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siehe Bildunterschrift

In Bernharts Atelier

Neunundfünfzigstes Kapitel
Schluß

Munteres Gelächter erklang aus dem kleinsten Landsitze Neumühlens, in dem Vater Kühnmann gesund und frisch umherging, um die Schnecken über den Zaun zu werfen, die ihm das Leben recht sauer machten. Hatte er abends den ganzen Garten abgesucht und die ungebetenen Gäste »an die Luft gesetzt«, wie er sagte, so mußte er sich am nächsten Nachmittag »das bißchen Essen aus dem Leibe ärgern«, denn er fand dann wieder so viel Schnecken, daß er behauptete, sie müßten aus der Luft fallen, wobei er sie rücksichtslos und zornig hinauswarf, daß ihm Vetter Schwarzknopf mehr Sorgfalt empfahl, da sonst die guten Tiere die Arme und Beine brechen müßten und Herr Kühnmann leicht der Justiz des Tierschutz-Vereins in die Hände fallen und wegen Tierquälerei in die Zeitung kommen könnte. Diese Bemerkung erinnerte Kühnmann daran, daß er das Blatt heute noch nicht gelesen habe, weshalb er seine Brille mit einem entschiedenen Ruck festsetzte und nach der Veranda lief, wo er hinter der Zeitung verschwand.

Plötzlich ließ er einen Ausruf der Verwunderung hören und sagte: »Das ist doch außerm Spaß! – Da hört – nein, 's ist unglaublich, in einem Jahr so aufzuräumen. – Es ist dem alten Drachen aber recht!«

»Was gibt es denn?« rief die Familie.

Herr Kühnmann las: »E. Henri – Neuer Jungfernstieg, mit Mark Banko 250 000 und Courant 280 000. – Alle Donner! Das ist ja das ganze Vermögen der alten Senatorin, was der Kerl da allegemacht hat! Wie muß er denn das angefangen haben?«

»Er ist ein Spieler und außerdem hat er teure Liebschaften. Eine Kunstreiterin von Tournier soll ihm beinahe hunderttausend Mark abgenommen haben. Er hat ihr den großen Schmuck gekauft, der am Jungfernstieg jahrelang die Augen aller Fremden auf sich zog und allen Prinzen zu teuer war. Dann ließ er von Paris die brillantesten Kleider und Hüte für sie kommen und endlich von Kairo gar zwei arabische Pferde, die mit dem Transport bis zum Platze zwölftausend Mark kosteten. Auf diese Weise wird einer bald mit einer Million fertig,« erklärte Schwarzknopf.

»Schauderhaft!« murmelte Kühnmann, indem er die Gläubigerliste durchlas. »Da steht ein Wolf mit 50 000 Mark Wechsel, hat Deckung.«

»Er hat ihm die Villa Eiskuhl hier verschrieben, wie ich hörte«, sprach Förster.

»Das kann er ja nicht, die gehört doch der Senatorin, seiner Frau!« entgegnete Kühnmann.

»Die hat ihm vor der Trauung ihr ganzes Besitztum abgetreten.«

»Na, dann geschieht's ihr recht!« riefen alle. – Kühnmann las weiter und kam zu den Trauungen, die er stets mit Interesse studierte und in spaßhafter Weise als Unglücksfälle vorlas. – Es war heute eine überraschende Zeitung, die Herr Kühnmann in der Hand hielt, denn auch bei diesem Kapitel fand sich etwas, wodurch er in die höchste Verwunderung versetzt wurde. Er las: »Getraut wurde: Herr Carl Bernhart, Kunstmaler und Ziegeleibesitzer, mit Fräulein Selma Eiskuhl, vormaligen Senatorstochter, und Herr Emil Schnepfe, Schiffsdoktor und Ziegeleibesitzer, mit Emma Eiskuhl, vormaligen Senatorstochter. – Das sind die beiden wahrhaftig!« rief Kühnmann. »Aber wie kommen sie zu dem Titel Ziegeleibesitzer?«

