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Das Mittelgebirgsland

Den Alpen und Voralpen steht das Mittelgebirge Deutschlands als eine in Höhe und Zusammenhang schwächere, dafür breitere und mannigfaltigere Erscheinung gegenüber. In den Alpen herrscht gerade in dem dem mittlern Deutschland gegenüberliegenden Abschnitt eine Richtung und ein Bauplan, in den deutschen Mittelgebirgen sind alle Richtungen der Windrose vertreten. Allerdings walten zwei Hauptrichtungen vor (s. S. 26), aber das ganze Bergland besteht aus einer Anzahl von besondern Gebirgen, und selbst die Einheit fehlt dem deutschen Mittelgebirge, die dem französischen Mittelgebirge das unbedingt vorherrschende Zentralmassiv verleiht. Die größern Erhebungen, wenige messen über 1000 Meter, sind räumlich beschränkt. Mächtige Tieflandlücken greifen zwischen sie hinein, und zahlreiche einzelne Senkungen liegen zwischen ihnen zerstreut. Im einzelnen ist jedes deutsche Mittelgebirge weit entfernt von der zusammengedrängten und -gehaltnen Kraft der Alpen, aber in ihrer Gesamtheit bilden sie dann doch einen Wall, auf dem wir, wenn wir Mitteldeutschland vom Schwarzwald bis zu den Sudeten durchschreiten, nicht unter 300 Meter herabsteigen. Und so breiten sie über ein Drittel des Reichs die Hindernisse des Verkehrs und die Schwierigkeit des Ackerbaus, aber auch den Waldreichtum, den Reiz und die Lieblichkeit der Waldwellenberge und sanften grünen Wölbungen aus. Rein als Erhebung betrachtet liegt doch besonders dem Tiefland der Wall der Mittelgebirge mächtig genug gegenüber.

Allerdings sind die Formen nicht die Zacken und Türme der Alpen, sondern es herrschen die breiten Massen von welligen Umrissen vor. Denn hier sind die Gesteine von energischen, durch Jahrhunderttausende in derselben Richtung wirkenden Kräften erfaßt und gründlich verändert worden, sodaß ihre ursprüngliche Natur nicht mehr erkennbar ist und in den flachgebuchteten Tal- und Bergformen jedenfalls nicht mehr zum Ausdruck kommt. Da haben wir echte Tafelgebirge im Rheinischen Schiefergebirge nördlich von Main und Nahe, im Schwäbischen Jura und in der Schwäbisch-Bayrischen Hochebene. Wir finden solche Gebilde auch an den Schwarzwald und die Vogesen angelehnt. Außerdem tritt aber im Bau dieser Gebirge der scharfe Kamm weit hinter den flachen Bergrücken. Von unten hinaufblickend, sind wir gewohnt, ein Bergland oder Hügelland zu sehen, wo nur tiefeingerissene Täler häufig dem mittlern Tafelland den Schein des Gebirgshaften geben. Der Rennsteig des Thüringer Waldes, der als breiter, zum Teil fahrbarer Pfad 90 Kilometer lang auf dem Rücken des Gebirges hinzieht, ist der bezeichnendste Ausdruck dieses Baues, durch den in allen unsern Mittelgebirgen ausgedehnte und bequeme Kammwanderungen möglich werden. Zugleich liegt aber darin der Grund, warum unsre Mittelgebirge dem Verkehr größere Hindernisse entgegenstellen, als ihre geringen Gipfelhöhen erwarten lassen. Einförmige trennende Erhebungen ohne tiefe Paßeinschnitte sind in ihnen weit verbreitet.

