Peter Rosegger
Nixnutzig Volk
Peter Rosegger

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Winlof, der Schöngeist.

Wenn jung Winlof Liebeszeichen von sich gab, wurde er von seinen Kollegen allemal ausgelacht. Als ob ein Gymnasiast, dem antike Sprachen schon alle Liebesaffairen der alten Welt übermittelt haben, die Mädchen von Ramstadt nicht sollte hübsch und reizend finden dürfen! Allerdings kicherten auch diese liebenswürdigen Mädchen, wenn Winlof mit einer roten Rose im Knopfloch an ihren Fenstern vorbeischritt, wenn er ritterlich vor ihnen den Hut zog, oder gar einen schlecht verhaltenen Seufzer hören ließ. Daß er sie in den Formen des Horaz auch dichterisch verherrlichte, wußten sie nicht einmal.

Nun muß aber ein Junge, der solche Sachen treibt, ein hübscher Kerl sein, wenn er anstatt Kichern einen wohlgefälligen Blick ergattern, ein holdes Erröten auf Mädchenwangen erzielen will. Man kann ja nicht sagen, daß Winlof schlecht gewachsen war, er hatte einen breiten Brustkorb und die Schultern waren hübsch wagrecht hinausgebaut. Aber die Kopfhaltung war zu fortschrittlich, wie seine Kollegen schnöde spotteten, weil Nacken und Haupt immer nach vorne neigten. Auch sah dieser Kopf ein wenig igelhaft aus, weil die halbgeschnittenen Haare borstig nach allen Seiten hinwegstanden, was freilich wieder den Vorteil hatte, daß die allzukeck vorspringenden Ohren sich noch immerhin bescheidentlich unter den Schatten des Strupes bergen konnten. Auf dem viereckigen Gesichte gab es nebst den unter starker Stirn tiefliegenden Augen, der stattlichen langen Nase und dem wulstigen Mund noch allerhand Sachen, es gab Sommersprossen, Wärzlein und Narben, und die Kanten der breiten Oberzähne zeigten sich schartig, weil er gewohnt war, die Haselnüsse und Kastanien kurzweg aufzubeißen. Allerdings bekam er eine auf die Linke, derjenige, der über ihn den Spitznamen »Nußknacker« aufgebracht hatte. Eine kollegiale Ohrfeige vergeht in kurzer Zeit, wie schwer man aber einen Spottnamen wieder wegbringt, das weiß jeder, der irgend einmal »etwas geheißen« hat . . .

Winlof der Nußknacker hub nach sotanen Erfahrungen allmählich an, seine Zeitgenossen zu verachten und sich den Schätzen der Vorzeit zuzuwenden; er trug keine Rosen mehr, erteilte keine Ohrfeigen mehr, zog sich zurück und betrieb mit Eifer die Studien der Geschichte, der Sprachen, der Philosophie, der Literatur. Seine Körperhaltung wurde dabei nicht aufrechter, allein die Matura machte sich nicht mit Vorzug, sondern mit Auszeichnung und, glaube ich, einem Sternchen dran, womit die Professoren andeuten wollten, daß sie einen so außerordentlich veranlagten Schüler noch nicht gehabt hatten, und daß Winlof auf dem Gelehrtenhimmel ein Stern erster Größe werden würde. – Na, schön! dachte sich der Bursche, dann mögen die Gänse nur schnattern! – Ob er dabei die Gänse des Kapitols im Sinne hatte, oder die kichernden Mädchen von Ramstadt, das ist nicht ganz klar zu stellen. Als Student hatte er sich anfangs allerdings ein paar Pappenheimer und eine langrohrige Porzellanpfeife mit der obligaten Schönen, und endlich einen großen Hund angeschafft. Der Spaß freute ihn aber nicht lang und als er an den Backen die Schrammen hatte, glaubte er seiner Ehre nichts zu vergeben, wenn er zu den Büchern zurückkehrte. Ein paarmal tat er auch im Karneval mit. Allein, wenn er auf den Patronessen-Bettel ausging, bekam er wohl sehr artige Refuse, aber kein Geld. Und wenn er auf dem Ball sich eine schöne Tänzerin spießen wollte, so war dieselbe gewöhnlich leider schon engagiert, oder tanzte überhaupt nicht, obschon sie fünf Minuten darauf mit anderen flott durch den Saal flog. Nein, Winlof, ein solches Jungsein ist nicht lustig. Er wendete sich wieder seinen Alten zu. Zur Zeit des Doktor-Diploms war er in der Lage, ein umfangreiches Werk vorzulegen über die Literatur der Pharaonen. Die Arbeit war so gründlich angelegt und so geistesfrisch in der Form, daß die Mumien der alten Pharaonen ordentlich wieder lebendig wurden.

