Peter Rosegger
Nixnutzig Volk
Peter Rosegger

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Einer, der die Finessen kennt.

Bezähme deine Phantasie, Ludwig,« sagte ich zu ihm, »und laß den unwürdigen Argwohn!«

»Phantasie! Unwürdigen Argwohn nennst du das!« rief er aus. »Gut, so höre. Höre einmal.«

»Da bin ich doch begierig, was du deiner braven Eglanta anfärbeln wirst.«

»Heute vor acht Tagen, am Ostersonntag,« so begann er zu erzählen, »vormittags von elf bis zwölf Uhr waren wir auf der Promenade vor dem Stadttheater. Ich liebe sie nicht, diese Herdenbewegung, aber meine Frau – da fühlt sie sich in ihrem Element. Ich gehe mit Mama, Eglanta hintennach, mit ihrer Cousine glaube ich. Es war ein Leutegemenge gegeneinander – wie eine wilde Quadrille; nur alles hundertfach. Da ist es mir plötzlich, im Gegenschwarm sei der Baron Hammerspach gewesen. Gesehen hat er mich nicht, wenigstens nicht gegrüßt. Habe mich aber doch umgewendet, um zu schauen, wie die gegeneinander kommen würden. Sie tat einen kurzen Blick nach ihm, ein flackernder Blick war's, möchte ich sagen, dann streiften sie im Gedränge aneinander und waren vorüber. Eglanta hatte meine flüchtige Beobachtung gemerkt und drängte sich rasch voran zu mir.

Denke dir, flüsterte sie mir zu, der Baron Hammerspach. Und ganz dreist angestreift hat er mich.

Mir scheint, du streiftest ihn an, wollte ich sagen, tat es aber nicht, sondern schwieg und war verstimmt. Sie ging nicht mehr hintendrein mit der Cousine, sondern knapp neben mir und hing sich in meinen Arm. Ich kann mir nicht helfen; aber ihr Benehmen war mir verdächtig. Nicht daß es anders gewesen wäre als sonst – eben das war verdächtig. Bei Tische nachher war's so weit ganz gemütlich. Nach demselben ging ich wie immer ins Café Kaiserhof. Noch war ich in meine Witzblätter vertieft, als sich ein Bekannter an mein Tischchen setzte und mir so nebenhin mitteilte, daß ich zu Hause wahrscheinlich Besuch bekommen hätte. Als er an meinem Hause vorübergegangen, sei gerade Baron Hammerspach zum Tore hineingetreten.

Baron Hammerspach? fragte ich, mich dumm verstellend, der ist ja in Wien.

Hat über Ostern wahrscheinlich eine kleine Vergnügungsfahrt nach Graz gemacht, um seine Freunde zu besuchen. Ihr kennt ihn ja von früher her.

Teufel, denke ich, was kommt er denn plötzlich mit dem »Ihr«! Er bezieht meine Frau mit ein.

Glaubst du, daß er zu mir kommen wollte?

Ich vermute es nur, weil er in dein Haustor eintrat.

Hast du dich auch nicht getäuscht? War es der Baron?

Aber ich bitte dich, wer wird den Hammerspach nicht kennen! Er hat auch noch seinen zweispännigen Zylinder.

Wir hatten diesen Hut immer den zweispännigen Zylinder genannt, weil er zwei Spannen hoch wäre. Ich habe ihn übrigens nie gemessen. Aber wenn du glaubst, daß er's wirklich war, dann muß ich nach Hause. Vermutlich ist gar niemand zu Hause, sagte ich. Die Mägde haben Ausgehtag und meine Frau ist sicher bei ihrer Mama.

Zehn Minuten später – ich war ja gelaufen wie verrückt – bin ich in der Grabenstraße und im dritten Stock vor meiner Tür. Ich schelle. Es kommt niemand. Ich schelle das zweite Mal. Es bleibt still. Zum Donner, die Mägde sind freilich ausgegangen, aber Eglanta muß doch zu Hause sein. Sie hatte nach Tisch über Migräne geklagt und wollte einige Stunden Ruhe haben. Ich schelle das dritte Mal und heftig, und anhaltend. Da hörte ich, wie sich drinnen stark ein Fenster schloß. Gleich darauf kam sie zur Türe und öffnete. – Jes Maria, du bist es, Ludwig? rief sie lachend. Jetzt wußte ich doch nicht, wer da läuten kann. Hast du schon lang geläutet? Ich blickte zum Fenster hinab und hörte es wohl nicht gleich.

Rasch trete ich in die Wohnung, ins Empfangszimmer und zum Fenster.

