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»Geehrter Herr Hendlbadschi!
Ihre Tragödie »Das Blutgericht« habe ich erhalten und sofort gelesen. Es ist mir ein Vergnügen, Ihnen mitteilen zu können, daß das Stück zur Aufführung angenommen ist. Die Premiere soll schon am 27. Februar stattfinden, und denke ich, daß Sie nach langem vergeblichen Bemühen auf diesem Felde die Genugtuung eines großen Erfolges haben werden. Ich, sowie meine brave Gesellschaft werden gewiß das Möglichste hierzu beitragen. Seien Sie für den genannten Tag höflichst eingeladen, sich der Direktionsloge zu bedienen. Gewiß wollen Sie auch Ihrem Fräulein Braut die Freude gönnen, Ihrem Ehrenabende beizuwohnen.
Ihr stets wohlgeneigter
Ringelbaum,
Theaterdirektor.«
So, das wäre auch gemacht. Direktor Ringelbaum schleudert die Feder hin, steht flink von seinem Drehstuhl auf und reibt sich die Hände.
– Ja, mein frecher Hendlbadschi! Du chronische Landplage aller Theaterdirektoren, nun wollen wir dich einmal kurieren. Dein »Blutgericht« soll dir einen Erfolg bringen, an den du dein Lebtag denken wirst. Und Fanny, die kleine, blonde Bestie. Ich glaube, daß sich so großartig noch kein verschmähter Liebhaber gerächt hat. In den Zwischenakten sollen Kellnerjungen mit Bier, Kindertrompeten und faulen Eiern herumgehen. Die Direktionsloge wird von außen zugesperrt. Vor dem P. T. Publikum rechtfertigt mich der Faschingdienstag. »Das Blutgericht.« Na – gehorsamer Diener!
»Meine Herzensfanny! Schwerenotsmädl!
Bum! Bum! – Hörst Du es? Das sind die Siegessalven. Endlich einmal. Soeben hat mir mein Gönner, Herr Direktor Ringelbaum, mitgeteilt, daß das »Blutgericht« zur Aufführung kommt, und zwar schon am 27. Februar, also nächsten Dienstag. Gerade von diesem Stücke – es ist ja eine Jugendarbeit von mir – hätte ich's am allerwenigsten gedacht. Ich bin außer mir. Wie oft bin ich aus der Haut gefahren, wenn die Wische zurückkamen, aber außer mir, so außer mir – noch nie. Wie ein bummelwitziger Falter tanzt meine Seele (jetzt spüre ich, daß eine vorhanden ist) um die schmachtende Gestalt, genannt Balduin Hendlbadschi, den lieben Kerl bewundernd, der das »Blutgericht« geschrieben hat. Ein reizender Mensch, dieser Ringelbaum. Mag seinen himmlischen Brief nicht den Zufälligkeiten der Post anvertrauen, bringe ihn Dir morgen selber. In der Direktionsloge, denke Dir, werden wir sitzen. Tue mir doch den einzigen Gefallen, Dir bei der Schneiderin sofort eine Rosaseidenrobe zu bestellen; Du, mein süßes Kosekatzerl, sollst den Neid der gesamten Damenwelt entfachen, wie ich den der Dramendichter des ganzen deutscheinigen Reiches. Bum! Bum! Ttschinradatschin! Ich beschwöre Dich, Fanny! Wirf Dein Divankissen auf die Erde, knie drauf und bet' mich an als Deinen verklärten, in alle Himmel entrückten und verzückten, triumphierenden
Baldl.«
Die Rückantwort erschien noch an demselben Tage durch einen Knaben, der zwei Silberzehner bekommen hatte, damit er recht laufen sollte. Das Briefchen war tatsächlich noch feucht geklebt, Handlbadschi küßte dieses Feuchte mit wütender Inbrunst auf.
»O mein geliebter Jüngling!
