenen Abgaben gedrückt, Kirche und Staat dem Untergang entgegengeführt. Deshalb hätten die Häupter der Nation geschworen, mit gewaffneter Hand dafür zu sorgen, daß die katholische Religion wiederhergestellt werde, daß der Adel wieder seine Rechte und Freiheiten genieße, daß das Volk erleichtert werde, daß die neuen Abgaben aufgehoben, Parlamente und Gerichte in ihrer gesetzlichen Tätigkeit erhalten und die Reichsversammlungen alle drei Jahre einberufen würden. Mit diesem gegen Absolutismus und Hugenottentum gerichteten Programm begann die Liga ihren Kampf, bei dem es sich bei den Hauptführern der beiden Richtungen, dem Herzog Heinrich von Guise und Heinrich von Navarra, schließlich nur darum handelte, wer von beiden einmal den Thron des fortpflanzungsunfähigen Königs besteigen solle.
Die Liga, der auch das Proletariat der großen Städte anhing, bildete eine derartige Macht, daß Heinrich III. sich beim Ausbruch des neuen Bürgerkriegs auf ihre Seite stellen mußte. Als jedoch Heinrich von Guise immer herrischer auftrat, ließ ihn der tückische Castrat, der Frankreichs Thron zierte, im Jahre 1588 ermorden. Alsdann flüchtete er sich zu den Hugenotten. Aber nun griff die Liga zum Meuchelmord. Schon im folgenden Jahre fiel der letzte Valois durch den vergifteten Dolch des fanatischen Dominikanermönchs Jacob Clement (Bild 329).
Damit war dem Haupt der Hugenotten selbst die Krone von Frankreich zugefallen! Der Vorkämpfer des Protestantismus, der Partei, welche die Privilegien des Feudalismus und der Bourgeoisie vertrat, war selbst zum König geworden!
Natürlich hatten damit weder der Protestantismus noch Adel und Bourgeoisie irgend etwas gewonnen. Heinrich IV., wie sich Heinrich von Navarra als König nannte, konnte sich die Krone nur dadurch sichern, daß er selbst zum Katholizismus übertrat. Und wenn er dem Calvinismus auch Duldung gewährte, so sollten sich doch die Hoffnungen der Hugenotten auf Minderung der monarchischen Gewalt nicht erfüllen. Heinrich mußte zwar, um seine Stellung erst zu befestigen, mannigfache Zugeständnisse sowohl an Liguisten wie Hugenotten machen; sobald er aber die Zügel fest in der Land fühlte, arbeitete er, trotz aller Leichtlebigkeit ein kluger und energischer Herrscher, emsig an dem Ausbau des Absolutismus.
Unter Heinrichs Sohn Ludwig XIII. kam es noch zu einigen Adelsaufständen, die wiederum die Form von Hugenottenkriegen annahmen. Aber des schwachen Königs tatkräftiger Minister Richelieu schlug diese letzten Erhebungen mit eiserner Hand nieder. Er entwickelte vollends die straffe Zentralisation der Staatsverwaltung, die dem König, respektive dem leitenden Staatsminister, die absolute Gewalt verlieh. Andere politische Gewalten duldete von nun ab das Königtum nicht mehr neben sich. Die Parlamente waren schon unter Heinrich IV. in abhängige Richterkollegien verwandelt und die Reichsstände zum letztenmal 1614 einberufen worden. Ludwig XIV. konnte dann mit Recht jenes unverschämte Wort absolutistischen Größenwahns prägen: » Der Staat bin ich«.
Dieser Absolutismus war natürlich nur dadurch möglich, daß die privilegierten Klassen, Adel und Geistlichkeit, dabei ihre Rechnung fanden. Um dem Adel die feudalen Selbstherrlichkeitsgelüste auszutreiben, mußte man ihn durch einträgliche Ämter und Stellungen ködern. Das war denn auch bei dem Hof- und Amtsadel in ausgiebigster Weise geschehen. Der verarmte und verbauerte Landadel hatte wenigstens das Privileg, die Bauern nach Herzenslust schinden und ausbeuten zu können. Dabei genoß der gesamte Adel fast völlige Steuerfreiheit.
Steuerfreiheit genoß auch die Geistlichkeit, deren höhere Posten zum guten Teil durch Angehörige des Adels besetzt waren, war es für den König doch sehr bequem, den Adel dadurch bei loyaler Stimmung zu erhalten, daß er alle einflußreichen und gut dotierten Stellungen und Pfründen als Gnadengeschenke an Sprößlinge des Junkertums verlieh. So gab es denn in Frankreich eine Unmasse vornehmer Mastpfaffen, die den sauren Schweiß von Bürgern und Bauern durch die Gurgel jagten und auch sonst eine alles eher als priesterliche Lebensweise führten. Neben dieser Creme eines schwelgerischen und sittenlosen Klerus gab es freilich noch ein zahlreiches geistliches Proletariat. Meist gehörten die Einkünfte einer Pfarrstelle irgend einem feisten geistlichen Würdenträger, der das Geld einstrich und seinem Landgeistlichen nur soviel davon zahlte, daß er eben vor dem Verhungern geschützt war. »Unterdrückt, ausgebeutet, schlecht bezahlt, im Umgang mit den Bauern verroht und verkommen, waren die Landgeistlichen die unterwürfigen Sklaven ihrer Bischöfe, in deren Taschen die ungeheuren Reichtümer des Kirchenbesitzes flossen.« Besaß doch zu der Zeit Ludwigs XIV. der Klerus ungefähr ein Fünftel des Grundbesitzes in Frankreich und ein jährliches Einkommen von 130 Millionen, das sich aus Zehnten, Almosen, Kultusabgaben, Dispensgeldern und Stiftungen zusammensetzte. Damit die geistlichen Würdenträger um so wüster prassen konnten, mußten die Landgeistlichen den Hungergurt umschnallen. Dieser Zustand erklärt es denn auch, daß es gerade ein französischer Landgeistlicher, Jean Meslier, war, der bei seinem 1729 erfolgenden Tode als »Testament« eine kommunistische Schrift hinterließ, die an zermalmender Kritik von Staat, Kirche und Religion ihres gleichen sucht. Er erklärt es ferner, daß beim Ausbruch der großen Revolution sich die niedere Geistlichkeit in so großer Zahl auf die Seite des »Umsturzes« stellte.
