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siehe Bildunterschrift

Im Wandsbeker Gehölz

Sechsundvierzigstes Kapitel
Verschobene Abrechnung

Es verursachte dem alten Wolf viel Kopfzerbrechen, wenn er an den Diebstahl bei Stubborn, an Tricks Verschwinden in den Gängen und sein Wiedererscheinen bei seinem Prinzipal dachte, den er in der letzten Zeit gegen jedermann als wahnsinnig zu verdächtigen suchte. Der alte Wolf saß wie gewöhnlich im Hintergrund seines Kellers und kalkulierte. Zwischen seine Pläne, die alle darauf hinausliefen, andere Leute übers Ohr zu hauen, kam immer wieder der Gedanke an Trick und seine Geschäfte.

Aber noch mehr Rätsel waren für ihn zu lösen. Mit Schwarz war seit jener Fahrt elbabwärts etwas vorgegangen, was sein Wesen veränderte. Er blieb oft tagelang aus und verkehrte mit allerlei Wasserleuten. Er schien Geschäfte für sich zu machen, weshalb Wolf lauern und nachschleichen mußte, damit er dahinterkam; denn das Lauern und Nachschleichen war ihm ein Vergnügen, das etwas einbrachte. Nur ließ ihm das aufblühende Halsabschneidergeschäftchen nicht viel Zeit dazu, darum verfluchte er soeben Schwarz, der wieder ausblieb und ihn den Keller hüten ließ.

Ein anderes Rätsel fiel nach der Rückkehr von Schwarz in der Person des Judenjungen vom Himmel in den Keller. Jakob, der den Abend zuvor noch als verwünschter Zwerg fortging, kam am nächsten Morgen als vollständiger Stutzer wieder.

Die Veränderung, die mit diesem jungen Mann vorgegangen, war so gewaltig, daß der alte Wolf den Mund darüber ebenso weit aufsperrte wie der alte Ofen.

Jakob hatte sich einer Scheuerung mit grüner Seife und Soda unterworfen, ein Verfahren, das er bei alten Booten mit Erfolg anwenden sah. Dann war sein Haar gründlich durchgekämmt und mit Öl eingeschmiert. Ein paar Vatermörder brachten den alten Wolf zunächst fast um den Verstand, wozu noch eine kühne Krawatte das ihrige beitrug. Über den grauen Sommerrock nach neuestem Schnitt wäre Wolf noch weggekommen, aber die Hose mit Stegen, die wirklich passenden Stiefel, die glänzend daraus hervorsahen, vor allem aber die Glacéhandschuhe und der Spazierstock, die Jakob trug, damit schlug er ihn fast noch mehr nieder, als an jenem Abend mit dem Teekessel.

Wolf mußte einigemal nach Luft schnappen, als Jakob mit vornehmer Nachlässigkeit eine Zigarre vorsichtig auf den Ofen legte, den er vorher abblies, die Handschuhe auszog und den Strohhut an einen Nagel hing, worauf er sich mit einer Gönnermiene an ihn wandte und zutraulich fragte:

»Na, gibt's was für mich, Alterchen?«

Wolf hätte dem Bengel gern eine Ohrfeige gegeben, wie dies sonst stets beim Empfang geschah, oder ihm in die Haare gegriffen und ein wenig gezaust. Die Haare waren aber so glänzend und die Vatermörder einer Ohrfeige so im Wege, daß er es diesmal unterließ und höchst erstaunt sagte:

»Da schlag einer 'n Rad!«

»Genieren Sie sich gar nicht, Alterchen, man tau! Nur nich in die Ankers und die Flaschen hier«, sprach Jakob ermunternd, indem er an der Zigarre zog, damit sie nicht ausginge, und dann die Hände in die Hosentaschen steckte.

Wolf schüttelte nur mit dem Kopf.

»Wo hast du das Zeug her?« fragte er dann plötzlich barsch, indem er Jakob dadurch zu fangen dachte.

»Seligmann & Kompagnie, Alterwall«, entgegnete dieser mit der größten Seelenruhe.

»Wo hast du das Geld dazu her?« krächzte Wolf, indem er sich im Keller umsah und herauszukriegen suchte, was wohl fehlen könnte.

»Würde nicht langen, Alterchen«, bemerkte Jakob, der den Gedankengang seines Prinzipals sogleich erkannte. »Müßte den halben Keller ausräumen, wenn ich von dem alten Schund hier einen solchen Anzug kaufen wollte. Sind da auf einer ganz falschen Fährte!«

»Wie kommst du also dazu?« knurrte der Alte ärgerlich.