Endlich also ist Dein Ringen und Harren und Dulden gekrönt, Du nun bald mit Lorbeeren bekränzter Held. Wollte Dir gleich einen Zweig senden, aber der Gärtner hat noch nichts. Na, der kann sich sputen. Ich freue mich furchtbar auf den Dienstag. Ob jedoch lichtrosa Seide paßt für das Trauerspiel, wo es mich schon jetzt gruselt, wenn der schwarze Ritter kommt und die engelsschöne Rosa ersticht! Da wird man im Theater wohl mehr Taschentücher sehen, als was anderes! Vergiß nicht, Deinen Frack zum Fleckputzer zu geben. Wer weiß, wie oft sie Dich auf die Bühne schleppen, Du armer Kerl. Aber nachher gehen wir in den »Hirschen« soupieren. Gott, wenn mich nur nicht früher der Schlag trifft! Mein Herz pumpert seit Deinem Brief und es ist alles so ganz lebendig in mir. Meine Quartierfrau sagt, sie möchte auch hineingehen, wenn sie eine Karte haben könnt. Gib ihr eine, sie soll recht baschen.
Komm nicht zu spät morgen, kann Dich schon nimmer erwarten.«
Ohne Datum und Unterschrift natürlich, aber Hendlbadschi wußte recht gut, woran er war.
Die Nachschrift: »Deinem gar zu netten Briefe entnehme ich, daß Du den »Witzbold in der Westentasche« schon gelesen hast. Bringe ihn mit, der N. will ihn zurückhaben.«
Gruppenweise standen an den Straßenecken die Leute beisammen und lasen den großen, purpurroten Theaterzettel:
Theater.
Heute, am Faschingdienstag, den 27. Februar 1900:
Das Blutgericht.
Trauerspiel in fünf Akten von Balduin Hendlbadschi.
Personen:
Graf Rodelich von Lilienburg | Herr Wallner. |
Rosa von Lilienburg, seine Schwester | Frl. Florelli. |
Kuno, der schwarze Ritter | Herr Müller. |
Galerakom, ein Hirte | Herr Bromberg. |
Muhu, ein Stier | Direktor Ringelbaum. |
Volk. – Zeit: Mittelalter. – Ort: Der Spessart.
Im Blätterwald war es still wie vor einem Sturm. Keine Zeitung brachte eine Reklamenotiz, es war ein fast feierliches Entgegengehen dem Ereignisse.
Eine Stunde vor Eröffnung des Theaters drängte man sich vor dem Eingang und rot von der Wand leuchtete es nieder: Das Blutgericht! Die Besetzung war eine ausgezeichnete. Der Heldendarsteller Wallner, ein Recke mit donnergewaltiger Stimme, der Liebhaber Müller mit dem üppigen geringelten Lockenhaar, das immer so pechschwarz und feucht war. Der Charakterdarsteller Bromberg mit den Intriguantenfalten im glattrasierten Gesicht. Direktor Ringelbaum, der so selten spielte, nur in Rollen, wo sein schöner Schnurrbart nicht störte; ein boshafter Rezensent hatte einmal behauptet, dieser Schnurrbart stehe ihm höher als die Kunst. Und endlich Fräulein Florelli, in der Studentenwelt Forelle genannt, eine Liebhaberin, deren Reize es glaubhaft machten, daß man sich ihretwegen mit Papiermachédegen duellierte, mit blindgeladenen Revolvern erschoß, mit leeren Giftbechern vergiftete. Und diese Lieblinge des Publikums sollten die neue Tragödie heute zur Darstellung bringen.
Der Dichter war völlig unbekannt. Man wollte wissen, daß Balduin Hendlbadschi ein angenommener Name sei, hinter dem sich eine hochstehende Persönlichkeit verberge. Andere wollten den Mann als jungen Privatlehrer kennen, der immer zu kurze Beinkleider und einen zu hohen Zylinder trug und wenigstens schon so viele klassische Stücke geschrieben hätte, als Goethe und Schiller zusammen. Direktor Ringelbaum habe es mit Mühe dahin gebracht, daß der Dichter sein neuestes Drama aufführen lasse, so bescheiden sei er. Weil aber alles Hehre durch Bosheit verdorben werden muß, so erdreistet sich ein schmieriger Coulissenbursche zur Behauptung, »das Blutgericht« sei schon der dreizehnte Schund, den Herr Hendlbadschi seit zwei Jahren bei diesem Theater eingereicht habe. Er setze durch seine Zudringlichkeit alle Dramaturgen in Verzweiflung. Man werde wohl sehen!
