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Der Brand der Petrikirche
Der Abend sank zum zweiten Male auf die brennende Stadt herab und immer noch wüteten die Flammen mit ungeschwächter Kraft fort. Der schöne Jungfernstieg war in Asche gesunken, und das Feuer wälzte sich gierig nach der Petrikirche hinüber.
Bernhart und Schnepfe kehrten bei Einbruch der Dunkelheit erschöpft von der Brandstätte nach dem Wall an der Lombardsbrücke zurück, wo jetzt ihre Heimat bei dem chinesischen Stuhl war, in dem sie Scapin fanden.
»Wir werden bald das Schauspiel eines zweiten Kirchenbrandes haben«, berichtete er. »Der Petriturm dort wird sich vergeblich dagegen sperren. Ich muß übrigens sagen, daß ich nicht geglaubt hätte, so viel Interessantes in Hamburg zu finden. Dabei sind die Hamburger wirklich famose Kerle. Gastfrei bis zum Exzeß; denn sie geben einem nicht nur brennende Kirchen und Jungfernstiege zum besten, sondern traktieren einen auch noch dazu mit Schinken, Käse und Rotwein. Wirklich! Ausgezeichnete Kerle.« Bei diesen Worten schnitt sich Scapin ein Stück Käse ab und teilte dann den Freunden ein paar Scheiben zu.
Schnepfe empfing es mit einem herzbrechenden Seufzer, biß aber doch mit »sichtlicher Befriedigung« hinein. Bei Bernhart war es fast derselbe Fall.
Scapin betrachtete beide und fragte: »Was fehlt euch? Habt ihr Schaden genommen?«
»Ach nein«, sprach Schnepfe mit einem Seufzer. »Wir sind nur besorgt um die Töchter des Senators. Die armen Mädchen mußten aus dem bedrohten Hause entfliehen. Eine Bande Gesindel war dort eingebrochen, die den Senator totschlagen wollten, und als er ihnen entkam, alles raubten und zertrümmerten. Ein Bürger hatte sich der Mädchen angenommen und sie fortgeführt, während Jost dem Senator heraushalf und nun mit ihm die Töchter sucht. Gott, wo mögen die armen Kinder umherirren?«
»Ah, unglücklich Liebende«, murmelte Scapin mit einem Mephistoblick. »Ihr seid also nicht nur abgebrannt, sondern liebt auch noch unglücklich. Das ist doppelt romantisch. Ich muß euch aber dabei bemerken, daß ihr für unglückliche Liebhaber einen gottgesegneten Appetit habt. Schade, daß Goethe nicht an euch seinen jungen Werther studieren konnte. Wenn er den mit gebrochenem Herzen einen halben holländischen Käse hätte aufessen lassen, oder noch besser einen ganzen, wobei er seine Seufzer mit hinunterschlucken mußte, so brauchte er sich keine Pistole zu borgen, sondern konnte mit einem Krach platzen, daß die Stücke der gelben Weste umherflogen, wie heute nachmittag Salomon Heines Haus. Lotte hätte dann gedacht, er wäre an zersprungenem Herzen gestorben. Wahrhaftig, das ist origineller als eine Pistole. Wenn ich einen Roman schreibe, so bringe ich den Liebhaber mit einem Käse um. Doch da seht! Das ist originell und hat etwas Schauerliches!« rief er, die Hand in die Luft streckend und nach oben zeigend.
Alle folgten der Richtung und erblickten ein eigentümliches Schauspiel. Hoch in der Luft über dem Feuer flogen viele Hunderte von Tauben in großen Kreisen umher. Die Flammen hatten sie um ihre Wohnsitze gebracht und beleuchteten sie grell von unten, so daß sie wie Sterne am dunklen Nachthimmel glänzten. Sie senkten sich oft tiefer herab, wurden aber von der Hitze wieder in die Höhe gejagt und umzogen ihre früheren Wohnstätten in großen Bogen, bis einzelne Partien wieder herabsanken und dann oft, sich überschlagend und wirbelnd, in die Flammen stürzten.
Es war ein ergreifender Anblick, diese Tiere am Nachthimmel umherziehen zu sehen. Zur Flucht auf der Erde gesellte sich die Flucht in der Luft.
