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Volk und Staat

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Einige Betrachtungen über den Einfluß des deutschen Bodens auf die deutsche Geschichte

Wie haben die natürlichen Eigenschaften des Bodens, die wir in den vorhergehenden Abschnitten geschildert haben, auf den Gang der Geschichte des deutschen Volkes eingewirkt? Und welche von diesen Eigenschaften sind berufen, kommende Entwicklungen zu tiefst mitzubestimmen? Versuchen wir es, diese Fragen zu beantworten, ehe wir die Art, die Verbreitung, die Leistungen und Wirkungen unsers Volkes betrachten, so werden wir uns vor allem zu hüten haben, einzelne Eigenschaften dieses Bodens willkürlich herauszugreifen, etwa nach Art der Geschichtsdeuter, die rasch bereit sind, die staatliche Zersplitterung Deutschlands als eine notwendige Folge des Baues des deutschen Bodens zu erklären. Auch werden wir wohl zu beachten haben, daß unser Volk nicht auf allen Stufen seiner Entwicklung denselben Gebrauch von den Eigenschaften seines Bodens machen konnte und dieselben Wirkungen von ihnen erfahren mußte.

Die uns bereits bekannte (vgl. o. S. 3 u. f.) Lage Deutschlands in Europa, die alle andern Eigenschaften des deutschen Bodens umfaßt, zeigt zunächst ein ganz andres Verhältnis zum Erdteil als die Lage der andern großen Staaten Europas. Europa bildet eine Halbinsel, die im Norden vom Atlantischen Ozean und seinen nördlichen Ausläufern, im Süden vom Mittelmeer bespült wird. Spanien, Frankreich und Rußland nehmen Räume zwischen dem Nord- und Südrande dieser Halbinsel ein, während Deutschland nur eine Nordhälfte zwischen den Alpen und der Nord- und Ostsee einnimmt. Österreich hat umgekehrt nur eine Südhälfte zwischen den Sudeten und dem Mittelmeere. Italien als ein im Mittelmeere natürlich abgeschlossenes Gebiet kommt dabei nicht mit in Vergleich. Doch ergänzen sich diese drei Mächte zu einem ungemein günstig gelegnen Mittlern Gebiete zwischen dem nördlichen und südlichen Rand unsers Halbinselerdteils.

Diese heutige Lage Deutschlands ist das Ergebnis des Rückzuges aus einer vormaligen größern Ausbreitung zwischen Mittelmeer und Nord- und Ostsee, für die die Alpen kein Hindernis waren. Die Ursache dieses Rückzugs aber lag zuerst in der kulturlichen Schwäche der alten deutschen Südwandrer, die inmitten keltisch-romanischer, zahlreicherer Völker sich nicht in ihrer Eigenart behaupten konnten; und dann in dem Auseinanderstreben der politischen Ziele und Aufgaben zu einer Zeit, wo die Raumbeherrschung noch nicht Entwürfen von der Größe derer gewachsen war, aus denen später zum Beispiel die Nachbarmächte Frankreich und Rußland hervorgegangen sind. Deutschland stand zwischen Nord und Süd inmitten von zwei Interessenkreisen, die so fern voneinander lagen, daß sie nicht zugleich und mit gleicher Kraft vom Mittelpunkt aus zu beherrschen waren. Das alte deutsche Reich war in einen größern Raum hineingestellt, als es beherrschen konnte, und dieser Raum war im Osten und Westen schlecht begrenzt. Daher die Verlegung der Wachstumsziele und -richtungen Deutschlands von Jahrhundert zu Jahrhundert und das Schwankende der ganzen Entwicklung. Niemals hat in den Jahrhunderten, die die wichtigsten für die Herausbildung der großen europäischen Machtgebiete gewesen sind, Deutschland seine ganze Kraft Einem großen Plane dauernd dienstbar gemacht. Daher ist es als Machtgebiet am spätesten und als Völkergebiet überhaupt nicht »fertig« geworden, trotz oder vielmehr wegen des ehrwürdigen Alters des deutschen Kaisertums.

Wohl reichte einst deutsches Gebiet vom Sund bis Sizilien. Als aber die Hohenstaufen in Sizilien ihren wertvollsten Besitz sahen, strebte Norddeutschland nach der Beherrschung der Ostsee und der Gewinnung des Weichsellandes. Dazu kommt, daß die Richtung des Wachstums seit dem dreizehnten Jahrhundert eine Schwenkung um mehr als neunzig Grad von Süden nach Nordosten machte. Der für die Stellung unter den Seemächten so wichtige Halt am Rheinmündungsland, durch das Streben nach Süden bereits gelockert, ging dabei verloren. Der Nordwesten lieferte dem Osten Kolonisten und rückte gleichzeitig vom Reiche ab. Deutschland wich fast gleichzeitig von den Alpen und der Nordsee zurück, d. h. von natürlichen Grenzen und verheißungsvollen Pforten, und suchte in den grenzenlosen und in der Kultur tiefstehenden Osten hineinzuwachsen.