In einer Galerieecke des Theaters hockten drei halberwachsene Buben, ein wenig zerzaust an Kleidung und Haar, aber kunstbegeistert. Die führten zischelnd – zwei waren stark zahnlückig – ein Gespräch:
»Wieviel hat er dir gegeben?«
»Eine Krone. Und dir?«
»Auch eine Krone. Aber aufpassen sollen wir, hat er gesagt. Wenn die Leute baschen, müssen wir pfeifen, und wenn die Leute pfeifen, sollen wir baschen. Und wenn sie nach Abschluß still sind, müssen wir auch baschen.«
»Warum denn? Wenn's durchfallen soll!«
»Du bist dumm. Wenn nicht ein paar anheben zu baschen, wird dir dein Lebtag kein Stück ausgetrampelt.«
»Ich möcht' nur das wissen, warum der Direktor ein Stück austrampeln lassen will, wo er selber mitspielt.«
»Ja, mein Lieber! Das geht um ein Frauenzimmer her!«
»Aaah, jetzt verstehe ich! Na, da hätt' er schon zwei Kronen geben können.«
Das Haus war überfüllt. Es konnte kein Apfel zu Boden fallen. Der von einer Kinderloge fallende Apfel fiel einem alten Major auf den Schädel. Hätte der Mann nicht schon Kanonenkugeln über sein Haupt summen gehört, er würde wahrscheinlich ob dieser unvorhergesehenen Fruchternte ungehalten gewesen sein.
Fünf Minuten vor Beginn entstand Bewegung. In der Direktionsloge war ein Herr und eine Dame erschienen.
»Die Pinselduse!« raunten sich die Leute zu, besonders die Herren, während die Damen ihre schönen roten Mündchen verzogen. Die kein Mündchen hatte, verzog den Mund. Interessant war die junge Malerin allen, man merkte es wohl. In ihrem schwarzen, enganliegenden Seidenkleid, mit dem gelben Haargekrause, welches wie ein ungebärdiger Heiligenschein das weiße Rundgesichtchen umgab, hatte sie heute ein ganz distinguiert geniales Aussehen. Mit dem graubehandschuhten schmalen Händchen wedelte sie den großen japanischen Fächer, eines ihrer eigenen Meisterwerke, so daß man das lichte Gesichtchen nur immer als Halbmond zu sehen bekam. Sie plauderte scheinbar harmlos mit ihrem Begleiter, dieweilen ihre Blicke wie zwei lose Vöglein im Hause umherflogen, voll heimlichen Vergnügens darüber, sich beobachtet zu sehen. Leute, die es wußten, daß die Pinselduse noch nie auf so exponierter Stelle gesessen, wunderten sich über ihre Routine. Sie war wie geschaffen, um zu glänzen und gesehen zu werden. Dem Herrn zu ihrer Linken glückte es nicht so gut. Er war in pechschwarzem Anzug, mit weit ausgeschnittener weißer Brust, weißer Krawatte und Stehkragen, der seine Kopfhaltung in eine Art Zwangslage brachte. An den Ärmeln standen die weißen Manschetten weit hervor über die maikäferbraunen Handschuhe, und damit man sie auch sah, legte er die Hände stets auf die Brüstung, und wenn die Manschetten unter den Ärmel rutschen wollten, schob er sie durch eine wie zufällig scheinende Bewegung hervor. Er saß steif aufrecht und überragte seine rundliche Dame um Kopfeslänge. Er hatte ein blasses Gesicht mit blonden Koteletten unter den Ohren, zwischen der etwas kurzen Nase und dem gekniffenen Mund war eine breite Oberlippe, die nur an den Mundwinkeln Schnurrbartspuren zeigte; Wangen und Stirn waren mit dezent gesäeten Sommersprossen besetzt. Das aschblonde Haar war an der linken Seite sehr sorgfältig gescheitelt und vorne in einer Kurve aufgeschöpft. Der Mann befliß sich eines sehr tiefsinnigen Blickes, trotzdem hatte sein Gesicht manchmal etwas unruhig lustig Springendes. Er sprach scheinbar sehr eifrig mit der Dame, und seinen Gebärden und Mienen dabei sah man's an, daß sie »zum Fenster hinaus« gemacht waren. Manchmal wollte er die unbeholfene Verlegenheit mit Nonchalance bemänteln, lehnte sich zurück und tat, als sei ihm das alles so von ungefähr, so nebenbei, etwas, das seine Persönlichkeit noch lange nicht erschöpfe. Alle Operngläser waren nach ihm gerichtet – denn wie ein Lauffeuer hatte es durch das Haus gezuckt: Das ist Handlbadschi.
