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Heut früh ist schon eine ins Wasser gegangen!« wußte der Pailhofer zu erzählen, der auf dem Dorfplatze stand, nahe dem Brunnen, wo ein Fuhrmann sein Pferd wässerte und eine Magd ihren Zuber voll schöpfte. Weil sie darauf nicht achteten, des Brunnengeräusches wegen es vielleicht gar nicht gehört hatten, so sagte er es noch einmal: »Heut' früh ist eine ins Wasser gegangen.«
»Geh plausch' nit,« antwortete der Fuhrmann. »Ins Bad vielleicht. Kann schon sein.«
»Unten bei der Klausenwehr hat sie der Gemeindediener herausgefischt!«
Schauten die am Brunnen auf. »Soll's wirklich wahr sein? Aber mein Gott, wer denn?«
Der Pailhofer hob die Achseln und ließ sie wieder fallen. »Rat einmal.«
»Unvergebens hineingefallen?«
»Zufleiß hineingesprungen. Wird schier nit anders sein.«
»Ein Weibsbild, sagst?«
»Ein junges Weibsbild.« Er blinzelte mit einem Auge.
»Jetzt, wenn's wahr ist, so red einmal!« rief die Magd am Brunnen.
»Daß die Weiberleut' aber schon gar so viel neugierig mögen sein!« sagte der Pailhofer bedächtig und hub an, sich seine Pfeife zu stopfen.
»Wer soll's denn lauter sein?« fragte der Fuhrmann mit leiser Stimme und schaute um sich.
»Eine, um die's kein Schad ist,« antwortete der Bauer und strich mit dem Zündholz über den Hinterteil des Oberschenkels. »Hast sie eh auch gut gekannt, Fuhrmann. Hast eh auch gern dein Rössel bei ihr eingestellt.«
»Mein Rössel? Ich? Beim Traubenwirt? Wird doch die nit –«
»Wohl wohl! die Traubenwirtin ist ins Wasser gegangen. Maustot. Haben sie just vor einer halben Stund' in die Totenkammer getragen.«
Die Magd stand sprachlos, der Fuhrmann klatschte vor Überraschung auf sein Bein.
»Ja, warum denn?«
»Weiß man's? Der Mannsbilder wegen wird's halt hergegangen sein. Weißt es eh, wie's die hat getrieben. Ich sag, die ist gut weg.«
»O du heilige Zeit!« rief jetzt die Magd aus. »Heißt es doch, daß die Traubenwirtin ihren Mann so gern gehabt hat.«
»Ja, und andere Männer noch lieber. Der ist jeder recht gewesen. Man hat's ja eh gesehen in ihrer Gaststuben. Alle Tag ist sie auf einem andern seinem Schoß gesessen. Das ist ein Luderl gewesen.«
Dort unter den Roßkastanien hin ging ein Mann. Ein noch junger Mann. Er hatte keinen Hut auf, sein schwarzes Haar war verworren, er ging ganz langsam, wie unentschlossen. Er ging dem Pfarrhofe zu. Die am Brunnen taten, als sähen sie ihn nicht. Es war der Traubenwirt.
Beim Pfarrer soll er mit gefalteten Händen um ein ehrliches Begräbnis gebeten haben. Sie wäre freilich nicht ganz so gewesen, wie sie hätte sein sollen, aber gern gehabt habe er sie doch. Der Arzt hätte gesagt, sie wäre ein krankes Leut gewesen, sie hätte halt so eine Natur gehabt. Einen Brief hätte man gefunden, da stehe was drinnen. Er bringe ihn, wenn der Herr Pfarrer wollt lesen.
Dieser wehrte mit der Hand ab. »Eine Selbstmörderin! Da wird nichts gebetet und nichts gesungen und nichts geläutet. Ich darf nicht und ich darf nicht.« Da ist der Traubenwirt traurig wieder fortgegangen.