Die Fülle mannigfaltiger Naturbedingungen ist in den in ihren Grundzügen einander so ähnlichen Mittelgebirgen Deutschlands ungemein groß. Es wäre verfehlt, aus allgemeiner Ähnlichkeit einförmige Wirkungen zu folgern. Kein Gebirge gleicht dem andern, jedes Tal hat seine eigne Art. Schwarzwald und Vogesen sind sich orographisch und nach ihrer Bildungsweise sehr ähnlich. Sehen wir sie aber im einzelnen an, so weichen sie so weit wie möglich voneinander ab. Der Kamm der Vogesen ist einer der massigsten, unwegsamsten Gebirgsteile, kein Paß, wenig Wege, kurze, steile Täler; der Schwarzwald ist schon im Süden viel reicher gegliedert, eine Auswahl von Tälern und Gebirgsstufen, eine Anzahl von Pässen, daher schon früh ein Netz von Wegen zwischen Schwaben und dem Rheintal nach Westen und Süden und gegen den Bodensee. Innerhalb der einzelnen Gebirge, welche Unterschiede der Bewohnbarkeit, Wegsamkeit, der Landschaftsbilder! Wie weit verschieden sind Oberharz, Unterharz und Brockengebirge auf dem engen Raume von kaum 2000 Quadratkilometern. Besonders erzeugt der überall wiederkehrende Gegensatz eines steilen und eines langsamen Abfalls große Unterschiede. Zeigen ihn landschaftlich wirksam der imposantere Anblick des Harzes von Norden und die tiefern, steilern Täler von Ilsenburg und Harzburg her, so legt er grundverschiedne Länder im sanftwelligen bis oben bewohnten und bebauten sächsischen Erzgebirge und im tiefzerschnittnen, waldreichen böhmischen Erzgebirge, im malerischen Waldland des westlichen Schwarzwaldes und im industriereichen östlichen Schwarzwald nebeneinander.

Senken des Mittelgebirges

Bei den Spaltungen und Zerklüftungen, die diese alten Gebirge in tertiärer Zeit erfuhren, sind große Teile des deutschen Bodens in die Tiefe gegangen, nicht ohne Reste in Stufen zurückzulassen, und an ihrer Stelle haben sich jüngere Gebilde abgelagert. Es sind dadurch sehr wesentliche Züge in der Physiognomie des deutschen Bodens und große Leitlinien des Verkehrs entstanden. Außer dem großen 300 Kilometer langen und 30 Kilometer breiten Graben des obern Rheintales zwischen Basel und Mainz fließt so mancher deutsche Fluß und Bach in uralten Klüften. Die Saale bei Kissingen, die Leine bei Göttingen zeigen auch landschaftlich die kräftigen Züge, die solchen Bildungen eigen sind. Der Graben des Leinetals ist zwischen Friedland und Salzderhelden 40 Kilometer lang. Eine bedeutende, auch geschichtlich wichtige Versenkung ist das 10 Kilometer breite Helmetal zwischen Kyffhäuser und Harz, die vielgepriesene Goldne Aue. In Mittelhessen zieht von Kassel südwärts eine Landschaft kleiner Ebenen und unzähliger Basaltkuppen hinaus; es ist die Versenkung, in der Tertiärablagerungen die milde und fruchtbare jüngere Landschaft von Kassel gebildet haben. Nicht selten sind nutzbare Gesteine, besonders Kohlen, in solchen Versenkungen erhalten geblieben, und selbst die Erzgänge des Oberharzes, ausgefüllte Gebirgsklüfte, zeigen in ihren vorwaltend südöstlich-nordwestlichen Richtungen den Zusammenhang mit dem Gebirgsbau. Auch der Ackerbau erfreut sich der Erhaltung sonst längst zerstörter fruchtbarer Gesteine im Schutz der Versenkungen.