Der Kapellmeister hatte aus dem »Freischütz«, den »Hugenotten« und dem »Propheten« eine grause Musik zusammengemacht, die ging durch Mark und Bein und bereitete vor auf die nahen Ereignisse. Hendlbadschi wußte wohl, daß der eigentliche Ruhm erst nach Schluß der Aufführung angehen könne, aber eine kleine Anleihe davon konnte er doch jetzt schon machen. Jetzt ist der Genius, der nach zwei Stunden vor aller Augen frei und leuchtend dastehen wird, noch geheimnisvoll verhüllt. Dieser Nimbus ist auch nicht zu verachten. Fanny warf manchmal einen Blick auf das Publikum, gleichsam: Ihr armen Kinderchens, noch wißt ihr es nicht, wen ich neben mir sitzen habe, wer in eurer Mitte lebt.
Kling! – ganz leise. Die Brandung legt sich, der Vorhang hebt sich.
Mondnacht. Felsenlandschaft. Man hört das Tosen eines Wasserfalles. Auf einer Rasenbank sitzen Kuno, der schwarze Ritter, und Rosa von Lilienburg. Sie schwören sich mit Ausdauer ewige Treue und küssen sich. Darob stockt – ein sehr sinniger Zug – der Wasserfall, es ist still, man hört das süße Schlagen einer Nachtigall. Diesen Umstand benützt das Paar zu einem schönen Reim.
Rosa: O Geliebter mein, vernimm, es schweigt der Wasserfall!
Kuno: Und hörst du, Mädchen, nicht die Nachtigall?
Über diese Idylle senkt sich langsam der Vorhang. Natürlich kamen auch andere Szenen vor, und wunderschöne Sentenzen, die geradezu an niemanden Geringern als Friedrich Schiller erinnerten! Der Erzähler kann das nicht alles so wiedergeben, er muß sich mit Vorführung der Hauptsache bescheiden. Der erste Aufzug vorüber. Das Publikum war verblüfft. So verblüfft, daß es das Applaudieren vergaß. Hendlbadschi und Pinselduse nickten sich vielsagend zu. Diese heilige Ruhe ist mehr als Applaus. Sie sind in eine andere Welt versetzt. – Das Volk fand sich zuerst wieder, das schlichte Volk auf der Galerie. Dort begann es irgendwo zu klatschen, vier oder sechs Hände. Hendlbadschi wurde unruhig. Ob er nicht aufstehen und sich auf die Bühne begeben sollte? Fanny meinte, er möge warten, bis es noch dicker komme.
Zweiter Aufzug. Dorfplatz. Jahrmarkt mit allerlei Volk, Marktschreier, Werkelmänner, Taschenspieler, im Hintergrunde Seiltänzer. Von der Kirche her Glockengeläute, Orgelklang, Liederchor. Die Leute strömen in die Kirche, darunter auch Kuno und Rosa, einander am Arm führend. Rosa in weißem Schleppkleid, Schleier und Myrtenkranz, Kuno im Harnisch und Helm, an der Seite ein breites Schwert. Vor dem Tore begegnet ihnen Graf Roderich von Lilienburg in rotem Samtwams, über der Brust eine goldene Kette, Barett mit bunten Federn.
Roderich (zu Rose): Wohin, Schwester?
Rosa (auf Kuno deutend): Frage meinen Herrn.
Roderich: Ritter Kuno, du?
Kuno: Ja, Herr Graf, ich.
Roderich: Wohin führst du meine Schwester?
Kuno: Zum Traualtar, Herr Graf!
Roderich (sich in die Brust werfend): Mein Herr!
Kuno (sich auch in die Brust werfend): Mein Herr!
Roderich: Das wird nimmer geschehen, so lange ich lebe!
Kuno: So stirb, du seichter Fant! (Zieht das Schwert, um den Grafen zu erstechen, trifft aber Rosa, die sich dazwischen geworfen hat.)
Rosa (legt ihre Hand auf die Brust): Ach, das tut weh! – Lebe wohl mein Geliebter, ich verzeihe dir! (Fällt um und stirbt.)
Roderich (springt auf eine Stufe, ballt gegen Kuno die Faust und schreit mit furchtbarer Stimme): Rache! Rache! Rache!
Der Vorhang fällt.
