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siehe Bildunterschrift

An der Oberelbe

Achtundfünfzigstes Kapitel
Das Landgut trägt Zinsen

Die Nacht des siebenten Mai brach an, des dritten Brandtages, an dem das Feuer den ganzen Holzdamm erfaßte, der in einer Front in himmelhohen Flammen stand, die sich in der Alster widerspiegelnd, ein nie gesehenes Glutmeer bildeten, gegen das es keinen Widerstand gab. Schon am Vormittag hatte man die Gefangenen aus dem Spinnhaus fortgebracht. Von Soldaten umgeben, zogen sie mit verwunderten und entsetzten Gesichtern an der verwüsteten Stadt vorüber nach dem Hafen, wo man sie auf einem Schiff unterbrachte und bewachte. Das Feuer fraß das letzte Haus bis zum Wall, wo es die dorthin geretteten Möbel in Brand setzte und sich so den Weg nach der Vorstadt St. Georg zu erzwingen suchte, die mit einem Funkenregen überschüttet und nur mit großer Anstrengung erhalten wurde.

Am achten Mai, gegen Mittag, bezwang man endlich das feindliche Element mit Aufbietung aller Kräfte und konnte den großen Brand als beendigt ansehen.

Daß hier und da noch einzelne Häuser brannten, kam nicht in Betracht, denn diese wurden mit leichter Mühe gelöscht. Die Hauptanstrengung galt nun den Grenztrümmern, damit diese das Feuer nicht weiter trugen; auch diese Gefahr wurde bald bezwungen, und die Stadt begann frischen Mut zu fassen.

Aber welche Verwüstung, welche Verwirrung zeigte sich in den nächsten Tagen den Blicken, nachdem der Wind die Rauchwolken verweht!

Die größten Warenlager und Geschäftslokale waren verschwunden, das Personal zerstreut oder abgebrannt, mit den eigenen Angelegenheiten beschäftigt, und doch sollten die Geschäfte fortgehen und die einlaufenden Wechsel bezahlt werden, was bei den meisten auch merkwürdigerweise der Fall war. Der Geschäftsstrom ergoß sich, als kaum die Flammen erloschen, durch die noch heißen und rauchenden Trümmer nach der erhaltenen Börse. Die Flüchtigen kehrten in ihre unverbrannten Wohnungen zurück. Eltern und Verwandte suchten die verlorenen Familienmitglieder, während diese nach ihnen umherirrten.

Auch Bernhart und Schnepfe durchforschten die ganze Stadt und Umgegend nach den Töchtern des Senators. Siebzehn Stunden lang streiften sie umher und kehrten bei Dunkelwerden nach dem chinesischen Stuhl zurück, ohne etwas ausgerichtet zu haben.

Sie fanden den Platz leer. Scapin war mit dem Stuhl nach Hause gegangen, da die Sache für ihn uninteressant wurde. Die Freunde gingen deshalb gleichfalls nach St. Pauli, wo sie den Millionärverachter in seinem Quartier trafen, das sie mit ihm teilen mußten.

Scapin erzählte ihnen, daß der Herr Senator von einem alten Diener, wahrscheinlich vom alten Jost, während seiner Abwesenheit im Stuhl gefunden und abgeholt worden sei, wie ihm die Nachbarn vom Wall bei seiner Rückkehr sagten; daß er hierauf seinen Sommersitz, den Stuhl, genommen und ausgezogen sei. Dann bot er Bernhart dies Möbel an, im Fall er etwa nach seinem Landgut hinausziehen wolle.

»Was fangen wir nun an?« seufzte Bernhart.

»Ich weiß nicht, ob sich die Hamburger unter diesen Umständen noch rasieren lassen werden?« erwiderte Schnepfe. »Vorderhand will ich indes einmal zu meinem Prinzipal gehen, der nicht mit abgebrannt ist. – Geh du zu deinem Mäzen, Herrn Kühnmann, dessen Kontor zwar das Feuer zerstört hat; doch sind seine übrigen Häuser unversehrt geblieben. Der wird schon Rat und Hilfe für die nächste Zeit wissen. Was weiter passiert? Nun, das wollen wir dem Himmel überlassen. Ich denke, unsere Zeit kommt auch einmal. Wir machen doch noch mit den Millionären Geschäfte. Pass' auf!«

Am nächsten Morgen ging Schnepfe zeitig fort, um seine Barbierstube aufzusuchen. Scapin sagte Bernhart, daß er sich ruhig bei ihm einrichten solle, da er ihm die Wohnung wahrscheinlich ganz überlassen werde, denn seine Mission, die Millionäre zu verachten, sei hier vollständig erfüllt. Er habe Lust, die Sache in Frankfurt am Main fortzusetzen, um zu sehen, was dort für eine Sorte von Millionären existiere, und werde besonders Rothschild aufs Korn nehmen.

Bernhart ging nach der Stadt zu Vater Kühnmann, von dessen Unfall er nichts wußte. Als ihm die Tür geöffnet wurde, hörte er einen höllischen Lärm und wartete horchend. Vater Kühnmann stand wieder vollständig auf den Beinen. Er war von seinem Erstickungsanfall kuriert und hatte die Abwesenheit seines Rockflügels mit Schlüssel und Brieftasche entdeckt, worüber er sich gar nicht zufrieden geben konnte und dem Vetter Schwarzknopf die entsetzliche Rücksichtslosigkeit zu Gemüt führte, mit der er ihm den Flügel des guten schwarzen Rockes ausriß, statt den Schlüssel vorsichtig aus dem Geländer loszumachen. Merkwürdigerweise war es ihm viel weniger um die Brieftasche mit dem Gelde, als um den geliebten alten Schlüssel zu tun. Wer sollte das Schloß der Geldkiste, die er jedenfalls wohlerhalten unter den Trümmern des Hauses zu finden hoffte, nun öffnen, und wo fand sich ein Schlosser, der einen neuen Schlüssel dazu würde liefern können? Alles dies gab er Schwarzknopf zu bedenken, der indes glücklich aus der Traufe kam, sobald Kühnmann Bernhart erblickte.

»Ah! Gott sei Dank, leben Sie noch?« rief Kühnmann erfreut. – »Was macht das große Bild? Haben Sie es gut fortgebracht und ihre übrigen Sachen dazu?«

»Leider ist mir nicht nur das Bild, sondern alles was ich besaß verbrannt«, sagte Bernhart achselzuckend.