Man bedenke, daß bei gewaltigen Raumansprüchen der für das römische Reich deutscher Nation hochwichtige Verkehr über die Alpen fünfzehnhundert Jahre lang auf die alten Römerstraßen angewiesen war! Deutschland selbst ist ein wegarmes Land bis in den Beginn des neunzehnten Jahrhunderts gewesen. Und deshalb hat niemals eine geschlossene Geschichte den ganzen Raum des Reiches ausgefüllt. Norddeutschland ist manchem deutschen Kaiser ein fremdes Land gewesen. Deutschland hat überhaupt seine alpinen und transalpinen, burgundischen und danubischen Interessen mit denen des Tieflands und den maritimen immer nur vorübergehend vereinigen können. Und darin besonders liegt ein Hauptgrund des Auseinanderfallens Nord- und Süddeutschlands. Hie Süddeutschland, Alpen und Mittelmeer, hie Norddeutschland, Ostseeländer und Ozean! In einer Zeit der Raumschwierigkeiten bedeutete es Auseinanderzerrung bis zur Zerreißung oder mindestens Entfremdung, wenn die politischen und wirtschaftlichen Zielpunkte der einen Reichshälfte nicht bloß am Meer, sondern weit über dem Meer lagen. Die Hanseangelegenheiten konnten damals nicht Reichsangelegenheiten für Kaiser sein, deren Horizont den Oberrhein mit dem Rhoneland und Oberitalien verband. Gegen Friedrich Barbarossa konnte sich Nordwestdeutschland mit Flandern, England und Dänemark verbünden. Die auffallende Nordwestlücke in der heutigen politischen Gestalt Deutschlands ist alten Ursprungs; als das Mittelmeer und die Nordsee aufhörten, zwei Verkehrsgebiete zu sein, die nichts voneinander wußten, war das Rheinmündungsland längst auf dem Wege, ein selbständiger Staat zu werden. Wenn nicht die raummächtigste Organisation dieser Zeit, die Kirche selbst, das deutsche Ordensland in Preußen mit dem Reich verbunden hätte, wie fern und fremd wäre auch dieses geblieben. Es bewahrte sich ohnehin fast die volle Selbständigkeit, mit der die norddeutschen Länder zu Rudolf von Habsburgs Zeiten dem allein kaiserlichen Südwesten wie peripherische, fremd gewordne Glieder gegenüberlagen.

Der Unterschied der Lage zwischen dem Norden und dem Süden unsers Landes wirkte aber noch weiter. Der Norden stellte in Deutschland als östlich und westlich grenzloses Tiefland immer ganz andre Raumaufgaben als der Süden. Quer durch alle die Stromsysteme und an all den Gebirgsgruppen hin sich als ein Ganzes vom Kanal bis zur Memel hinlagernd verneinte das norddeutsche Tiefland die Sonderexistenzen des reich und eng gegliederten Südens. Wenn die Geschichtsschreiber Deutschlands so oft ein vielfach eigentümliches sächsisches Sonderdasein betonen, liegt es wesentlich in diesem Unterschiede. Man bedenke, daß auch heute der althistorische Südwesten ein enges Land ist. Baden, Reichsland, Württemberg, Hohenzollern, Pfalz, Hessen stehen mit 64 000 Quadratkilometern schon hinter den 69 000 Quadratkilometern Schlesiens und Posens zurück. Schon darum war Süddeutschland früher fertig. Es steht daher noch in der Stauferzeit als ein kompaktes Land gegenüber dem weiten, durch englische, dänische, slawische Einflüsse auseinandergezognen, aber zugleich zukunftsreichern Norddeutschland. Die überall gewaltigen Aufgaben des Kaisertums waren damals nach Lage und Raum im Norden schwerer als im Süden.

Der Gegensatz von Süd- und Norddeutsch geht also nicht einfach darauf zurück, daß salische und staufische Kaiser mehr in Italien als an der Nord- und Ostsee deutsche Interessen wahrnahmen, wodurch »ein süddeutsches Kaiserreich und ein norddeutscher Bereich autonomer Weiterbildung« (Lamprecht) entstanden. Der tiefste Grund dieser Sonderung liegt in dem Ungenügen der Raumbeherrschung, die sich zu große Aufgaben gestellt hatte. Als vorübergehend Ungarn und Burgund unter den salischen Kaisern dem Reich angeschlossen und der Norden sich selbst überlassen wurde, war das eine gesunde, durch die Beherrschung der Wege durch und um die Alpen fester begründete Politik, deren folgerichtiger Fortschritt Deutschland die Vorteile der Lage Deutschlands und Frankreichs zusammen gegeben und ein zweites Deutschland an der Nord- und Ostsee zusammengefügt hätte. Nur in dualistischer Form wäre damals die Beherrschung des ganzen Raumes des Reichs möglich gewesen. Aber Burgund, »der Riegel des deutsch-italienischen Reichs«, ging verloren. Nun erlangten Wege nach dem Osten im Tiefland eine neue Bedeutung, denn dieses Tiefland wird nach Osten zu immer breiter, birgt immer mehr Raum, aus dessen Fülle schöpfend ein neues Deutschland die im Westen und Süden erlittnen Verluste wenigstens zum Teil ausglich.