Als Dozent an der Universität gewann Dr. Winlof bald Hörer, die sich über sein stets etwas klobiges Benehmen zwar lustig machten, doch ob seiner wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit bald den größten Respekt bekamen. Vom Nußknacker war auch schon lange keine Rede mehr, seit aus seinem breiten und wulstigen Mund so viel Weisheit floß. Der Ruf des jungen, genialen Gelehrten drang nicht bloß bis zum Ministerium hinauf, das eine gute Professur für ihn wußte, sondern auch ins große Publikum hinaus, besonders, als er bei einem Zyklus öffentlicher Vorträge einen Abend übernahm und von den Minnesängern sprach. Wie ungeschickt er doch auftrat, wie unbeholfen er anfing zu sprechen, wie zusammengedrückt und vorgebeugt er dasaß und sein rauhes, viereckiges Gesicht hinter dem Buche verbarg, um die Leute nicht anschauen zu müssen und von ihnen nicht immer fixiert zu werden! Die Mehrzahl der Zuhörer, das waren natürlich Frauen, die denn doch auch einmal hören wollten, wie es die Minnesänger getrieben hatten. An Walther von der Vogelweide pries Winlof das große Talent, das leider an unwürdigen Gegenstand vertrödelt worden sei. Bei Ulrich von Lichtenstein wurde der Vortragende witzig. Von den Klügsten wäre das keiner gewesen, der seiner Herzliebsten mit dem Ring gleich den ganzen Finger geschickt habe, denn wenn man einer Dame den Finger gebe, so wolle sie gleich die ganze Hand haben. Doch besser sei es immerhin noch, sich den Finger abhauen zu lassen und dem Weibe zu schicken, als ihm gleich das ganze Herz zu vermachen und den Kopf als Draufgabe dazu, so daß vom Manne schließlich nichts mehr übrig bleibe, als Frack und Zylinder. – Im Augenblicke hatte er zwar die Verliebten gegen sich, aber die Lacher auf seiner Seite, auch die weiblichen. Sein Haupt richtete sich auf, als er von der Würdelosigkeit des Mannes sprach, des Weibes Knecht zu sein, sein Auge sprühte, um seinen Mund spielten allerhand Geister, über seine breitgewölbte Stirne zuckte wie flüchtiges Wetterleuchten eine leichte Röte hin. – Die Frauen fanden, daß es ein interessanter Mann war. Wenn sie einen Mann als »schön« bezeichnen, das geht ohne weiteres hin, aber wenn sie ihn »interessant« finden, das wird sofort bedenklich. – Er merkte es bei Zeiten und sagte sich, daß der Mann nie stillstehen dürfe, weil Stillstand Rückschritt sei. Pflicht alles Lebenden sei die Entwickelung.