»'n reicher Engländer, der hat mir 'n geschenkt – 'n englischer Lord – hatte den Spleen 'n bißchen. Sonst aber 'n guter Mann«, sagte Jakob treuherzig.

Wolf sah ihn von der Seite an und brummte etwas, dann fragte er:

»Hast du Schwarz beobachtet? Wo geht er hin?«

Jakob, der vor kurzem mit Schwarz beim Kleiderhändler gewesen war, wo ihm dieser den Anzug kaufte, besann sich und log dann:

»Vorgestern abend habe ich ihn zum letztenmal gesehen. Er ging in den Tiefen Keller.«

Wolf spitzte die Ohren und murmelte: »So, so! Sieh mal an! Ging er allein?« fragte er dann den lauernden Jungen.

»Nein, es waren drei junge Damen und zwei fremde Offiziere bei ihm.«

»Wa – was?« stotterte Wolf erstaunt.

»Wollten wahrscheinlich unten frühstücken«, erklärte Jakob ruhig.

»Warte, du verdammter Jung! Ick will dich befrühstücken«, schrie Wolf, indem er einen Blechtopf nach Jakob warf.

Dieser ergriff den bekannten Teekessel zu seiner Verteidigung und sprach mit vieler Würde:

»Betragen Sie sich anständig, Herr Prinzipal, sonst muß ich Ihnen diesen Kessel an den Kopf werfen. Wenn ich noch länger mit Ihnen in Geschäftsverbindung bleiben soll, so muß ich durchaus auf ein anständiges Betragen Ihrerseits dringen. Ich bin nicht Ihr Sklave, und wenn Sie mir nicht mit der schuldigen Hochachtung begegnen können, sind wir geschiedene Leute. Ich will Ihren Entschluß oben abwarten.«

Bei diesen Worten setzte Jakob seinen Strohhut auf, zündete die Zigarre wieder an und ging in ruhiger Würde die Treppe hinauf. Oben lehnte er sich an eine Linde und verfiel in tiefsinnige Betrachtungen und Spekulationen.

Der alte Wolf unten war moralisch niedergeboxt und brummte ein ums andere mal: »Nein, so'n verdammter Jung! Wie er das gleich kann und den Feinen spielt. – Hm, ob ich das nicht auch versuchen könnte? Wär' für manche Geschäfte famos. Was die Kleider nicht tun! Hm, hm, so 'n verfluchten Jung! – Gebt nur so'n Kerl Kleider und steckt ihm Geld in die Tasche, so kann er's, als hätte er's gelernt. Ich nehme ihn Sonntag mit – wahrhaftig.« Wolf stieg nach Schluß dieses Monologs die Treppe hinauf.

Jakob sah ihn von der Seite an und fragte: »Haben Sie sich's überlegt?«

»Wenn du keine Streiche machen willst, so kannst du hier bleiben, ich nehme dich Sonntag mit auf eine Landpartie. Ich gebe dich für meinen Sohn aus und du nennst mich Papa«, schlug Wolf vor.

»Danke für die Verwandtschaft,« entgegnete Jakob, »außer Sie geben mir sogleich einen Teil der Erbschaft 'raus, die mir dann zukommt.«

»Warte, ich will dir gleich die Erbschaft auszahlen!« sprach Wolf, indem er ein Tau aufhob.

Jakob nahm eine günstige Distanz und warnte: »Nur anständig, Herr Prinzipal!«

Wolf warf das Tau weg und befahl: »Du bleibst hier und gibst auf das Geschäft acht.« Dann ging er fort und sah sich noch viele Male nach dem Jungen um, der auf einem Fasse saß und nachlässig auf die Kellertür blickte, als ginge sie ihn gar nichts an.

Als Wolf Jakob verließ, suchte er einen berüchtigten Rechtsfreund auf, der ein paar Wechsel protestieren und die Akzeptanten hetzen mußte, – dann besuchte er einige Weinkeller, wo er Gelder zu hundert Prozent gegen Wechsel mit doppeltem Giro anbrachte und noch extra einige Taler als armer Agent nebst einem ausgiebigen Frühstück herauspreßte, worauf er fällige Wechsel einkassierte oder gegen doppelte Zinsen prolongierte. Kam ihm auf seinem Wege eine kleine Nebenbeute in die Hand, so machte er es wie der Fuchs, der auf dem Gang nach den Hühnern und Enten gelegentlich einen Frosch oder eine Heuschrecke wegschnappt. Eine spottbillige Uhr oder ein Ring fanden stets einen Liebhaber an ihm. Nachdem gar nichts mehr zu machen war, ging er zu Stubborn, um Abrechnung zu halten.