Im Tieflande als in dem jüngsten und raumreichsten Gebiete entstand der Keim einer gesundenden Neubildung, als Brandenburg von dem die großen ostelbischen Talwege beherrschenden Gebiet zwischen Elbe und Oder nach Osten und an die Ostsee hinübergriff, zugleich aber durch die Ausbreitung nach der Altmark die Verbindung mit dem Nordwesten vorbereitete. Preußens Entwicklung ist ein Aufsammeln staatenbildender Kräfte in dem geschichtlich jüngsten, die größten Möglichkeiten räumlicher Ausbreitung noch in sich bergenden Nordosten Deutschlands und ein Zurückwirken dieser durch Jahrhunderte zusammengefaßten Kräfte nach Westen und nach Süden. Von dem weitesten Wachstum nach Osten (1795) bis zum Bug wieder zurückgedrängt, ist Preußen immer noch fast zu zwei Drittelten ostelbisch.

Zu dem Unterschiede der Lage kommt hier der Gegensatz von Tiefland und Hochland. Das ist nicht bloß ein Gegensatz der Höhe und der Formen. Die nach Norden offne Lage des Tieflandes am Meer, die nach Süden geschlossene Lage des Hochlands vor den Alpen sind ebenso wichtig. In ihnen liegt der tiefste, dauerndste Unterschied zwischen Nord und Süd in unserm Vaterlande. Besonders gehört aber zu den Merkmalen Mitteleuropas der enge Zusammenhang mit dem flachern Tieflande des Ostens, das, doppelt so groß als unser Erdteil, sich in seiner ganzen kontinentalen Breite hinter Mitteleuropa auftut. Daher der mächtige Einfluß des Ostens auf die Mitte Europas. Die Geschichte Deutschlands trägt die Spuren dieses Zusammenhangs am deutlichsten; doch sind sie auch in der Geschichte Österreichs und der Niederlande sichtbar und wirken bis nach Frankreich hinein. Nicht bloß an die Einflüsse aus dem fernen Osten ist dabei zu denken. Dieses Tiefland zeigt auch in seiner Westhälfte Übereinstimmendes. Die Gemeinsamkeit der Geschichte der Niederlande und des niederdeutschen Tieflands ist seit der flandrischen Kolonisation und überhaupt seit dem Zuge der Nordwestdeutschen nach Osten eine große Sache; sie liegt in der Geschichte der Hanse wie in der preußischen Geschichte, sie zeigt sich in der Kunst und in der Wissenschaft und kommt in den neuen Anknüpfungen zwischen Niederdeutschen und Flamen auch in unsrer Zeit wieder zur Geltung.

Das Tiefland bietet geschichtlichen Bewegungen immer freiern Raum als die gebirgigern Teile. So zeigt schon die erste Ausbreitung der Germanen das leichtere Vordringen im norddeutschen Tiefland von Osten her und das schwierigere Eindringen in die Gebirge und die Alpen. So wenig wir im einzelnen von der Ausbreitung der Germanen kennen, wir sehen sie in der ersten Römerzeit schon im Norden am Rhein, wenn sie sich im Süden erst zwischen den Gebirgen durchgewunden und die Alpen überhaupt noch nicht berührt haben. Das ist eine Verbreitungsweise im Einklang mit dem Zuge der Gebirge, die das norddeutsche Tiefland zu einem sich nach Westen einengenden Keil machen. Dann geschieht die weitere Ausbreitung unter der Vermeidung des länger keltisch bleibenden Böhmens und unter der Erhaltung keltischer Reste in den Mittelgebirgen. Die Alpen werden erst überschritten, nachdem einige Jahrhunderte die Flut gegen ihren Nordrand hatten anschwellen lassen. Auch in spätern Bewegungen und Ausbreitungen hat sich ein begünstigender Einfluß des Tieflands geltend gemacht. Ihm verdankt das deutsche Volk den unschätzbaren Vorzug einer ungebrochnen Ausbreitung vom Kanal bis zur Memel, wodurch sein Gebiet die größte Breite da erhält, wo es am sichersten ist, am Meer. Mit dieser ausgedehnten Einlagerung kontrastiert die mitten in die Gebirgszone Süddeutschlands fallende Verschmälerung zwischen Taus und Avricourt, also zwischen Böhmerwald und Vogesen, die nicht mehr als ein Drittel jener größten Breite beträgt. Und ebenso steht der weitern Verbreitung der blonden Deutschen und Slawen im Norden die Verdichtung des dunkeln Elements in Mittel- und Süddeutschland gegenüber, das nur im Rheintal und in den Alpen stark mit Blonden durchsetzt ist.

