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An der Petrikirche
Unter den Leuten, denen der Winter schnell vergangen war, befanden sich auch die beiden Freunde Bernhart und Schnepfe, die die kalte Jahreszeit am Tage in ihrem wohlgeheizten Dachstübchen und die Abende in verschiedenen gemütlichen Kellern verbrachten, an denen Hamburg so reich ist.
Bernhart hatte mehrere Bilder gemalt, um die Vater Kühnmann Goldrahmen besorgte, und nachdem er sie hatte abholen lassen, dem Künstler jedesmal vierzig Taler per Stück bezahlte, worüber er ihn einen wohlgesetzten Empfangsschein unterschreiben ließ, der besagte, daß die vierzig Taler oder »hundert« Märk, wie Vater Kühnmann niemals zu bemerken unterließ, als Darlehn auf das Bild von ihm gegeben und das Gemälde so lange in seinen Händen bleiben solle, bis es gut verkauft und das Geld zurückgezahlt sei.
Von den Bekannten und der Familie Kühnmanns wurde es als ein halbes Wunder betrachtet, daß sich der eingefleischte Geschäftsmann so für die Kunst interessierte und den Künstler unterstützte, was bei einem Teil bedenkliches Kopfschütteln, beim andern ungemeine Hochachtung hervorrief. Kühnmann erschrak oft selbst, wenn er sich bei dem Interesse ertappte, das er für die Bilder fühlte, und nahm sich vor, die Liebe zur Kunst nicht zu weit einreißen zu lassen. Er wollte etwas gegen diese Leidenschaft tun, deshalb stieg er auch eines Tages sehr schnell die vier Treppen zu Bernhart hinauf, der eben ein großes Bild vom Hafen anfing, für das die Zeit von drei Monaten projektiert war, und eröffnete diesem, daß dieses Bild in spätestens anderthalb Monaten fertig werden müsse, weil eine Summe von hundertundzwanzig Talern oder vielmehr »dreihundert Märk« ganz unerhört als Darlehn auf ein Bild sei.
Der Maler ließ, entsetzt über dies Ansinnen, den Pinsel sinken und sagte:
»Nein, es ist doch zum Aus-der-Haut-Fahren mit euch Kaufleuten! Ich glaube, wenn ihr dem lieben Gott beikommen könntet, Ihr suchtet ihm das Jahr zu fünf Quartalen abzudrücken. Ich bin überzeugt, daß Sie, wenn ich zugebe, das Bild in sechs Wochen zu malen, morgen kommen und es in vier Wochen verlangen.«
»Ah! Würde Ihnen dies möglich sein?« fragte Kühnmann lauernd.
»Wenn ich es zusammenschmierte, vielleicht!« meinte der Maler.
»Nein, nein, bitte. Es muß gut ausgeführt werden. Man muß alles Tauwerk deutlich und genau sehen und in den Tauen das Gedrehte. In vier Wochen ist Ihnen dies nicht möglich?« forschte Kühnmann.
»Nicht unter drei Monaten«, erklärte Bernhart bestimmt.
Nun begann ein hitziger Handel, in dem es Kühnmann doch endlich gelang, dem Maler eine Woche abzuzwicken. Er ging darüber so vergnügt fort, als habe er an Kolophonium oder Palmöl fünftausend Mark verdient.
Kaum hatte Kühnmann die Dachkammer verlassen, als der alte Jost eintrat und sich erschöpft auf einen Stuhl niederfallen ließ. Er sah merkwürdig niedergeschlagen aus und blickte den Maler mit einer verzweifelten Miene an.
»Ja, ja«, sprach er endlich. »Ich habe es immer gesagt. Geduld, es wird sich machen. Nun. Es hat sich gemacht! Ich sah es kommen. Wir sind fertig!«
Bei diesen Worten liefen ihm zwei große Tränen aus den Augen.
»Was soll das heißen? Was um's Himmels willen ist vorgefallen?« rief Bernhart verwundert.
»Haben Sie es noch nicht gehört?« schluchzte Jost.
»Nichts! Was ist vorgefallen?«
»Nun – wir haben einen Senator weniger«, seufzte der alte Diener.
»Herrgott! Ist Eiskuhl gestorben? Wann?« schrie Bernhart erschrocken.