»Alles verbrannt? – Herrgott, weshalb haben Sie es denn nicht fortgeschafft?«

»Wir waren unten bei Blankenese, wo ich Studien machte, denn als wir früh fortgingen, hatte niemand eine Idee, daß das Feuer bis zu uns kommen würde.«

»Da haben wir's!« rief Kühnmann. »Da haben wir endlich die Folgen Ihrer ewigen Studienmacherei und Herumbummelei. Ich sagte es ja immer, das Herumtreiben auf dem Wasser und Lande wird Sie noch einmal an den Bettelstab bringen. Jetzt sind Sie daran. He? Was nun?«

»Ich habe glücklicherweise noch meine Pinsel und Farben und meine gesunden Glieder«, entgegnete Bernhart lächelnd.

»Bravo! Das ist ganz gut. Aber wer wird jetzt hier etwas malen lassen oder Bilder kaufen? – He? – Sehen Sie! Nun sitzen Sie auf dem trockenen, denn auch der Buchhändler Campe ist abgebrannt und kann Ihnen jetzt nichts zu tun geben. – Da müssen wir also zu helfen suchen und haben gerade Gelegenheit dazu. Ich lasse eben zwei Seedampfer ausputzen. Für diese malen Sie mir in die Damenkajüten Bilder: Elbpartien, Seebilder und Blumenstücke. In jedes vier Stück. Da wir in Neumühlen wohnen, so können Sie Ihr Atelier hier im Salon aufschlagen. – Also angefangen! Basta! Kommen Sie, wir wollen Maß nehmen und Leinwand kaufen, wenn noch welche zu kriegen ist. Green am Schaarmarkt ist zum Glück nicht abgebrannt.«

Und fort ging es, als sei Herr Kühnmann eine Dampfmaschine, nach den Schiffen, wo Maß genommen wurde, dann nach dem Schaarmarkt, wo es Leinwand und Farben gab. Dann in die Ruinen, wo verschiedenes skizziert werden mußte, und endlich nach den Trümmern des Kontors, die noch rauchten, und wo man, da das Haus nicht ganz niedergebrannt war, das Treppengeländer und unter ihm den geliebten Schlüssel fand, der zwar etwas verbogen war, den aber Vater Kühnmann im Triumph zu einem Schlosser trug, der ihn zurechthämmern mußte. Kühnmann war durch den Fund des Schlüssels in außerordentlich gute Laune gekommen, weil er diesen Schlüssel als eine Art Talisman betrachtete, an den sein Glück gebunden sei. Er hatte diesem Schlüssel auch eigentlich sein Glück zu verdanken, das seinen Anfang nahm, sobald er ihn in die Hand bekam, denn er hielt, durch einen sonderbaren Zufall das Glück für Kühnmann fest.

Als Vater Kühnmann vor vielen Jahren als junger Mann nach Hamburg kam, besaß er die ungeheure Summe von dreißig Talern und den Willen, so viel wie möglich daraus zu machen. Er suchte nicht erst eine Stelle als Kommis, sondern begann den Handel gleich auf eigene Hand, erstand in Auktionen billig und verkaufte schnell und gut, so daß er in kurzer Zeit sein Kapital verzehnfachte. In Zeit von einem Jahre besaß er schon ein kleines Kontor und brauchte bald eine Geldkasse. Er ging deshalb eines Tages auf die Judenbörse und fand dort den massiven Kasten, den er zur Zeit noch führte und der ihm billig angeboten wurde. Indem er darum handelte, fiel ihm der Schlüssel zu Boden und gerade auf ein Papier, das der Wind dahertrieb und welches er so festhielt. – Ein kleiner alter Jude kam nachgerannt. Er trug mehrere Papiere in der Hand und bat sich den Flüchtling aus, den Herr Kühnmann aufhob und als Los der Leipziger Lotterie erkannte.

»Wissen Sie was, Verehrtester, behalten Sie es! Behalten Sie es! – Es muß in Ihrer Hand gewinnen! Sie werden Ihre fünfzigtausend Taler dafür mit demselben Schlüssel in den Kasten schließen«, sagte der Lotteriekollekteur, dem der Wind das Los entführte.

Herr Kühnmann war kein Spieler, aber der Zufall war zu verlockend. Er kaufte das Los auf der Stelle, schloß es in den Kasten, bezahlte und ließ die alte Kasse in sein Kontor schaffen. – Das Los lag einige Wochen unbeachtet darin, er hatte es fast vergessen, als der Kollekteur hereingestürzt kam und ihm die Anzeige machte, daß sein Los 40 000 Taler, bare hunderttausend Mark, gewonnen habe, die er ihm sogleich auszahlen wolle, wenn er ein Prozent fahren lasse. – Es fiel Herrn Kühnmann gar nicht ein, auch nur ein halbes oder viertel Prozent fahren zu lassen. Er wartete ruhig den Tag der Auszahlung ab und legte dann die hunderttausend Mark in den Kasten, den er zuschloß und sich, tief Atem holend, daraufsetzte.

»Das sind nicht nur hunderttausend Mark, die jetzt da drin liegen. Nein, das sind zugleich zehn oder fünfzehn mühselige Lebensjahre, die ich gewonnen habe, und um die ich jetzt reicher bin«, murmelte er. – »Nun vorwärts!«

Es war für den sparsamen, scharfsinnigen Mann nun ein Kinderspiel, mit solchem Kapital vorwärts zu kommen. In ein paar Jahren war es verdoppelt. Der solide Kaufmann war überall gern gesehen und zog bald noch einmal das große Los in der Ehestandslotterie, indem es ihm gelang, die Liebe und die Hand eines reichen, gebildeten, schönen und wirtschaftlichen Mädchens zu erhalten, wodurch sein Glück gesichert war, und die Million nicht lang auf sich warten ließ.

In der Lotterie spielte er nur noch einmal, als ihm der Zufall wieder ein Los in die Hände brachte, worauf er einen bedeutenden Gewinn machte, den er stillschweigend in den Kasten legte, dann aber alle Lose abwies, weil er behauptete, man gewinne nicht immer.

Herr Kühnmann tat als eingefleischter Kaufmann und unter den obwaltenden Umständen wirklich ein halbes Wunder, indem er die Bilder für das Dampfschiff bei dem Maler bestellte. Er hätte ja ebensogut den Platz dafür einfach anstreichen lassen können. Er tat aber noch mehr, denn als er an die Börse kam und erfuhr, daß eine Anzahl Kaufleute gesonnen sei, Nutzen aus der allgemeinen Kalamität zu ziehen, indem sie den Wechseldiskont hinauftreiben und das Halsabschneidegeschäft in Blüte bringen wollten, tat er alles mögliche, um diesem Wucher entgegenzuarbeiten. Er ging zu Salomon Heine und veranlaßte diesen Börsenfürsten, ebenfalls gegen die Wucherer ins Feld zu ziehen. Als dieser Gewaltige für 300 000 Mark Wechsel zu 4 Prozent diskontierte, worauf Herr Kühnmann und einige Kaufleute noch ein paar hunderttausend Mark zu demselben Kurs anlegten, war dem emporschießenden Wucher die Spitze abgebrochen. Eine Wohltat, die die Geschäftsleute nur Herrn Kühnmann zu danken hatten.