Diesen großen nordsüdlichen Gegensatz durchkreuzen und schwächen auch zum Teil die ostwestlichen Unterschiede, die in den den Süden mit dem Norden verbindenden Strömen von der Maas bis zur Weichsel ihre natürlichen Leitlinien finden. Vor allem der Rhein hat seit alten Zeiten Nord- und Süddeutschland verbunden, wie er von den Alpen zur Nordsee niedersteigt. Die frühesten geschichtlichen Bewegungen der Deutschen sind nach Süden und Westen gerichtet: die Cimbern und Teutonen überschreiten die Alpen, und Cäsar tritt am Rhein ihrem Drängen nach Gallien entgegen. Durch die Übermacht der Römer wurden diese Bewegungen nicht bloß zurückgedrängt, sondern es wurde zu andern nord- und ostwärts gerichteten Bewegungen der erste Anstoß gegeben. Der römische Staat wächst über den Rhein nach Germanien hinein, mit ihm ranken Ausläufer der antiken Kultur herüber, und auf denselben Pfaden folgt das Christentum. Diese drei großen Mächte, die Europa umgestalten, machen aber ihren Weg nicht von Süden nach Norden, sondern sie biegen vor der Schranke der Alpen ab, umgehen das Hochgebirge in westlichem Bogen, und diese ungeheuer folgenreichen Bewegungen nehmen fast völlig westöstliche Richtungen an. Dem entspricht zeitlich das Erscheinen Germaniens im Licht der Geschichte hinter Gallien, Iberien und Britannien. Selbst Helvetien wird von Westen, von Gallien her für Rom gewonnen. Es wird damit eine Aufreihung der großen Völker in dem mittlern Streifen Europas zwischen West und Ost erreicht, die für Jahrhunderte hinaus den westlichen den Vorrang gibt; und es beginnt besonders das Wandern westlicher Einflüsse aus Frankreich nach Deutschland, das von da an nie mehr ganz aufhört. Deutschland pflanzt dann die Bewegung nach Osten fort. In dieser Verwandlung einer südnördlichen Bewegung in eine westöstliche liegt die größte geschichtliche Bedeutung der Alpen für Deutschland.

Ähnliche Reihenbildungen wiederholen sich auch in kleinern Räumen. Deutschland wird zunächst in sich selbst zweigeteilt durch die Romanisierung des Rheinlands, die von den Rätern bis zu den Batavern alle Völker ergreift. Damit erhebt sich ein westliches Deutschland, bevölkerter, blühender, in der Kultur reifer – man denke an Triers Stellung in der spätrömischen und frühmittelalterlichen Geschichte – über ein östliches, das erst zu erschließen, zu erobern, für das Christentum zu gewinnen ist. Ehe dies aber geschehen kann, zertrümmert eine Reihe von neuen großen Bewegungen germanischer Völker nach Westen und Süden das römische Reich. Die Germanen verlassen mit wenigen Ausnahmen ihre alten Sitze im Oder- und Weichselland, und ihr Gesamtgebiet schiebt sich dauernd westwärts, während Slawen im Osten an ihre Stelle treten. Der Westen behält aber seine Kulturüberlegenheit und daher die große Stellung des Rheinlands im Karolingischen Reich, als dessen Lebensader man den Rhein bezeichnen kann, ebenso wie bis auf Rudolf von Habsburg der Kern des Reichs, unter wenigen Schwankungen nach Niedersachsen, hier in Südwestdeutschland lag. Daher die Zerteilung Mitteleuropas in die westöstlich nebeneinander liegenden Länder West- und Ostfranken, später Frankreich, Lothringen, Burgund, Deutschland. Indem das Wachstum von Westen aus immer weiter ostwärts fortschreitet, rückt Frankreich von der Saone zum Rhein, Deutschland von der Elbe zur Weichsel vor, und weiter im Osten bildeten sich neue ostwärts strebende Staaten im deutschen Ordensland, Polen, Österreich und Ungarn. Übergangsländer wie Lothringen, Burgund, Schlesien, Böhmen verlieren in diesem Prozeß ihre Selbständigkeit.

Nun tritt aber ein großer Unterschied immer deutlicher zutage, der Frankreich und Deutschland trennt. Frankreich schließt sein Wachstum früher ab, da es fast auf allen Seiten natürlichen Grenzen begegnet; es entwickelt, das freie Meer im Rücken, seine Kräfte in heilsamer Sicherheit und Geschlossenheit. Deutschland dagegen bleibt nach Osten hin offen; das Deutschtum selbst schwankt vor und zurück und wird, wie ein Blick auf die zerfransten und zerstückten Nationalitätsgrenzen vom Isonzo bis zur Memel zeigt, bis heute dort nicht fertig. Bei diesem Wachstum spielen die Nordsüdflüsse wie Regnitz, Saale, Elbe, Neiße, Oder, Weichsel, Pregel eine große Rolle als zeitweilige Grenzen, während die westöstlichen als natürliche Wege nach Osten bedeutend werden. Die Donau und der Main sind unter diesen die hervorragendsten, so wie es zur Römerzeit neben der Mosel so manches Flußtal vom Oberrhein bis zur Lippe gewesen war. Diese Ostwege sind immer im Wert gestiegen, wenn eine Ostbewegung in der deutschen Geschichte einsetzte; so geschah es besonders bei der Christianisierung Böhmens, in der Donau und Main hervortreten, endlich im größten Maße bei der Kolonisation im Osten, die die Quertäler des norddeutschen Tieflandes erst ins Licht der Geschichte gerückt hat.