Bei Tagesanbruch ergriff ein panischer Schreck die ganze Einwohnerschaft von Hamburg. Als die Petrikirche von den Flammen umzogen wurde, als ein Haus nach dem andern, ohne dem Feuer eine Grenze zu setzen, in die Luft flog, wandte sich alles zur wilden, sinnlosen Flucht und suchte vor der Stadt Schutz. Eine unglaubliche Wagenmenge wälzte sich zu den Toren hinaus und war mit dem wunderbarsten Durcheinander beladen. Auf den Grasböschungen der Wälle, von der Esplanade bis zur Eisenbahn Eisenbahn. Die Eisenbahn Hamburg–Bergedorf sollte am Himmelfahrtstag 1842 eingeweiht werden; statt dessen war ihre erste Fracht Spritzen von Bergedorf nach Hamburg. lagen alle Arten Waren und Möbel vermischt, die man hier geborgen glaubte. Die Eigentümer dieser Sachen fanden ihre liebe Not, um zu verhüten, daß Fußgänger und Pferde hindurchliefen. Besonders war es ein kleiner, dicker Mann, der seinen ganzen Topfhandel nach dem Wall gerettet und hart am Steintor aufgestellt hatte und der manchem ein Lächeln abnötigte, wenn er vor seinen Töpfen und Schüsseln hin und her galoppierte, um sie zu beschützen, wobei ihm der Schweiß von der Stirn rann, denn der Fluchtstrom ging scharf an den zerbrechlichen Sachen vorbei zum Steintor hinaus.
Mitten unter diesen Wagen und Trägern kam ein Leichenzug daher, der keineswegs einen feierlichen Eindruck machte, denn die Leichenträger hatten ihre Flormäntel um die Arme gewickelt und erschienen so »im kurzen Zeug«, während die weißen Perücken schief auf den Köpfen saßen. Dazu vergaßen sie den unvergleichlich schwankenden, schnappenden Trauerschritt, den nur allein die Hamburger Leichenträger auszuführen imstande sind, und kamen in einer Art Hundetrab an, der die leidtragenden Verwandten zwang, dieselbe Gangart einzuhalten, obgleich sie fortwährend dagegen protestierten. Der Leichenbitter, der sonst mit imponierender Grandezza vorherschreitet und an jedem Rinnstein sich umdreht, wobei er den Trägern meldet: »Rinnstein, meine Herren!« wurde auf eine respektwidrige und rücksichtslose Art von seinem Gefolge vorwärts geschoben und mit dem Sargende in den Rücken gestoßen, wobei er in einemfort schrie: »Platz, meine Herren! Rinn– Platz, meine Herren, Rinnplatz! Nee Steinplatz! Nee Rinnherren! Gott verdamm den ganzen Ooskram! Rinnsteen! Meine Herren! Ihr Ochsen!« wandte er sich an die Träger, die ihm einen Stoß versetzten, der ihm fast das Kreuz brach.
Der ganze Leichenkondukt wurde jetzt plötzlich von einem scheu gewordenen Pferde zur Seite und mitten in den Topfkram geschleudert, wohin der abwehrende Besitzer mit flog, indem er ein Zetergeschrei erhob. Der Leichenbitter stand einen Augenblick verblüfft und wußte nicht, ob er »Rinnsteen« schreien sollte. Dann aber, »Rette sich, wer kann«, wickelte er sein Trauermäntelchen um den Arm und rannte rückwärts davon. Die Träger, die sich aus den Scherben hervorgearbeitet hatten, folgten ihm mit großen Sätzen. Nur der Mantel des einen blieb in den Händen des Topfhändlers, der ihn dabei packte, zurück. Der unglückliche Töpfer warf sich nun über den Sarg, hielt ihn fest und schwor, der Tote müsse ihn bei Heller und Pfennig bezahlen oder komme nimmermehr unter die Erde.
Hielt der Töpfer den Sarg bei einem Ende fest, so zogen die Verwandten des Inliegenden am andern, bis die Frau des Verblichenen wütend wurde und dem armen Töpfer einen Topf nach dem andern auf dem Kopf entzwei schlug, bis er den Sarg notgedrungen fahren ließ.
Das Publikum nahm nun auch Partei für den Toten und zog den Sarg aus dem Topfkram, worauf man einen Wagen mit Möbeln anhielt, auf den der Sarg querübergestellt wurde, während die Leidtragenden auf einem dahinterstehenden Sofa Platz nahmen und ihn festhielten.