Als er in das Vorzimmer trat, wunderte er sich nicht wenig, dort ein Bett hinter einer spanischen Wand und davor Herrn Stork, den Polizeimann, zu finden, der offenbar hier geschlafen hatte und ihn sehr aufmerksam betrachtete.

Wolf fragte verwundert, ob Stubborn etwa ausgezogen sei.

Herr Stork schüttelte mit dem Kopf und zeigte auf die Tür zu dem andern Zimmer, worauf er auf seine Stirn deutete und sagte:

»Er ist drin und wird immer schlimmer – Herr Trick kam zuerst darauf, und jetzt ist er in die fixe Idee geraten, daß durchaus jemand von der Polizei hier schlafen solle, was Herr Trick für den Ausbruch des vollständigen Wahnsinns hält und ihn deshalb nach dem Irrenhaus gebracht haben wollte. So schlimm steht es jedoch noch nicht, denn er ist ganz ruhig, und die Sache hat zwei Seiten. Er glaubt sich zwar immer bestohlen und hat wieder Anzeige gemacht, daß ihn die Finkenwärder vor kurzer Zeit in das Schilf gelockt und ausgeplündert hätten. Der Teufel soll aber klug draus werden, wer hier eigentlich den Knall hat. Gehen Sie hinein. Ich muß jetzt fort.«

Stubborn schien froh über die Ankunft Wolfs zu sein und rechnete und zählte mit Gier das Geld durch, wobei er jede Minute ängstlich nach der offenen Tür blickte. Er fürchtete augenscheinlich das Erscheinen seines Kompagnons, das ihn jedesmal mit Angst und Wut erfüllte. Herr Trick kam täglich regelmäßig und hetzte Stubborn mit dem Briefe aus Batavia bis zur Verzweiflung. Es gereichte ihm zum höchsten Vergnügen, dem darüber fast rasenden Stubborn den Brief jeden Tag laut vorzulesen, selbst auf die Gefahr hin, daß Herr Stork im Vorzimmer sei. Dazu las er die englischen Worte deutsch und wiederholte die Stelle, wo der Piratenagent anzeigte, daß er das Schiff samt der wertlosen Ladung mit Mann und Maus in Stubborns Auftrage versenkt habe und nun endlich den ausgemachten Lohn umgehend in Gold erwarte, widrigenfalls er persönlich in Hamburg zur Einkassierung seines Guthabens erscheinen werde.

War diese Vorlesung zu Ende, so versuchte Trick den Brief an Stubborn loszuschlagen, und zwar um nichts Geringeres als die Erneuerung der Wechsel, die ihm der Prinzipal aus dem alten Bild gestohlen, wozu er unerbittlich die Zinsen verlangte.

Stubborn blieb dabei, daß er von diesen Wechseln durchaus nichts wisse und sie nimmer ersetzen könne, da er jetzt ein armer Mann sei, worüber Trick jedesmal in große Heiterkeit geriet und sich erbot, ihm die versteckten Kapitalien suchen zu helfen.

Dieser Vorschlag war eine neue Quelle des Schreckens und der Beängstigung für den Prinzipal. Er hielt den größten Teil seines Vermögens in einem geheimen Wandschrank versteckt, der für den Uneingeweihten nicht zu finden war und von dem Trick keine Ahnung besaß. Wie leicht konnte dieser jedoch das Geheimnis erlauern, und dann war alles verloren!

Vor der Hand glaubte Herr Trick steif und fest, daß sein Kompagnon die verfügbaren Summen irgend anderswo verborgen habe, denn er hielt ihn für zu klug, sie bei sich liegen zu lassen. Der eiserne Geldkasten barg nur einige tausend Mark und war durch das Losschrauben vom Boden und die nächtliche Anwesenheit des Polizeipersonals so sicher wie die Bank geworden. Herr Trick beobachtete Stubborn deshalb unausgesetzt und verfolgte ihn auf allen Wegen, was dieser bald bemerkte und wofür er ebenso schnell den richtigen Grund fand. Es machte ihm dann ein kleines Vergnügen, Trick hinter sich herzulocken und ihn in der Irre umherzuführen. Er fuhr nach Wandsbek und schlich in den Wald, wo sich alte, hohle Eichen befanden, in die er vorsichtig kroch und von denen er ebenso vorsichtig wegschlich, um dann aus dem Gebüsch mit grimmigem Behagen zu sehen, wie Trick, wenn er ihn fern glaubte, in den Baum kroch, um ihn erfolglos zu durchsuchen und, ihn dann verzweifelnd betrachtend, wie ein Baumspecht an seine Nase zu klopfen. Er ging einige Tage darauf nach demselben Baume, schlüpfte hinein und kam mit einer Handvoll Banknoten heraus, die er vor den Augen des lauernden Trick zählte, den er dann nochmals in die Eiche kriechen und sie in allen Ritzen durchsuchen sah, bis er halb erstickt und voller Moder und faulen Holzes herauskam und den Baum fluchend von außen betrachtete.