Bernhart war hoch erfreut, daß er trotz der ungünstigen Umstände doch einen Auftrag erhielt und verwandte den ganzen Tag dazu, um alles zu sofortigem Angriff der Bilder zu besorgen. Gegen Abend ging er nach St. Pauli hinaus, um den Freunden seine Hoffnungen mitzuteilen. Er fand nur Scapin, der mit dem Einpacken seiner Sachen beschäftigt war, weil er in den nächsten Tagen nach Frankfurt abreisen wollte. Bernhart fragte nach Schnepfe und erfuhr, daß dieser in Scapins Abwesenheit zweimal dagewesen sei und ihn gesucht habe. Indem man ihn erwartete, um den Abend im Freien zuzubringen, brachte ein Mann einen Brief von ihm.

Schnepfe zeigte darin an, daß er bei seinem Prinzipal ein Schreiben aus Dessau vorgefunden habe, infolgedessen er sofort abreisen müsse. Bernhart solle bleiben und ihn ruhig in Hamburg erwarten.

»Was muß ihm in den Kopf gefahren sein?« fragte Bernhart, die wenigen, schnell hingeworfenen Zeilen betrachtend. »Es wird doch mit der Erbschaft nicht solche furchtbare Eile haben? – Nun, warten wir, er wird ja bald wiederkommen.«

Bernhart ging an die Arbeit und blieb ernstlich dabei, denn er war bald allein, da Scapin, seinem Vorsatz getreu, nach Frankfurt abreiste. Wieweit er es dort in der Verachtung der Millionäre gebracht und ob sich Rothschild und die andern Geldfürsten unter seiner Verachtung gekrümmt haben, wissen wir nicht. Da es Heinrich Heine nicht gelang, diese Herren totzuärgern, so war vorauszusehen, daß ihnen Scapin auch nicht den Rest geben würde, denn Millionäre sind gegen Verachtung unempfindlich, solange sie ihre Millionen besitzen.

Nach acht Tagen erhielt Bernhart einen Brief von Schnepfe, der erhielt weiter nichts als fünfzig Taler und die Worte: »Warte. Es wird sich machen. Geduld überwindet Sauerkraut, sagt der alte Jost. Dein Emil.«

Bernhart schüttelte verwundert den Kopf über Schnepfe, legte das Geld beiseite und arbeitete rüstig fort. In den Erholungsstunden durchstreifte er die ganze Stadt und Umgegend, suchte in der Barackenstadt und an der Alster nach Eiskuhl und seinen Töchtern, fand aber nirgend eine Spur. Als er dann einmal die Ruinen durchstrich, sah er endlich an der anderen Seite eines Kanals Selma sitzen und zeichnen, während ihre Schwester neben ihr stand. Er suchte mit stürmischem Herzklopfen durch die Ruinen um das Wasser zu gelangen, was nur auf einem großen Umweg geschehen konnte. Als er endlich hinüberkam, waren die Mädchen verschwunden. Der Platz war leer und Bernhart sah sich umsonst nach dem lieben Bilde um, das ihm vorhin über dem Wasser erschien. Indem er den Platz betrachtete, wo sie gesessen, sah er einen vergessenen Bleistift liegen, den er an sich nahm und als ein Pfand des Wiedersehens betrachtete.

Er wäre gern am nächsten Tag nach dem Platz zurückgekehrt, denn die Sehnsucht nach dem geliebten Mädchen war mit doppelter Stärke bei ihrem Anblick wieder erwacht. Er mußte jedoch mit dem Dampfschiff nach Cuxhaven hinab, um dort etwas aufzunehmen. Da er einmal unten war und verschiedene Studien machen wollte, so verzögerte sich sein Aufenthalt um mehrere Wochen. Dann erhielt er den Auftrag, mit dem Schiff nach Helgoland hinüber zu gehen und dort verschiedene Ansichten zu zeichnen. Als dies geschehen war und er nach Hamburg zurückfuhr, waren zwei Monate vergangen. Er betrat mit freudigem Herzen die Stadt, wo er seinen Freund und die Geliebte wiederzufinden hoffte.

Bernhart ging nach seiner Wohnung in St. Pauli. Er fand dort aber zu seiner Verwunderung weder Schnepfe noch einen Brief von ihm und erfuhr von seiner Wirtin nur, daß ein junger Mann zweimal nach ihm gefragt habe, ohne seinen Namen zurückzulassen. Der Beschreibung nach mußte es Schnepfe gewesen sein. Weshalb war er aber dann nicht dageblieben? Weshalb ließ er gar nichts von sich hören? Diese Fragen legte sich Bernhart besorgt vor und erwog alle Möglichkeiten des langen Schweigens und Ausbleibens seines Freundes. Er konnte krank sein oder eine weite Reise gemacht haben.

Bernhart ging am nächsten Morgen in die Stadt, um seine zwei letzten Bilder für die Dampfschiffe Kühnmanns fertig zu malen.

Es war gut, daß Herr Kühnmann jeden Tag einigemal kam und um die Bilder trieb, da die Schiffe bald fertig waren. Bernhart wurde dadurch zur Arbeit gedrängt und mußte die Gedanken darauf verwenden, sonst hätte er über den Verlust des Freundes traurig gegrübelt. Er wollte freilich manchmal ungeduldig werden, weil er Selma in den Ruinen zu suchen und zu finden dachte, wo er sie vor seiner Studienreise sah, aber Vater Kühnmann ließ ihn nicht los. Schon morgens um sechs Uhr kam er in die Stadt und holte den Maler oft aus dem Bett und an die Staffelei, wodurch die Bilder denn auch bald fertig wurden.

Er hatte eines Abends den letzten Strich daran gemacht, warf Pinsel und Palette beiseite und zog sich an, um nach St. Pauli hinauszuwandern, wo er sich abends gern auf dem Spielbudenplatz das Volksleben ansah, um dann nach Hause zu gehen. Indem er nun bei dem Kasperletheater stand und die Gesichter einiger Negermatrosen betrachtete, die eben ganz entzückt darüber waren, daß Kasper den Tod so kannibalisch durchprügelte, fühlte er sich stürmisch umarmt und sah Schnepfe vor sich, den er beinahe nicht erkannte, weil er von der Sonne verbrannt war und in einem Schifferanzug erschien, der Spuren starker Strapazen zeigte.