Der unglückliche Töpfer saß aber zwischen seinen Scherben wie Jeremias auf den Trümmern von Jerusalem und blickte verblüfft auf den eroberten Trauermantel, der ihm als alleinige Entschädigung für seine Töpfe geblieben war.
Solche Szenen kamen bei der allgemeinen Flucht, die sich nun am dritten Tage des Brandes entwickelte, hunderte vor und erweckten, mitten im großen Unglück, manche vorübergehende Heiterkeit.
Die Morgensonne des dritten Unglückstages vergoldete noch einmal die stolze Pyramide des Petriturmes, als sie schon vom Verderben gefaßt war. Man machte übermenschliche Anstrengungen, um das Feuer von der Kirche fernzuhalten. Durch das Sprengen eines großen Hauses glaubte man einen Damm zu gewinnen und die Flamme von der Kirche abzulenken, deshalb schaffte man achthundert Pfund Pulver in das Gebäude und zündete diese ungeheure Masse an, die eine schreckliche Wirkung hervorbrachte, denn das Haus fiel nicht wie die anderen in sich zusammen, sondern flog buchstäblich in die Luft, sodaß seine Balken und Steine turmhoch geschleudert wurden und die ganze Umgebung von den niederstürzenden Trümmern Schaden litt. Die herabfallenden Balken erschlugen Menschen und Tiere, während die Explosion alles verjagte, aber das Feuer dennoch weiter ging.
Im Turm selbst bot man alles mögliche auf, um den Untergang abzuwenden. Man konnte jedoch nicht zu den Stellen kommen, wo sich die Glut in dem Balkenwerke zeigte, obgleich man fortwährend Wasser hingoß. Glaubten die Arbeitenden endlich des Feuers Herr zu sein und wollten von ihren harten Anstrengungen ausruhen, so erklang von oben der schauerliche Notschrei »Wasser! Wasser!« und jagte die Ermüdeten wieder auf, wenn er den hohlen Turm herabschallte.
Es war indes merkwürdig, daß bei der augenscheinlichen Aussicht auf den Untergang der Kirche niemand daran dachte, die wertvollen Geräte und die sonstigen beweglichen Sachen zu retten.
Wo der fromme Hirt der Herde von St. Petri während der Gefahr gesteckt haben mag, ist unbekannt. Sicher ist aber bestätigt, daß er sich nicht um die Kirchengeräte kümmerte.
Ein fremder Pastor nahm sich der Sache an, sonst wären alle wertvollen Gegenstände verbrannt. Es war der Pastor Helms aus Wilhelmsburg, dem die Hamburger die Erhaltung der silbernen Kirchengefäße zu danken haben. Als dieser Mann den Turm schon glimmen und keine Anstalten zur Bergung der beweglichen Sachen in der Kirche sah, wandte er sich an zwei Herren, die offenbar zu den Vätern der Stadt gehörten und vor der Kirche standen, wahrscheinlich um ihr Abbrennen amtlich zu beaufsichtigen, denn sie machten keinerlei Versuche, etwas zur Rettung zu tun. Es müssen jedenfalls echte Hamburger Beamte von altem Stil gewesen sein, denn als sie der Wilhelmsburger Pastor aufforderte, die Kirchensachen herauszuholen oder ihn damit zu beauftragen, verlangten sie Bürgschaft für etwa entstehende Schäden von ihm.
Der Pastor Helms sagt selbst in einem Aufsatz, der in jenen Tagen im Hamburger Beobachter erschien: »Ich war am frühen Morgen des 7. Mai bei der Petrikirche, die ich nicht aus den Augen ließ. Als ich das Holzwerk am Turm, da wo die Kupferbedeckung angeht, anglimmen und es schon hinter der Kirche brennen sah, als ich gar nicht mehr zweifeln konnte, daß Turm und Kirche verbrennen würden, da bat ich zwei Herren, die ich auf dem Petrikirchhof fand und von denen ich glaubte, daß sie etwas zu sagen hätten, mich, den Fremden, entweder zu beauftragen, die Rettung der Kirchensachen zu leiten, oder noch lieber sich selbst an die Spitze zu stellen. Beide aber lehnten dies ab und machten mir bemerklich, daß, wenn ich retten ließe, ich es auf meine eigene Verantwortlichkeit tun möge, dann aber, wenn die Kirche nicht abbrenne, auch den durch Abnehmen, Transport, Beschädigung usw. verursachten Schaden zu ersetzen haben würde.