»Schlimmer!« stöhnte Jost. »Noch schlimmer!«
»Oh! Er hat sich doch nicht etwa gar umgebracht?«
»Nein«, sprach Jost. »Das fehlte bloß noch – 's ist aber beinahe so schlimm. Er mußte gestern morgen quittieren – 's ist ein gräßlicher Skandal! Vorgestern war ein böser Tag – medio April – Wechsel – Verluste – ungeheuer. Zahlungseinstellung – Insolvenz. Mußte gestern quittieren und ist kein Senator mehr. Ich sage Ihnen, er kam ganz zerknickt nach Haus – sein Hemd sah ganz gelb vor Galle aus. Es war ein Glück, daß die Mädchen da waren. Die guten Dinger haben mehr Mut als wir und haben uns Trost zugesprochen. Dann sind eine Menge Kaufleute und Advokaten gekommen und haben drei Stunden gerechnet, die Aktiva und Passiva zusammengestellt, so daß wir bereits wissen, wieviel uns bleiben wird. Der Alte ist stolz und will fünfundneunzig Prozent bezahlen. Sie sagen, es wäre dumm. Ich sage aber, es ist recht. Wir werden das alte Haus behalten und vielleicht jährlich tausend Mark zum Leben. Ich muß da freilich sehen, wo ich auf meine alten Tage unterkomme, denn bei dem Geld können sie mich nicht brauchen. Ich freute mich damals, als unser alter Drache geschieden ward, daß sie keine Senatorin mehr wäre. Ach, und nun muß ich erleben, daß mein alter Herr selbst kein Senator mehr ist. Das ist das schlimmste bei der ganzen Geschichte, was mich am meisten ärgert.«
»Nun, nun«, tröstete Bernhart. »Ihr werdet schon wieder mit dem Kopf nach oben kommen. Der Senator ist ein tüchtiger Geschäftsmann. Der wird's bald wieder haben, was ihm das Unglück jetzt abgenommen. Nur Geduld, es wird sich machen!«
»Ach nein«, sprach Jost traurig. »Wenn einer bis in Eiskuhls Alter fortwährend Glück gehabt hat und das Unglück kommt dann einmal über ihn, dann geht er zugrunde. Das ist gerade wie mit den Schlachtern und Schiffern, die niemals krank sind. Packt es die aber einmal, dann ist es gewöhnlich auch alle mit ihnen. Sie werden sehen. Eiskuhl ist hin. Sie können getrost um die Mädchen anhalten. Ich habe es Ihnen vorausgesagt. Es wird sich machen. Aber was schwatze ich? Wo ist der Doktor? Er bekommt noch zwanzig Mark von seinen Fahrten, die soll er holen. Ich glaube, mein Alter will sich wieder von ihm rasieren lassen.«
Bernhart schüttelte mit dem Kopfe und zweifelte daran, daß Schnepfe die Stelle als Barbier bei Eiskuhl von neuem antreten werde. Er horchte nach außen und sagte: »Da scheint er selbst zu kommen, ich höre ihn auf der Treppe.«
Die Tür flog auf und Schnepfe sprang herein. Er hielt einen Brief hoch in der Hand und schrie: »Hurra! Ich habe sie endlich! Ich habe sie!«
»Wen?« fragte Jost aufstehend, »die Emma?«
»Ach nein, die noch nicht! Aber hier, lest!« Schnepfe gab Bernhart den Brief.
Dieser überflog die Zeilen mit den Augen und ließ den Brief fallen, indem er Schnepfe umarmte.
»Ich wünsche dir herzlich Glück, mein lieber Emil«, rief er freudig. »Endlich ist also dieser gerichtliche Erbschaftsbandwurm zu Ende, und du kannst nun in drei Wochen dein Geld erheben. – Er kriegt wirklich jetzt seine Erbschaft«, wandte sich Bernhart an den alten Jost.
»Nun wahrhaftig!« sagte dieser. »Habe ich nicht immer gesagt: Es wird sich machen. Unter solchen Umständen getraue ich mir gar nicht, meinen Antrag auszusprechen.«
»Was ist es?« fragte Schnepfe, »heraus damit!«
Jost kratzte sich am Kopf und sprach verlegen: »Umstände verändern die Sache.«
»Ah!« rief Bernhart. »Wo haben Sie das gehört?«
»Der Herr Senator und der Polizeiherr sagten das immer«, war Josts Antwort.
»So? Sieh mal an, diese Logik paßt ja ganz herrlich für republikanische Machthaber, obgleich sie für eine despotische Regierung erfunden wurde, und zwar, wenn ich nicht irre, von Metternich. Der dachte wohl nicht daran, daß seine Dogmen in einer Republik angewendet würden, als er diesen bequemen Lehrsatz erfand.«
»Aber so kommt doch einmal mit der Farbe heraus! Was für eine Sache denn?«
»Ich glaube, der Senator möchte gern wieder von Ihnen barbiert sein«, sagte Jost verlegen.
»Von mir barbiert!« rief Schnepfe entrüstet.