»Oh! Das habe ich euch zu erzählen vergessen«, sagte Schwarzknopf. – »Vor ein paar Wochen traf ich den Maler und den Doktor auf einem Ewer voller Ziegelsteine, ganz rot gefärbt, und glaubte, es stehe so schlecht mit ihnen, daß sie Ewerknechte geworden seien. Die Sache ist aber anders. – Ihr wißt doch, wie Spickmann damals dem Maler die Lehmgrube für das Bild aufhängte?«

»Ah!« rief Kühnmann gespannt. »Und nun?«

»Und nun hat er und der Doktor, der eine Erbschaft bekam, eine Ziegelei daraus gemacht und verdienen ein Heidengeld damit«, fuhr Schwarzknopf fort.

»Dacht' ich's doch!« sprach Kühnmann, auf den Tisch schlagend. – »Man ist aber manchmal ganz blind gegen seinen Vorteil. Der Maler bot mir vorigen Winter das Ding zum Kauf an und hätte es mir für hundert Taler gegeben. Ich lachte ihn aus – jetzt könnte ich hunderttausend Taler daraus schlagen. Das ärgert mich barbarisch. Konnte mir zu dem Worte Lehmgrube nicht das Wort Ziegelstein einfallen? Es liegt so nahe auf der Hand. Der Mann konnte dann bei seiner edlen Malerkunst bleiben und brauchte sich nicht mit diesem Lehm zu befassen.«

»Dann hätte er sich aber auf keinen Fall so schnell ein Vermögen verdient«, bemerkte Förster.

»Ein Künstler muß nicht nach Besitz streben Anm. Reinhardts: Wirkliche Äußerung eines Leipziger Kunstmäzens gegen einen Künstler, dem er Geld zu einem kleinen Hausbau borgen sollte.. Das ist unrecht. Jetzt soll er mir auch meine Vorschüsse auf die Bilder nebst Interessen wiedergeben«, sagte Herr Kühnmann, der sehr ärgerlich auf Bernhart war, weil dieser ein gutes Geschäft machte, und sehr ärgerlich auf sich, daß er das Geschäft nicht selbst gemacht hatte.

In der Villa Eiskuhl gab es indes ärgerliche Auftritte.

Der alte Wolf war mit einem Advokaten und Gerichtspersonen erschienen, um Beschlag auf alles zu legen. Er hatte wieder eine Spielbank errichtet und Herrn Henri nebst Konsorten nicht nur ausgezogen, denn er war ein ausgezeichnet geschickter Falschspieler, sondern ihm auch noch von dem gewonnenen Geld zu zwei-, dreihundert Prozent auf Wechsel geborgt, gegen die er sich die Villa als Deckung geben ließ.

Die Senatorin weigerte sich in der letzten Zeit, Geld herauszugeben und behielt ihre Schlüssel hartnäckig bei sich, denn sie war hinter das Verhältnis mit der Kunstreiterin gekommen und erhob deshalb einen furchtbaren Skandal, ja sie wurde von Wut und Eifersucht so weit hingerissen, daß sie eines Tages der Amazone das Gesicht mit den Nägeln zerkratzen wollte, wobei sie aber von dieser gymnastischen Dame jämmerlich durchgeprügelt wurde, was Herr Henri am nächsten Tage fortsetzte, als er sehr betrunken nach Neumühlen kam, der Senatorin unverhohlen sagte, daß sie ein »altes Bockfell« sei, das gegerbt werden müsse und dann ein Ausklopfstöckchen ergriff, womit er sein Täubchen durch Villa und Garten jagte und in den Pavillon trieb, wo er sie in Erinnerung an seine eigenen Prügel unbarmherzig »durchgerbte« und dann zu seiner Kunstreiterin zurückkehrte.