Nach dieser Aufmunterung sagte ich zu den vor der Kirche stehenden Zimmerleuten, Hanseaten, Bürgergardisten und zwei Polizeimännern: ›Kommt, Landsleute, laßt uns retten!‹ und alle, nicht 60 oder 70, aber doch wohl gegen 30 Männer folgten mir; und noch jetzt verwundere ich mich bald, bald bin ich darüber gerührt, daß diese braven Männer, die nur auf das Wort gewartet zu haben schienen und vorher nicht gewagt hatten, etwas in der Kirche anzurühren, mir ihren Beistand leisteten.
Es ist daher eine vollkommene Unrichtigkeit in Nr. 22 des Hamb. Beob., ›daß im Tumult gerettet sei‹, denn alles geschah zwar rasch und kräftig, aber in Ordnung und unter Leitung; ich bezeichnete jedes Gemälde, das sie abnehmen sollten, wobei ich mich nicht nur davon bestimmen ließ, was ich für das wertvollste hielt, sondern auch, was ich glaubte, daß es ohne große Beschädigung gerettet werden konnte, daher ich jene, in dem Ausdruck der Köpfe so trefflichen altdeutschen Bilder auf Holztafeln nicht retten ließ, weil es ohne Zersplitterung der Holztafeln nicht abgegangen wäre. Auch sind keine Brecheisen gebraucht, wie Nr. 22 sagt, sondern die Zimmerleute hieben und brachen die Krampen an den Gemälden, ohne diese zu beschädigen, mit den Äxten ab; Leitern waren nicht vorhanden als nur eine kurze, die ich selber erst von außen in die Kirche getragen hatte. Die mutigen Leute stiegen auf Bänke, oft übereinander gesetzt, und kletterten in Nischen und an den Ketten der Kronen empor.
Nach den Gemälden wurden unter meiner Anweisung die Kronen und andere Bronzen sowie die Kanzeldecke gerettet und von mir alles nach der Jakobikirche gebracht oder begleitet oder doch gesandt und meistens unter Aufsicht, die wohl nicht einmal nötig gewesen wäre.
Nun aber möge es mir erlaubt sein, jenen braven Männern allen, die von meinem, des Fremden Worte sich leiten ließen, hier öffentlich nicht etwa meinen Dank abzustatten, denn ihnen für ihr nützliches Wirken zu danken kommt anderen zu, aber doch ein Anerkenntnis ihres Wirkens auszusprechen, da in diesem Fall ich es am besten vermag. So bemerke ich denn, zumal da jetzt über den ganzen Stand, oder doch die meisten der Zimmerleute, so harte Urteile vielfach ausgesprochen werden, die eben in ihrer Allgemeinheit ausgesprochen ungerecht sind, besonders da so viele, mit einem Küchenbeil und einem Hammer bewaffnet, keine Zimmerleute waren, daß die Folgsamkeit und der Ordnungssinn, die Kühnheit und Gewandtheit, das Ehrgefühl und der fromme Sinn jener Zimmerleute in der Petrikirche eine öffentliche Anerkennung verdient. Ich versuchte oft einzelne dieser kühnen Männer mit Wort und Hand zurückzuhalten, wenn sie für die Rettung eines bronzenen Leuchters in sehr gefährlicher Stellung oder kletternd ihr Leben wagten. Die beste Anfeuerung war mein Wort: ›Aber Kinder, das ist zu gefährlich!‹ Als ich in der Kirche laut sagte: ›Landsleute, dieses sind Kirchensachen, darum reine Hand!‹ da erwiderte ein Zimmermann ruhig: ›Oh, wir sind Christen.‹ Als ich das Kirchensilber zuerst nur den Soldaten und Bürgergardisten in die Hand zum Forttragen gab, drängten sich auch ein paar Zimmerleute, die beim Öffnen des Schrankes tätig gewesen waren, herbei und machten mit Miene und Wort auf das Tragen des Silbers als auf eine Ehrensache Anspruch. Mit solchen Leuten ist freilich in kurzer Zeit vieles zu retten. Einen gleichen Mut und gleiche Tätigkeit bewiesen auch die andern Handwerker, die Bürgergardisten und Soldaten und jene beiden Männer von der Polizei, von denen ich leider nur den einen (Paulsen) mit Namen kenne, die mich so trefflich unterstützten und deren Besonnenheit und Umsicht in der Kirche und der Sakristei allenthalben war.