Bei einer nächsten öffentlichen Vorlesung, die Doktor Winlof für die Studenten-Krankenkasse hielt, war der Saal überfüllt und zumeist von Frauen. Der Vortragende hatte früher einen Bartanflug gehabt, welcher sehr dünn aufsproßte, aber in die Länge ging. Der war jetzt kurz geschnitten und das borstige Haupthaar war größtenteils nach einer Richtung hin gebürstet. Als Thema hatte er sich Friedrich Schiller gewählt und im Gedenken an den früheren Erfolg würzte er den Stoff wieder mit einigen Pointen. Schließlich setzte er sich auf das Gedicht von der Würde der Frauen und als er den Vers zitierte, daß Frauen »lehren die Kräfte, die feindlich sich hassen, sich in der lieblichen Form zu umfassen,« da gewann die sonst rauhe Stimme einen solchen Schmelz, daß alles entzückt war und darin übereinkam, wie es ein wahrer Genuß sei, den Doktor Winlof sprechen zu hören.

Nun änderten sich mählich die Zeiten, und Schiller hatte wieder einmal recht mit dem neuen Leben, das aus den Ruinen blüht. Der junge, ruppige Gelehrte vertiefte sich zwar nach wie vor in seine klassischen Studien, doch öfter als sonst hob er sein Haupt, blickte um sich, oder gar zum Fenster hinaus. Er fühlte sich gestört. Es war schon geschehen, daß ihm von unbekannter Hand Blumensträuße zugeschickt wurden. Er hielt nichts auf Blumen, nur wer sie gesandt, hätte er mögen wissen. Weiber werden es gewesen sein – jedenfalls. Dummheiten. Sie wollten ihn ja doch nur zum Narren halten, das kennt man. Oder –. Da müßte man doch erst einmal –. Er hatte sich einen Wandspiegel angeschafft. Ganz ohne derlei ginge es schließlich wohl auch beim Manne nicht, hatte seine Zimmerfrau gesagt. Wenn's Eigennutz ist, dann betrügt sich die Alte. Er nimmt ihn ja doch mit, wenn er auszieht.

Haben sie nicht gesagt, schon in seiner Jugend, daß er so häßlich wäre? Da darf man sich was kosten lassen und der wahre Ästhetiker muß auch aus sich selbst ein Kunstwerk schaffen können. Indes, offen gesagt, er findet keinen Unterschied zwischen sich und anderen Männern, wenn er den Körper etwas strammer aufrichtet, die Haare bürstet, den Bart pflegt, der ja doch von Tag zu Tag stärker wird! Ein üppiger Vollbart verdeckt die Blatternarben am allerunauffälligsten, die Schrammen sollen allerdings frei bleiben. Und der Schneider ist auch keine Fabel. Man muß sich doch mal auch für sein Ansehen was leisten. Die Straußspenderinnen werden sich schließlich auch noch aufzeigen. Was wählen wir denn nächstens? Ich denke Heine. Der ist den Damen immer interessant, da haben sie gleich zwei auf einmal.

Sein großes Werk über den Ursprung des Menschengeschlechtes auf Grund des Ursprachstammes – wozu? Es ist nichts, als ein Wühlen in Staub und Asche. Was nützt mich der Ruhm in Jahrhunderten, wenn ich tot bin! Da halte ich es lieber mit der Popularität, die das Leben ziert. Lassen wir den Ursprung der Menschheit schlafen. Schreiben wir einen graziösen Essay über Heinrich Heine, das bringt Beifall, bringt Ehre in der Presse, bringt wieder Blumensträuße, bringt – weiß Gott was alles.