Die Senatorin lief in der größten Wut nach ihrem Zimmer, um ihre sämtlichen Wertpapiere zu holen und zu entfliehen, denn der himmlische dumme Junge hatte ihr beim Abschied zugerufen, daß er jeden Abend wiederkommen und sein süßes Täubchen mit dem spanischen Rohr liebkosen wolle. Die Augen waren ihr gräßlich geöffnet worden, gingen ihr aber noch mehr auf, als sie ihren Geldschrank öffnen wollte und die Schlüssel daran steckend fand, die sie doch sorgfältig aufbewahrt in ihrer Tasche trug. Sie erkannte mit Schrecken, daß sich der himmlische dumme Junge Nachschlüssel hatte machen lassen; sie fand von sämtlichen Wertpapieren und barem Gelde nichts mehr vor. Herr Henri blieb von diesem Tage an in der Stadt und ließ sein Weibchen gar nicht in das Quartier, das die Amazone mit ihm teilte, die jedoch bei seinem Bankerott verschwand. Von diesem Tage an wurde Herr Henri nicht mehr nüchtern und sank in kurzer Zeit zum erbärmlichsten Lumpen herab, d. h. er sank eigentlich nicht herab, denn er war von Anfang an ein erbärmlicher Lump, sondern er kehrte nur unverhohlen seine wahre Natur heraus. Da er bald weder Geld noch Kredit besaß, so kam er vom Champagner sehr schnell zum Schnaps herunter und aus Martens Keller zu Kiel nach Altona hinauf, wo er in kurzer Zeit den Rest seiner Garderobe in Kümmel umsetzte und den teerhosigen Gentlemen auf der Werft als Hanswurst diente.

Es gab noch ein Haus in Neumühlen, auf dem der Fluch ruhte. Dies war Stubborns Landhaus, das die schöne Julie wie ein böser Dämon einsam bewohnte.

Schwarz machte, sobald es die Glut erlaubte, die größten Anstrengungen, um zu dem verschütteten Kessel zu gelangen, in dem Stubborn gefangen war. Man spritzte unablässig in das noch glimmende Holzwerk und räumte dann die rauchenden Trümmer herab. Als der Kessel, den man öffnete und in den man umsonst hineinrief, ausgekühlt war, kroch Jakob durch die Öffnung und ließ sich eine Laterne hineinreichen. Er kam nach einiger Zeit etwas blaß wieder vor, denn er hatte den toten Stubborn beiseite geschoben, um den Kasten, den er unter seinen Fingern erblickte, herauszuholen. Er gab ihn Schwarz nebst dem Notizbuch und sagte dann: »Laßt mich hinaus! Ich kann nicht mehr bei ihm drinbleiben! Er sieht mich so grausig an!« worauf er schnell aus dem Loch schlüpfte und sich schüttelte.

Da der Tote herausgeholt werden mußte, so kroch Takel-Jan, welcher gewohnt war durch ungewöhnliche Öffnungen zu kriechen und starke Nerven besaß, in den Kessel und brachte den Verunglückten vor, worauf man ihn herauszog und ihn in ein Segel wickelte.

Kern gab jetzt Schwarz den guten Rat, den Kasten schnell in Sicherheit zu bringen und das, was er für das Seinige hielt, herauszunehmen, ehe ihn das Gericht in die Hände bekäme und sie sich darin wüsche. Schwarz befolgte den Rat und ging mit Kern nach seiner Wohnung, wo man den Fund untersuchte und mit Erstaunen die besten Wertpapiere von über einer Million Talern fand, die Schwarz an sich nahm und etwas über fünfzigtausend Mark an barem Geld im Kasten ließ, den er samt dem Notizbuch durch Kern zu Berta schickte, wobei er diese bat, die Sachen beim Gerichte zu deponieren und den Inhalt des Kastens für ihre Schwester zu bestimmen.

Kern machte Berta mit den Umständen und dem, was Schwarz getan, bekannt. Sie war vollständig damit einverstanden, daß man dem Gericht die Hauptsumme nicht in die Hände gäbe, wo sie jahrelang tot liegen bliebe, während man sie in Amerika lange verwenden könne.

Da niemand eine Ahnung von der Größe der Summe besaß, die Stubborn verborgen hielt, so war man über das Vorhandene schon erstaunt, und das Gericht bekam nebst den Advokaten nur einige magere tausend Mark, nachdem die Sache zu Juliens Ärger ein paar Jährchen hingeschleppt worden war. Julie erhielt zirka fünfzigtausend Mark. Sie erwartete eine halbe Million und war wütend über die geringe Summe.