Die Gruppen und Richtungen der deutschen Mittelgebirge

In der Anordnung der deutschen Mittelgebirge weist die Natur den Weg zu drei Gruppen, deren einzelne Glieder nicht die Zufälligkeit der räumlichen Zusammenlagerung, sondern die Ähnlichkeit des Baues miteinander in Verbindung setzt. Die eine lehnt sich an die Alpen, die andre an die Karpaten an, und die dritte erhebt sich frei aus dem Tieflande. Für die erste gibt unzweifelhaft der Rhein die Mittellinie ab, während die zweite sich an die Elbe anschließt, und die dritte sich um die Weser gruppiert. Auch der Anschluß an diese Stromgebiete ist nichts Erdachtes, denn das obere Rheintal, die hessische Senke und das obere Elbgebiet sind untereinander verwandte Lücken, Einbrüche der alten Gebirge. Geologisch betrachtet ist endlich der Kern der einen das Urgebirge des Schwarzwalds und der Vogesen, der zweiten das böhmisch-sächsisch-thüringische Urgebirge, der dritten das Urgebirge des Harzes. An diese Kerne gliedern sich die ihnen zunächst gelegnen Mittelgebirge als langsam nach außen abfallende Stufenbauten an. Dabei ergibt sich durch die Verbindung mit den Nachbargebirgen für die deutschen Mittelgebirge eine Anzahl von bevorzugten Lagen für bestimmte Stellen des deutschen Bodens, die in geschichtlicher und wirtschaftlicher Beziehung, zum Teil aber auch in landschaftlicher ausgezeichnet sind. Wir haben die Verbindungen mit den Alpen, zuerst durch die Vogesen mit dem Jura in der burgundischen Pforte, auf deren weltgeschichtliche Öffnung Belfort von einem Vogesenvorsprung herabschaut, dann durch den Randen mit dem schweizerischen Hügelland in dem Kalkriff des Schaffhausener Rheinfalls. Ausläufer des Bayrischen Waldes übersetzen die Donaugrenze und verbinden sich mit dem Donaugebirge und Hausruck zwischen Passau und Schärding. Die Sudeten und das Gesenke bilden eine Brücke zu jenem Teil der Nordkarpaten, die als Beskiden bezeichnet werden; diese Brücke trägt die Weichsel-March-Wasserscheide.

Noch tiefer reicht die in den vorwaltenden Richtungen unsrer Gebirge sich aussprechende Verwandtschaft. Die Faltung der alten Gebirge Deutschlands geschah zuerst durch eine aus Südost wirkende Kraft, daher jene südwest-nordöstliche Richtung, die wir die rheinische oder niederländische genannt haben; dann aber kam die Wirkung aus Südwest, also rechtwinklig zur vorherigen, und die Falten bogen sich über Nord in die nordwest-südöstliche Richtung, die herzynische oder sudetische. Jünger ist die mehr zurücktretende nordsüdliche Richtung, die vom Bodensee bis Mainz besonders in den großen rheinischen Senken zum Ausdruck kommt.