Es war eine kleine Genugtuung für Stubborn, seinen Peiniger so auf die Folter zu spannen. Er führte ihn bald hier- bald dahin, auf alte Werften und Höfe, an die Stadtgräben und in die Inseln hinüber, wo er in Schilfbrüche kroch und endlich den Plan faßte, ihn dort beiseite zu schaffen und mit einem guten Stein um den Hals in einem Kanal verschwinden zu lassen. Er war nur zu feige, dies selbst zu tun, und diesem Umstande verdankte es Herr Trick zunächst, daß er mit heiler Haut von seinen Spioniergängen zurückkehrte.

Für seine Sicherheit fürchtete Stubborn von Tricks Seite nichts, denn er wußte nur zu gut, daß er für ihn die Ente mit den goldenen Eiern sei, die er nicht schlachten würde. Die goldenen Eier waren es aber eben, die Trick nicht kriegen sollte, und da Wolf gerade einige tausend Mark, die Ergebnisse eines sehr guten Geschäfts, einlieferte, so sah er mit großer Angst der Ankunft des verwünschten Kompagnons entgegen, der sich beim Erblicken des Geldes ohne weiteres in den Besitz der Hälfte gesetzt haben würde. Die Berechnung mit Wolf wollte kein Ende nehmen, da dieser so viel als möglich für sich zu bekommen suchte. Stubborn horchte immer über den Tisch nach der Treppe hin und krallte seine Hand über das Geld, sobald sich nur das mindeste Geräusch hören ließ, bei welcher Gelegenheit der alte Wolf seine langen dürren Finger ebenfalls über das Geld schlug, um es nicht fahren zu lassen, worauf sich die zwei liebenswürdigen Herren gegenseitig bei den Handgelenken packten und sich wie zwei Hähne ansahen, die einen Regenwurm gefunden haben, den keiner dem andern gönnt.

Als sich aber endlich die Schritte von zwei Leuten auf der Treppe hören ließen, packte Stubborn alles Geld vom Tisch mit einem schnellen Griff und warf es in den Geldkasten, den er verschloß. Es gelang Wolf hierbei, zwei Banknoten zu stibitzen, die er als gute Beute in die Tasche schob, während Stubborn gespannt nach der Tür blickte.

Die Schritte näherten sich, und es traten zwei Männer ein. Stubborn blickte mit weit aufgerissenen Augen auf den ersten. Es war Schwarz, den der alte Wolf ebenso erstaunt betrachtete. Er wurde jedoch bald durch einen Ausruf Stubborns auf den andern Herrn aufmerksam gemacht, dessen sonnenverbranntes Gesicht dem Kaufmann unsäglichen Schrecken einzujagen schien, denn er streckte beide Hände abwehrend gegen ihn aus und rief mit heiserer Stimme: »Was wollt Ihr hier? Fort! Fort! Ihr seid ein Schatten aus dem Reich der Toten. Ich will Euch nicht sehen! Verschwindet!«

»Ja, elender Mann! Ich komme aus dem Reich der Toten, wohin Sie mich und andere geschickt haben. Aber ich verschwinde nicht eher, bis Abrechnung gehalten worden ist! Abrechnung bis auf den letzten Pfennig – Abrechnung über das Vermögen, das Sie Schwarz geraubt haben! Abrechnung über seinen gemordeten Vater und Bruder! Über die Mannschaften der Schiffe, die –«

»Hört ihn nicht! – Hört ihn nicht! Es ist ein Wahnsinniger!« schrie Stubborn auf die Beschuldigungen Kerns. »Es ist ein Betrüger! Hinaus mit ihnen! Schaffen Sie die beiden fort!« drängte er, den alten Wolf vorschiebend.

Dieser besann sich eben, daß er eigentlich der Prinzipal von Schwarz sei und machte einen höchst unglücklichen Versuch, seine Autorität zu zeigen, indem er Schwarz befahl, sofort nach dem Geschäft an den Kajen zu gehen und seinen verrückten Begleiter mit aus dem Hause zu nehmen.