Schwarz war indessen nach London abgereist, wohin ihm Kern und Berta bald folgten. Nielsen, den man dort traf, wurde leicht dahin gebracht, sein Projekt mit den Südseeinseln aufzugeben und bei Schwarz zu bleiben, der sich mit Berta trauen ließ, und zwar zur großen Befriedigung seines alten gutmütigen Wirtes vom Strande, bei dem er wieder Quartier genommen hatte. Da ihn dieser vorsichtige Herbergsvater abermals auf dem alten Ankertau sitzen sah, das nach ein paar Jahren noch ruhig dort lag, so wäre er vielleicht ebenso wachsam wie früher gewesen, wenn ihn Berta nicht beruhigte, die vom Arm des jungen Mannes fest umschlungen neben ihm saß und auf das Schiffsgewühl der Themse blickte. Der Wirt nickte lächelnd und murmelte: »Wenn einer so dasitzt, dann springt er nicht ins Wasser«, worauf er in seine Gaststube ging und einen Krug Porter auf das Wohl des Paares leerte.

Auf dem Hinterdeck eines Schiffes, das bald darauf die Themse hinabsegelte, stand Schwarz mit seiner Frau; neben ihm Nielsen und Kern. – Alle vier blickten nach den zurückbleibenden Ufern, die weiter und weiter auseinanderrückten, bis sie ganz im Wasser verschwanden. – Schwarz sagte:

»Wie jetzt das Land dort im Wasser versinkt, so mögen alle bösen Erinnerungen hinter uns versinken und uns drüben nimmer in dem Glück stören, das wir zu finden hoffen!«

Die Männer reichten sich die Hände. Berta umfaßte Schwarz und flüsterte: »Es soll mein einziges Lebensziel sein, dich glücklich zu machen und für dein Glück zu sorgen.«

»Du sprichst das aus, was ich dir eben sagen wollte«, sagte Schwarz, sie auf die schönen Augen küssend.

Die Reisenden hatten eine gute Überfahrt. Schwarz kaufte sich oberhalb Neuyorks am Hudson an und übernahm eine große Landwirtschaft mit bedeutendem Viehstand, deren Erzeugnisse sich in Neuyork gut verwerten ließen. Ein Schweizer veranlaßte ihn, einen Versuch in der Käsefabrikation zu machen und stellte Käse her, die ein Mittelding zwischen Holländer und Schweizerkäse waren. Sie fanden in Neuyork großen Beifall und Abnahme, weshalb das Geschäft weiter betrieben und bis nach England ausgedehnt wurde. – Eine prachtvolle Villa mit der Aussicht auf die Catskillberge wurde von dem glücklichen Paare bewohnt. Die europäischen Erinnerungen waren im Ozean versunken.

Hart am Ufer des Stromes stand ein kleines Haus, bei dem die Sonne in helle Holzspäne schien und wo den ganzen Tag gesägt und geklopft wurde. Fertige und halbfertige Boote lagen umher. Auf dem Wasser schwamm eine kleine Jacht vor ihrem Anker, die eben bemalt wurde, was Nielsen vom Ufer aus beobachtete. Er war als Bootsbauer hier etabliert und besorgte das Verladen und den Transport der Produkte, während Kern das Geschäft in Neuyork führte. Die so hart vom Schicksal Verfolgten lebten nun in ruhiger Zufriedenheit.