Im Publikum Bewegung. An mehreren Stellen wird geklatscht. Fanny will Taschentücher bemerken, Hendlbadschi eilt hinaus, rennt in den Vorgängen herum, findet endlich den Zugang zur Bühne, prallt an Kulissen und verlangt, daß der Vorhang sich hebe.
»Da müssen Sie, bitte, schon warten, bis man Sie ruft!« sagt der Regisseur. »Einstweilen – hören Sie?« –
Man hört ein paar schrillende Pfiffe. Hendlbadschi kehrte kreidebleich in die Loge zurück.
»Man pfeift, weil man sich durch dummes Klatschen die Stimmung nicht zerstören lassen will,« sagt die Pinselduse. »Ich sehe Frauen, die bitterlich weinen.«
»Die Komödie tut ihre Schuldigkeit,« flüstert Hendlbadschi scheinbar zufrieden, doch etwas unsicher.
»Es ist ein furchtbares Stück,« haucht Fanny. »Ich hätte nicht gedacht, daß es so arg erschüttern könnte. Die Leute sind sehr aufgeregt.«
»Das kommt noch besser!« sagt der Autor mit stoischer Gelassenheit. Doch fühlt er, seine Rolle für diesen Abend ist die schwerste. Es ist ihm, als ob er starken Wein getrunken hätte und über ein gespanntes Seil gehen müßte.
Im Publikum gehen Bierjungen umher. »Frisch Bier gefällig?« Auch Biskuit haben sie auf ihren Tellern, Schinken, Eier und dergleichen.
»Wozu ist denn das?« fragt ein gemütlicher Herr und langt nach einem rotangestrichenen Holztrompetchen, das zwischen den Eiern liegt.
»Das kann man den Kindern kaufen,« antwortet der Bierjunge und zwinkert mit den Augen. »Nur fünf Heller.«
»Da hast, Junge.«
– Kling! – Dritter Aufzug. Freie Heide. Vom Buschwerk her das Blöken einer Herde. Gakerakom, der Hirt tritt auf, mit langem Rastelbinderhaar, in komisch zerfahrenem Gewand. Er philosophiert über das Glück der Armut, dann nimmt er seine Flöte vor und bläst, und singt hernach ein Lied mit dem Refrain:
Ach, wie ist das so fein.
Ein Schwein – ein Schwein –
Ein Schweinedieb zu sein!
Die Bühne verdüstert sich, es beginnt zu blitzen und zu donnern. Bei pfeifendem Sturm stürzt Ritter Kuno herbei, wirft sich vor dem Hirten nieder: »Gakerakom! Schütze mich! Ich beschwöre dich bei allem, was dir heilig ist, beschütze mich!«
Gakerakom: Bist du nicht Kuno, der schwarze Ritter?
Kuno: Ich bin's. Man will mich morden. Bin noch so jung und soll schon sterben. Ich will nicht sterben, nein, ich will nicht! Die Grausen des Todes, o! – Gakerakom! Lieber, guter Gakerakom, verbirg mich! Verbirg mich im Busch, unter deinem Mantel, wo du willst, nur rette mich!
Gakerakom: Ich weiß nicht, Herr, ich weiß nicht. Mir scheint, es kommt ein Gewitter. (Donnerschlag.)
Kuno (furchtbar bebend): Hast du kein Pferd? Mein Grafenschloß für ein Pferd! – Uh, uh, er naht, er ist schon da!
Graf Roderich: Ha, Bube! Mörder meiner teuren Schwester, du entkommst mir nicht. Hier hast du deinen Lohn!
(Schleudert einen Wurfspieß nach ihm, trifft den Hirten.)
Gakerakom: Was ist das für ein Geschoß, das in mein warmes Herz dringt? Ewige Gerechtigkeit, vom Himmel möcht' ich deine Sterne reißen, um den Mörder zu zermalmen! Ihr Blitz und Donner rächet mich! Ihr Blümlein der Au, ihr Tiere und Herden rächet mich. Ich bin des Todes! (Stirbt.)
Graf Roderich: Wie? Den Kuno habe ich erstochen und der Hirte stirbt? (Zornig zur Leiche): Kanaille, was hast du zu sterben, wenn ich den Kuno ermorde! Auf, Spitzbub, oder du sollst meinen Zorn fühlen. Wirklich? Wirklich tot? (In Jammer ausbrechend): Ach weh, ach weh! alle Kreatur hat sich gegen mich verschworen!