Schwarz sah ihn mit der größten Verachtung an und sprach:

»Wenn einer hier unnötig ist, so sind Sie es. Die Verhandlungen, die hier geführt werden, sind nicht für Ihre Ohren. Scheren Sie sich augenblicklich nach Ihrem Keller! Es ist ein Werftmann dort, von dem Sie gewöhnlich gestohlenes Kupfer kaufen. Er hat wieder eine schöne Partie. Es sind ferner ein paar Kerle mit gestohlenem Kaffee da, mit denen ich nichts zu tun haben mag. Es ist auch ein Makler dort, der fragt, ob Sie wieder etwa tausend Zentner Glasscherben zur Befrachtung eines Schiffes für diesen da brauchen, das man dann, als mit guten Waren beladen, hoch versichert, damit es in den indischen Gewässern verschwinden kann.« Bei diesen Worten drückte er dem verblüfften Wolf seinen Hut auf den Kopf und schob ihn zur Tür hinaus und an die Treppe, worauf dieser sehr eilfertig hinabstieg.

Schwarz kehrte zu Stubborn zurück, der, hinterm Tisch verschanzt, Kern sprachlos anstarrte und überlegte, wie er sich gegen seine Angreifer verteidigen könne. Schwarz beehrte ihn mit den Titeln »elender Schurke« und »Meuchelmörder«. Dann rief er ihm alle Schändlichkeiten in das Gedächtnis zurück, die er gegen ihn und seine Familie begangen und verlangte schließlich vor allen Dingen die Rückgabe des unterschlagenen Vermögens nach der Berechnung Kerns, ohne sich deshalb erst an das Gericht wenden zu müssen.

Stubborn gewann während der Auseinandersetzung seine Ruhe und Sicherheit insoweit wieder, um, auf Kern zeigend, fragen zu können:

»Und auf die Angaben dieses vom Sonnenstich getroffenen Irrenhauskandidaten hin wagen Sie solche Beschuldigungen gegen mich? Glauben Sie denn, daß Sie ein Kind oder einen Narren vor sich haben, der Ihnen auf Ihre lächerliche Forderung sogleich ein Vermögen hinlegt, an das Sie unbegründete Ansprüche erheben? Haben Sie irgendwelche Beweise dafür? Beweise! Vollgültige, schriftliche Beweise! Nicht Einbildungen verrückter, durchgegangener Buchhalter!«

Stubborn zeigte hier ein unendlich boshaft hämisches Lächeln und blickte beide Gegner lauernd an.

»Oh, Sie haben Ihr schurkisches Spiel vortrefflich gespielt! Sie haben die Beweise aus dem Haus des Lotsen gestohlen und beiseitegeschafft. Jenes Lotsen Nielsen, dem Sie durch Intrigen die Kapitänstelle des Schiffes in die Hände spielten, das dem Verderben geweiht war«, entgegnete Schwarz.

»Lächerliche Beschuldigungen!« höhnte Stubborn, der immer sicherer wurde. »Bringen Sie mir Beweise! Zeugen! Ich lasse mich auf nichts ein. Beweise will ich! Beweise!«

Ein Gepolter auf der Treppe unterbrach ihn. – Es war Herr Trick, der in außerordentlicher Hast heraufstürzte und in die Stube sprang. Er zeigte mit krampfhaft ausgestrecktem Finger nach der Treppe, auf der ein leiser Schritt hörbar wurde.

Der Lotse erschien in der Tür, sah sich vorsichtig um und verschwand, nachdem er Schwarz gewinkt, ohne einen Laut von sich zu geben.

Schwarz und Kern folgten ihm sofort, nachdem der erste Stubborn zugerufen: »Einen Beweis? Da ist er. – Wir kommen wieder!«

Die beiden Verbrecher saßen einander wie festgebannt gegenüber und blickten sich ratlos an. Die Erscheinung des Lotsen war für sie niederschmetternd. Er konnte ein furchtbarer Zeuge gegen sie werden. Ihr Spiel war verloren.

»Verwünscht! Es war wirklich nicht nur sein Geist, wie ich erst glaubte«, murmelte Trick endlich. »Was nun?«

Ein eiliger Schritt auf der Treppe schreckte beide auf.

Herr Stork, der Polizeimann, trat in das Zimmer.

»Wissen Sie schon, daß Ihr Kapitän, der Lotse Nielsen aus Neumühlen wieder da ist und daß er den Zollwächter Jörs draußen umgebracht hat?« sagte Stork außer Atem.

»Ah!« riefen beide.

»Alle Umstände sprechen dafür, daß es der Lotse gewesen ist«, fuhr Stork fort. »Man fand den Dänen Neumühlen gegenüber an einen Weidenbusch festgebunden, wo ihn die steigende Flut ersäuft hat, die einen Fuß hoch über seinen Kopf gestiegen war. Man sucht den Lotsen draußen und hier. Die Hafenrunde hat alle Boote ausgeschickt. Bin neugierig, ob sie ihn finden.«

Damit ging Herr Stork davon, weniger um den Lotsen zu suchen, als die Neuigkeit von dem ersäuften Zollwächter weiterzutragen und seine Bekannten damit zu traktieren.