*

Es waren einige Jahre seit dem großen Brand von Hamburg vergangen. Der Tag des Unglücks, der fünfte Mai, dämmerte wieder herauf, die Sonne stieg über den Vierlanden empor und erblickte den Exsenator Eiskuhl, der wie gewöhnlich auf sie wartete, nur ein Stückchen näher, denn er stand vor einem komfortablen Landhaus, von dem man verschiedene Ziegeleien erblickte. Er teilte seine Aufmerksamkeit zwischen der holländischen Pfeife und dem alten Jost, der in einer Anlage von grünen Beeten umherkroch und Unkraut ausriß. Dabei warf er verschiedene Blicke nach verschiedenen Ewern und nickte zufrieden, als er Rauch aus ihren Kaminen aufsteigen sah, ein Zeichen, daß die Mannschaften mit ihrem Frühstück beschäftigt waren. Eine helle Frauenstimme rief Jost, der in das Haus ging, um mit Tischtüchern und Geschirr wiederzukommen und den Tisch in der Laube zum Kaffee zu decken, den die Gattin Schnepfes nun servierte. Schnepfe kam gleichfalls heraus, und nachdem man gefrühstückt und er zärtlich Abschied von seiner Emma genommen, ging er mit Eiskuhl zu einem Ewer hinab, um mit der eintretenden Ebbe nach Hamburg zu fahren.

Herr Eiskuhl war kaum nach Hamburg zurückgekehrt und hatte die Sachlage überblickt, als er auch schon sah, wo etwas zu machen sei. Das Geschäft wurde sofort ausgedehnt, denn es war ein ungeheurer Bedarf von Baumaterialien vorhanden. Eiskuhl kaufte ein altes Elbschiff und brachte es auf einen bequemen Landeplatz am Grasbrook. Da die Mieten für Speicher sehr hoch standen, so benutzte er es als solchen und legte vor allen Dingen eine Kalkniederlage sowie einen Vorrat von Bauholz und Brettern darin an. Außerdem fand man dort Nägel und sonstiges Eisenzeug sowie alles was man zu einem Hausbau braucht. Im Elbkahn war das Nebengeschäftchen des Exsenators, der dort bald Nägel oder Leim, bald Holz, Kalk oder Türschlösser verkaufte. Dann pries er einem Maler verschiedene Borstenpinsel an und zeigte ihm vortreffliche Ölfarben und Lacke, worauf er einen Tapezierer packte, um ihm eine Sendung neuer französischer Tapeten zu zeigen. Das Schiff glich einem großen Bienenkorb, und Herr Eiskuhl war auf dem besten Wege, wieder zu etwas zu kommen. Er war ganz verändert und genierte sich nicht im mindesten, mit einer Schürze und aufgestreiften Hemdärmeln umherzulaufen. Das Unglück und das Feuer hatten den Hochmut, der sich in glücklichen Tagen wie eine Kruste an ihn gelegt, abgeschmolzen.

Schnepfe hatte sein Kontor gleichfalls in das Elbschiff verlegt und nahm dort die Zahlungen an. Ein ununterbrochener Strom von barem Geld floß über seinen Tisch und in seine Kasse. Schnepfe und Bernhart waren nach drei Jahren durch den Handel mit Baumaterialien jeder zu einem Vermögen von hunderttausend Talern gekommen und mußten beim Stand der Geschäfte dies Vermögen bald verdoppeln.

Auch Herr Jakob war ein Kunde Eiskuhls. Der junge Mann war zu einem vollkommenen Stutzer ausgewachsen. Er warf oft einen lachenden Blick nach Eiskuhls weißer Hemdenbrust, die einst sein Ziel gewesen. Jetzt waren seine Ziele aber andere. Er hatte das Lumpengeschäft vom alten Wolf übernommen und Takel-Jan als Geschäftsführer hineingesetzt, denn sein Hauptgeschäft war der Schmuggelhandel mit Lebensmitteln nach der inneren Stadt. Jakob war dadurch auf dem Wege, ein reicher Mann zu werden, und seine Träume von einer Einladung in den Salon eines Geldfürsten konnten mit der Zeit wohl in Erfüllung gehen. Er legte im Keller an den Kajen eine Filiale des Elbschiffes mit Eisenzeug zu den Neubauten an, die er im ganzen von Eiskuhl bezog. Den mäßigen Gewinn daran nahm er nebenbei mit und gab dem Geschäft dadurch einen solideren Anstrich. Da sich Takel-Jan von nun an nur mit dem Schmuggelgeschäft und dem Kellerhandel beschäftigte und nicht mehr am Strand stahl, so übernahm Herr Henri diese Branche und verwandelte seine Beute so gut in Kümmel und Rum, wie dies Takel-Jan getan. Er konnte jedoch niemals zu der achtbaren Stellung bei seinen Kollegen von der Werft gelangen, die sein Vorgänger genossen. Sein Spitzname »der lateinische Pomadenbuttje« war auf irgendeine Art aus der Villa Eiskuhl unter die Werftgentlemen gekommen, die die schandbarsten Späße mit ihm trieben, sobald er betrunken war.