Und bei der nächsten Vorlesung, prost Mahlzeit! Ein erregtes Flüstern ging durch den Saal, als der Doktor – jetzt schon Professor – hinter dem Pulte hervortrat. Er war um einen Kopf größer als sonst. Stramm wie ein Oberleutnant trat er vor und verneigte sich flüchtig, gemessen. Im Knopfloch stak ein blaßrotes Röslein. Der Stehkragen mit der Seidenkrawatte schob gleichsam den Kopf frei in die Höhe. Der wohlgepflegte Backenbart, der in einen flotten Spitzbart zusammenlief, das halbkurz geschnittene, nachlässig über die Stirn gestrichene Haar gab dem blassen, durchgeistigten Gelehrtengesicht eine berückende Umrahmung. Ein Schnurrbärtchen milderte schön den starken Aufwurf der Lippen. Die Augengläser waren mit einem Nasenzwicker vertauscht worden, dessen schwarzes Seidenbändchen an der einen Wange senkrecht niederhing bis zur Brust. Die Hände waren bedeckt von taubengrauen Handschuhen, die nicht ohne Mühe abgezogen werden konnten, als er nun mit nicht schlecht gespielter Nachlässigkeit sich an den Tisch setzte. Während er mit dem weißen Sacktuch seinen Zwicker rieb, flog sein scharfer, sieghafter Blick durch den Saal. Ach, es war ein so edler Stolz in ihm. Ich bin Professor Winlof, ihr gehört alle mir! Er sagte es zwar nicht, aber sie fühlten es so. Der Vortragende begann mit den Worten: »Du bist wie eine Blume!« Nach dieser Huldigung des großen Frauenauditoriums hielt er frei und unbefangen eine pikante Plauderei über Heinrich Heine. Die Seite der Liebe kam nicht zu kurz, durchaus nicht, und manchmal war es so, daß den hochgeehrten Damen ein Prickeln ankam, bis in die Zehenspitzen hinab. Aller Augen hingen fest an dem Antlitze des Vorlesers und in mancher vertieften Zuhörerin flossen sie ganz ineinander, der Heine und der Winlof.

Nach Schluß des Vortrages war er umgeben von dem bekannten »reizenden Damenflor.«

»Ach, Professor, das war entzückend! Herrlich! Nur viel zu kurz! Man möchte bis Mitternacht zuhören! Tausend, tausend Dank! Hoffentlich doch recht bald wieder!« Er stand schweigend zwischen ihnen, drehte seinen Schnurrbart und blickte auf die Bewunderinnen, die schlank und schmächtig, oder mit hohen wogenden Busen und glühenden Wangen ihn umschwärmten. Wie er also dastand, hatte er eigentlich bloß die Wahl. Er war Löwe, aber er verschonte alle und hatte schließlich nur einen kühlhöflichen Gruß.

Dann über die Freitreppe hinab eine zur andern: »Das war geradezu großartig, heute wieder! Es war einzig. Dieser Heine muß doch ein reizender Mensch gewesen sein. Und welch ein Vortrag! – Eigentlich ein interessanter Mann, der Professor! (Leise, aber nachdrücklich:) Und ein schöner Mann! – Nur etwas feinere Manieren, wenn –. Ich bitte Sie, das gehört ja dazu, bei den Gelehrten! Hat sich ohnehin wunderbar herausgemacht. Da hätten Sie ihn mal früher sehen sollen. Ich versichere, nicht wieder zu erkennen.«

Professor Winlof fühlte allerdings immer noch das Manko, das einstweilen durch würdige Zurückhaltung verdeckt werden mußte. Er fragte sein Gewissen, was es wohl zu einem Tanzmeister sage. Wer einmal in der Gesellschaft lebt, der ist es sich schuldig. Dann – er stand vor dem Spiegel – dieser dumme Teint! Allemal im Frühsommer treten sie so stark hervor. Es muß ja Salben geben für so etwas. Ein leichter Puder. Auch der Bart ist stellenweise etwas fuchsig. Ferner – ein paar Tropfen aromatischen Mundwassers schaden nie.

