Peter Rosegger
Nixnutzig Volk
Peter Rosegger

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Batzenlippel.

Aus einem Schreibebuch.

Dann wurde ich Schauspieler. Unsere Gesellschaft war eine wandernde, weil man uns überall sehen wollte. Wo wir einmal waren, da mochten sie uns nicht fortlassen, bevor sich nicht jeder von uns förmlich losgekauft hatte. Mein schauspielerisches Talent war sehr groß, doch wollte es nicht recht heraus; zwischen Lunge und Leber mußte es sich verklemmt haben, denn wenn ich von der Leber weg sprechen wollte, versagte mir regelmäßig der Atem. Doch war ich der beliebteste der ganzen Truppe und rettete manches Stück. Man gab Ritterstücke und Tragödien. Aber die Leute wollen lachen. Ich hatte nämlich mehrmals die Rolle tragischer Helden bekommen, ich wollte sie gar nicht lustig spielen und sie wurde doch lustig. Das ist das Unbewußte – die Genialität. Der Alte war die ersteren Male verdrießlich über die, wie er sagte, unpassend erregte Heiterkeit, als aber dann das Haus zum Platzen voll ward, so oft ich in tragischen Rollen auftrat, erkannte er meine hinreißende Kraft und versprach mir, wenn ich auch das Zettelaustragen übernehmen wollte, eine Erhöhung der Gage. Wir sagten nicht »Gasche«, sondern Gage, wie sie geschrieben wird, nur wenn der Direktor manchmal aufgebracht war, denn der Mann litt an Jähzorn, verfiel er in den alten Fehler und nannte uns Bagasche, bis der rote Louisel ihm einmal höflich nahelegte, daß er doch keinen solchen Aufwand treiben solle, alldieweilen wir nur auf die zwei letzten Silben Anspruch machten. Denn die Gagen wurden nicht so regelmäßig zugestellt, wie die Rechnungen unseres Herbergsvaters.