»Ich sagte ja, Umstände –«
»Nein, nein!« unterbrach Schnepfe Jost. »Hier verändern Umstände die Sache nicht. Ich werde unter gar keinen Umständen wieder zum Barbieren in des Senators Haus kommen, weil ich dabei vor dem Mädchen, welches ich anbete, als Betrüger entlarvt worden bin. Sie sah den Doktor sich in den Barbier verwandeln. Sie soll mich nie mehr als Barbier sehen, denn noch heute will ich meine Messer in die Elbe werfen.«
»Tun Sie das nicht. Es wäre schade um die schönen Messer. Wissen Sie was? Schenken Sie sie mir, ich will mich im Rasieren üben, vorderhand an mir selber, später werden sich schon ein paar Dumme finden, die mich weiter üben lassen. Dann kann ich vielleicht mein Leben dadurch fristen, daß ich andere kratze, wenn man mich bei Eiskuhls fortschickt«, bat Jost.
»Bei Eiskuhls fortschickt?« wiederholte Schnepfe erstaunt fragend. »Wer wird Sie alten Schweden denn fortschicken? Der Senator doch nimmermehr!«
»Nein, der Senator nicht. Aber vielleicht Eiskuhl«, sprach Jost traurig, worauf er Schnepfe die Lage der Dinge im Eiskuhlschen Hause mitteilte.
Schnepfe war im höchsten Grad erstaunt über die Wendung der Verhältnisse, die so plötzlich auf den Senator eingebrochen waren. Er schwieg gedankenvoll. Dann sprang er lachend in die Höhe, schlug den Alten leicht auf die Achsel und sagte: »Nun, Freundchen, es wird sich machen! – Habt Ihr das nicht immer selbst gesagt? He? Jetzt sage ich Euch, es wird sich machen. Oh, ich wollte, Ihr büßtet noch vollends alles ein, was Ihr habt, und würdet so arm wie die Kirchenmäuse. Desto besser für uns. Dann laden wir Euch in unserer Villa zu Tisch ein und bitten bei einer riesigen Schüssel voll gelber Rüben den Alten um seinen Segen. Ha! Umstände verändern die Sache! Der alte Diplomat hat recht. Wir haben eine Sache, die jetzt sehr schlecht ist. Da wir aber nun Geld haben, so werden wir Umstände damit schaffen, die sie total ändern. Grüßen Sie die Mädchen von uns und sagen Sie, Emil Schnepfe ginge jetzt, um den Grund zur Villa zu legen, in der sie mit dem Papa und dem alten Jost wohnen sollten. Hurra, unser Geschäft beginnt!«
Mit diesen Worten lief Schnepfe davon. Er ging nach dem Baumhaus, nahm dort einen Jollenführer und ließ sich auf die Elbe hinausrudern. Vielleicht wollte er seine Messer draußen versenken.
Der Senator, oder vielmehr Herr Eiskuhl, wie er streng genommen von nun an genannt werden müßte, da er sein Geld und seine Würde und damit die glänzenden Eigenschaften Hochedel und Hochweise verloren, die sich sonst die Väter der Stadt auf den Ukasen beilegten, die sie an die freien Bürger der Republik von Zeit zu Zeit im feinsten Kurialstil erließen, stieg an diesem Tag in seinem Hause an der Petrikirche Das Bild zeigt die alte Petrikirche vor dem Brand von 1842. wie gewöhnlich bei Sonnenaufgang aus dem Bett und mußte durch Zufall zehn Minuten auf seinen Barbier warten, gerade wie im Anfang unserer Geschichte.