Schnepfe und Eiskuhl gingen eines Tages in Geschäftsangelegenheiten nach St. Pauli hinaus. Vor dem Millerntor sahen sie einen Volksauflauf, den ein Betrunkener veranlaßte, der, unter einer Herde Kinder hervorragend, von weitem für einen Neger gehalten wurde. Als er näher kam, erkannte der Exsenator mit innigem Vergnügen in ihm Herrn Henri, den die Schiffszimmerleute am Strande beim Stehlen von altem Kupfer erwischt und dem sie das Gesicht nebst den Händen angeteert hatten.

Herr Eiskuhl war ungemein erbaut über den Anblick, den sein Feind bot. Er teilte Schnepfe mit, daß die Senatorin um alles gekommen sei, im Holsteinischen von der Gnade ihres Bruders in einem kleinen Hause lebe und nicht einmal soviel habe, daß sie ihre Haare schwarz färben könne, worüber er sich besonders amüsierte.

Der alte Wolf ergriff Besitz von der Villa in Neumühlen und errichtete dort ein Halsabschneidergeschäft im großen, wobei die geldbedürftigen Opfer hinauskommen mußten, um die Wechsel zu unterschreiben. Die Villa erhielt dadurch den Spottnamen »die Krawattenfabrik«. – Der alte Wolf war dem Beispiel Jakobs gefolgt. Er legte sich einen ehrbaren schwarzen Anzug mit weißer Wäsche zu, worin er einen höchst merkwürdigen Anblick bot. Er sah aus wie ein Spitzbube, der bei einem Landgeistlichen eingebrochen ist und sich mit dessen Garderobe davongemacht hatte. Er hätte sich in der Villa ganz wohl befunden, wenn Herr Kühnmann nicht sein Nachbar gewesen wäre, der ihm viel Ärger verursachte.

Dieser edelmütige Kaufmann kannte die Geschäfte Wolfs gar wohl und lag die meiste Zeit auf der Lauer, um ihm seine besten Kunden abwendig zu machen. Sobald er bemerkte, daß ein von der Not gedrängter Geschäftsmann nach der Villa Wolfs suchte, warnte er ihn und bot ihm Geld zu vier Prozent an, sobald er sich von seiner Solidität überzeugt hatte. Er riß dem Blutsauger dadurch viele Opfer und Tausende von Talern aus den Klauen. Er kam sogar manchmal in Schaden, aber er freute sich der guten Tat, die er vollbrachte.

Dem Maler Bernhart konnte er es aber nicht vergessen, daß er, von der edlen Malerkunst abgewandt, nach »Besitz« strebte und ein reicher Mann geworden war. Das gehörte sich nicht für einen Künstler, wie er behauptete. Er gab ihm deshalb alle seine Bilder zurück, um durch sie nicht an diese betrübende Tatsache erinnert zu werden. »Es ist unerhört«, murmelte er. »Ein Künstler fängt an zu handeln und verdient sich eine halbe Million! Wenn nun die Kaufleute anfangen wollten zu malen? Was dann?« –

Bernhart war aber kein Geschäftsmann. Die Liebe zur Kunst brach wieder durch, sobald er sich durch den Handel soviel verdient hatte, um bequem davon leben zu können. Er zog sich mit einem Reingewinn von hundertfünfzigtausend Talern vom Geschäfte zurück und überließ seinen Teil dem Schwiegervater, während er mit seiner reizenden Frau, die sich unter den Kaufleuten nie wohl fühlte, nach Dresden übersiedelte, wo er am Ufer der Elbe den Traum der Jugend verwirklichte und ein Atelier erbaute, wie er es gewünscht.