Der rote Louisel – wegen seiner roten Gesichtsfarbe und des ziegelblonden Haares so geheißen – hatte allerhand Einfälle; er verfertigte Theaterstücke, neue, und besserte alte aus. Der Schiller und der Schekspier waren auf unserer Bühne nämlich nur möglich, wenn der Louisel die letzte Hand angelegt hatte. Aber er war komisch, dieser Louis Gruber; während er auf Befehl des Alten ganze Seiten streichen mußte, streckte er seine krumme Nase und sagte, das Feine siebe man durch, das Grobe, die Kleie, sei gut für die Säue. Der Louisel war ein gemütliches Haus und seiner geringen Begabung gemäß stets bescheiden. Er hatte etwas Geist und Gemüt, aber kein Taschenmesser. Wir beide tranken beim Wirt nie immer noch eins, wie die alten Deutschen, sondern immer nur eins. Und wenn es dann zum Zahlen kam, sagte der Louisel manchmal zu mir: »Tu' mich auch gleich mit ab, Walter, du weißt, der Alte hat wieder einmal nicht gegagt. Bis er aber seine Gage erhielte, würde er für den ganzen Tisch zahlen. Einmal wurde er von uns andern daran erinnert; er antwortete, beim Wort bleiben zu wollen und für den ganzen Tisch zu zahlen – es war ein großer viereckiger Eichentisch – falls dieser etwas verzehre. Das waren aber nur faule Fische; wir Umsitzenden hatten uns, wenn er bei Taschenmesser war, nicht zu beklagen. Es verstand sich von selbst, daß für zwei solche Kerls, wie der rote Louisel und der Heldenspieler Walter, die Welt der Bretter zu enge werden mußte. Der Louisel hatte wieder einmal ein Stück geschrieben, und ich sollte einen meineidigen Bauern geben, der sehr fromme Reden im Mund führte, dabei seine Blutsverwandten betrog, dann bei einer Geistererscheinung sich bekreuzen will, aber die Hand nicht heben kann, mit der er einst den falschen Eid geschworen. Eine abscheulich langweilige Rolle. Ich hätte trotzdem daraus etwas gemacht, wenn der Dichter nicht darauf bestanden haben würde, mich spießgenau an den Text zu halten und nicht ein einziges Wort zu extemporieren. Die Herren selber können ja nichts, und schöpft man einmal aus dem eigenen Vollen, dann wird man »Batzenlippel« genannt, was soviel heißen soll, als eingebildeter Tropf. Das ist der Neid. Nun diesmal dachte ich gleich, daß sich diese kleinliche Prinzipienreiterei rächen würde. Wenn dem Schauspieler etwas Besseres einfällt, als der Souffleur weiß, warum nicht sagen! Daß geniale Menschen, die mit reicher Phantasie begabt sind, an Gedächtnisschwäche leiden, ist eine alte Erfahrung. Und da ein guter Schauspieler sich auf den Souffleur nicht verlassen soll, so war ich eben wieder ganz auf mein eigenes Ingenium angewiesen bei derselben Premiere. Der erste Akt ging vorzüglich, ich heuchelte flott drauf los, als bewegte ich mich allen Ernstes in der guten Gesellschaft, und schwur mit salbungsvollster Frömmigkeit den falschen Eid. Gegen Ende des Aktes jedoch, wie der Louisel als Geist erscheint, komme ich plötzlich aus der Fassung und kann nicht weiter. Der Geist zischelt mir Flüche zu, die gerade auch nicht im Buche stehen; das verehrungswürdige Publikum beginnt zu kichern, mir wird ganz blau vor den Augen, der Souffleur schreit mir den Text her, das macht mich erst recht irre. »Halt's Maul!« rufe ich ihm zu, »laß dich einsalzen mitsamt deinem Büchel. Weiß es lang' schon, was drinnen steht, besser als du!« Die Leute werden unruhig, da ich schon einmal entgleist und in meinem Fahrwasser bin, so trete ich vor und rede lustig ins Haus hinein: »Verehrungswürdige! Was sollen's denn noch sitzen bleiben bei der Hitze! Den ganzen dritten Akt lang! Daß Sie's nur wissen, der Meineidige hat halt ein böses Gewissen, und wenn er sich vor dem Geist bekreuzen will, kann er die Hand nicht heben, es trifft ihn der Schlag, er fällt zusammen und wird vom Teufel geholt. So – da habt ihr die ganze Geschicht'.« Der Vorhang fällt, aber – weil ich zu weit vorn am Rande stehe – zum Glück hinter mir, so daß er mich von den hinten drohenden Mächten trennt, hingegen dem rasenden Publikum aussetzt. Das rast, aber vor Vergnügen, und wer das nicht miterlebt hat, weiß nicht, was Applaus ist. Von der vordersten Reihe herauf wird mir der Riesenblumenstrauß gereicht, der dem Autor des Stückes bestimmt gewesen. Ich sage noch tiefgefühlte Worte unaussprechlichen Dankes im Namen des Dichters, da höre ich rufen: »Selber behalten! Selber essen!« Das dämpfte etwas, für was halten sie mich denn, daß ich Blumen essen soll!

Das Ende ist zu erraten. Das Stück hatte keins an diesem Abend, die Wurst hatte zwei und das meinige schien gekommen zu sein. Klipp und klar zerreißen wollten sie mich. Der Direktor wollte gar nicht aufhören, mir Backenstreiche zu versetzen, rechts und links, so daß vor meinen Augen allemal die Funken stoben. Umgekehrt, wie bei einem Gewitter, wo zuerst der Blitz und dann der Schlag erfolgt. Der Louisel war halb gebrochen hinter einer Kulisse gesessen, aber nun, da es galt, einen Mord zu verhindern, eilte er herbei, um mich aus den Händen des Tyrannen zu befreien. Jene aber, die sich mit meinem Blumenstrauß befaßt, brachen plötzlich in ein mächtiges Spektakel aus, sie hatten darin, verborgen wie eine Schlange unter Rosen, eine riesengroße Leberwurst entdeckt. Diese sensationelle Entdeckung änderte – wie das schon oft so vorkam – den Lauf der Geschichte. »Volkes Stimme ist Gottes Stimme!« deklamierte der Alte – er hatte keinen übeln Baß – »und wenn's dem Publikum recht ist, so kann's uns um so lieber sein.« Wir zogen uns in das Theaterrestaurant, zum Schöpsenwirt, wo unser Logement war, zurück, und der Direktor hat zur Wurst das Bier gezahlt.