Der Senator schüttelte mit dem Kopf und fragte plötzlich:
»Was machen die Mädchen? – Wie nehmen sie das Unglück?«
»Oh«, rief Jost begeistert, »tapfer! – Das sind tapfere, mutige Mädchen. – Sie sagen, sie machen sich gar nichts daraus, daß Papa nicht mehr Senator ist, denn nun sitzt er nicht mehr auf dem Rathaus oder bei den Senatoren im Keller, und wir haben ihn für uns allein. – Selma hat Bilder gemalt und hat sie sogar verkauft, und wozu? – Um draußen in St. Georg einen kleinen Garten zu pachten – ha! ha! Ich habe ihn umgegraben, und die Mädchen haben was hineingesät. – Doch halt! – – Da hätte ich bald den Spaß verdorben. – Nein, das sind tapfere Mädchen. – Ordentlich emporgeschnellt und hübscher geworden von dem Unglück. – Sie sollten mal die schönen Schildereien sehen, die Selma macht!«
Der Senator ging kopfschüttelnd hin und her und seufzte endlich:
»Jost! – Du sagst, sie verkauft die Schildereien? – Ist das auch keine Schande für sie? – Ist das nicht eine Schande, solches Zeug zu malen und für Geld zu verkaufen? – Ich hätte mir nie träumen lassen, daß so was in meiner Familie vorkommen könnte. Ich dachte mir unter einem Maler immer einen soliden Bürger, der so und so viele Leute hat und Häuser und Schiffe anmalen läßt, wo man was dabei verdient. Ich habe gar nicht gewußt, daß die Schildereien von Malern gemalt werden, und dachte, das Zeug würde gedruckt, bis mir der Doktor den Professor brachte, der sich draußen hinsetzte und wahrhaftigen Gott die Bäume und meine Rübenbeete abmalte, daß mir vor Verwunderung der Mund offen stand. – Aber es ist doch ein kurioses Geschäft! Kein solider Grund und ein närrisches Ding, dann die Schilderei für Geld loszuwerden.«
»Nun«, warf Jost ein, »es ist doch immer besser, man verkauft die Dinger für bares Geld, als für Lehmgruben!« –
So traurig auch der Senator infolge seiner Lage war, so mußte er dennoch bei diesen Worten laut lachen, als ihm Spickmanns Handel mit Bernhart einfiel. Jost konnte gleichfalls nicht ernsthaft bleiben, und beide waren der Meinung, daß Spickmann doch ein geriebener Kerl sei, da dieser Lehmgrubenhandel, samt der Art, wie er den Maler »gemacht« habe, ihm bei den Hamburgern großen Respekt verschaffe.
Jost verließ seinen Herrn, welchem die »Tapferkeit« seiner Töchter sichtlichen Trost brachte, und ging später zu Bernhart, um auf eigene Faust zu versuchen, ob er Schnepfe nicht in das alte Haus zurückbringen könne.
Der Senator getraute sich nicht, den Fuß auf die Straße zu setzen. Er glaubte, alle Leute würden mit Fingern auf ihn zeigen und sah im voraus die höhnischen Gesichter, die ihn von allen Seiten angrinsten und sich nun ferner weder von seiner Grobheit noch von seiner weißen Hemdenbrust verblüffen ließen. – Er dachte daran, wie sich von seinen ganzen Bekannten kein einziger erboten habe, ihm beizustehen, um ihn nicht sinken zu lassen. – Wie alle jene, die in seiner Villa und in der Stadt stets an seiner Tafel saßen und vor Ehrfurcht fast auf allen vieren in seinen Salon kamen, jetzt wie weggeblasen waren. – Wie Hanfmölcke gestern, als er ihn gegrüßt, nicht einmal die Zigarre aus dem Munde genommen, die er sonst bei dieser Gelegenheit schnell hinter den Rücken gesteckt, ja daß er sie sogar höhnisch wie ein Bugspriet neben die Nase hinaufgedreht und eine Rauchwolke wie aus einem Dampfer gegen ihn geblasen habe.
Es klopfte. – In der geöffneten Tür erschien eine Gestalt, die wortlos stehenblieb und Herrn Eiskuhl einigemal zunickte.
»Ich habe es heute erst gehört! – Kann ich dir mit was helfen?« fragte sie.
Es war der Kellerwirt, Herr Laarsen, der sich das erste Mal seit vielen Jahren bei dem Senator sehen ließ.
»So? Du kommst also?« sprach Eiskuhl, packte den Stiefbruder bei beiden Rockklappen und schüttelte ihn hin und her. Er wußte offenbar nicht recht, was er tat, denn er zog ihn nach einem Stuhl und setzte ihn mit einem Ruck darauf nieder. Dann ging er hinaus und ließ ihn sitzen.
»Er hat weiß Gott von dem Malheur den Knall gekriegt,« murmelte Herr Laarsen, sich ängstlich umsehend. – »Er holt am Ende gar noch ein Messer, mich abzumurksen, und man kann nirgend hinaus; denn wenn ich jetzt versuche, mich die Treppe hinunterzuschleichen, und er erwischt mich, dann bin ich erst recht geliefert. Ich muß sehen, daß ich ihm im guten entkomme. – Der arme Kerl!« Laarsen wischte sich den Angstschweiß von der Stirn und lauschte, denn er hörte Stimmen. Dies beruhigte ihn ein wenig.
Der Senator kam zurück, aber nicht mit einem Messer, wie der ängstliche Laarsen erwartete, sondern mit seinen beiden Töchtern, die er hereinzog. Die Mädchen betrachteten Laarsen verwundert, ohne ihn zu erkennen, so lange war er nicht im Hause ihres Vaters gesehen worden, die Ähnlichkeit mit dem Senator fiel ihnen jedoch auf.