Rheinische Gebirgsgruppe

Der Schwarzwald mit dem Odenwald und die Vogesen mit der Hardt sind Zwillingsbrüder. Ihre Ähnlichkeit ist in der Entstehung und im Aufbau begründet. Aus einem uralten Gebirge brach und sank das Stück ein, das heute unter der Sohle des oberrheinischen Tieflands liegt, und quer darauf schuf eine leichtere Senkung die mildern Formen der Nordvogesen, des Kraichgaus und des Baulandes. Daher die Übereinstimmung der Richtung, der Ausdehnung, der Lage, der höchsten Gipfel im Süden und dicht am Rande der Ebene, des sanften Abfalles nach außen und des steilen nach innen, zur Rheinebene. Wer von der Breisacher Brücke die Gebirge mit einem Blick umfaßt, mag leicht irre werden, wo der badische Belchen und wo der Elsässer steht in den von Kamm zu Kamm in langgedehnten Wellen weit hinauswogenden Gebirgen. Die Gipfelformen, die nur manchmal einen Anlauf zum Markigen nehmen, und lange Kämme sind zum Verwechseln ähnlich; die tiefeingeschnittnen Täler, die ernsten Seen hinter Blockwällen, das dunkle Waldkleid der Tannen, an den rheinwärts gewandten Abhängen die sonnigen Rebengelände mit den Ansiedlungen südlicher Pflanzen sind auf beiden Seiten gleich. Beide Gebirge sind im Süden aus den alten kristallinischen Gesteinen aufgebaut, während nach Norden zu der bunte Sandstein überwiegt. Dort breite, gerade, nicht sehr wasserreiche Täler und einzelne tiefe Schluchten mit klippigen Wänden, hier schmale, tiefe, steilwandige, vielgewundne, quellenreiche Täler. Die blühenden Städte und Flecken am Rand, die Walddörfer, die Burgen auf den rheinwärts vortretenden Hügeln und die alten Klöster in stillen Talgründen sind beiden gemein. Zwischen Freiburg (293 Meter) und dem höchsten Punkt des Schwarzwalds (Feldberg 1490 Meter) beträgt der in einem Tagmarsch zu überwindende Höhenunterschied 1200 Meter, und von dem 1366 Meter hohen Hohneck auf der Vogesenwasserscheide sind es 20 Kilometer zu der 200 Meter hohen Rheinebene bei Kolmar, während fünfmal so groß die Entfernung in der entgegengesetzten Richtung nach Nancy zu ist. Der höchste Vogesengipfel, der Sulzer Belchen, mißt 1420 Meter. Wer vom Schwarzwald, vom Odenwald oder vom Spessart nach Osten hinabsteigt, betritt überall Muschelkalk, der sich als flachwellige Ebene an das Gebirge anschließt. Der landschaftliche Gegensatz wird durch die ausgedehntere Kultur und die Zurückdrängung des Waldes verstärkt. Die weiten Getreidefelder der Baar sind eine ganz ungewohnte Erscheinung für den, der die Waldhügel des Schwarzwalds hinter sich gelassen hat. Steigt er dann von Donaueschingen aus der jungen Donau nach, deren Quellbäche in dem flachwelligen Land einen umherirrenden Lauf zeigen, so führt ihn das enge klippige Tal in die Schwäbische Alb, einen Teil des Jurazuges, der als Randen (928 Meter) aus dem Rheintal auftaucht. Bei Schaffhausen kreuzt er es und zieht als hellfarbiger Wall dürren Kalkes, unter- und umlagert von den dunklern und fruchtbarem Lias- und Doggerschichten und umgeben von Basaltkuppen, bis zur vulkanischen Senke des Ries. Am Rande der Baar und nach dem Ries hin bergig, ist er im mittlern Hauptzug Hochebene, aus der die höchsten Gipfel flach ansteigen. So tritt man auch aus dem tief eingeschnittnen Tale der Zorn mit seinen dichtbewaldeten Hängen westwärts wandernd in eine wellige seenreiche Ebene von 200 bis 300 Meter Höhe, die Lothringische Muschelkalkplatte oder Seenplatte. Im Westen sind ihr flache Lias- und Dolithhügel aufgesetzt, die die schöne Hügellandschaft von Metz und Diedenhofen, den im kleinen Maßstab kühnen und malerischen Steilabfall zur Saar und im Norden endlich jene Stufe bilden, auf der sich einst Luxemburgs Feste erhob. In den Grundzügen des Baues der rechtsrheinischen Muschelkalk- und Juraplatte ähnlich, ist die linksrheinische doch infolge der geringern Höhe und der nach Westen offnen Lage viel milder. Wo die Profile der Hügel so schöne Linien zeigen wie bei Metz, und auch die Höhen der Hügel mit fruchtbarer Erde bedeckt sind, breitet sich ein letzter südlicher Hauch über die wein- und obstreiche Gartenlandschaft.