Kuno: Zurück, Schurke, von dieser Leiche! Neue Kraft gibt mir das himmelschreiende Verbrechen. Ich rate dir, geh bald zur Beichte. Ritter Kuno wird die Unschuld rächen!
Vorhang fällt.
In einigen Ecken der Galerie Applaus, im Publikum Widerspruch: »Ruhig!« Man zischt, eine Kindertrompete piepst. Gelächter und Händeklatschen, das sich durch das ganze Haus verbreitet. »Kommt denn die Forelle nicht wieder?« rufen die Studenten.
»Aber die ist ja tot!«
»Dann tröst' sie Gott!«
Hendlbadschi neigt sich für alle Fälle ein wenig zurück, er weiß nicht ganz genau, wie ihm geschieht. Der Pinselduse ist sehr warm, sie flattert heftig mit dem Fächer.
Auf der Bühne fragt der Regisseur den Direktor, ob man das Stück zu Ende spielen solle? »Aber natürlich!«
»Also auf!«
Vierter Aufzug. Meeresküste. Sonnenuntergang. Möven schwirren über die Bühne. Man hört das Gebrüll eines Stieres. Ritter Kuno tritt auf, schleichend, hastig, bleibt stehen, späht um sich: »Auf diesem Strandwege muß er kommen. Hier vollend' ich's! – O, der Qualen dieser letzten Tage! Vom Rachegott gekitzelt, mußte ich gleichwohl liegen auf dem Stroh, in den Eingeweiden ein mächtig Grimmen, denn meine Schaffnerin, die alte Hexe, hatte mir die Fisolen nicht gar gekocht. Und über meinem tatenlosen Sein kreisten die ewigen Sterne!«
Ob dieser herrlichen Sprache geht durch die Zuschauer ein Hauch des Entzückens. Hendlbadschi will sich doch auf die Bühne begeben, vermag aber jetzt die Logentür nicht zu öffnen. Aller Aufmerksamkeit ist der Szene zugewendet. Aus dem Buschwerk trottet plump ein schwarzer Stier.
Kuno: Welch ein Ungeheuer äfft mich hier!
Graf Roderich (der hinter dem Stiere her auftritt): Ungeheuer? Du bist es, das größte auf dem Erdball! Stehe mir!
Kuno: Dich hat dein Engel heut' verlassen, Schurke! Ich will dir heimleuchten ins ewige Leben! (Sie ziehen die Schwerter und fechten, aber so, daß sie den Stier zwischen sich haben und einer wie der andere sich durch das Tier zu decken sucht. Endlich holt Kuno zu einem mächtigen Hieb aus, trifft aber den Stier im Nacken. Dieser wankt, fällt schwer zu Boden, schiebt sich um und reckt die Beine hoch in die Luft. (Am Himmel ein liebliches Abendrot.)
Und in diesem Augenblicke war's, daß – bei offener Szene – sich ein stürmischer, ein beispielloser Applaus erhob. Volles Männerlachen, kreischendes Frauenlachen, schmetterndes Kinderlachen erfüllte das Haus.
»Ein Riesenerfolg!« flüsterte die Pinselduse dem Autor zu, »jetzt mach', daß du vor die Rampe kommst!«
»Und jetzt gehe ich nicht,« sagte Hendlbadschi. Je mehr sie lachten im Hause, je mehr war ihm ums Weinen. »Du bist das größte Ungeheuer auf dem Erdball!« knirschte er dem Publikum zu. Der ganze Zwischenakt war belebt, die Leute standen in Gruppen, sprachen laut, lachten und blickten grüßend und zunickend nach der Direktionsloge. Frauen, die von der Pinselduse bemalte Fächer hatten, schwangen und schwenkten solche gegen die Loge.
Der fünfte Aufzug war eine melodramatische Apotheose. Unter den weichen Klängen der Lorelei erhellte sich sachte der nächtliche Himmel, die Wolken teilten sich und im Verklärungsschein schwebten die drei heiligen Opfer: Rosa im weißen Brautkleide, dann Gakerakom und – der schwarze Stier. Die hehre Stimmung wurde leider beeinträchtigt durch den ungeheuren Heiterkeitsausbruch. Und junge Leute im Parterre riefen laut: »Die Forelle! Die Forelle!« Wie noch so die drei verklärten Gestalten in den flammenden Wolken standen, senkte sich langsam, feierlich der Vorhang.