Nach solchem Erfolge – der weder dem Zufall, noch dem Talente, sondern einzig nur dem Ingenium zuzuschreiben war – litt es mich natürlich nicht mehr länger bei der Schmiere. Ich wollte mich bloß einmal im Burgtheater engagieren lassen, vorher aber eine Kunstreise durch Amerika machen, denn später bekommen erste Kräfte für derlei Seitensprünge keinen Urlaub mehr.

Aber nun spreche ich aus schlimmer Erfahrung. Keinem Kollegen von der Kunst möchte ich raten, so aus dem Stegreif zu reisen. Man extemporiert wohl auf der Bühne, aber nicht nach Amerika. Das muß gut memoriert sein und für den Mimen ist der Impresario noch weit wichtiger, als der Souffleur. Ich kam natürlich gar nicht hinüber. In Bremerhaven haben sie mich zurückgewiesen; sie ahnten in mir einen Defraudeur und ahnten recht. Wollte ich nicht das größte, mindestens zweitgrößte Genie Europas nach der Neuen Welt hinüberlotsen? Auf der Rückreise wandte ich mich wiederholt an Mäcene, wovon die meisten Zwei-, andere auch Fünf-, einige sogar Zehnpfennigstücke gaben. Ich sah nun, daß meine Ruhmesbahn starke Krümmungen hatte. Eine davon führte mich aufs Schloß, wobei ich den Vorteil, der in einem einstweiligen Berufswechsel lag, sofort erkannte. Ablenkende Nebenumstände bleiben unberührt; es sei vor allem kurz angemerkt, daß ich mir auf jenem Landschlosse einen Herrn aufgenommen habe.

Ein Baron, im übrigen ein ganz netter Mensch. Nur etwas hochmütig. So ließ er z. B. seine Stiefel jeden Tag stundenlang antichambrieren vor seinem Zimmer. Mir folgte er, obgleich ich wenig zu sprechen pflegte, nahezu auf den Wink; besonders wenn ich ihn zum Diner befahl, gehorchte er augenblicklich. Doch hatte er seine Kapricen. Ich besaß in seiner Lade immer gute Zigarren, er aber versteckte mir regelmäßig den Schlüssel dazu. Ich galt als Erzieher seiner nächsten Umgebung. Waren aber ein paar lederne Kerle dabei, die manchmal ein bischen gewichst werden mußten, wenn sie Politur annehmen sollten. Doch auch die Pantalons, Jacketts und Paletots mußten täglich mit dem Stock gezüchtigt werden. Derlei erregt natürlich die Galle, und eines Tages, als ich diese nichts weniger als angenehme Aufgabe an einem unordentlichen Pantalon erfüllte, stak zufällig schon der Herr drin. Wegen dieses Versehens gab es Verdruß. Der Herr faßte mich am Kragen, warf mich an die Wand und stieß mich mit einigen Fußtritten zur Tür hinaus, daß ich die Treppe hinabkollerte. Diesen Wink verstand ich so, als ob mich der Herr nicht in seinem Hause haben wollte. Da ich soweit immer mit ihm zufrieden gewesen war, so tat ich seinen Willen und ging davon.