Zwischen den alten Gebirgen füllt ein großes Gebiet jüngerer Ablagerungen geschichteter Gesteine den Raum zwischen Schwarzwald und Böhmerwald, Donau und Thüringer Wald aus, ein Land von runden Sandsteinhügeln und niedrigen Kalksteinplateaus mit gelegentlich aufgesetzten altvulkanischen Kuppen, voll kleinern Brüchen, Stufenabsätzen und Senken. Zwischen Odenwald und Schwarzwald tritt diese Landschaft als Kraichgau unmittelbar an die Rheinebene heran. Nach Norden tritt sie als Grabfeld wasserscheidend zwischen Main und Werra und fällt steil gegenüber den Thüringer Vorbergen ab. Nach Süden verschmälert sie sich zum Neckar- und Nagoldtal. Darüber erhebt sich im Osten in Form weicher Wellenhügel, die meist schön bewaldet sind, die schwäbisch-fränkische Keuperstufe 200 bis 300 Meter über diese Grundlage. Ihr gehören die Haßberge, der Steigerwald, die Frankenhöhe in Franken, der Ellwanger Forst, die Limburger Berge, der Mainhardtwald, Schurrwald und Schönbuch in Schwaben an. Es ist im Grunde eine einzige, von Waldtälern zerklüftete Platte, deren Vorposten da und dort zerstreute Höhen sind, zu denen der Asperg (356 Meter) gehört.

Schärfer hebt sich die Stufe des Jura vom Südrand des Schwarzwaldes ab im Randen und bleibt auf ihrem ganzen Zuge quer durch Schwaben und Franken als Rauhe Alb und Frankenjura zuerst durch die Höhe (Lemberg 1015 Meter), dann durch die kühnen Felsformen hellgrauer Kalksteine ausgezeichnet. Als ein kleines Sondergebiet liegt westlich vom Bodensee der vulkanische Hegau ihr gegenüber. Wo die obere Donau nach Ulm zu den schwäbischen und die Altmühl nach Eichstätt zu den fränkischen Jura durchschneidet, entstehen in den tief eingeschnittnen Tälern Landschaften, die zu den eigentümlichsten auf deutschem Boden gehören. Oben die klippigen grauen Jurakalke mit den dunkeln Streifen und Flecken eines spärlichen Pflanzenwuchses, unten im flachen Wiesental zwischen dunkeln Tannenwaldstreifen der langsame und doch regsame Fluß. Die Wiesen ziehen so sanft zum Weg herab, man vergißt die Felskolosse, deren Fuß sie umsäumen, und ist überrascht, wenn helle rasche Bächlein unterm Gras hervorspringen. Von oben schauen Burgen und Kirchen herab. Es sind echt deutsche Landschaften, die schon in den frühesten Werken deutscher Maler erscheinen. Die einschneidenden Täler lösten einige steile Hügel von der Masse der Alb los, und so entstanden natürliche vorgeschobne Stellungen, wie der Hohenstaufen und der Hohenzollern. Während in Schwaben die Masse des Jura imposant hinter diesen Absprenglingen steht, ist in Franken das ganze viel niedrigere Gebirge in Klippen zerlegt, die in der Fränkischen Schweiz eine ungemein formenreiche Landschaft in kleinen Ausmessungen bilden.