Der Beifallssturm ist nicht zu beschreiben.
»Balduin Hendlbadschi!« schrien hunderte von Stimmen, und während der Vorhang immer wieder aufging, und die Schauspieler, auch der schwarze Stier, sich verneigten, kam der Regisseur in die Loge, schleppte den Autor mit sich und auf die Bühne. – Von den eleganten Verbeugungen, die er sich eingelernt, war keine Spur, er torkelte, er taumelte. Mit seinen langen, steifen Beinen und spitzen Ellbogen war er eckig wie ein Drudenkreuz. Eine Dankesansprache hatte er sich ausgedacht, nun fand er von ihr weder Anfang noch Schluß, nur das Wort, von der »gütigen Nachsicht des Publikums mit dem bescheidenen Jünger der göttlichen Kunst« kam ihm auf die Zunge und das stammelte er auch.
Die Herren standen auf den Sitzen und applaudierten, die Frauen rissen Blumen von ihren Hüten und warfen sie auf die Bühne. Und nachdem unter beständigem Lärmen und Tücherschwenken Hendlbadschi öfter als ein Dutzendmal herausgerufen war und die Diener schon das Licht abdrehten, begann endlich das Theater sich zu entleeren. Während die Menge unter lebhaften Gesprächen und Gelächter sich nach allen Seiten der Stadt zerstreute, luden Studenten den Hendlbadschi auf einen hölzernen Theaterschild und trugen ihn so auf den Achseln dem »Golden Hirschen« zu.
Die Pinselduse eilte mit gehobenem Bauschrock allein durch die dunkeln Gassen, weinend vor Aufregung und Verdruß, daß man nicht auch sie auf die Schultern der Studenten gehoben hatte.
Das nächste »Abendblatt« brachte folgenden Bericht:
»Gestern hat uns unser Theater eine höchst gelungene und liebenswürdige Überraschung bereitet. ›Das Blutgericht‹ heißt die Kanail– Pardon! – Tragödie, die uns zwei Akte lang so köstlich genasführt hat, bis es dem Publikum, und, offen gesagt, auch uns erst im dritten Akte klar wurde, es wäre die Parodie eines jener Ritterstücke, bei denen unsere Großmütter sich noch die Augen rot weinten. Die gestrigen Zuschauer haben sie sich rot gelacht. Es war ein Faschingsulk, der seiner übermütigen Laune wegen auch noch in der Fastenzeit viele ergötzen wird. Möge das Stück auf dem Spielplan bleiben, bis es alle lachlustigen Theaterfreunde gesehen haben. Wie wir hören, sollen sich bereits mehrere Bühnen telegraphisch um das Aufführungsrecht beworben haben. Der Verfasser, den nach der Vorstellung begeisterte junge Leute ins Hotel trugen, ist ein junger, schlichter Sprachlehrer, der durch diese humorvolle Schöpfung sich als einer der feinsten Geister unserer Stadt legimitiert hat.«
Direktor Ringelbaum war schlecht gelaunt. »Mir gelingt schon gar nichts mehr. Ich ziehe mich ins Privatleben zurück.«
Hendlbadschi las die Rezension bei seiner Pinselduse. Darauf lehnte er eine Weile im Sopha, zupfte an den blonden Schnurrbartschöpfchen und blickte dem Fräulein so ein wenig unsicher ins runde Gesicht. Endlich fragte er: »Fanny – und was denkst du?«
»Ich? Daß du ein Lustspiel geschrieben hast.«
»Wirklich? Es hat mir nämlich schon den Eindruck gemacht, als meinten Einige, ich hätte – allen Ernstes ein Trauerspiel schreiben wollen.«
»Tröpfe!« sagte sie und kicherte heimlich in den weißen Fächer, auf den sie eben eine blaue Tulpe malte. – Es brauchen nicht gerade immer die gescheitesten Männer zu sein, die man heiratet.
»Nur eins,« sagte sie und nagte dabei mit den weißen Zähnchen an der Unterlippe, »nur eines vermisse ich an diesem Lustspiel. Nämlich –«
»Nämlich?«
»Die letzte Szene. Wo sie sich kriegen.«
»Aber Mädel! Sie haben sich ja schon!« flüsterte Hendlbadschi und küßte ihr das Handgelenk.
In seinem nächsten Lustspiel will er diese gelungene Szene verwenden. Hoffentlich wird's kein Trauerspiel.