Den Brief hatte man in ihrem Zimmerkörbchen gefunden, ganz obenauf über Nadelkissen und Zwirn. Die Zeilen waren schnell und schief hingeschrieben über das Blatt, sie waren an ihren Mann gerichtet. Dieser Brief hatte dem Traubenwirt schier das Herz gespalten. Er hatte ihn dann dem Gemeindevorsteher gezeigt, mit dem er auf der Gasse zusammengetroffen. Das war ein schlanker hagerer Mann mit einer großen Glatze. Man sah diese Glatze, so oft er an einem Bildstöckl vorbeikam und seine schwarze Tuchmütze zog. Er zog sie stets sehr tief und setzte sie erst wieder auf, wenn das Heiligenbild weit dahinter lag. Er war immer glatt rasiert und das als »Burgermeister«, und er trug immer ein schwarzes Tuchgewand, weil er auch das Amt eines Kirchenvorstehers versah. An Sonn- und Feiertagen zündete er in der Kirche die Lichter an, sammelte mit dem Klingelbeutel Münzen ein; bei Wallfahrten war er Vorbeter und Vorsänger und benahm sich mit demütig vorgebeugtem Haupte stets sehr erbaulich. Diesem Manne hatte der Traubenwirt den Brief gezeigt. Der Vorsteher steckte seine Brille auf die Nase, las ihn, las ihn ein zweitesmal, dann legte er ihn langsam zusammen, steckte ihn in seine Brusttasche und sagte: »Das ist nix für die Leut. Den Brief mußt nit umeinander zeigen. Ich heb dir ihn auf.«
In der Tischlerwerkstatt hobelte der Geselle an den Sargbrettern.
»Ein Bettstattl für die Traubenwirtin!« lachte jemand zum offenen Fenster herein. »Hast dich auch drum gekümmert, gelt?«
»Ich denk' wohl!« brummte dieser kurz und die geringelten Späne flogen pfeifend aus dem Hobel.
Auf dem Friedhofe waren zwei Männer beschäftigt, eine Grube auszuschaufeln. Der eine hatte einen ziegelroten Vollbart, der andere einen schwarzen Schnurrbart. Ein dritter schaffte mit einem Handkarren die ausgegrabenen Steine und Knochen an den Rain hinüber. Die zwei Grabenden stützten ihre Arme manchmal auf den Spatenstiel und schauten durch die offene Tür in die nahe Totenkammer, wo auf einem Schragen die Leiche lag. Man sah aus dem Dunkeln von ihr nur die Fußsohlen der Frauenschuhe. Die Männer plauderten schmunzelnd über diese Schuhe und über die Strümpfe. Sie ergingen sich in Erinnerung »an allerhand Dummheiten,« die ihnen heute noch Spaß zu machen schienen.
»Um die Schuh' ist's eigentlich schad',« sagte der Rotbärtige.
»Wird sich nit viel wehren, wenn du ihr sie ausziehst.«
»Hat sich nie viel gewehrt,« lachte der andere. »Gut, daß sie hin ist.«
Da redete der Karrenschieber drein: »Da ist's halt immereinmal lustig gewesen, gelt? Dazumal, wie du ihr beim Almwirt den Krampamperl hast aufgewartet!«
»Halt's Maul!« fuhr ihn der Rotbärtige an.
Krampamperl, so nennt man in jener Gegend den mit gebranntem Zucker versetzten Glühwein, der bei ausgelassenen Gelagen beliebt wird, um »die Weibsbilder toll zu machen.«
Am nächsten Tage schob der Rotbärtige den Sarg aus der Totenkammer bis an den Rand der Grube hin, so knapp, daß er endlich überkippte und mit dumpfen Gepolter hinabstürzte. Zugegen war der Traubenwirt, seine alte Mutter und der Bezirkskommissär. Sonst niemand. Außerhalb der Umfriedung standen ein paar müßige Leute und machten ihrer Entrüstung Luft darüber, daß ein solches »selbstmörderisches Mensch« in geweihter Erde begraben werde.
Nach der Einscharrung ging der Traubenwirt zum Gemeindevorsteher und verlangte von ihm den Brief zurück. Der Mann erinnerte sich zuerst nicht, von welchem Briefe die Rede sei, dann durchsuchte er seine Säcke und sagte endlich, der Wisch müsse verstreut worden sein, oder gar in den Ofen geworfen. Die Magd pflege beim Ausstauben der Kleider solches Zeug wegzutun.
Noch an demselben Tage sperrte der Traubenwirt sein Gasthaus. Aber es war um ein paar Jahr zu spät.