Nun wieder freier Weltbürger. Doch das ist kein Beruf, der seinen Mann ernährt, weshalb sich meine Ideale anderen Richtungen zuwendeten. Plebejische Neigung zur Arbeit hat meinen Charakter nie besudelt, und wenn die Staatseinrichtung in Preußen bürgerliche Existenz nur gegen Arbeit garantiert, so hatte ich dafür bloß ein Lächeln der Verachtung. Weil mich aber Frost und Hunger – ich will brutal aufrichtig sein – zu einem Erwerbe zwangen, so ging ich auf dem Stadtplatz von Lichtenfelde zu einem Sicherheitswachmann hin und schleuderte ihm einen Schimpf ins Gesicht. Er blickte mich an, zuckte die Achseln und wandte sich einer anderen Weltgegend zu. Ja, mein Gott, was soll ein Notleidender dann nur anfangen! In Österreich ist es doch bei Arreststrafe verboten, eine Amtsperson zu beleidigen. Glauben denn diese Herren, man wird ihrer Arrestlöcher wegen einen Diebstahl begehen? Wartet mal, ich will euch noch kurios zwingen, mir ein warmes Winterquartier zu verschaffen. Am Marktplatz, der voller Zeugen war, stieg ich auf die Brunnenstufe und schleuderte eine Majestätsbeleidigung hin, daß das Krämervolk nur so niederzuckte vor Schreck. Nun brauchte ich nicht mehr lange zu warten; zwischen zwei untadelhaft strammen Adjutanten marschierte ich dem Arreste zu, und der Richter verbürgte mir zuvorkommend drei Monate. Das genügt. Dann ist April, die Straßen sind trocken, und die Ruhmesbahn führt dann hoffentlich schnurgerade nach Wien. Man will aber nicht mit leeren Händen kommen.

Ich hatte einmal gelesen, daß ein Hauptmerkmal von Genialität ununterbrochene Schaffenslust sei. So fragte ich meine Torwache, ob sie ungefähr wisse, was ein Dichter ist. »Na nu! Jlauben Sie man, wir sinn so unjebildet, um nich zu wissen, wer das Lied jedichtet hat: Ei, was kraucht im Busch herum? Mir scheint, es is Napolium! Wir können unsern Joethe uswendig – wissen Sie!« »Schön. Dann werden Sie auch Verständnis haben für die Persönlichkeit, der zu dienen Sie die Ehre haben. Es wird für Sie noch viel Trinkgeld abfallen, wenn Sie die Fremden in dieses Lokal führen, in welchem Goethe der Zweite interniert war. Jawohl, mein Herr, Goethe der Zweite! Ich schreibe hier einen neuen Faust!«

»Ach herrje, is nich der alte noch jut?« sagt der Schwachkopf, brachte aber doch Tinte, Feder, Papier und Streusandbüchse, worauf ich ihn kurz entließ. Mein Schreibtisch war aufs beste eingerichtet, und ich ging an die Arbeit, das heißt: ich versuchte die Feder, ob sie nicht spießig sei, und das Papier, ob es nicht die Tinte durchlasse. Soweit alles in Ordnung, übrigens . . . Man kommt sich in solchen Stunden, trotzdem einem nichts einfällt, etwas einfältig vor. Plötzlich jedoch hatte ich's – ein wahrhaft klassischer Stoff! Sofort begann ich zu schreiben vom Liebespaar, das nicht zusammenkommen soll und deshalb einen Doppelselbstmord begehen will, sich aber in dem Mittel vergreift. Die Einfälle purzelten nur so herbei, einer nach dem andern, bis mir auch noch einfiel, daß die ganze Geschichte der rote Louisel einmal erzählt hatte. Um so besser, ist gleich ein Zeuge vorhanden, daß sie wahr ist. Wenn's nach mir so viele wissen sollen, warum soll's vor mir nicht auch einer gewußt haben! Es liegt mir dran, das Stück auf die Bühne zu bringen, ehe mir etwa der Rote den Stoff stiehlt.