Die Rettung der Silbersachen ist in Nr. 23 (Hamb. Beob.) richtig angegeben, ich bemerke dazu nur: Als nach Rettung der in der Sakristei vorhandenen Kirchenbücher in meiner Gegenwart und auf mein Geheiß durch zwei Zimmerleute die sehr starke und großen Widerstand leistende eichene Bohle, die als Tür den Silberschrank verwahrte, so weit durchgehauen war, daß ich eben hineinlangen und mich überzeugen konnte, daß Silbersachen darin enthalten seien, so übergab ich mit dem Befehl, jetzt mit weiterem Einhauen einzuhalten, die Aufsicht auf ein paar Minuten jenem Herrn von der Polizei, der mit seiner Besonnenheit mir so treu zur Seite stand, lief hinaus und bat den mir begegnenden Leutnant Höper, mit seinen Soldaten zu meiner Unterstützung zu kommen, denen sich ein tätiger Unteroffizier mit mehreren Gardisten anschloß.«
Gegen 10 Uhr stürzte die stattliche Spitze des Petriturmes hernieder und erschlug beinahe Herrn Senator Eiskuhl, der sein Haus suchte und es nicht mehr finden konnte.
Der alte Mann stand dort, in verzweifelter Ratlosigkeit die Stufen seines Hauses betrachtend, vor sich die rauchenden Trümmerhaufen, unter denen vernichtet lag, was er sein eigen genannt, und war so arm, wie er aus der Lüneburger Heide gekommen. Um ihn tobte die wilde Flucht, denn die Kirche und der Turm brannten, mit ihm alle Häuser, die noch standen. Alles entwich aus der gefährlichen Nachbarschaft des feurigen Turmriesen, an dessen stolzer Pyramide die Flammen emporprasselten. Eiskuhl blieb starr auf seinem Platz und sah nach dem Turm hinauf. Der Senator sprang entsetzt zur Seite, als die Spitze des Turmes zu Boden schlug und die brennenden Balken um ihn niederschmetterten. Er war eingehüllt in Rauch und umgeben von glühenden Kupferstücken und Kohle, aber er war unversehrt und sprang aus den brennenden Trümmern; mit Sätzen, wie man sie im Traume macht, wie er sie sich nimmermehr zugetraut, so rannte er davon, durch die Trümmer des Jungfernstieges, bis er nach dem Wall kam, wo er erschöpft umfiel und wo ihn Schnepfe fand, der ihn zum chinesischen Stuhl brachte.
Dieser Stuhl war jetzt die Heimat der jungen Leute. Schnepfe bot dem Senator zögernd eine Weinflasche dar, weil er glaubte, er werde sie zurückweisen; der erschöpfte Mann, der seit vierundzwanzig Stunden nichts über die Lippen gebracht, griff jedoch mit Hast danach und tat einen langen Zug daraus. Ebenso hastig griff er nach einem Stück Käse, das Schnepfe verlegen in der Hand hielt. Er entriß es ihm fast und biß gierig hinein. Er, der sonst gewöhnt war, die feinsten Leckerbissen von Silber und Kristall zu speisen. – Schnepfe sah mitleidig diesem Frühstück zu und dachte an das in Neumühlen. – Er bemerkte Bernhart, der in der Nähe saß und die brennende Kirche in sein Skizzenbuch zeichnete. Er ging zu ihm und sprach: »Ich habe dir letzthin gesagt, ich werde den Senator in unsere Villa einladen. Ich habe es getan, er ist dort!«
Bernhart sah seinen Freund verwundert an und blickte dann nach dem Stuhl, wohin Schnepfe zeigte. Eiskuhl saß darin und war eingeschlafen. Der Maler sah suchend ringsum, worauf er fragte: »Und die Mädchen?«
»Ich konnte mich nicht danach erkundigen, denn der Senator war ganz erschöpft. Sobald er aufwacht, wollen wir ihn fragen, wo sie sind. Sie werden wohl bei Bekannten Zuflucht gefunden haben.«
Der Senator erwachte nach einigen Stunden und sah träumend in die Flammen, die sich jetzt an der Alsterseite nach dem Zuchthaus hinwälzten und bis zum Abend den ganzen Holzdamm Holzdamm. Wenn Reinhardt von Holzdamm schreibt, so ist damit nicht der jetzige Holzdamm in St. Georg gemeint, sondern der alte Holzdamm, der vom Alstertor nach der Gertrudenstraße führte und 1842 mit eingeäschert wurde. Seit 1821 hatte man begonnen, die Alsterseite mit Häusern zu bebauen, deren Gärten bis zur Alster reichten. (Vgl. die Beschreibung von Spickmanns Haus.) in Brand setzen. Dann sah er auf die Ruinen des Alten Jungfernstiegs, über die man, wenn sich die Rauchwolken etwas senkten, das Dach der neuen Börse wohlerhalten emporragen sah. Er schüttelte traurig mit dem Kopf, als wollte er sagen: »Du winkst mir umsonst, denn ich komme doch nicht mehr zu dir.« Dann blickte er nach den gesprengten Häusern, die dem Feuer eine Grenze setzten und sah vor allen Salomon Heines Haus verschwunden. Er wunderte sich darüber mehr als über alles andere.