Zwischen Main und Ruhr, Nahe und Maas liegt das Rheinische Schiefergebirge, ein Ganzes, das nur durch den Rhein, die Mosel und die Lahn in Taunus und Hunsrück, Westerwald und Eifel zerschnitten ist. Diese Abschnitte verleugnen nicht ihre uralte Familienverwandtschaft. Den Hunsrück hat man treffend den linksrheinischen Taunus genannt, und auch die Höhen der beiden (Feldberg 885 Meter, Walderbeskopf 815 Meter) sind nicht weit verschieden. Und so ist der vulkanreiche westliche Westerwald dem Vulkangebiet der Eifel ähnlich. Im übrigen sind diese beiden nördlichen Glieder hochebenenhafter als die südlichen; ihre höchsten Erhebungen (Hohe Acht in der Eifel 700 Meter) sind vereinzelt. Ehe der Rhein, der von Mainz bis Bingen noch in der Richtung des Mains westlich fließt, die enge steilwandige mittelrheinische Spalte zwischen Bingen und Bonn ausgewaschen hatte, lag hier der allmählich niedriger gewordne Rest eines alten Faltengebirges, auf das, als es im Verlauf der beständigen Schwankungen und Verschiebungen der Erdrinde ins Meer versank, im Wechsel der geologischen Zeiten Massen von Sedimenten abgelagert wurden. Um sich so tief einschneiden zu können, mußten die Flüsse aus größern Höhen herabfließen, und Brüche und Senkungen lassen die Vorgänge erkennen, die zu dem heutigen Zustande geführt haben. Und so erzeugt sich denn heute noch beim Beschauer der gebirgshafteste Eindruck nicht auf den Höhen, sondern in den Tälern. Nur von der tiefen Mainbucht Frankfurts gesehn ist der Taunus eine imposante breite Erhebung, den der das Richtige findende Volksmund einfach »die Höhe« nennt. Daher Homburg vor der Hohe. Auch der Rheingau ist am schönsten dort, wo die Hochebene sich zu einem breiten Berg gleichsam zusammenzieht. Und liegt nicht in der Freude an dem formenreichern Siebengebirge etwas wie Erholung von der Einförmigkeit der Hochebenenumrisse der Eifel- und Westerwaldufer? Der Taunus ist im Lahntal nicht wiederzuerkennen für den, der ihn vom Main her kennt. Wer ihn auf der neuen Eisenbahnlinie Limburg-Frankfurt durchquert, irrt sehr, wenn er eine kühne Gebirgsszenerie erwartet. Er steigt langsam aus dem engen Tal, auf dessen Rand der herrliche Dom von Limburg beherrschend steht, eine fast durchaus in Äckern und Wiesen ausgelegte wellige Ebene hinan. Und erst beim Abstieg nach Frankfurt zeigen sich bei Epstein die Waldhügel und Tälchen der südlichen Taunuslandschaft.

Das Sauerland bezeichnet im Munde der Westfalen Süderland im Gegensatz zu dem nördlichen flachen Westfalen an der obern Ems. Es hat im allgemeinen mildere Züge als die südlichen und westlichen Abschnitte, tritt vom Rhein zurück schon etwas oberhalb der Mündung der Sieg gegenüber von Bonn, ragt aber über die Ruhr, die Grenze des gebirgigen Teils hinaus mit Höhenzügen wie Haarstrang (300 Meter) mit Hellweg, die sich in der Bucht von Münster verlieren. Wasserscheidende Höhen liegen wie im Taunus im Süden und Osten, daher nimmt hier die Ruhr die Stelle der Lahn ein und empfängt ihren Oberlauf aus Südost, also in derselben Richtung, die der Rhein von Bingen an hat. Daher haben wir eine symmetrische Scheidung zwischen einem Sauerland westlich von der Lenne, dem das Ebbegebirge angehört, und dem Rothaargebirge und Lennegebirge östlich von der Lenne. Die höchsten Ursprünge der Lenne, der Ruhr und der zur Weser gehenden Diemel liegen am Kahlen Astenberg (840 Meter).

Gruppe der Fulda- und Wesergebirge

Der Spessart verbindet das hessische Bergland mit dem Odenwald. Mit seinen nördlichen Vorhügeln, dem Orber Reissig, schiebt er sich in den Winkel zwischen Rhön und Vogelsberg. Im Paß von Schlüchtern und Elm stoßen die drei Gebirge zusammen, ebenso wie die sie begleitenden Eisenbahnlinien von Fulda, Hanau und Gemünden hier zusammentreffen. Der Spessart ist hauptsächlich Buntsandsteingebirge. Nur in den Vorbergen und in dem tiefsten Hintergründe der innern Täler hat die Abnagung der Jahrtausende das Urgebirge bloßgelegt. Alles andre ist von der Buntsandsteindecke verhüllt. Daher sind die Höhenzüge wellenförmig, die Rücken flach und breit, die Täler bald muldenförmig, bald schmal und tief.