Besonders wirksam erweist sich auch das Hereinragen der Tiefländer des Rheines und der Oder nach Süddeutschland. Wir haben betont, wie das Rheinland ein verbindendes Glied zwischen den Alpen und dem Meer herstellt. Fassen wir auch nur die neuere Geschichte Deutschlands ins Auge, so sehen wir, wie Preußen durch die Erwerbung der Rheinlande und Hohenzollerns, das System der Bundesfestungen, die Militärkonvention mit Baden und endlich die Zurückerwerbung des Elsasses und Lothringens im Rheingebiet tief in den Süden eindringt, geradeso wie es im Odergebiet schon früher bis zu den äußersten alten Grenzen des Reichs vordringend den Süden von Osten her umfaßt hatte. Diese Wege bereiteten ihm die beiden am weitesten gegen den mitteleuropäischen Gebirgswall südwärts vordringenden Tiefländer am Rhein und an der Oder, von denen das letztere trotz seiner südlichen Lage nach Norddeutschland gravitiert, mit dem es durch den allmählichen Übergang Schlesiens ins norddeutsche Tiefland und durch das Flußgeflecht der Spree zwischen Elbe und Oder verbunden ist, während sich Böhmen trennend zwischen Schlesien und Süddeutschland hineinlegt. In dem orographischen Zusammenhang dieser süddeutschen Tiefländer mit den norddeutschen liegt natürlich auch eine Ursache der in der neuern Geschichte Deutschlands mit der Neugestaltung von Norden her überraschend hervortretenden politischen Schwäche Süddeutschlands gegenüber Norddeutschland; von dem Augenblick an wurde sie klar, wo Preußen alle die Vorteile des norddeutschen Tieflandes samt dessen südwestlichen und südöstlichen Ausläufern kräftig zusammenfaßte und zur Geltung brachte.

In derselben Richtung werden nun auch die Grundtatsachen des Gebirgsbaus bedeutsam. Die Vogesen trennen die Völker Deutsche und Franzosen, die Länder Deutschland und Frankreich. Der Böhmerwald und der Pfälzerwald trennen ebenso Deutsche und Tschechen, Bayern und Böhmen. Am Fichtelgebirge und im Frankenwalde berührt sich Franken mit den halbslawischen Marken Zeitz und Meißen. So wie der Thüringer Wald Franken und Thüringer, schied der Harz Thüringer und Niedersachsen. Beide Gebirge sind aber Glieder eines großen Diagonalwalls, der, sich von der Donau bis zur Ems ziehend, ein südliches und westliches jetzt rein deutsches und geschichtlich älteres von einem nordöstlichen, halb slawischen und geschichtlich jüngern Deutschland scheidet. Es ist die vorwiegend nordwestliche (s. o. S. 27, 49) Richtung des Gebirgsbaues, die hier geschichtlich wird. Sie hat im Innern Deutschlands zeitweilig eine natürliche Grenze zwischen dem Machtbereich der jungen norddeutschen Tieflandmacht und dem alten Süden gebildet; die Mainlinie wurde später der kürzere, aber künstliche Ausdruck für diese Abgrenzung. Aber noch viel wirksamer wird sie in Verbindung mit der rechtwinklig auf ihr stehenden nordöstlichen Richtung. Die beiden bilden die Gebirgsumrahmung, die aus Böhmen das geschlossenste, daher früh entwickelte und seine nationale Eigenart mitten im Deutschtum erhaltende Naturland machte. Wo sich im Fichtelgebirge die Richtungen kreuzen, da stoßen auch Böhmen, Bayern, Franken und Obersachsen zusammen.

Die Fülle mannigfaltiger Naturbedingungen im Gebirgsbau Deutschlands kommt dabei zur Geltung und macht selbst Nachbargebirge gleichen Baues und ähnlicher Lage zu Gebieten verschiedner Volks- und Staatenbildung. Gebirge, die nebeneinander aufsteigen und derselben Richtung angehören, zeigen grundverschiedne Wirkungen. Im Siebenjährigen Krieg und in den Befreiungskriegen machte sich der Unterschied der Wegsamkeit des Erzgebirges und der Schwerwegsamkeit des Elbsandsteingebirges geltend. Das Erzgebirge war schon zur Zeit des Siebenjährigen Krieges wegsam, da sein breiter Rücken und seine Bewohntheit die Anlage von Straßen und selbst Querverbindungen zugelassen haben. Dagegen war das Elbsandsteingebirge, wiewohl niedriger, wegen seiner Schroffheit schwer gangbar und schwer zugänglich. Vogesen und Schwarzwald sind durch gemeinsame Züge verbunden, die in ihrer Entstehungsgeschichte liegen, aber wie verschieden wirken der einfache Wall der Vogesen und der selbst im Innern noch reicher gegliederte Schwarzwald; wie viel selbständiger als das rechtsrheinische Land stand daher Elsaß-Lothringen Schwaben gegenüber.