Eine gescheite Frau hat einmal darauf hingewiesen, wo man den Mann am besten kennen lernt. »Seht euch bloß einmal seinen Waschtisch an, wie viele Tiegel und Fläschchen und Schächtelchen und Schälchen und Pinselchen und Bürstchen da vorhanden sind, und noch mancherlei Dinge, deren Gebrauch man nicht leicht erraten kann. Und nun schätzet.« – Der Professor bedurfte täglich fünf Viertelstunden zu seiner Toilette. Hingegen kam er dann aus seinem Boudoir auch danach hervor. »Wie aus dem Schüchtert.« Die Stirn gepudert, die Wangen geschminkt, der Bart gefärbt und drei Schritte im Umkreis erfüllte der Wohlduft des Kölnerwassers die Luft. So kam er in die Salons, wo sein elegantes Benehmen schon als Muster weltmännischer Routine bewundert wurde. So trat er in den Vorlesesaal, fein und glatt wie ein Dandy aus dem Wachsfigurenkabinet. Die Studien über das verschimmelte Altertum hatte er längst aufgegeben, auch das Dozieren in den Hörsälen. Sein Feld waren die populären Vorlesungen geworden. Er sprach über Literatur und Kunst, über die Jungdeutschen, über die Secession. Bei Jubiläen und Erinnerungsfeierlichkeiten hielt er die Festreden. Bei Hochzeiten und Taufschmäusen sprach er die Toaste, er machte das alles so geistvoll akademisch, so vornehm liebenswürdig. In Ramstadt war kein Fest mehr vollständig, zu dem nicht Professor Winlof seine heitere Weihe gab.

Wo er sich öffentlich zeigen mochte, stets umschwärmte ihn ein Hof schöngeistiger Damen. Auch solche darunter, die es freimütig eingestanden, daß er anbetungswürdig sei. Bisweilen wurde er in offenen Wagen gesehen an Seite von Frauen, mehr als einmal hörte man von Verlobung. Näher zugesehen war's aber nichts. Eine ungarische Gräfin war vorhanden, eine Literaturenthusiastin, die auch selber die Leier zu führen wußte. Mit dieser Dame war er in Vorlesungen und Gesellschaften so oft ganz zufällig zusammengetroffen, bis er sie in Versen besang als die »Sappho der Neuzeit«, oder als der neun Musen letzte, die noch leibhaftig unter den Sterblichen wandle. Bald darauf wurde die Verlobungsanzeige gedruckt. Doch noch bevor sie verschickt werden konnte, hatte die Gräfin gebrochen. So plötzlich und brutal, wie man es von einer holden Muse nicht hätte denken mögen. Ihre Begründung war: »Er färbt ab.«

Nun erst offenbarte sich die Mannesgröße, die in ihm war. Er machte sich nichts daraus. Er las über Kunst und Dichter, er las eigene Poesien und flirtete. – Abfärben? Sind die Weiber denn so echtfärbig? Wenn man ihnen die Liebe erklärt, erröten sie, wenn man ihnen die Liebe kündet, erblassen sie. War er erblaßt, als ihm der ungarische Blaustrumpf den Ring zurückschickte. Gab es nicht genug der herrlichen Frauen, die eine schöne Seele verstanden und ein bischen Karminrot auf der Wange nicht übel nahmen. Besonders von einer ist zu erzählen. Sie hatte zwar das Unglück, als die Tochter eines Wirkwarenfabrikanten geboren zu werden, hingegen das Glück, das einzige Kind eines reichen Mannes zu sein. Sie war sehr schön, vorwiegend nach der inneren Seite hin und da kann man ja umwenden. Sie hatte eine ästhetische Seele, sie war eine begeisterte Freundin alles Schönen und Erhabenen. Der Professor war Philosoph genug, um ob dieser idealen Vorzüge etwaige äußere Unvollkommenheiten zu übersehen – und sie zog ihn hinan.

Also hatte Professor Winlof gleich Faust die graue Theorie verlassen und sich auf einen Ast gesetzt an des Lebens goldenen Baum. Die Akademie der Wissenschaften hatte den Preis, den sie für das seit Jahren angekündigte, aber immer nicht erschienene Werk »Über den Ursprung des Menschengeschlechts auf Grund des Ursprachstammes« schon halb und halb bestimmt, einem anderen Gelehrten zugewendet. Darob erklärte Winlof in einem musterhaften Distichon, daß es leicht sei, auf den Ruhm zu verzichten, wenn man die Liebe hat. Übrigens, ob das kein Ruhm und kein Stolz war, wenn er gewissermaßen das öffentliche geistige Leben von Ramstadt repräsentierte! Wenn er sogar von Nachbarstaaten geladen wurde, um dort seine »unübertrefflichen Vorträge« zu halten und wenn er in den Blättern der moderne Cicero genannt wurde und sogar einmal verglichen mit jenem antiken Feldherrn, der kam, sah und siegte!