»Wo um Gottes willen hast du gesteckt und wie siehst du denn aus?« fragte Bernhart, ihn erstaunt betrachtend, »Bist du etwa gar ein Schiffer geworden?«

»Es ist so etwas da herum«, sagte Schnepfe lachend. »Heute bin ich ganz und gar Schiffer. Mein Ewer liegt unten am Strand bei den Kohlenschiffen. Ich bin gekommen, um dich an Bord zu holen und zu einer Kreuzfahrt einzuladen. Ich habe während der Zeit meiner Abwesenheit ein Reich gegründet, worin du Mitregent werden sollst. Frage heute nicht. Du erfährst nichts Näheres, sondern sollst sehen.«

»Aber was sind dies für geheimnisvolle Geschichten?« rief Bernhart.

»Die du erfährst, wenn du selbst siehst. Eher nicht eine Minute«, entgegnete Schnepfe lachend. »Jetzt komm, wir wollen etwas essen. Dann muß ich Vorräte hinunterschicken, und schließlich holen wir deine Sachen, denn du mußt heute nacht an Bord schlafen, weil wir die Flut benutzen wollen.«

»Ich wollte morgen die Töchter des Senators suchen, die ich einmal in den Ruinen sah«, wandte Bernhart ein und erzählte Schnepfe, wie er sie von weitem erblickt habe.

Schnepfe saß schweigend und legte den Kopf in die Hand. Dann blickte er auf und sprach: »Geduld, es wird sich machen. Das Geschäft geht vor. Wir werden die Mädchen finden, wenn sie hier sind. Jetzt mußt du mit mir kommen.«

Bernhart war ungeheuer neugierig, was Schnepfe wohl angefangen habe. Dieser sagte ihm durchaus weiter nichts, als daß er sein Erbschaftsgeld erhoben, das bereits angelegt sei. In was, das werde er selbst sehen. – Da Schnepfe durchaus keine Mitteilungen über das Geschäft machte, so holte Bernhart die zu einer Reise nötigen Sachen und ließ sie an Bord des Ewers bringen, an dem er mit Erstaunen eine solche Menge von Lebensmitteln fand, als gälte es eine ganze Insel zu verproviantieren. Er schloß daraus, daß sein Freund einen Provianthandel treiben müsse und ging mit ihm, um ein Beefsteak zu essen und eine Flasche Wein zu trinken. Dann stieg man zum Strand hinab und ging zum Schlafen in die Kajüte, die Bernhart sehr geräumig, höchst komfortabel und mit zwei Betten versehen fand. Er bemerkte gegen seinen Freund, daß dieser sich hier recht gemütlich eingerichtet habe und wahrscheinlich auf Gäste rechne, wie das zweite Bett vermuten lasse, in welches er sich eben legte.

»Nun!« rief Schnepfe lustig. »Ich hoffe, du wirst dies Bett so lange als das deinige betrachten, bis uns das Eis von der Elbe vertreibt! Gute Nacht, mein Junge! Pass' auf, was du siehst, wenn du morgen früh die Augen aufmachst.«

Nach diesen Worten schlief er ein und auch Bernhart verfiel bald in einen gesunden Schlaf, der nur einmal in der Nacht durch das Rasseln der Ankerkette gestört wurde, die man bei eintretender Flut aufholte.

Als es Tag ward, erwachte er. Ein Getrampel auf dem Deck machte ihn munter. Er sah nach seiner Uhr, die die fünfte Stunde zeigte, und wollte sich wieder zum Schlafen niederlegen. Dabei warf er einen Blick durch das kleine Kajütenfenster, um zu sehen, wo er sich eigentlich befinde. Er erwartete einen Wasserhorizont zu erblicken, denn er glaubte, der Ewer sei abwärts nach Cuxhaven zu gesegelt; deshalb war er verwundert, lauter grünes Gebüsch vor sich zu sehen.

Neugierig stand er auf und stieg zur Luke hinaus. Er sah sich rundum und blickte erstaunt und fragend auf Schnepfe, der ihm lächelnd zunickte. Dann sah er nochmals die Gegend an und betrachtete kopfschüttelnd den rauchenden Ziegelofen, der aus dem Weidengebüsch hervorragte, während neben ihm ein zweiter gebaut wurde, der ziemlich fertig war. Am Ufer lagen zwei große Elbkähne und auf dem Lande trieben sich gegen zweihundert Leute geschäftig umher und hatten eben den Proviant vom Ewer geholt, den Bernhart am Abend zuvor gesehen. Dieser mochte das Ufer anschauen, so viel er wollte, es blieb kein Zweifel, es war das Landgut, womit ihn Spickmann angeführt. Es war die Lehmgrube.

»Hallo, mein Junge! Wie gefällt dir dein Landsitz?« rief Schnepfe lachend.

Bernhart sah verblüfft nochmals nach dem Ziegelofen und zwickte sich in den Arm, um zu sehen, ob er munter sei oder träume. Der Ziegelofen rauchte aber fort und zerfloß nicht in seinem eigenen Dampf, wie er erwartete. Dabei leuchtete aus dem Gebüsch ein Haufen neuer roter Ziegelsteine, die ihm auffielen.

»Ja, sieh nur hin. Das ist der erste Brand. Schon verkauft. Wollen sie morgen nach Hamburg fahren und das erste Geld dafür einkassieren«, jubelte Schnepfe.

»Aber wie ist das möglich? Das ist ja wie ein Märchen! Ist das wirklich die Lehmgrube?« sprach Bernhart.

»Wie sie leibt und lebt. Deine alte Lehmgrube, womit dich Spickmann zu deinem Glück angeschmiert hat, und woraus wir jetzt Geld machen. Ich sagte es ja: unsere Zeit kommt noch. Hamburg ist zu unserem Glücke abgebrannt und braucht jetzt Ziegelsteine. Wir machen doch noch unser Geschäftchen mit den Millionären. ›Durch Nacht zum Licht!‹ war der Templerwahlspruch. Bei uns heißt er jetzt: ›Durch Lehm zum Gold.‹ Es ist ganz dasselbe«, lachte Schnepfe. »Ich sagte dir, schon ehe der Brand die Sache für uns so günstig machte, daß du mein Kompagnon bist, du magst wollen oder nicht. – Das Geschäft, für das ich mir schon lange im geheimen die Platzkenntnis sammelte, ist nun eröffnet. Du hängst jetzt die Malerei für so lange an den Nagel, wie der Lehm hier reicht und hilfst mir Gold daraus machen. Willst du?«

»Versteht sich«, sagte Bernhart eifrig. »Aber sage mir nur, wie hast du die Sache hier in so kurzer Zeit in Gang gebracht?«