Bis das Frühjahr gekommen, war die Majestätsbeleidigung so gründlich herausgehungert, daß meine Seele wie eine weiße Taube vom Mund auf hätte können nach dem Berliner Schloßplatz fliegen. Dann begannen zwischen Preußen und Österreich die diplomatischen Verhandlungen, wobei ersteres den kürzeren zog. Preußen wurde nämlich verhalten, mich an Österreich abzugeben, und zwar franko und rekommandiert. Als ich unter sicherem Geleite angekommen wieder auf der Scholle des geliebten Vaterlandes stand, zu Jung-Bunzlau, haperte es mit der Sprache. Bei der gründlichen Ausbildung in meiner Jugend waren die süßen Laute der tschechischen Sprache vergessen worden. Was anfangen? Für das Burgtheater war es keine Jahreszeit, so ging ich nach Karlsbad. Aber nicht etwa, weil ich mir auf der preußischen Festung stark den Magen verdorben hätte, denn vielmehr als Gesandter! Aus dem Notenwechsel zwischen den Regierungen hatte es sich nämlich ergeben, daß mein Vater nach Karlsbad zuständig war, nun so sandten sie mich dorthin, um die Gemeinde zu vermögen, mir die weiteren Subsistenzmittel auszuwerfen. Ich verzichtete darauf, nachdem diese Stadt mich nun blindlings verleugnete und mir jegliche Ehrengabe verweigerte. Meine Absicht, mich der Chirurgie zuzuwenden, indem ich mich in einer Badeanstalt als Heizer und Frottierer unterzubringen versuchte, mißlang. So ging ich in Staatsdienste und nahm ein Amt als kaiserlich-königlicher Straßenschotterer an. Hier konnte ich aber gerade einmal die menschliche Undankbarkeit studieren. Ist es glaublich? Nicht eine einzige der Herrschaften, wie sie da auf der Straße, die ich ihnen bereitet, zwei- oder vierspännig darüberrollten – nicht eine einzige hat mich gegrüßt, den ganzen Sommer über nicht eine einzige. Erst gegen den Herbst hin fiel es einem Herrschaftskutscher ein, mit der Peitsche nach mir zu hauen, weil ihm der Schotter zu grob war. Komisch sind die Leute. Ihm gefiel der grobe Schotter nicht und unsereinem soll der grobe Kutscher gefallen.

Endlich um die Zeit von Allerheiligen konnte ich mich aufmachen nach Wien. Zum Behufe ethnographischer Studien wählte ich den Fußweg. Er ist auch etwas näher als die Eisenbahn, die mehrmals um die Ecke biegt. Unterwegs traf ich einen Naturarzt, einen drolligen Patron. Der suchte mich für seine Grundsätze zu gewinnen, er wollte partout das menschliche Leben verlängern. Dem sagte ich es, ob er denn glaube, daß die Natur ein langes Leben der Personen wünsche? Bei der ungeheuren Zahl an Mehrgeburten! Warum gab die Natur uns den Alkohol, den Tabak, den Heißhunger und die Weiber? Doch offenbar zur Kurzweil, das heißt, um uns das langweilige Alter zu ersparen. Wenn alles darauf ausgeht, die Zeit zu verkürzen, wieso kann es der Heilkünstler wagen, das Leben zu verlängern! Solch gemeingefährliche Leute sollte man gar nicht frei herumgehen lassen! – Na, wie der Mann gestutzt hat! Einem schlichten Wanderer hatte er diese philosophische Auffassung wohl nicht zugetraut. Er meinte wahrscheinlich, sie wäre auf meinem Sack gewachsen. Während dieser Erörterungen wanderten wir gerade durch die böhmischen Wälder. Da packte mich mein Begleiter, der Naturarzt, ganz jählings an der Gurgel, warf mich hin und sagte, er wolle mir die Zeit verkürzen. Da ich mich nicht mehr zu wehren vermochte, so wollte ich ihm meine Habe schon freiwillig abtreten. Da wurde er von einem heranrasselnden Wagen verscheucht, und ich war froh, den gelehrigen Heilkünstler, der plötzlich so – kurzweilig geworden war, los zu sein.

In Wien hatte ich einen Freund. Es war der Baron, auf dessen Landschloß ich einmal Erzieher gewesen. Er besaß ein Palais auf der Ringstraße und hätte sich über meinen Besuch gewiß herzlich gefreut, wenn er nicht gerade verreist gewesen wäre. Um in der Burg eine Audienz zu erwirken, beim Theaterintendanten, das war eine Angelegenheit späterer Tage, bis mein neuer Anzug fertig sein würde. Da ich an diesem Abend also weiter nichts anzufangen wußte, ging ich in ein Vorstadttheater. Weder der Kassierer noch der Billeteur erkannte mich, ich war nämlich vorher noch nie dort gewesen. Das Theater war zum Brechen voll, ich hatte einen der obersten Plätze genommen und konnte mich ganz in das neue Volksstück vertiefen, das gegeben wurde. Allen Respekt, das heiße ich Komödie spielen – und schreiben! Die können es um einiges besser, als weiland wir von der Schmiere, mit Einschluß des Louisel, der auch just kein Plattschädel gewesen ist. Ein Landpfarrer, der sein Stubenmädchen liebt und es mit einem andern trauen muß. Mag bitter sein! Und ein halbwilder Mensch, der ihn verraten hat und doch nachher zum Pfarrer kommen muß, weil seine Mutter ins Wasser gegangen ist. – Nach meiner Ansicht war diese Figur verhaut. Inkonsequente Charakterdurchführung. Was kommt er denn zum Pfarrer, wenn er ihn nicht leiden mag? – Ich blieb indes bis zum Schluß – um etwas Besonderes zu erleben.