Wir wollen mit diesen Beispielen nicht die alte Behauptung belegen, von den Gebirgen sei die politische Zersplitterung Deutschlands ausgegangen; das wäre einfach darum nicht möglich, weil von ihnen nicht die Staatenbildung ausgegangen ist. Zunächst wollen wir an das Naturgesetz erinnern, daß alle Staaten aus kleinen Anfängen hervorgehen. Die Zersplitterung in kleinste Gebiete ist der Anfang aller politischen Entwicklung, die Zusammenfassung zu größern Gebieten folgt erst später, und alles Staatenwachstum ist ein Ringen mit der Tendenz zur Abschließung auf dem engsten Raum. Dann aber noch etwas andres: Im sechzehnten Jahrhundert waren einige deutsche Waldgebirge wie der Spessart und der Bayrische Wald überhaupt noch so gut wie unbewohnt, weil die Staaten in ihrem Wachstum von den tiefem Gegenden nach den höhern erst an deren Rand angekommen waren. Bildeten auch die Gebirge Teile von politischen Gebieten, so lagen sie doch fast ohne Wert überall, wo nicht Erzreichtum frühe die Besiedler anlockte. Nur als Jagdgebiete schätzte man die innersten Waldgebirge, und eben darum ging auch ihre Besiedlung langsam voran. Wo die Gebirge die Größe und Gestalt deutscher Länder bestimmten, sind nicht immer nur kleine und kleinliche Gebilde herausgekommen, wie sie zuletzt gerade die hügligen Länder Schwabens und Frankens zerstückt haben, sondern eins der größten und mächtigsten Gebiete: Böhmen. Und so sind auch die sich mit Böhmen in der Gebirgskreuzung des Fichtelgebirges berührenden bayrischen, fränkischen und thüringisch-sächsischen Länder früh abgeschlossen. Böhmen drängt als tief nach Nordwest hereinragender tschechischer Keil nicht bloß das Deutschtum am engsten zusammen (s. o. S. 222), sondern legt sich auch so zwischen Oderland und Donauland, daß Schlesien dem Nordosten zugewiesen und Oberdeutschland um ebenso viel verkleinert wird. Aber im allgemeinen sind die deutschen Gebiete durch die Gebirge höchstens dadurch am Wachstum verhindert worden, daß alle um ein Gebirge herumliegenden in das Gebirge hineinzuwachsen strebten, um sich gleichsam darin zu verankern. So hemmten sie wechselseitig ihre Ausbreitung, und so entstand die bis auf den heutigen Tag erhaltne Vierteilung des Harzes. Bei den so häufigen Teilungen gaben die Höhenzüge bequeme Grenzen, und da mochte dem sich darin abschließenden politischen und wirtschaftlichen Selbstgenügen ein vom Urwald bis zu den Rebenhügeln ziehendes Tal leicht als eine Welt für sich erscheinen. Auch an andre kleine Motive ist zu denken. Wo jeder Baron sich seine Burg baute, die nur durch Belagerung genommen werden konnte, da war ein Hügel- und bergreiches Land sozusagen von Natur politisch zerklüftet. Jeder Hügel fand seine Bedeutung. Wer von den Vogesen hinab- und hinausschaut, erkennt an dem Saum von Burgen und Schlössern, wie die Menge vorgelagerter Klippen und hinausziehender Rücken vom Ochsenstein bis zum Stauf die Burgbauten und die Beherrschung der Täler und des Ebenensaums am Gebirge begünstigt hat.

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Die großen Grundlinien im Bau des deutschen Bodens sind zugleich die Grund- und Hauptwege des Verkehrs, der die großen Erhebungen umgeht und in die großen Vertiefungen seine Wege legt, so naturgesetzlich wie das Wasser selbst. Zwar konnten in der alten Zeit Moore und Flußgeflechte den Verkehr zwingen, dicht am Rande der Höhenzüge Mitteldeutschlands hin oder selbst in die Vorberge hineinzugehen; aber er hat in dem Gebirge damals schon alle die niedrigsten Einsenkungen aufgesucht und zuerst auf Saumwegen überschritten, die er dann mit Straßen, endlich spät mit Eisenbahnen ausgestattet hat. Die Vielgliedrigkeit des deutschen Bodens hat dabei die einzelnen Gebirgsglieder wie Inseln zu umgehen und zu umfahren gelehrt, und unser Mittelgebirgsland hat in der Verkehrsgeschichte nie als ein großes zusammenhängendes Hindernis der Bewegungen gewirkt. Es kann bei dem ausgesprochnen Vorwalten der großen Richtungen des Gebirgsbaues auf deutschem Boden nicht wundernehmen, daß sie auch im Verkehr hervortraten, um so mehr als große und kleine Flüsse denselben Richtungen folgen. Unter ihren Wirkungen wird immer eine der ersten das Vorwalten der Nordwestrichtung im Rhein-, Weser- oder Elbelauf sein, denn sie lenkt diese großen Sammelrinnen auf die Nordsee zu. Dieselbe Richtung beherrscht auch den größten Teil des Oderlaufs, sodaß vom Rhein bis zur Oder das Gesetz gilt, daß die Strommündungen mit den größten Seestädten des Landes westlicher liegen als die obern und mittlern Teile der Stromtäler. Durch die Elbe erfährt das Nordseegebiet eine Ausdehnung nach Südost, die Nordostdeutschland Abbruch tut. Die Elbquellen im Adlergebirge liegen 7½ Grad östlich von der Elbmündung.