»Das ist sehr einfach«, erklärte Schnepfe. »Mit Geld ist alles möglich. Als ich vor ein paar Monaten nach der Stadt hineinging, um nach meinem Prinzipal zu sehen, der vom Feuer verschont blieb, fand ich dort einen Brief aus Dessau, in dem mir angezeigt wurde, daß ich meine Erbschaft jede Stunde ausgezahlt bekommen könne. Schon während des Brandes war mir die Überzeugung gekommen, daß das Ziegelgeschäft bei den Neubauten sehr florieren müsse. Ich hatte lange vorher den Entschluß gefaßt, meine Erbschaft in deiner Lehmgrube anzulegen. Jetzt war keine Stunde zu verlieren. Ich besorgte bei der Behörde alles, was zum Bau der Ziegelei nötig war. Man ergriff die Sache mit Eifer und machte bei dem dringenden Bedürfnisse der Steine alle Formalitäten mit einem Strich ab. Nun fuhr ich noch in der Nacht fort, um mein Geld in Dessau zu heben. Sobald ich es in der Hand trug, mietete ich diese zwei Elbschiffe, engagierte einen Maurermeister, der Kenntnisse im Ziegelofenbau besaß und der die Pläne auf der Herunterfahrt machte. Dann wurden Maurer und Zimmerleute angenommen, die alle mit Vergnügen zur Reise bereit waren und sich ihre Quartiere in den Elbschiffen zurechtmachten. Zuletzt nahm ich die Ziegelstreicher und Brenner in Lohn, worauf Bauholz, Steine und Kalk sowie Brennholz für ein halbes Jahr eingeladen wurde. Der Proviant für die vielen Menschen machte den Schluß. Dann schwammen wir stromab, wobei die Zimmerleute das Balkenwerk zurecht arbeiteten und die Maurer taten was sie konnten. Es war ein merkwürdiger Anblick, der sich bot, als meine zwei Schiffe eines Vormittags hier an diesem wüsten Platze anlegten und die paar hundert Arbeiter aus ihrem Bauche hervorbrachen wie die Griechen aus dem trojanischen Pferd. Der Deichvogt sperrte Maul und Nase auf, als er die Ziegelofen gleich einem Zauberwerke aus dem Gebüsch wachsen sah, während die Lehmstreicher gruben und formten. Kurz, in zwei Monaten waren wir fertig, und der erste Brand ist gemacht. Der Lehm gibt vortreffliche Ziegel und ist genug für eine halbe Stadt. Morgen gehen die Schiffe mit den Arbeitern wieder stromauf, und wir beide bleiben in diesem Ewer hier. Die Ziegelstreicher wohnen in der Villa Spickmann, wie ich den alten Schuppen getauft habe. Ich hoffe, du bist mit der Einrichtung zufrieden?!«

Bernhart sah mit Verwunderung auf Schnepfe und sprach die Meinung aus, daß dieser ein ganz verteufelter Geschäftsmann sei, der Spickmann durch seine Ziegelidee einen ungeheuren Ärger bereiten werde. »Ich kann aber nur einen kleinen Teil des Gewinnes von diesem Geschäft in Anspruch nehmen, da du doch das Geld dazu hergegeben hast«, schloß er.

»Unsinn!« sprach Schnepfe. »Wäre die Lehmgrube nicht dagewesen, so konnte ich das Geschäft gar nicht anfangen und wäre gar nicht auf die Idee gekommen. Es bleibt dabei: wir teilen den Profit, denn ich hoffe, mein Kapital in ein paar Jahren herausgeschlagen zu haben. Wenn es gut geht, bauen wir noch ein paar Öfen, weil man Millionen Ziegel brauchen wird. Wir machen Gold aus dem Lehm.«

Die Freunde richteten sich auf dem Ewer häuslich ein und fuhren täglich frische Ladungen Ziegel nach Hamburg, wo sie ihnen fast aus den Händen gerissen wurden. Schnepfe, der noch Kapital besaß, kaufte ein großes Stück angrenzendes Land mit Lehmboden und ließ noch drei Ziegelöfen bauen. Dann kaufte er einige alte Schuten, die jeden Tag mit Ziegelsteinen beladen mit der Ebbe nach Hamburg schwammen und mit der Flut wieder heraufkamen. Das Geschäft ging brillant, und das Geld floß in lustigem Strome für den gebrannten Lehm in die Kajüte des Ewers, die bald mehr Tausende barg, als das Unternehmen gekostet.

Bernhart und Schnepfe führten ein lustiges Junggesellenleben auf ihrem Schiffe, von dem aus der Maler unablässig Studien machte, da das Ein- und Ausladen Sache der Leute war, während einer der Freunde nur die Anzahl der Steine notierte. – Die beiden jungen Männer befanden sich ausgezeichnet wohl dabei. Die frische Luft kräftigte sie und die Sonne brannte sie braun, während ihre Matrosenkleider bald vom Ziegelstaub rot gefärbt erschienen. – In der Kajüte befand sich ein ganz respektables Wein- und Delikatessenlager. Eine Kaffeemaschine lieferte Kaffee und Tee, und da sie oft mehrere Tage in Hamburg, im Hafen oder in den Fleten der Brandstellen lagen, um Silber für ihren Lehm zu kassieren, so ließen sie das Essen von einem guten Restaurant kommen und führten zur Zeit einen bessern Tisch als Schröpfer und Kompagnie, den das Feuer so zusammengeschmolzen hatte, daß er nach den billigsten Gemüsen und dem gemeinen Rindfleisch greifen mußte.

*

Als der treue Jost den alten Senator Eiskuhl im chinesischen Stuhle antraf, fand er einen armen, ruinierten Mann, der nicht mehr von den schönen Leinwandhemden, seinem Stolz, besaß als das zerknitterte, das er auf dem Leibe trug. – Jost führte den willenlosen Eiskuhl nach den Kajen, wo ihn Laarsen und der Bruder mit der furchtbaren Weste aus der Lüneburger Heide empfingen und zu den Töchtern führten, die hier eine Zuflucht fanden. Als diese an seinem Halse hingen, brach er in Tränen aus und jammerte über Gegenwart und Zukunft. – Die Brüder trösteten ihn und versprachen, ihm wieder auf die Beine zu helfen. Vorderhand solle er nebst Jost mit nach Suderburg gehen, wo auch gelbe Rüben wüchsen und er ein wenig Landwirtschaft treiben könne. Die Töchter sollten indes bei ihrem Onkel in Hamburg bleiben, bis sich eine feste Bestimmung treffen lasse.

Sobald das Feuer gelöscht war, ging Eiskuhl mit seinen Brüdern nochmals nach dem niedergebrannten Hause, wo man die Überzeugung gewann, daß nichts als der Platz vorhanden war, aus dem der Abgebrannte das Kapital zu neuen Geschäften lösen könnte. Sowohl Laarsen als der Heidebewohner, der auf die erste Nachricht vom Brande, den man in der Heide gesehen, herüberkam, waren entsetzt über die Verwüstung, die sie erblickten.