Herr Trick holte tief Atem und klopfte sehr bedeutungsvoll an seine Nase.

»Sie dürfen ihn nicht finden! – Wir haben ihn zum zweitenmal, und das Spiel kommt wieder in unsere Hand. Der Beweis wird sich jetzt wohl hüten, zu kommen. Wir wollen ihn vor der Polizei hüten, aber wir wollen ihn zugleich aus seinen Schlupfwinkeln hetzen, daß er übers Wasser geht, und das andere Gespenst, diesen Kern, wollen wir auch noch beiseite schaffen«, sprach Trick grimmig lachend. »Geben Sie Geld 'raus, Kompagnon. Ich muß meine Freunde traktieren. Schnell, damit mir der Lotse nicht entkommt!«

Stubborn öffnete den Geldkasten und warf Trick eine Summe Geld hin, die dieser aufraffte und einsteckte, worauf er davonrannte. Sein Kompagnon horchte gespannt auf seine verhallenden Schritte und schloß dann die Tür ab. Hierauf ließ er die Vorhänge herunter und öffnete den geheimen Wandschrank, aus dem er ein Paket Wertpapiere zog, die er unter dem Rock verbarg. Er schloß den Schrank wieder und schlich dann vorsichtig die Treppen hinab und in den hintersten Teil des Hauses, wo er in einem Schuppen verschwand, in dem ein alter Dampfkessel sowie die Teile einer Maschine lagerten, die der Rost zernagte. Stubborn hatte die Maschine mit der Bedingung von dem Eigentümer gekauft, daß sie so lange dort lagern könne, bis er sie verwende.

*

Der Lotse, der so unerwartet bei Stubborn erschienen war, winkte Schwarz und Kern, ihm zu folgen und drückte sich scheu durch die Deichstraße nach den Brodschrangen zu, wo er nach dem Wasser hinunterstieg, um in der Kajüte eines Leichterschiffes zu verschwinden.

Seine Begleiter blieben oben stehen und sahen sich verwundert an.

»Was muß Nielsen vorhaben, daß er so geheimnisvoll tut?« fragte Kern kopfschüttelnd.

»Gehen wir zu ihm hinunter, wir werden es ja hören. Halt! Einer nach dem andern«, sprach Schwarz, als Kern mit ihm hinabsteigen wollte. Er ging zuerst und kroch in die Kajüte des Ewers, worauf Kern nachfolgte. Sie fanden den Schutenführer Wilm nebst noch einigen Kollegen und Buttjes von der alten Werft in St. Pauli hier.

»Was habt ihr vor?« fragt Schwarz die Versammlung etwas verwundert.

»Sie sollen ihn nicht kriegen!« schrie Wilm, mit der Faust auf sein Knie schlagend. »Solange er in den Leichterschiffen ist, sollen sie ihn nicht kriegen! Was, Jungens?«

»Ho, ho! Wenn wir einen verstecken wollen, dann müßte die Hafenrunde zehntausend Mann stark sein, und die dürften vierzehn Tage lang nicht schlafen, um ihn zu finden«, bestätigte ein Kamerad.

»Nimm dich nur vor dem Land in acht, denn die sind mit dem Teufel gehetzt«, warnte ein Dritter.

»Wärst du auf deinem Ewer nicht sicherer?« fragte Wilm den Lotsen.

»Nein, dort gar nicht. Man ist noch nicht an Bord gewesen, um nach mir zu suchen, aber man beobachtete das Fahrzeug von allen Seiten. Die Hannoverschen spüren dabei herum. Die Dänen umlauern es zu Wasser und zu Lande, und die Hamburger desgleichen. Man wartet nur darauf, daß ich an Bord steige, um mich beim Kragen zu nehmen. Dies läßt mir Hansen durch den guten Jungen von der Werft hier sagen, dem er es im Vorbeitreiben zuflüsterte.«

»Aber was gibt es?« fragte Schwarz verwundert.

»Wissen Sie denn nicht, daß die Polizei hinter Nielsen her ist, weil er den Schuckelmeier Jörs umgebracht hat?« sprach Wilm. »Hat ihn im Ried festgebunden, daß er wie eine Katze ersaufen mußte, als die Flut kam«, bestätigte er dem erstaunten Schwarz.

»Herr Gott im Himmel! Was habt Ihr da getan?« rief Schwarz erschrocken.