»Seht euch den mal an, meine Kinder,« sprach Eiskuhl, auf den Kellerwirt zeigend, der beim Anblick der jungen Damen aufstand. – »Seht euch den ordentlich an. – Das ist der einzige, der von allen Bekannten kommt und fragt, ob er mir helfen kann! – Das ist euer Onkel und mein Bruder, der aber Laarsen heißt, und der tut's aus Dankbarkeit, weil ich mich niemals um ihn gekümmert habe.«
Dem Senator liefen zwei große Tränen über die Backen, als er versuchte, den Stiefbruder zu umarmen, was sich jedoch bei dem Umfang der beiden brüderlichen Bäuche als unmöglich erwies. – Besser gelang dies den Mädchen, die dem Onkel um den Hals fielen und ihn küßten, worauf sie fragten, wo er her wäre und weshalb er sich so lange nicht habe sehen lassen.
Der Papa wurde bei dieser Frage vor Verlegenheit rot und winkte Laarsen, zu schweigen.
»Nun, wo soll er her sein?« sprach er, »aus Suderburg.«
»Ah!« riefen die Mädchen, »wo der Onkel mit der –«
Hier platzten beide in ein Gelächter aus, das wie zwei silberne Glöckchen erklang.
»Nun, was habt ihr Schneegänse denn zu lachen?« fragte Eiskuhl etwas entrüstet. »Was denn? Wo der Onkel mit der – mit was?«
– – – »mit der schönen Weste her war,« platzte Emma heraus, indem sie sich in der Erinnerung an dies Garderobenstück die Seiten vor Lachen hielt.
Sobald Laarsen an die Weste dachte, mußte er, wie der Senator, ebenfalls lachen und fragte:
»Also Peters Weste hat damals ihre Wirkung getan? Nun, ich dachte mir's.«
»Oh, ganz ungeheuer«, sagte Emma, sich die Lachtränen abwischend. »Der junge Spickmann ist darüber beinahe in Ohnmacht gefallen.«
Der Senator nahm Laarsen bei der Land und dankte ihm nochmals für seine Teilnahme, worauf er ihn einlud, mit zum Frühstück hinabzukommen. – Er setzte dort seine Verhältnisse auseinander und lehnte jeden Beistand ab, da er ihn nicht brauche. – Laarsen schien jedoch zu glauben, daß Eiskuhl total ruiniert sei, denn er fragte, ehe er trank, ob sich auch noch Wein genug im Keller befinde. Ebenso zog er Erkundigungen über den Vorrat von Käse, Butter und dergleichen ein, wobei er sich erbot, das Haus mit diesen Artikeln zu versorgen. Dann sprang er plötzlich auf, als ihm etwas einfiel und lief hinaus, um mit einem Korb voll Portweinflaschen zu erscheinen, den er im Haus hatte absetzen lassen. – Er entkorkte eine mit vieler Pietät und schenkte dem Senator ein Glas ein, das er gegen das Licht hielt und ihm mit der Bemerkung bot:
»Hier, Bruder! Ein Trost für einen Mann in schlimmer Lage, wie es keinen bessern gibt. – Solange ich ihn besitze, will ich ihn dir zukommen lassen.«
Als Laarsen fort war, ging der Senator gedankenvoll auf und ab. Er hatte noch nie eine so große Zuneigung für seine Töchter gefühlt wie heute und würde früher jedem liebevollen Annäherungsversuch des Bruders den Stolz des Beherrschers einer Republik entgegengesetzt haben. – Er sann darüber nach, welchen Ersatz für diese Gefühle ihm seine Würden boten, und fand keinen! – Er sah mit der Herrscherwürde einen solchen Wust von Scherereien, Beamtenkriecherei, Hochmut, Ärger und Streitigkeiten hinter sich liegen, daß er nicht begriff, wie er sich darin wohlbefinden konnte. – Im Portwein des Stiefbruders mußte ein besonderer Trost gelegen haben, denn als Jost nach Hause kam, fand er seinen Herrn ganz verändert, mußte ihm ein schneeweißes Hemd anlegen und konnte sein Erstaunen über die Umwandlung nicht verbergen, was die Laune des Senators noch erhöhte.
Herr Eiskuhl nahm sein spanisches Rohr und ging mit der Absicht aus, der ganzen Stadt ins Gesicht zu sehen und ihr zu zeigen, daß er sich gar nichts aus der verlorenen Senatorenwürde mache. – Auf der Haustürtreppe stand er einige Minuten still und blickte zum Turm hinauf, der gerade seinen Choral abzuhämmern begann.