Als der Vorhang gefallen, brach ein solcher Beifallssturm los, und ein Lärmen nach dem Verfasser, daß dieser, von zwei andern gezerrt, auf die Bühne kam. Ein Mensch – mir kommt er bekannt vor, den muß ich ja schon – Wo mag ich ihn nur – Jesses und Jusef, ist das nicht der Louisel? Der rote Louisel – wenn er heute gleichwohl schwarz ist auf und auf, und blaß im Gesicht vor Aufregung. Der Louisel ist's! »Louisel, Collega!« schrie ich und klatschte mir die Hände zuschanden. »Louisel! Collega!« Aber er hört's nicht, denn die tausend anderen lärmen noch abscheulicher. Immer wieder kommt er heraus, der Popularitätshascher, ich schwenke das Sacktuch, es war freilich nicht mehr weiß, er sah es nicht, er sah und hörte mich nicht, so tief war er vertölpelt in seinem Erfolgsdusel. – Armer Junge!

Nun endlich beschaute ich mir auch den Theaterzettel recht. Meiner Six! L. Gruber! – Gruber schrieb sich doch der Rote. Daß mir das nicht gleich auffiel! – Natürlich lief ich wie wahnsinnig durch alle Gänge, verlief mich in alle Winkel, fand aber nicht den Eingang auf die Bühne. Diese verdammten Stadttheater. Wie einfach war es doch bei uns auf dem Lande, zur Bühne zu kommen! Vom Anger durch das Scheunentor und drinnen war man. Aber hier die Schlamperei! Wohin man wollte, dahin kam man nicht; und wohin man nicht wollte, dahin kam man. Am hinteren Ausgang, wo die Schauspieler sich entfernten, habe ich ihn erwartet. Nach einer Weile kam er mit mehreren aufgeregt sprechenden Herren heraus. Ich flog ihm an den Hals: »Louisel! Ich bin's, ich der Walter!« Vor eine Straßenlaterne zog ich ihn, er schaute mich erstaunt an. Er murmelte was. »Das Stück hast du gemacht!« rief ich fast toll vor Vergnügen. »Louisel, dieses großartige Stück! Bist aber doch ein Mistvieh, du! Wenn man noch du sagen darf zu dir.«

»Du sagen schon,« antwortet er sich fassend, »das – das andere aber kannst du für dich behalten.«

»Nicht böse sein, Brüderl!« Immer wieder von neuem mußte ich ihn umarmen, den Gefeierten. Mehrere Männer schleppten ihm Kränze nach, einer rief den Fiaker. Jetzt erst wurde es mir klar, wie gern ich den Louisel hatte. »Närrisch werde ich dir vor Freude!« rief ich, »dieses Wiedersehen! Ein solches Wiedersehen! Knabe, dieser Abend wird gefeiert. Gefeiert, wie die Götter keinen in ihrem Kalender haben.«

»Du mußt mich schon entschuldigen,« sagte er zerstreut, wie Dichter immer sind, »ich bin heute in einen kleinen Privatkreis geladen.«

»Genier' dich nicht, alter Freund! Jeder Kreis ist mir recht, auch der privateste, wenn nur du drinnen stehst. Große Gesellschaft habe ich, soviel du weißt, nie geliebt. Da sind mir die gemütlichen Zirkel weit angenehmer. Wohl auch hübsche Damen, wie? Na, heute will ich dir das Vorrecht, Löwe zu sein, nicht streitig machen. Kolossal lieb von dir, daß du mich mitnimmst!«

Dieweilen bemerkte ich, daß ihm mein Anzug aufgefallen war. »Der ist etwas malerisch, Junge, was? Nun, den neuen hat der Schneider noch nicht fertig.«

»Bei welchem läßt du denn arbeiten?« fragte er.