Die Ruinen boten einen Anblick, den man fast nur an einer seit Jahrhunderten verwüsteten Stadt findet. Sie standen meist wie ausgewettert, in hellen Farben, ohne vom Rauch geschwärzt und mit verkohltem Holzwerk untermischt zu sein. Die ungeheure Glut hatte alles Brennbare vollständig verzehrt, und die Flammen waren so hoch über die Häuser emporgestiegen, daß sie der Rauch nicht schwärzen konnte.

Die Ruinen der Kirchen standen riesengroß unter den Trümmern der Stadt und sahen aus, als wären sie vor Jahrhunderten zerstört worden. Der Turm der Nikolaikirche war bis zum Grunde von Sprüngen durchzogen, die seinen Einsturz fürchten ließen. Die Petrikirche zeigte Pfeiler- und Bogenruinen, wie man sie sonst in alten, zerfallenen Klosterkirchen sieht. Die herabgestürzte Turmspitze war von der Gewalt des Falles über zwölf Fuß tief durch das Steinpflaster in die Erde eingedrungen und bildete ein trichterförmiges, mit Kupfer ausgeschlagenes Loch, in das der Senator mit Entsetzen hinabschaute, wobei er bedachte, was aus ihm geworden wäre, wenn ihn die Spitze, die hart neben ihm niederschmetterte, getroffen hätte. Man ging weiter durch die Verwüstung. Nach der alten Börse, die von der Erde verschwunden war, deren Säulen noch hier und da auf dem Platze umherlagen, während das Gebäude, ins Wasser gestürzt, teilweise daraus hervorragte, wenn die Ebbe tief stand. Man sah mit Schmerz den Trümmerhaufen, der sonst als Jungfernstieg lustig und prächtig dastand und in dessen Alsterbassin jetzt statt der Schwäne und Segelboote verbrannte Möbel und Schiffe umhertrieben. – Der Senator ging mit Tränen in den Augen an der Ruine des Rathauses vorbei, an deren Mauern noch die alten Kaiserstatuen Kaiserstatuen: Sie befanden sich am alten Rathaus, wurden beim Brand gerettet, dann im Lichthof des Johanneums untergebracht und befinden sich jetzt im Museum für hamburgische Geschichte. Wache hielten.

Der Senator fuhr nach einigen Tagen nebst Jost und seinem Bruder in einem Milchewer nach Harburg hinüber. Er nahm die Gastfreundschaft in Suderburg an und machte sich mit dem alten Diener in der Landwirtschaft so nützlich wie möglich.

Die Töchter Eiskuhls blieben bei Laarsen. Selma brachte den ganzen Tag mit ihrer Schwester in den Ruinen zu und zeichnete Albumblätter aus den Brandstätten, besonders die Kirchenruinen, die sehr gesucht waren und wodurch sie sich bald einen kleinen Schatz verdiente, den Laarsen in Verwahrung nahm und mit großer Freude betrachtete, zu der sich das Erstaunen gesellte, wie man doch für solche Bildchen zwei, drei Dukaten bezahlen könne. So vergingen über zwei Monate. Selma dachte ihren Vater mit dem Gelde zu überraschen und ihm einen Begriff von der Zweckmäßigkeit der Kunst und eine gute Meinung gegen die Künstler beizubringen, denn sie hatte seit dem Verlust ihres Besitztums die stille Hoffnung auf ein Wiedersehen mit Bernhart gewonnen. Sie war ihm nähergerückt und ertappte sich sogar manchmal auf einer geheimen Freude über ihre jetzige Armut. Dabei machte sie die Entdeckung, daß es mit Emma derselbe Fall sei, und als diese eines Tages lange sinnend neben ihr sitzend in die Worte ausbrach: »Ach Gott! Jetzt sind wir nun arm. Nun könnten sie kommen!« – fiel ihr Selma weinend um den Hals und flüsterte: »Wo mögen sie sein?«

»Sie sind vielleicht gar nicht mehr in Hamburg. Ach, sie werden nun nicht mehr kommen, da wir arm sind!« klagte Emma.

»Nein, nein! Deshalb bleiben sie gewiß nicht fort. Nein, nein!« rief Selma. »Sie sind sicher weit weg. Wir sehen sie nie wieder.«

Selma hatte Glück mit ihren Albumblättern. Die Ruine der Nikolaikirche wurde fortwährend aufs neue bestellt und von ihr stets von andern Standpunkten aufgenommen. – Eines Tages wollte sie sie von einer Gegend zeichnen, wo im Vordergrund ein gesprengtes Haus mit seinen Türen und Fenstern, an denen sogar noch Vogelbauer hingen, nach dem Flet hinabgestürzt lag, in dem bereits die Schiffahrt wieder im Gange war. Man wollte dies Haus am nächsten Tage aufräumen, da in den Nebenplätzen die Neubauten bereits begonnen hatten. Der beste Platz zur Aufnahme war vom Wasser aus, weshalb Selma mit ihrer Schwester hinunterstieg und über ein Brett nach einem Ewer ging, von dem man Ziegelsteine in eine Schute lud. Die beiden Schiffer lagen auf dem Verdeck und sahen nach dem Wasser hin. Einer zählte die Steine, die von den Leuten aus dem Ewer gegeben wurden, während der andere ein Buch vor sich hielt, in das er die Zahlen einschrieb.

Die Mädchen kamen unbemerkt auf das Schiff, wo sich ein vortrefflicher Platz zum Zeichnen fand. Selma berührte die Achsel des Buchführenden und sprach freundlich:

»Ach, lieber Mann, erlauben Sie« –

Ein Schrei entfuhr ihr, als der Mann sich plötzlich umdrehte und aufsprang. Das Mädchen wurde blaß und wollte umsinken, weshalb sie der Schiffer in seine Arme nahm und auf eine Bank trug, die unter dem Sonnenzelte auf dem Hinterteile des Schiffes stand. Hier setzte er sie zögernd nieder. Er wollte sie gar nicht aus den Armen lassen und konnte es auch nicht, denn ihr Kopf lag so fest auf seiner Achsel und die Augen dieses Kopfes sahen ihn so fesselnd an, daß er nicht loskommen konnte.

Selma hatte Bernhart erkannt; sie wurde bei seinem Anblick von einem unbeschreiblichen Gefühl ergriffen, das aus Liebe, Erstaunen, Glück und Schreck gemischt war und ihre Sinne schwinden machte. Sie hielt sich an Bernhart fest, als wollte sie ihn niemals wieder loslassen, bis sie endlich ihre Schwester erblickte, die der andere Schiffsmann, Schnepfe, in den Armen hielt und unter dem stillen Beifall der Schutenleute herzhaft küßte, wogegen sie nicht den geringsten Widerstand leistete, denn daß sie seine Küsse nicht behalten wollte und ihm sofort zurückgab, konnte nicht als Widerstand gelten.