Der ruinierte Mann saß da und starrte gedankenlos und doch gedankenvoll in die Verwüstung rundum, bis ihn Schnepfe ansprach.
Er sah auf, wie aus einem Traum erwachend und griff an das Kinn, weil er glaubte, Schnepfe sei gekommen, ihn zu rasieren. Dieser fragte, wo sich die Fräulein Eiskuhl befänden.
Da sprang der Senator mit einem Schrei auf. – »O Herr, mein Gott! Wo mögen die armen Kinder sein?« rief er.
»Das wissen Sie nicht?« sprach Schnepfe entsetzt.
»Nein! Als das Gesindel bei mir einbrach, liefen sie mit Jost aus dem Haus. Ich weiß nicht, wo er sie hingebracht hat. Er kam bald wieder und rettete mich, mit noch einigen Bürgern, aus der Bande heraus, die mich in meinem eigenen Hause aufhängen wollte. Dann wurden wir getrennt, und ich suchte die Kinder die ganze Nacht. Am Morgen kam ich wieder nach der Kirche hin und dachte vielleicht noch einige wichtige Papiere aus meinem Hause zu retten. Ich fand es aber nicht mehr. Nur die Treppe. – Es ist alles hin – alles verloren, was mir noch blieb. – Sogar die Kinder. – Oh, hätte mich doch der Turm erschlagen, der neben mir zusammenstürzte!«
Der Senator legte bei diesen Worten die Hände über die Augen und fing an bitterlich zu weinen.
»Wir müssen die Mädchen suchen,« sprach Bernhart. »Bleiben Sie hier. Wir werden die ganze Stadt durchstreifen, bis wir sie finden.«
Die jungen Leute wollten forteilen, blieben jedoch erstaunt vor Scapin stehen, der den jungen Spickmann führte, der eine halb lächerliche, halb erbarmungswürdige Figur spielte.
Er sperrte den Mund trotz einer vornehmen englischen Dame auf und sah mit einem verwunderten Entsetzen um sich, woraus klar wurde, daß sein bißchen Verstand sich in irgendeinen dunklen Winkel seines Schädels verloren hatte. Seine Frisur stand wie ein Kornfeld, in das der Hagel gefallen ist. Der untadelhafte Zylinder war zwar noch glänzend, aber greulich zerknillt. An den Händen trug er gelbe, zerrissene und beschmutzte Glacéhandschuhe, von den Hosen waren die Stege abgeplatzt, während ein Knie einen großen Riß zeigte. Als er den Senator erkannte, nahm er seinen Hut ab und versuchte ihn mit der Hand zu glätten, was einen komischen Eindruck machte, da Herr Eiskuhl ebenso zerknillt und heruntergekommen aussah wie Spickmann selbst.
Scapin stand zwischen beiden und betrachtete sie, als sei er ein böser Dämon, der sie in diesen Zustand versetzt habe.
»Da sind zwei,« sagte er leise zu Bernhart, »zwei Millionäre, vor denen alles gekrochen ist! Seht nun einmal zu, wer ferner noch vor ihnen kriechen wird. Haben die Kerls was für Kunst und Wissenschaft getan? Ist mein Prinzip nicht richtig, wenn solchen Millionären, solange sie Geld haben, Verachtung, und haben sie keines mehr, höchstens Bedauern gebührt?«
»Der arme, alte Senator dauert mich,« sprach Bernhart.