Herr Eiskuhl fuhr eines Tages in Begleitung Schnepfes und seiner Tochter Emma elbaufwärts bis Magdeburg und von hier nach Dresden. – Selma hatte Bernhart mit einem Sohn beschenkt, bei dessen Taufe ein Familienfest gefeiert wurde.

Nach den ersten Begrüßungen sah Bernhart Schnepfe an und mußte über ihn lachen. Sein üppiges, lockiges Haar war so kurz geschnitten, daß es fast komisch aussah.

»Du scheinst den Künstler, oder vielmehr den Gelehrten, ganz aus- und den Kaufmann angezogen zu haben, denn deine Frisur ist jetzt außerordentlich merkantilisch. Ganz wie bei einem, der stark an der Börse macht«, sagte Bernhart lachend.

Schnepfe fuhr mit komischer Verzweiflung in seine Haare und sagte:

»Diese Schur habe ich den Freimaurern zu danken.«

»Unsinn!« rief Bernhart verwundert.

»Es ist doch so. – Der junge Spickmann, der jetzt einen Friseurladen besitzt, hat mich so zugerichtet. Ich war so leichtsinnig, ihm vor der Abreise meinen Kopf zum Haarschneiden anzuvertrauen. Als ich ihm Vorwürfe über die Kürze der Haare machte, flüsterte mir dieses boshafte Kalb zu: Solche Frisuren tragen die Freimaurer, worauf er sich halbtotlachen wollte. Was sollte ich machen? Ich mußte selbst mitlachen. – Du hast dir übrigens hier ein kleines Paradies geschaffen, wie du es früher immer erträumtest. Du lebst ganz als Künstler, hast ein prachtvolles Atelier, keine Sorgen, malst was du Lust hast. Was willst du mehr? – Bist du nicht glücklich?«

»Oh! Ich bin es in vollem Maße. Aber es ärgert mich doch manchmal, daß ich dies nicht meiner Kunst, nicht den Pinseln und Farben, sondern dem – Lehme verdanke. Es ist für mich als Künstler demütigend, erst durch den Lehm wieder zur Kunst gekommen zu sein,« entgegnete Bernhart.

»Daran tust du sehr unrecht!« rief Schnepfe eifrig. »Der Umstand kann nicht für dich, sondern nur für diejenigen demütigend sein, die dich durch Abnahme deiner Kunstwerke hätten dahin bringen sollen. Die Demütigung trifft nur die Deminoblesse, unter die du leider geraten bist. Was willst du übrigens? Jede Sache, durch die du auf ehrliche Weise zu Vermögen gelangen kannst, ist zu achten. – Durch Nacht zum Licht! – Mit welchen Mitteln arbeitest du als Maler? Womit malst du den poetischen Mond oder die allbelebende glänzende Sonne, den Urquell alles Lichts? – Mit Ocker! – Was ist Ocker? – Eine Art Lehm. – Also machst du hier auch aus Lehm Licht und Gold. – Durch Nacht zum Licht! Wer diesen Wahlspruch recht erfaßt, der wird die Finsternis nicht scheuen und den Sonnenaufgang freudig begrüßen, wenn er in der Nacht auf ehrlichen Wegen gewandelt, ob diese nun rauh oder eben waren.«

»Du hast recht, Freund. Freuen wir uns des Erworbenen und wenden es gut an«, sprach Bernhart. »Doch siehe da, um's Himmels willen!« rief er lachend nach dem Ufer zeigend, wo ein Mann und ein Junge einen Kahn im Schweiße ihres Angesichts stromaufzogen, während eine dicke Dame und ein magerer Herr, der steuerte, in ihm saßen.

»Dat sind, weet Gott, Hamburger!« sagte Herr Eiskuhl, der herzugetreten war. – »Wahrhaftigen Himmel! Dat is de Sniedermeister Wöllers, de damals in See gahn ist. – Holla! Herr Wöllers! Halt! – Holl di jo nich opp!« schrie er hinab.