»Was ich noch hundertmal mit solchen Hunden tun würde!« antwortete Nielsen finster.

»Ach, es handelt sich hier nicht um den Kerl. Ihr habt uns da durch Eure Unüberlegtheit einen fürchterlichen Streich gespielt und uns aller Macht beraubt, die wir über Stubborn besaßen. Wer soll nun gegen ihn in der Schiffsgeschichte zeugen, wenn der einzige Zeuge, der am Leben ist, sein Leben dem Blutbann der Stadt verwirkt, wo er als Beweis erscheinen soll? Wer soll in meiner Sache die Angaben Kerns bestätigen? Ihr müßt jetzt fort, und wir werden genug zu tun haben, um Euch zu retten, anstatt daß wir Hilfe von Euch erwarten könnten«, rief Schwarz.

»Verwünscht! Das ist wahr. Daran habe ich nicht gedacht. Aber geht doch hin und seht Eure teuer erworbene Heimat von einem solchen Schurken verwüstet und Euer Geld gestohlen. Laßt von ihm nach Euch schießen und fühlt die Kugel an Eurem Schädel vorbeistreifen und dann bleibt kalt wie ein Fisch und laßt Euren Todfeind ruhig und gemächlich sitzen! Ich will den sehen, der das kann!« entgegnete Nielsen.

Schwarz nickte stumm und fragte: »Was wollt Ihr jetzt anfangen?«

»Grämt Euch darum nicht!« sagte der Lotse. »Ich brauche nur bis morgen abend ein Versteck und jemand, der mich dann an den Londondampfer setzt. Ich habe schon mit dem Kapitän, einem alten Freund von mir, gesprochen, dem ich die ganze Geschichte erzählte. Zum Glück für mich ist sein zweiter Steuermann, der jede Nacht betrunken war, auf der Herüberfahrt eines Nachts statt in sein Bett über Bord gestiegen und in der Nordsee schlafen gegangen, was man erst am nächsten Tage bemerkte. Ich werde seine Papiere nehmen und seine Stelle ausfüllen. Nur darf ich mich hier nicht sehen lassen und muß mich jedesmal verstecken. Ich will aber auch Stubborn jedesmal peinigen, wenn ich da bin, und kann Euch so doch nützen.«

Da sich vor der Hand nichts Besseres tun ließ, so wurde beschlossen, daß die Werftbuttjes Nielsen in der Gegend von Neumühlen an den Londondampfer setzen sollten, was sie mit Vergnügen zu tun versprachen. Sie standen meist im Solde von Schwarz, der jetzt einen Schmuggelhandel mit Lebensmitteln nach der Stadt führte und dabei sehr viel Geld verdiente, während man glaubte, der alte Wolf sei der Unternehmer. Sein Keller eignete sich vortrefflich zu diesem Geschäft, Jakob aber war ein ganz ausgezeichneter Spion und Unterhändler, ein Talent, das in diesem Fach Außerordentliches zu leisten versprach. Schwarz hatte aus Grimm über seine Abweisung in soliden Geschäften diesen Erwerb ergriffen. In ihren freien Stunden war diese ganze Schmugglerbande hinter Trick und Stubborn her und beobachtete jeden ihrer Schritte. Schwarz hatte ihnen besonders in den letzten Tagen doppelte Aufmerksamkeit empfohlen, damit die Bösewichte nicht entwischen und etwa außer Landes gehen könnten. Bei einem solchen Versuch wären sie jedenfalls von der Bande festgehalten und zu Schwarz gebracht worden. Auch heute lauerte einer an Stubborns Haustür, während zwei andere die Wasser- und Rückseite des Hauses scharf bewachten, bis sie Stubborn wieder aus dem Hofe kommen und nach seiner Wohnung hinaufgehen sahen.

Schwarz fragte den Lotsen, ob er Geld brauche. Dieser hatte jedoch am selben Tage, wo er Jörs die Rumfässer entriß, diese in Altona verkauft und war so vorderhand gedeckt. Man besprach noch verschiedenes, bestimmte Orte der Zusammenkünfte und verabredete gewisse telegraphische Zeichen, worauf sich Schwarz und Kern sorgenvoll entfernten, während Nielsen in der Kajüte zurückblieb.

Aber auch dem alten Wolf gingen die Dinge von heute im Kopf herum. Wer war der Fremde, der auf Stubborn einen solchen gewaltigen Eindruck machte? In welchem Verhältnis stand er zu Schwarz? Was trieb dieser? Das mußte er erfahren, und da Jakob vom Tiefen Keller gesprochen und ihn dann wieder davon hatte abbringen wollen, so glaubte er, dort etwas herauskriegen zu können und nahm sich vor, gegen Abend hinabzusteigen.