Als die erste Überraschung vorbei war, begannen sich die Mädchen zu schämen und bedeckten die Augen mit ihren Taschentüchern.

Bernhart brach nun das Schweigen, denn es war noch kein Wort gesprochen worden.

»Also endlich sehen wir uns wieder!« sagte er, Selma bei der Hand fassend.

»Endlich nach Monaten, die wir umsonst nach Ihnen gefragt und gesucht haben. Aber unter welchen veränderten Verhältnissen? Sehen Sie uns an. Wie finden Sie uns?«

»Ach Gott!« sprach Emma. »Dieser Brand hat alles umgestürzt. Vor allen Dingen mögen Sie aber wissen, daß wir so arm – ich muß es Ihnen sagen –, daß wir so arm wie die Kirchenmäuse geworden sind. – Papa hat alles verloren und wir mit. Wir sind ein paar ganz arme Mädchen! So, jetzt wissen Sie es. Aber was ist um's Himmels willen aus Ihnen geworden? Sind Sie Schiffer?«

»Wir sind Schiffer!« rief Schnepfe.

»Wie kommt das?« fragte Emma erstaunt.

»Wir fahren das Landgut, das Bernhart damals von Spickmann für das Bild eingetauscht hat, stückweise nach der Stadt. Da es sich nicht im ganzen verwerten läßt, so tun wir es im einzelnen. Sehen Sie, jeder Stein dort ist ein Stück vom Landgut. Wir sind Alchimisten geworden und haben das Geheimnis entdeckt, Gold aus Lehm zu machen.«

»Ah!« riefen beide Mädchen freudig. Schnepfe fuhr fort: »Ich habe meine Erbschaft in Ziegelöfen verwandelt, von denen bereits vier brennen, während eben wieder zwei neue gebaut werden. Zehn Fahrzeuge schaffen täglich herunter, was gebrannt wird. Wir spekulieren auf neue Lehmgruben und auf einen Platz zu einer kleinen Villa. – Sie sind also arm – ganz arm?« fragte er plötzlich.

Die Mädchen nickten stumm.

»Das freut mich unendlich!« sprach Schnepfe. – »Geduld, es wird sich machen! sagte immer der alte Jost. Wo ist er, und wo ist Ihr Papa?«

»Sie sind beide in der Lüneburger Heide. Bei dem Onkel mit der Weste«, antwortete Emma lachend.

»Und wo wohnen Sie?«

»Bei unserm Onkel Laarsen, an den Kajen«, berichtete Emma.

»Ist das ein Onkel von Ihnen?« rief Schnepfe verwundert. »Herrgott, so nahe sind wir Ihnen gewesen! Denn wir haben vor acht Tagen erst Proviant bei ihm gekauft. Nun, Sie müssen uns dort vorstellen. Sobald wir leer sind, bringen wir den Ewer an sein Haus. Wollen Sie?«

Die Mädchen wollten mit Freuden. Selma erklärte Bernhart ihre Beschäftigung und begann dann ihr Bild zu zeichnen, während die Freunde dafür sorgten, daß indes die Steine aus dem Schiffe kamen. – Gegen Abend war ihr Geschäft beendigt sowie die Zeichnung fertig. Die Damen blieben unter dem Sonnenzelt sitzen, und das Fahrzeug wurde von den Leuten nach den Kajen gebracht und bei Laarsen festgelegt.

Dieser saß wie immer vor seinem Keller und war sehr erstaunt, die Nichten den Weg heraufkommen zu sehen, den sonst nur die Milchleute und Schiffer einschlugen. Sein Erstaunen stieg jedoch auf die höchste Spitze, als ihm Emma lachend die zwei ziegelroten Schiffer als die Herren Professor Bernhart und Doktor Schnepfe vorstellte. Er glaubte erst an ein Späßchen. Als ihm aber Bernhart die Sache im Keller erklärte und die Verhältnisse auseinandersetzte, wie Schnepfe, der eifrig mit den Mädchen gesprochen, herbeikam und Herrn Laarsen ersuchte, das bare Geld in Verwahrung zu nehmen, das sich in der Kajüte angesammelt und bei der großen Summe dort keinen sicheren Platz mehr habe, wie die jungen Leute über zwölftausend Taler heraufbrachten und diese den Mädchen zu Füßen legten, wobei sie erklärten, daß ihre Herzen gleichzeitig dabei lägen, da mußte Onkel Laarsen es wohl glauben.

Er besah sich die jungen Männer nun erst genauer, nahm dann das Geld mit großer Würde in Empfang, stellte einen Schein darüber aus und versprach, dem Senator einen Bericht über die merkwürdigen Schiffer nach Suderburg zu schicken, worauf er eine Flasche vom Besten hervorbrachte und mit den jungen Leuten in die Kajüte des Ewers stieg, wo er eine lange Verhandlung pflog. – Er stieg endlich, im ganzen Gesichte lachend, mit Bernhart und Schnepfe wieder herauf, um einen Brief zu schreiben, auf den beide warteten. Sie hatten die Ziegelschiffer abgelegt und kamen als Gentlemen aus der Luke hervor, zur gerechten Verwunderung ihrer Schiffsleute, die sie stets nur in den Matrosenkleidern gesehen.

Auf den Wangen der Schwestern leuchteten die Rosen, die in ihren Herzen für die jungen Männer blühten, als diese bei ihnen eintraten. – Laarsen schob seine Brille in die Höhe und betrachtete sie, in seinem Briefe innehaltend, mit Wohlgefallen, worauf er verschmitzt nach den Mädchen hin lachte und sagte:

»Nun, ich schreibe eben an euren Papa. – Ich kann doch wohl bemerken, daß ihr einverstanden seid? Hm?«

»Einverstanden? Mit was denn, Onkelchen?« fragte Emma feuerrot, während Selma die dunklen Wimpern senkte.

»Mit dem was ich schreibe, und dem was die Herren sagen werden«, sprach Laarsen lachend und schrieb weiter.

»Wo wollen Sie hin?« fragte Emma, schüchtern nach Schnepfe blickend.

»Wir reisen noch heute nach der Lüneburger Heide. Wir haben in Suderburg bei einem alten Herrn eine wichtige Frage zu tun. Sollen wir sie tun?« sprach Schnepfe, Emma fest anblickend.

»Selma?« flüsterte Bernhart leise.

Diese saß immer noch mit gesenkten Augenlidern vor ihm. Eine helle Glut stieg auf ihre Wangen. Sie hob die dunklen Wimpern, und die Glut brach aus den Augen hervor. Sie hob aber mit den Augen zugleich die Arme empor und warf sich an die Brust des Geliebten, was Emma schon getan hatte; denn Schnepfe rief eben, von dem Küssen zu Atem kommend: »Sie sind einverstanden!«

Der Ewer blieb einige Tage bei Laarsen liegen, der sich auf das Deck setzte und die Milchleute dort erwartete. Die Mädchen stiegen in die Kajüte hinab, die er ihnen aufschloß, und besahen dort alles neugierig, wobei Emma »Ordnung« machte, denn es war eine greuliche Junggesellenwirtschaft, wie sie bemerkte.