Der Herr blieb verwundert stehen und sah herauf. Es war wirklich Herr Wöllers, der, als er die beiden jungen Leute erblickte, verblüfft stehenblieb, indem er sich an jenen Sonntag erinnerte, wo sie ihm mehrmals in so ärgerlichen Situationen begegneten. – Er hätte sich beinahe geärgert, doch mußte er lachen, zog seinen Kahn an das Ufer und kam, als er den Senator erkannte, herauf.

*

Herr Eiskuhl kam mit dem Aufbau der Stadt allgemach wieder zu Wohlstand, während Schnepfe ein reicher Mann wurde und die Villa in Neumühlen vom alten Wolf kaufte, der sich nach der Stadt zurückzog, wo ihm Kühnmann seine Opfer nicht so leicht entreißen konnte. Herr Eiskuhl hißte seine Flagge draußen wieder auf, wozu der alte Jost den Böller losbrannte. Emma hat Selmas Pavillon bezogen, und die Rübenbeete stehen wieder in der schönsten Blüte. Das Loch im Zaun, durch das der Millionärverachter gekrochen war und in dem Henri verprügelt wurde, hat der alte Jost von neuem geöffnet, da es Wolf verschließen ließ. Herr Eiskuhl findet es sehr bequem, um mit seinen Enkeln hindurchzukriechen, wenn er sie nach dem Strande führt. Der alte Spickmann kommt manchmal heraus. Er konnte sich nicht wieder in die Höhe bringen und machte den Ölmakler. Er behauptet, das Glück Bernharts und Schnepfes durch seinen Tausch begründet zu haben und hat damit nicht ganz unrecht, nur daß es nicht in seiner Absicht lag.

Spickmann jun. wurde der närrischste Friseur, den man sich denken konnte. Das vollkommenste Modejournal und ganz eingenommen von seiner Kunst, wie er es nannte. – Er wurde von Schnepfe manchmal zum Frühstück geführt, womit dieser die gleiche Schuld alter Zeiten abtragen wollte. Solche Einladungen nahm er mit »äußerst« an und fühlte sich bei den Austern »sehr« –

Es waren wieder ein paar Jahre vergangen, als ihn Schnepfe eines Tages beim Millerntor traf und fragte, ob er Lust habe, mit zu frühstücken.

Spickmann sagte weder »äußerst« noch »sehr«, sondern machte ein so verblüfftes Kalbsgesicht, daß ihn Schnepfe fragte, was los sei. – Ob er vielleicht das Freimaurergeheimnis entdeckt habe.

Spickmann sagte: – »Entdeckt habe was – seeehr! – äußerst merkwürdig. – Besinnen sich noch auf Apfelbaum in Neumühlen? – Kommen Sie mit mir, ich will Ihnen was zeigen.«

Er führte Schnepfe die Hütten hinunter und beim Dragonerstall vorbei, wo er ihm ein Fenster zeigte, an dem gemalte und vergoldete Blumentöpfe standen, hinter denen eine junge blonde Dame von großer Schönheit saß und in ein Buch blickte. An ihrem Halse glänzte jener große Diamant und die Grafenkrone »für zwei Taler«. – Es war Julie Stubborn, die all ihr Geld an die Eroberung eines reichen Mannes gesetzt und zwecklos durchgebracht hatte. – »Wird die schöne Gräfin genannt«, flüsterte das Kalb Schnepfe zu und entfernte sich schnell, als die Dame vom Buch aufschaute. Anm. Reinhardts: Leider mußte der gute Campe später, im Jahre 1856, erfahren, auf wie schwachen Füßen das Recht, die Sicherheit und die Freiheit des Hamburger Bürgers stehen, als ihn der Senat der Freien Stadt auf Befehl der kleinen Mecklenburger Regierung schmachvollerweise mit Geldstrafen, Auspfändung und schließlich gar Gefängnis wegen Vehses Buch malträtierte. (Gemeint ist des Geschichtsschreibers Karl Eduard Vehses (1802–1870) Hauptwerk: Geschichte der deutschen Höfe seit der Reformation, das in 48 Bänden 1851 bis 1858 erschien.)

 

Anmerkungen eingearbeitet. Josef für Gutenberg.

 

Broschek & Co.
Buchdruckerei und Tiefdruckanstalt
Hamburg


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