»Sie bedauern ihn, weil er der Vater Ihrer Geliebten ist. Er verdient aber im Grunde ebensowenig Bedauern oder Mitleid wie die ganze übrige Sippschaft. Ich möchte wissen, was unser naßgewordenes Modejournal nun anfängt, wenn er nichts mehr hat, denn es scheint, daß alles hin ist. Die sämtlichen Speicher Spickmanns sind verbrannt, und sein Haus am Holzdamm drüben brennt eben noch. Ich fand ihn vorhin unten an der Alster sitzen und sagte zu ihm: ›Boomöl! Brennt dort drüben nicht Ihr Haus?‹
›Sehr,‹ sagte er.
›Zum Teufel! Gibt es da nichts Wichtiges zu retten?‹
›Äußerst!‹
›Ist Ihr Alter drüben?‹
›Alter ist drüben in London. Wird sich wundern. Äh!‹ wimmerte er.«
Spickmann hatte sich indes in das Gras niedergesetzt und versuchte die Beulen aus seinem Hute zu machen. Die Ereignisse hatten ihn so überwältigt, daß er fast blödsinnig geworden war. Die Freunde rüttelten ihn etwas auf und fragten aus ihm heraus, weshalb er nicht drüben in seinem Hause die wichtigen Papiere u. dgl. gerettet habe und wie er in einen solchen Zustand geraten sei.
Das arme Kalb war allerdings in der Absicht, sich nach dem Stadthaus, in dem alle wichtigen Papiere lagen, umzusehen, von der Villa hereingekommen.
Er wußte nicht, wie nahe das Feuer schon gerückt war und kopierte zu seinem Unglück eine Figur aus dem neuesten Modejournal, die aber gar nicht zu den Umständen stimmte.
Als er deshalb mit seinen gelben Glacés und Lackstiefeln unter die Löschmannschaften in der Nähe des Feuers geriet, fielen diese mit schlechten Witzen über ihn her, trieben ihm den Hut ein und begossen ihn mit Eimern, worauf sie ihn packten und an eine Spritze schleppten, an der er zwölf Stunden pumpen mußte. – Als ihn endlich ein Bekannter frei machte, fand er sein Haus in Flammen und alles weggeschleppt und verwüstet. Zum Unglück war der alte Spickmann nach London verreist, und das Geschäftspersonal wußte nicht, wo er seine Wertpapiere verborgen hielt, deshalb gingen sie alle verloren und Spickmanns blieb von ihrem Besitztum vorderhand nichts als das Landhaus an der Elbe, ein Besitz, der gar nichts einbrachte, sondern noch Geld kostete.
Ganz anders war Vater Kühnmann hinter seinen Sachen her. Als das Feuer sich seinem Kontor nahte, bot er die Mannschaften der Dampfschiffe auf und ließ alle Bücher und Geschäftspapiere fortschaffen, dann kamen die sonstigen Gegenstände daran, worunter Uhren, Vasen und verschiedene Marmorfigürchen unter Glasglocken, die den Schiffsleuten aufs dringendste empfohlen wurden. Ein riesiger Matrose nahm denn auch eine der Glasglocken mit so großer Zartheit und Vorsicht in den Arm, daß sie wie eine Seifenblase zerplatzte, worüber Vater Kühnmann mehr erschrak als über den Brand der alten Börse. Nachdem alles nicht Niet- und Nagelfeste entfernt war und das Feuer schon das Nebenhaus ergriffen hatte, holte Kühnmann den großen Kassenschlüssel hervor und öffnete die Geldkasse. – Vor allen Dingen steckte er alles Papiergeld ein und belud dann den Vetter Schwarzknopf, einen Buchhalter und seinen Schwiegersohn mit dem Silber und Gold, woran diese zu tragen hatten. Dann verließ er als Arrieregarde das Haus, dessen Dach schon brannte, und trieb seine Vormänner zur Eile an, da es wirklich die höchste Zeit war, sich davonzumachen.
An der Ecke der Straße blieb er jedoch plötzlich stehen, kehrte mit der größten Eile und den Worten: »Ordnung muß sein!« alle Gefahr verachtend wieder um und lief in das nun gänzlich brennende Haus zurück.