Sobald es dunkel wurde, ging er nach der Bettlerherberge, in deren Nähe er umherlungerte, bis ein größerer Trupp Gäste hinunterschlich, dem er sich anschloß, um so unbemerkt wie möglich einzutreten.

Im Keller war schon eine große Anzahl Gäste vorhanden und infolgedessen ein Tabaksnebel, in dem die Talgkerze wie der Mond erschien und man nur in nächster Nähe jemand erkennen konnte. Dieser Umstand war dem alten Wolf sehr angenehm, er benutzte ihn, um sich hinter einem Tisch auf eine Bank zu schieben und dort dem Gespräch im Nebel zu horchen.

Der Tabaksqualm wurde aber dem Wirt endlich doch zu dick. Er konnte nicht sehen, was getrunken wurde, weshalb er ein verstecktes Ventil und das Kellerfenster durch eine Leine öffnete, worauf ein Zug entstand, der die Tabakwolken hinausfegte. Die Kerze konnte dadurch etwas mehr leisten, und das erste, was Wolf aus dem schwindenden Nebel sich gegenüber auftauchen sah, war das Gesicht seines Freundes Trick, den er mit etwas unbehaglicher Verwunderung anstarrte. Er hatte schon früher ein hohles Klopfen gehört, das ihm bekannt vorkam, jetzt hörte er es wieder, denn Herr Trick, der ihn ebenso verwundert betrachtete, trommelte einen kleinen Marsch auf seiner Nase, tat aber dann, als habe er Wolf früher niemals gesehen und beachtete ihn gar nicht mehr. Nachdem er ein Weilchen leise mit den Zimmerleuten gesprochen, fragte plötzlich einer, auf Wolf deutend:

»Was ist denn das für ein Gesicht da drüben?«

»Kenne es nicht«, erwiderte Trick.

»Hallo, alter Junge, wer seid Ihr?« rief der riesige Zimmermann zu Wolf hinüber.

»Ah, ah! Ihr kennt mich ja, Wolf, Lumpenhandel von den Kajen. Kaufe alles, was man mir bringt«, sprach Wolf lachend.

»Was?« schrie der Zimmermann, indem er auf den Tisch schlug. »Ihr wollt doch nicht etwa sagen, daß Ihr der Lumpenhändler Wolf von den Kajen seid? Ihr alter Lügensack! Wo Herr Wolf, den wir alle kennen, Euch hier gegenübersitzt?« Hierbei zeigte er auf Trick, der sich erstaunt umsah.

»Das will Wolf sein?« quiekte der wirkliche Wolf entrüstet, denn er vermutete eine Schwindelei Tricks, da dieser seinen Namen angenommen.

»Ja, das ist Wolf«, schrie der Zimmermann. »Ihr seid aber ein Schwindler, ein Lügner, ein Spion, der sich hier eingeschlichen hat und sich für ein solides Haus ausgeben will. Ich werde Euch Eure alten schundigen Knochen entzweischlagen und dann zum Knochenhändler tragen, um sie pfundweise zu verkaufen und ein Glas Kümmel dafür zu trinken.« Dabei ergriff er Wolf mit seiner Riesenfaust beim Kragen.

»Halt!« rief der Lahme. »Du würdest für die schlechten Knochen nicht einen Sechsling kriegen. Vielleicht gibt das Lügengerippe etwas heraus, ehe es zu Knochenmehl verarbeitet ist. Wenn er einen guten Grog für uns machen läßt, so lassen wir ihn noch zum Skandal herumlaufen! Also 'raus mit den Schillingen!«

»Ich habe nur vier Schillinge bei mir«, jammerte Wolf, indem er diese Summe, die er aus Vorsicht nur eingesteckt, herauszog und auf den Tisch legte.

»Vier Schillinge?« schrie der Lahme lachend. »Kathrine, kehr' ihm mal die Taschen um.«

Kathrine tat dies sofort mit großer Geschicklichkeit, wobei nur noch ein altes Messer zum Vorschein kam.

»Der Lump hat wahrhaftig nicht einen Dreiling mehr«, sprach sie verächtlich.

»Der Schubiack! Der Bettelsack!« rief alles lachend.

»Smiet den Lump rut!« schrie der Lahme.

»Rut mit em!« ertönte der allgemeine Ruf, und von zwanzig Fäusten gepackt, wurde der alte Wolf über den Tisch gezogen und nach der Tür geschleppt. Kathrine setzte ihm unterwegs seinen Hut auf und gab ihm dann mit der flachen Hand einen Schlag darauf, daß er bis an das Kinn hinabfuhr.


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