Als trotz der zuverlässigsten Haartinktur seine Stirne infolge unermüdlicher Denkarbeit sich merklich erhöht hatte, vermählte er sich mit seiner begeisterten Freundin alles Schönen und Erhabenen. Die Trauungsanzeige wurde in achthundert Exemplaren ausgeschickt an alle Anhängerinnen des Gelehrten.

Nun begann aber Unerfreuliches einzutreten. Die Damen von Ramstadt waren nicht mehr so bildungsfroh, so literaturbeflissen, als sonst. Die populären Vorlesungen Professor Winlofs zogen nicht mehr recht. Ob er nun über Griesebach las, oder über Sudermann, oder über Zola – der Saal blieb größtenteils leer. Der Professor hätte das wahrscheinlich recht tief empfunden, wenn er zur Zeit nicht von anderen Dingen abgezogen worden wäre. Sein Schwiegervater, der Wirkwarenfabrikant, war gestorben und hatte das ganze Geschäft der Tochter vererbt. Um jene Zeit tat Professor Winlof zu seinen Kollegen und auch in Vorlesungen die Bemerkung, daß ein ganzer Mensch sich für alles interessieren müsse. Die Wissenschaft, die Kunst, der Handel, wie das Gewerbe, sie seien Fäden eines einzigen Webstuhles und dieser Webstuhl sei die menschliche Kultur. Wenn er seine kleinen Vortragsreihen hielt, zeigte er dem Publikum nach denselben, oder auch unterwegs gern seine Wirkwaren vor, erklärte ihnen das ästhetische derselben und nutzte sie als Gleichnis vom großen Schicksalsgewebe des Lebens. Allmählich drangen die Wirkwaren von der Fabrik seiner Frau tiefer in seine Vorlesungen, er sprach über die Herstellung derselben, über ihre besonderen Vorzüge und wie sie mit allen ähnlichen Erzeugnissen die Konkurrenz siegreich bestehen müßten. Neugierigen Zuhörern gab er gern kleine Proben ab und den Preiskurant seiner Firma. Seiner Person wendete er nicht ganz die Aufmerksamkeit zu, wie in früheren Zeiten, das Haar, das nicht mehr gefälbelt wurde, wies graue Fäden, die Wangen, die nicht mehr übertüncht wurden, zeigten feine Runzeln. Den reichhaltigen Toilettetisch hatte er seiner Frau abtreten müssen. Sein Nacken begann sich wieder nach vorwärts zu ducken zwischen den hohen breiten Schultern. Sein Mund begann neuerdings zu gemahnen an die Familie der Nußknacker, und Leute jener Gattung, die gern in Bildern redet, wollten wissen, daß seine Ehegenossin ihm manche Nüsse aufzuknacken gab. So lange der Gemahl noch über alle Zähne verfügt, ist's nicht so schlimm, aber . . . . . Übrigens, seine Stimme hatte noch den sonoren Klang wie früher. Und wenn er im Eisenbahnwagen, oder in Gasthäusern den zufälligen Nachbarn Vortrag über seine feinen und soliden Wirkwaren hielt, da horchten auch Leute der weiteren Umgebung auf und erwärmten sich für die Unterwämser, Magenbinden, Socken usw., die der Professor vor aller Augen ausbreitete. Neuerdings die Frauen zog er an mit seinen weiblichen Waren, den Schlafhäubchen, Nachtleibchen, Strümpfen, weißen, roten und blauen. – Ob sie Faden hielten? – Ja wohl! – Ob sie echtfärbig wären? – O gewiß! – Ob er auch männliche Blaustrümpfe habe? – Aber ja! . . . .

 


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