Was war denn unten?

Mein Gott, gewesen ist nichts. Man beschaut sich so die Vorübergehenden.

Ich wollte ins Nebenzimmer eilen.

Ach, Ludwig, laß doch einmal schauen! sagte sie mit ihrer hellen Stimme, ganz unbefangen, mir scheint an deinem Rock will sich ein Knopf lösen, da vorn, oben. Willst du ausziehen, so kann ich ihn gleich festheften. Die Johanna vergißt doch wieder darauf.

Oho! denke ich, ins Nebenzimmer soll ich nicht! Was ist denn im Nebenzimmer, daß ich nicht hinein soll? Und trete rasch hinein. Ich sehe niemanden. Ich durchspähe die Winkel, den Schrank, ich gucke unter Tisch und Sofa. Ich finde niemanden. Wie ich wieder ins Empfangszimmer trete, kommt sie vom Vorzimmer herein, hat ein echauffiertes Gesicht.

War jemand da? fragte ich.

Ach Gott, mir war, als hätte wieder jemand geläutet. Man wird wirklich ganz nervös. Man hat doch wirklich nicht eine Stunde mehr Ruhe.

Aber die Migräne ist gut? fragte ich.

Gut, sagst du? gab sie etwas gereizt zurück. Da möchte ich schon wissen, wie bei diesem fortwährenden Gelaufe der Kopf gut werden könnte.

Ich öffnete das Fenster, um auf die Gasse zu schauen.

Bitte dich! rief sie, tu' mir den einzigen Gefallen und schließe das Fenster. Glaubst du, daß bei diesem schrecklichen Luftzug –

Aber du hast doch erst selbst zum Fenster hinabgeschaut. Siehe, wer da unten geht! Das ist doch wahrhaftig der Baron Hammerspach. Der ist ja aus unserem Haustore getreten. Eglanta, der war da!

Wer, der Baron? fragte sie.

Der war da! Er war bei dir da!

Aber natürlich war er da, antwortete sie ganz ruhig und unbefangen. Er wollte mit dir sprechen. Eine Angelegenheit, er wollte anfangs nicht heraus damit. Endlich hat er's auch mir gesagt. Denke dir, Ludwig, dieser Mensch muß nicht schlecht herabgekommen sein. Ein Anlehen will er von dir.

Der Baron Hammerspach?

Ich habe es ihm offen ins Gesicht gesagt, da wäre er vor der unrechten Tür. So wird er nun wohl bei anderen Türen herumklopfen.

Eglanta, warum hast du mir's verschweigen wollen, daß der Baron da war!

Verschweigen? Ich dir? Ja, warum sollte ich dir den Baron verschweigen! Dieses Geheimnis wäre mir wirklich nicht interessant genug. Sie lachte wieder.

Nun stand ich da und beobachtete sie. Gott strafe mich, wenn ich auch nur das geringste verdächtige Zeichen an ihr bemerkt habe. Die Verstellung der Weiber ist fabelhaft.

Eglanta, sage ich hernach. Ich habe es gesehen, wie du am Vormittag auf der Promenade den Baron am Ellbogen gestreift hast.

Ich? Den Baron am Ellbogen? Wie meinst du das? – Hörst du, Ludwig, das ist arg, das ist gemein. Wenn ich einen anstreifen will, wie du dich auszudrücken beliebst, so streife ich einen anderen an und nicht den Baron Hammerspach.

Das ist von ihr in einem so ehrlichen Zorn gesagt, daß ich ganz unsicher werde. So pflegen sich sonst Halbentlarvte nicht zu gebärden. Ich will schon irgend eine begütigende Form des Rückzugs antreten, da sehe ich auf dem Sofa in der Falte zwischen Sitz und Lehne ein Taschenmesser mit Hirschhornschale.

Was ist nur das für ein Messer? Ich hebe es auf.

Das wird wohl dein Taschenmesser sein, sagt sie gelassen.

Ein Herrenmesser ist es, aber das meine nicht. Siehe, da auf dem Silberblättchen sind drei Buchstaben eingraviert. B. R. H. – Was mag denn das etwa heißen, Eglanta?

Das wird wohl Baron Richard Hammerspach heißen, sagt sie. Ich habe ihn einen Augenblick Platz zu nehmen heißen. Da wird's ihm wohl aus der Tasche gerutscht sein. Oder denkst du, daß er mich mit diesem Messer ermorden wollte?!

Du hast wohl sehr Angst gehabt vor dem Jugendfreund.