Von den großen Einsenkungen auf deutschem Boden kommen für den Verkehr besonders die rheinische, die hessische, die des Elbtales und der obern Oder in Betracht. Während nun die zwei östlichen erst im Tiefland durch Havel und Spree in Verbindung treten, erscheint die hessische durch Kinzig und Fulda gleichsam nur als eine Fortsetzung oder Abzweigung der oberrheinischen. Die historisch bedeutsame Stellung von Frankfurt liegt wesentlich in der Verbindung der ober- und mittelrheinischen mit der hessischen Senke in der Lücke zwischen Odenwald und Schwarzwald. In diesen großen, für Hauptzüge des Verkehrs Richtung gebenden Senken werden durch das Gegenübertreten der Gebirge wichtige Durchgangspunkte erzeugt. Solche Lagen wie Kassel, selbst wieder eine durch ihre Fruchtbarkeit wichtige Senke, zwischen dem Sauerland und dem Hessischen Bergland, Wetzlar zwischen Westerwald und Taunus, Gelnhausen zwischen Vogelsberg und Rhön, Meiningen zwischen Rhön und Thüringer Wald, Lichtenfels und Koburg zwischen Thüringer Wald und Frankenhöhe, Baireuth zwischen diesen Höhen und dem Fichtelgebirge, Hof zwischen dem Fichtelgebirge und dem Erzgebirge, Mühlhausen und Nordhausen zwischen Harz und Thüringer Wald sind einige Beispiele solcher Durch- und Übergangspunkte. Biel wichtiger können aber Quersenkungen werden, wie der Paß von Zabern in dem abgesunknen nördlichen Teil der Vogesen und der Übergang von Pforzheim in dem entsprechenden Teil des Schwarzwaldes. Beide Übergänge, von den Römern schon benutzt, bilden wichtige Teile von alten und neuesten Verkehrswegen zwischen dem innern Süddeutschland und Frankreich, zwischen München, Wien und Paris. Ähnlich wichtig sind die Querdurchbrüche der Mosel und der Lahn, der Sieg, der obern Lahn und der Eder, die Versenkung zwischen Harz und Thüringen, in der die Unstrut fließt; darin ist besonders das geschichtlich wichtige zehn Kilometer breite Tal der Helme, die Goldne Aue, zu nennen.

Mit diesen Querverbindungen haben wir schon Übergänge berührt, die zwischen Gebirgsgliedern gelegen sind. Nun noch ein Wort über die Paßübergänge im engern Sinne. Es erhellt aus der allgemeinen Schilderung der deutschen Gebirge, daß sie zwar nicht reich an hohen Gipfeln sind, aber der Überschreitung dennoch manche Schwierigkeiten entgegensetzen, die in ihren hohen und breiten Kämmen liegen. Das ist in ihrer auch landschaftlich stark zum Ausdruck kommenden Abtragung bis auf die massigen Fundamente begründet. Daher die Paßarmut der südlichen Vogesen, die für die politische Abgrenzung so günstig ist, daher die Schwierigkeit der Überschreitung des Schwarzwaldes, den heute noch keine Eisenbahn direkt von West nach Ost in seiner ganzen Breite durchmißt, daher die Lage der Pässe des Thüringer Waldes und des Erzgebirges in Höhen von sechshundert bis siebenhundert Metern, die im Verhältnis zur Gipfelhöhe beträchtlich sind. Von den innern Gebirgen Deutschlands sind heute nur wenige mehr ohne Eisenbahn. Die weißen Flecken, die vor zehn Jahren noch das Netz der Schienenwege unterbrachen, sind heute nur noch an der Weite ihrer Maschen zu erkennen, zu deren Schließung selbst im Harz und im Fichtelgebirge nur noch kleine Bahnstrecken nötig sind.