Das Bürgertum hatte unter dem Absolutismus schwer zu leiden. Auf ihm lastete nächst den Bauern am schwersten der ungeheure Steuerdruck. Dazu kam noch der Übermut der privilegierten Klassen gegenüber dem Bürgertum. Zwar begünstigte eine Reihe von Staatsmännern die eigentliche Bourgeoisie durch Fürsorge für die Entwicklung von Handel und Industrie, doch vernichteten die ewigen Kriege, die wahnwitzige Verschwendung des Hofes und die tolle Finanzwirtschaft immer wieder die Früchte dieser Fürsorge. Einen brutalen Gewaltstreich, der Frankreichs Gewerbefleiß selbst auf das empfindlichste schädigte, führte Ludwig XIV. 1685 durch das Verbot des Protestantismus und die Austreibung von 400 000 Evangelischen, die – da ja schon zur Zeit der Hugenottenkriege das besitzende Bürgertum sich dem Calvinismus zugewendet hatte – gerade die wirtschaftlich mächtigsten und regsten Elemente verkörperten. Der größte Teil des Seehandels von Bordeaux und La Rochelle hatte in ihren Händen gelegen, ebenso wie sie in den wichtigsten Städten vermöge ihrer Kapitalien und ihrer Beherrschung der Tuch-, Seide-, Leinwand- und Papiermanufaktur die leitende Stellung einnahmen. Ihre Auswanderung entzog Frankreich eine Riesensumme an Kapitalien und industrieller Energie.
Am allerschlimmsten aber bedrückte der Absolutismus die Bauern, die sich mit einem Drittel des Landes begnügen mußten, da die übrigen zwei Drittel dem Adel, der Geistlichkeit oder der Krone gehörten. Von den Abgaben für den Grundherrn, die Geistlichkeit und den Staat schier erdrückt, lebte die Landbevölkerung in Schmutz, Roheit und Unwissenheit in elenden, fensterlosen, strohgedeckten Lehmhütten dahin. »Man sieht,« so charakterisiert La Bruyère, der berühmte Sittenschilderer, die Lage der Bauern im Zeitalter Ludwigs XIV., »wilde Tiere, männliche und weibliche, über das Land hin verbreitet, schwarz, fahl und ganz von der Sonne verbrannt; an die Erde geheftet, die sie mit einer unbesieglichen Hartnäckigkeit bearbeiten; sie haben etwas wie eine artikulierte Stimme, und wenn sie sich auf ihren Füßen erheben, zeigen sie ein menschliches Gesicht – und in der Tat, es sind Menschen; des Nachts ziehen sie sich in Höhlen zurück, wo sie von schwarzem Brot, Wasser und Wurzeln leben …« Vergebens erhoben sie sich während der Religionskriege oftmals zu vielen Tausenden, weniger um den Ketzern zu Leibe zu gehen, als um den Adel und ihre Blutsauger überhaupt auszurotten. Aber sie erlagen jedesmal den gegen sie entsandten Mordbanden, die unter den Besiegten grauenhaft hausten.
So war denn das Endresultat der Religionskriege in Frankreich die Aufrichtung des königlichen Absolutismus gewesen. Das Königtum aber hatte, um seiner grenzenlosen Verschwendungssucht frönen und die unersättliche Gier der Junker und Pfaffen stillen zu können, das Volk um so rücksichtsloser dem Elend und der Versklavung überliefert.
Dieser Zustand war für die Dauer unhaltbar. Es trat der Zeitpunkt ein, wo das Volk allein die Unsummen, welche die Deckung des Staatsdefizits erforderte, nicht mehr aufbringen konnte. Adel und Geistlichkeit aber weigerten sich, ihre Steuerfreiheit preiszugeben. So kam es zu einem Kampf zwischen dem Hofe und den Bevorrechteten, der den ganzen dritten Stand in Bewegung brachte, dessen wachsende Energie schließlich nicht nur den Absolutismus, sondern auch Adel und Pfaffentum hinwegfegte.
Die Adelsrevolte der Hugenotten erlag, weil ihr die Unterstützung der Massen fehlte; der Emanzipationskampf der Bourgeoisie war unwiderstehlich, weil das Volk hinter ihr stand.