Seine Begleiter sahen ihm erstaunt nach. Schwarzknopf warf den Geldsack, den er trug, mit einem Fluche zu Boden und sagte: »Wartet! Was um's Himmels willen muß er vergessen haben?«
Herr Kühnmann hatte sich besonnen, daß er die Schuldscheine des Malers Bernhart in einem Fach des Geldkastens hatte liegenlassen und sie dort verbrennen könnten. Er lief trotz verschiedener Warnungsrufe die Treppe hinauf, schloß das Kontor auf, denn er hatte es seiner Gewohnheit nach beim Fortgehen sorgfältig zugeschlossen, und suchte nochmals den großen Kassenschlüssel aus der geheimen Tasche hervor. Er blies wie immer hinein und steckte ihn dann in den Kastendeckel, den er öffnete, worauf er die Papiere in seine Brieftasche legte. Er tat dies nicht eiliger, als er es ein anderes Mal getan haben würde, nur verschloß er den Geldkasten etwas weniger sorgfältig, weil ihn der Rauch genierte, der das ganze Haus erfüllte und vor dem er kaum die Tür sehen konnte. Vater Kühnmann schob trotzdem den großen Kassenschlüssel in die hintere Rocktasche und wollte nun eilig und hustend davon gehen, als ihn ein lautes Krachen vor der Eingangstür erschreckte. Er lief dorthin und fand einen erstickenden Qualm und die Tür verrammelt. Das Dach war im Treppenhause heruntergestürzt, dessen brennende Balken nun das Öffnen des Eingangs unmöglich machten, da die Tür nach auswärts ging. Vater Kühnmann war gefangen, ein Opfer seines übergroßen Ordnungssinnes, und hatte die Aussicht, für einige Schuldscheine, für die noch dazu Pfänder in seinen Händen waren, gebraten zu werden. – Aber »Ordnung muß sind« war seine Devise.
Die Gefährten Vater Kühnmanns warteten indes mit Angst und Ungeduld auf ihn und blickten mit Besorgnis nach dem Hause, aus dessen Fenstern jetzt schon Rauch und Flammen brachen. Vetter Schwarzknopf schlug sich endlich vor die Stirn und schrie: »Alle Donner, meine Würste!« – Er besann sich eben, daß der Koffer mit den Würsten in seiner Stube stehengeblieben war und stürzte nun in das Haus zurück, um seinen Onkel und sie zu retten. Als er an den herabgestürzten Balkenhaufen kam, packte er die Trümmer und warf sie mit seiner Riesenkraft wie Späne beiseite, dann öffnete er die Tür und lief in den Gang, wo er über den am Boden liegenden Kühnmann fiel, der auf die Frage: »Sind Sie tot?« kein Lebenszeichen von sich gab. Schwarzknopf rannte nach seinem Koffer, riß ihn auf und drückte zwei große Zungenwürste wie gerettete Kinder liebevoll an sich, worauf er den bewegungslosen Onkel unter den andern Arm nahm und davonlief.
Als er sich durch die herabgefallenen Balken bei dem eisernen Treppengeländer drängte, fühlte er sich festgehalten. Die Ursache davon war der unselige große Kassenschlüssel Kühnmanns, der mit dessen Rockschoß durch das Geländer geraten, sich nun gegen dieses feststemmte. Schwarzknopf hatte keine Hand frei, denn er wollte weder seinen Onkel noch seine geliebten Würste fahren lassen, deshalb tat er einen verzweifelten Ruck, bei dem der ganze Rockflügel Kühnmanns krachend ausriß und samt dem Schlüssel im Geländer hängenblieb. Leider steckte auch die Brieftasche mit den Schuldscheinen, einigen Wechseln und zweitausend Talern in Banknoten in derselben Tasche, die samt dem Inhalt verbrannte.
Schwarzknopf trug den leblosen Kühnmann nebst den Geldsäcken und Würsten mit Hilfe der Freunde nach seiner von dem Feuer entfernten Wohnung, wo er mit Jammer und Wehklagen empfangen wurde. Vetter Schwarzknopf setzte sich an das Fenster und lauerte auf den Arzt, wobei er ein großes Stück von seiner geretteten Zungenwurst nach dem andern abschnitt und verzehrte.