Nach einigen Tagen kam ein Brief an Laarsen, in dem zwei an die Mädchen lagen, die diese in der Kajüte lasen und dann lange still selig dasaßen.

Herr Laarsen rief aber einen Schutenführer an und fragte nach einem Mann, bei dem man Flaggen leihen könne. Indem sich der Führer besann, ruderte Takel-Jan vorbei, der sich erbot, so viel Flaggen zu besorgen, als Herr Laarsen nur immer wollte. Dieser übergab ihm das Geschäft und verlangte den Ewer morgen früh wunderschön beflaggt, was auch Takel-Jan zum Entzücken der Nachbarschaft und der Wasserleute ausführte, denn der Ewer trug eine Wolke von Flaggen aller Nationen, die existierten, ja sogar einiger, die gar nicht existierten. Laarsen saß am Ufer und erklärte jedem, der es nur wissen wollte, daß die Sache zu Ehren der Töchter Eiskuhls und zur Feier ihrer Verlobung mit zwei reichen jungen Männern stattfände.

Bernhart und Schnepfe waren indes nach Suderburg gereist und befragten sich dort nach dem Hause des Vogtes. Sie waren die Nacht gefahren und fanden den alten unglücklichen Vater ihrer Geliebten daheim. Der betrübte Senator saß kummervoll vor einem großen Tisch beim Frühstück. Er hatte zwei Forellen und eine Schüssel voll Krebse aufgezehrt, die Jost schon früh gefangen. Da dies sein Herz noch nicht beruhigte, so ging er einem Schinken zu Leibe, der herausfordernd vor ihm stand und ganz geeignet war, ein betrübtes Gemüt zu trösten, wozu Laarsens Portwein das seinige beitrug.

Herr Eiskuhl betrachtete die Ankommenden mit Verwunderung und einiger Freude. Er erstaunte aber noch mehr, als er den Brief Laarsens las, und tat einige Schnaufer, wobei er die Augen weit aufriß und die jungen Leute betrachtete.

Dann schüttelte er mit dem Kopf und murmelte: »Verfluchte Kerrels!« worauf er Jost herbeirief und ihm sagte:

»Jost, denke dir, die Jungens da wollen die Mädchen heiraten – halten um sie an – haben aus der Lehmgrube, womit sie Spickmann anschmierte, eine Goldgrube gemacht und werden reiche Leute, während wir arme Teufel geworden sind. Jost, was sagst du dazu?«

»Ich habe immer gesagt: Geduld, es wird sich machen! Habe das schon in Neumühlen kommen sehen«, sprach Jost lachend.

»Was! schon in Neumühlen, und da hast du mir nichts davon gesteckt!« rief Eiskuhl verblüfft. »Oh, dieser verfluchte Kerrel, der Schnepfe! Nun, Jungens, Umstände verändern die Sache. Ich bin's zufrieden, aber laßt euch vorher sagen, daß ihr ein paar arme Mädchen heiraten wollt. Sie haben nichts, fast gar nichts und bekommen nicht einmal eine Ausstattung, wenn ich meinen Platz nicht verkaufen kann.«

Die jungen Leute erklärten, daß sie nichts erwarteten und beanspruchten, als den Segen des Papas und seine Beihilfe am Geschäft, welches eine große Ausdehnung erlangte und wozu Herr Eiskuhl ganz der Mann sei.

Der Vorschlag elektrisierte den alten Herrn. Er sprang auf und wäre am liebsten gleich mit nach der Ziegelbrennerei gefahren, denn er war an Geschäftstätigkeit gewöhnt. Bernhart stellte ihm jedoch vor, daß erst für eine komfortable Wohnung gesorgt werden müsse, da er nicht wie sie in der Schiffskajüte kampieren könne, worauf Herr Eiskuhl sich so lange zu gedulden versprach.

Nachdem die Verhandlungen abgeschlossen waren, schrieb man sofort an Laarsen und ging dann, die Umgegend zu besehen. Der Senator führte Schnepfe auf einen Heidehügel und sprach, als er mit ihm allein war:

»Ach, mein lieber Doktor! Es wäre hier alles recht hübsch. Es ist mit dem Leben auszuhalten. Die Daucus carota delikat, aber –« Hier strich er sich mit betrübter Miene um das Kinn, welches, sonst glatt rasiert, heute ein stoppliger Bart umstand, »aber der Barbier hier – das ist ein fürchterlicher Kerl. Ich sage Ihnen, mich schüttelt's, wenn ich ihn von weitem kommen sehe. Die Messer müssen Sie sehen, die er auspackt, dick wie Zimmermannsäxte und bleifarbig, so daß einen bei ihrem Anblick die Gänsehaut überläuft. Ich wollte mich erst jeden Tag rasieren lassen, das wäre aber mehr, als ein christlicher Märtyrer jemals ausgehalten hat. Ich lasse mich wöchentlich zweimal barbieren und werde damit für alle meine Sünden gestraft. Ich glaube, der Kerl haut in seinen Mußestunden mit seinen Barbiermessern Gras und Getreide und dengelt sie hernach, wie sie es mit den Sensen machen. – Ich sage Ihnen, der Kerl treibt mich hier fort, ehe ihr mich dort brauchen könnt.«

Dabei sah er Schnepfe wehmütig an und strich wieder um sein Kinn. Schnepfe konnte kaum das Lachen verbeißen, denn er sah deutlich, daß Herr Eiskuhl gern kunstgerecht rasiert sein wollte, ihm aber nicht das Anerbieten zu machen getraute. Er nahm deshalb seinen künftigen Schwiegervater unter den Arm und führte ihn in das Haus, wo er ihn in einen Sessel setzte und ihm eine Serviette umband.

Das Gesicht des alten Herrn erheiterte sich bis zum Lachen, als Schnepfe ihn einseifte und mit dem Messer rasierte, das er bei sich führte. Es war, als ob ein sanftes Lüftchen um sein Kinn strich, und als Herr Eiskuhl das glatte Gesicht im Spiegel besah, klopfte er Schnepfe auf die Achsel und nannte ihn seinen »guten Jungen«.

Bernhart ging nach einigen Tagen nach Hamburg zurück und betrieb eifrig den Bau eines kleinen, komfortablen Wohnhauses bei der Ziegelei, während Schnepfe eine Woche in Suderburg blieb, den Schwiegervater jeden Tag rasierte und sich dadurch seine Gunst im höchsten Grade erwarb.


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