Die Verkehrswege, die an den Gebirgen entlang führen, halten sich oft so nahe wie möglich an deren Rand, um die einst versumpften und dicht bewaldeten tief gelegnen Strecken zu umgehen und um den Querverbindungen näher zu bleiben. So entstanden die Rand- und Bergstraßen, die zu den ältesten und wichtigsten gehören. Dazu gehört die am Odenwald hinlaufende Bergstraße, der uralte »Hellweg« über Soest–Dortmund, der Ostdeutschland mit dem Niederrhein verband, die am Nordrand des Erzgebirges hinführende Straße von Dresden über Freiberg, Chemnitz und Zwickau und durch das Vogtland nach Bayern. Erst nach jahrhundertelangen Arbeiten der Entsumpfung, Lichtung und zuletzt der Flußregulierung stieg der Verkehr von den Bergstraßen in die Talstraßen hinab, wo er die Flußstädte verband, die schon früher durch den Wasserverkehr aufgeblüht waren. So hielt sich der quer durch Norddeutschland führende Verkehr östlich von der Elbe am Nordrand der Landhöhen und am Südrand der Baltischen Höhenrücken. Noch heute folgen diesen Spuren die beiden großen von Berlin nach Osten führenden Eisenbahnlinien Berlin–Schneidemühl–Bromberg und Berlin–Frankfurt–Posen.

Kein großes Land Europas hat ein größeres Interesse an der Überschienung und Durchbrechung der Alpen als das vom Süden durch Gebirgsschranken abgeschlossene Deutschland. Seitdem 1854 die Linie Wien–Triest als erste Alpenbahn gebaut worden ist, ist jede Alpenbahn zwischen Montblanc und Terglou für Deutschland ein epochemachendes Ereignis. Der Brenner (seit 1867) und der Gotthard (seit 1882) haben nicht bloß die deutsch-italienischen, sondern auch die deutsch-mittelländischen und deutsch-orientalischen Beziehungen ungemein verstärkt, und auch die 1906 fertig gestellte Simplonbahn wird in dieser Richtung wirken, obgleich sie natürlich vor allem dem Verkehr zwischen Frankreich, der Schweiz und Italien dient. Jede neue Bahn über die Ost- und Zentralalpen öffnet uns Wege, die bis nach Australien und Ostasien hinführen. Das sind ausgiebigere Verbindungen, als sie einst der Augsburger Postreiter unterhielt, der in einer Woche die Briefe von Venedig nach Augsburg über den Brenner und Fern brachte. Auch der von den Römern schon beschrittne Fernpaß wird nicht unüberschient bleiben, und eine Tauernbahn steht vor der Vollendung. Jeder neue Schienenweg über die Alpen bedeutet, daß der Verkehr Deutschlands alte Beziehungen zum Mittelmeer wiedergewinnt, die die deutsche Politik einst beherrscht hatte. Er bedeutet also die Ergänzung der Verkehrslage Deutschlands in Europa um jenes südliche Stück von den Alpen bis zum Mittelmeer, das einst politisch zum Reich gehört hatte.

Auf das innere Leben Deutschlands wird aber durch diese Verbindungen zuletzt jeder Fortschritt in der Weltstellung des Mittelmeeres zurückwirken. Denn das Mittelmeer ist das Süddeutschland zunächst gelegne Meer. Wenn nun auch, wie für die Geographie, für den Verkehr und die Politik immer das Meer die Fortsetzung des Tieflandes ist, sodaß sich der Wert der Nord- und Ostsee dem des norddeutschen Tieflandes gleichsam zufügt, so war doch die einseitige Zuwendung zur Nord- und Ostsee nicht in der Lage Deutschlands, sondern nur im Gang der Geschichte gegeben. Es ist wahr, daß das norddeutsche Tiefland als geschichtlicher Boden ein viel größeres Gewicht durch seine ozeanischen Beziehungen empfangen hat als das mittel- und oberdeutsche Hochland, das von jenem in dem Augenblick immer abhängiger werden mußte, wo es vom Mittelmeer zurückgedrängt wurde. Besonders in dem Aufschwung Norddeutschlands über Süddeutschland seit dem sechzehnten Jahrhundert liegen ozeanische Einwirkungen. Die süddeutschen Handelsstädte traten zurück, ja verödeten, während die norddeutschen mitten in politischer Trübsal eine neue Blüte erlebten. Die Stellung Deutschlands als eines Durchgangslandes zwischen den nördlichen Meeren und dem Mittelmeer fiel fast in Vergessenheit. Als Napoleon vor hundert Jahren mit dem Bau der Simplonstraße eine neue Zeit für den seit den Römern nicht mehr energisch geförderten transalpinen Verkehr heraufführte, ahnte wohl niemand in Deutschland, daß damit ein Wendepunkt der Geschichte der deutsch-mittelmeerischen Beziehungen eingetreten war, in die sich erst von da an neues Leben wieder ergoß. An dem unmittelbaren Seeverkehr zwischen der Nordhälfte Europas und dem Mittelmeer hat sich übrigens die deutsche Handelsflotte nur in geringem Maße beteiligt. Doch haben auch in dieser Beziehung die letzten Jahrzehnte vieles nachzuholen begonnen. Noch mehr bleibt endlich in der allerdings zum größten Teil von Österreich abhängigen Entwicklung unsrer Beziehungen zur untern Donau und zum östlichen Mittelmeer zu tun.


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