»Das weiß ich im Moment noch nicht. Beim kaiser-königlichen Hofschneider, denke ich.«

»Nicht wahr, Walter,« sagte er freundlich, aber verteufelt bestimmt, »du bist so gut und kommst nächster Tage einmal zu mir. Warte, ich will dir meine Adresse aufschreiben.«

»Dein Stück muß ins Burgtheater!« rief ich begeistert.

Er stieß jenes kurze heisere Lachen aus, das wir bei ihm immer das ungläubige Lachen genannt haben.

»Laß das gut sein, Louisel!« sagte ich, »es soll meine Sorge sein. Das Stück kommt in die Burg!«

Mittlerweile überreichte er mir das Papier mit der Adresse und unter demselben – ich erkannte es schon im Greifen. Nur wußte ich nicht, wieviel. Damit war ich aber auch entlassen. Der Schlucker! Gedrückt fühlte er sich in Gegenwart eines künftigen Hofschauspielers. Diesen Abend wollte gerade er einmal der Hahn im Korb sein in seinem Privatkreis. Ich will ihm's nicht verdenken. Aber neugierig war ich doch. Kaum war der Wagen davongefahren, ging ich hart unter die Laterne. Zehn Gulden! Schundig, bei diesem vollen Hause. Und für morgen ist dieser verliebte Pfarrer wieder angesetzt. Ich höre, die ganze Woche hindurch. Ein Schweineglück! Lasse Zeit, Louisel. Das Glück ist kugelrund.

In wenigen Tagen war ich soweit beisammen, daß ein Antrittsbesuch bei der Intendanz gemacht werden konnte. Ich ließ mich also melden, doch war Seine Excellenz diesmal nicht zu sprechen. Es werden Tage kommen, mein lieber Herr, wo du bei Walter antichambrierst! Dann unterhielt ich mich leutselig mit dem Wiener im Vorzimmer. Natürlich war die Rede von dem neuen dramatischen Stern, der aufgegangen.

»Ich bitte Sie,« sagte ich, »noch heute wäre dieser Mensch bei der Schmiere! Ganz natürlich! Seinen Erfolg hat er mir zu verdanken, mir einzig und allein. Wenn meine Bemühungen nicht schon auf kleinen Theatern das bischen Talent zum Leuchten gebracht hätten! Ist übrigens ein guter Junge, wird sich hoffentlich noch machen, wenn er die Ratschläge vernünftiger Freunde nicht in den Wind schlägt.«

»Sie kennen also diesen Anzengruber?« fragte der Diener ergebenst.

»Anzengruber? Nein, den kenn' ich nicht. Wieso?«

»Weil Sie sagen, daß er Ihnen den Erfolg verdankt.«

»Ich spreche vom Louisel. Von Gruber, wenn Sie die Güte haben wollten, etwas weniger zerstreut zu sein.«

»Wenn Sie vom Verfasser des Pfarrers sprechen, lieber Herr,« versetzte der Kammerdiener unangenehm dreist, »so heißt derselbe nicht Louisel, sondern Ludwig, und nicht Gruber, sondern Anzengruber. Früher ein fahrender Komödiant; seit kurzem ein kleiner Polizeibeamter soll es sein. Heute steht's in allen Blättern.«

In solchen Momenten greift der klügste Mensch sich an den Kopf. Ist das möglich? Ist eine solche Falschheit möglich? Hat sich der Mensch jahrelang unter falschem Namen herumgetrieben, hat seine Freunde damit beschwindelt und hat schließlich noch die Frechheit, Polizeibeamter zu werden!

Ein Komödiant müsse doch Komödie spielen können, hatte damals der gute Cerberus an der Pforte der Intendanz gesagt. Zum Teufel, ja, das muß er können. Verstellen muß er sich können. Das muß er! Aber – wie es sich später zeigte – der Hund ging weiter. Da hat er sich immer gleißnerisch für einen kleinen, bescheidenen Kerl ausgegeben und in Wahrheit war's ein großer Mann! – Nein, eine solche Unverläßlichkeit überschreitet die Grenzen!

 


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