Aber mein Gott, rappelst du denn heute? Ich weiß gar nicht was du willst. Wie diese Jugendfreundschaft beschaffen war, davon hast du dich doch selbst überzeugt. Sonst hättest du ihn später wohl nicht in unser Haus geladen.

Aber nicht während meiner Abwesenheit. Sage, Eglanta, hat er auch an zehn Minuten schellen müssen, wie ich?

Er hat gar nicht zu schellen gebraucht, weil ich eben in der offenen Türe stand, um vom Briefträger die Post in Empfang zu nehmen. Deshalb konnte ich mich auch nicht verleugnen. –

Das schien mir alles ganz glaubwürdig. Und doch habe ich kein Wort geglaubt. Wäre es weniger glaubwürdig gewesen, so hätte ich es lieber geglaubt. Als sie in das Nebenzimmer tritt und die Tür heftig hinter sich zuwirft, beginne ich das Sofa zu untersuchen, ob der Gast nicht etwa auch sonst noch etwas verloren hätte. Ich finde gar nichts. Ei doch, ich finde einen langen Haarfaden. Er schimmert wie Gold. Der Baron hat falbes Haar, aber – die Eglanta . . . Mir wird ganz heiß, als ich an ihr weiches güldenes Haar denke.

Entschieden und gemessen trete ich zu ihr ins Zimmer. Das ist schon Verstellung, ich verliere mich bereits. Eglanta, sage ich, da die Sache jetzt einmal angebrochen ist, so müssen wir sie gründlich austragen. Ich wünsche, daß ich dir Unrecht getan habe. Sehr Unrecht. Und ich hoffe es. Du bist ja meine liebe Taube, Weibchen!

Ich nehme ihr Köpfchen zwischen die Hände, aber ich will ja schlau sein. Ich tue es doch nur, um meinen Haarfaden mit ihrem Haare zu vergleichen. Und Freund – es ist schrecklich. Da läßt sich nichts mehr beschönigen, es ist ihr Haar. – Ich habe ihr's auch sofort gesagt. Da springt sie auf, wütet durchs Zimmer und schreit wie von einer dritten Person: Ist er denn plötzlich wahnsinnig geworden? In meinem Zimmer einen Haarfaden von mir zu finden? Was will er denn damit sagen?

Oh, Eglanta, das weißt du recht gut. Sonst würdest du jetzt nicht so rasend sein. Schlechtes Weib, ich will dir etwas sagen: du hast mich betrogen! – So habe ich es ihr ins Gesicht gespien.

Da ist sie ruhig geworden, unheimlich ruhig. Hinter der offenen Tür ihres Kleiderkastens hat sie sich angezogen, hat ihr Handtäschchen gefüllt und ist fortgegangen. Ich vermute, zu ihrer Mutter. Gesagt hat sie nichts mehr. – So, nun weißt du, wie es steht.« –

Mich hatte diese Erzählung Ludwigs fast gelähmt.

Nach einer Weile erst konnte ich sagen: »Du hast dein Haus zerstört.«

Er zuckte die Achseln und schritt, die Hände auf dem Rücken, mit großen Schritten über die Diele. Einmal blieb er stehen und stampfte den Fuß in den Boden. Dann schritt er wieder aus.

»Was wirst du jetzt machen?« fragte ich zagend.

»Gibt es eine Wahl?« stieß er heftig hervor. »Es ist aus. Sie hat mich entehrt.«

»Aber Mensch, woher weißt du denn das? Du hast keinen Anhaltspunkt.«

»So! Keinen Anhaltspunkt. Als ob sie 's nicht eingestanden hätte!«

»Eingestanden? Wieso?«

»Ihr Leugnen ist so viel als eingestanden. Er war bei ihr. Das ist doch eklatant, nicht? Nein, so leugnet nur die Schuldige. Ich kenne die Finessen.«

»Ja, Ludwig, das ist das richtige Wort. Du kennst die Finessen. Du kennst sie an dir. Aber nur an dir. Wie der Schelm von anderen denkt und so weiter. Du hast in deinen Fällen geradeso geleugnet. Oder würdest so leugnen, wenn sie dich zur Rede stellte. Dein ausgezeichnetes Verständnis für die Situation, das du ihr bei diesem Auftritte verrietest, hat dich entlarvt, während du glaubtest, sie zu entlarven.«

Ludwig stellte sich ernst, fast feierlich vor mich hin und sagte: »Ich dachte, das, was man einem Freunde auf Diskretion gelegentlich mitgeteilt, wäre begraben . . .«

»Ich wollte dich bloß daran erinnern, stolzer Richter.«

 


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