Der Vogelsberg ist, wie sein Name sagt, ein Berg, sehr breit zwar, aber kein Gebirge. Der höchste Teil ist der Oberwald, im Taufstein erreicht er 770 Meter. Er ist eine waldige Hochebene, die sich nach allen Richtungen erst sanft und dann steiler neigt, sodaß Täler nach allen Richtungen ausstrahlen. Das Ganze ist eine Basaltmasse, die bedeutendste in der langen Kette vulkanischer Ergüsse und Aufschüttungen zwischen der Eifel und dem böhmischen Mittelgebirge.

In der Rhön haben wir einen gerundeten Aufbau von Buntsandstein und Muschelkalk, auf dem sich kleine Vulkane erheben, und an dessen Fuß sich andre kleine Vulkane anlehnen. Ganz typisch ist der schöne Blick von Frauenberg bei Fulda: ein Mauerwerk von vulkanischen Massen gekrönt und von kegelförmigen Einzelbergen umgeben. Aus der Hohen oder Langen Rhön erhebt sich die ätnaähnlich-breite Wasserkuppe zu 950 Meter, mit ihr hängt die Kuppenreiche Rhön mit dem regelmäßigen Krater der Milseburg (830 Meter) und die nach Westen hinaustretende Waldgebirgige Rhön zusammen. Weit umher liegen Kuppen und kleine Hochebenen, besonders nach Osten und Nordosten zu. Der 933 Meter hohe Kreuzberg, der Wetterberg der unterfränkischen Bauern, ist ein kleines halb selbständiges Massengebirge für sich. Nach der Werra hin ist der Gebaberg (700 Meter) vorgeschoben. Die Verbindung nach dem Vogelsberg vermittelt das kleine Gebirge des Breitfirst (570 Meter) mit langen sargförmigen Doleritbergen.

Der Gebaberg in der Rhön

Über das Rheinische Schiefergebirge liegen nach Osten hinaus tiefere Landschaften von der Mainbucht von Frankfurt durch die Wetterau bis zur Weser. Man erkennt leicht in ihnen eine fast gerade nördliche Verlängerung der oberrheinischen Senke: die hessische Senke. Die Becken von Gießen und Marburg, die Täler der Nidda, Wetter, mittlern Lahn und Eder sind Glieder dieser Kette von Versenkungen. Vom Taunus bis zu den Ausläufern des Rothaargebirges, die den Lauf der obern Diemel steil umgrenzen, treten die östlichen Vorhügel des Rheinischen Schiefergebirges an diesen tiefern Strich heran, und es entsteht der Gegensatz des reichen Tallandes zu armen Gebirgen. Auf deren Vorstufen entstehen Städtelagen zwischen Hügeln und Bergen, die von Homburg und Nauheim bis hin nach Arolsen denselben Zug von Lieblichkeit tragen. Erst östlich von diesen tiefern Landschaften, in denen Becken mit breitern Tälern und welligen Hügelländern abwechseln, steigen die waldigen Hügel des hessischen Berglands auf. Vom Spessart bis zum Solling bilden sie zwei Reihen von Erhebungen, in deren einer links von der Fulda und der Weser Vogelsberg, Knüllgebirge, Kellerwand, Habichtswald, Reinhardtswald liegen, während rechts Rhön, Meißner (750 Meter), Kaufungerwald, Bronnwald und Solling eine nordsüdliche lockere Reihe bilden. Dem Solling, dessen flache Wölbung sich im Reinhardtswald wiederholt, legen sich aber unmittelbar die vom Harz herüberstreichenden Weserhöhen vor, während vor dem Habichtswald ebenso die linksseitigen Weserhöhen und das Eggegebirge ins Tiefland hinausziehen. In dem dadurch gebildeten fast rechten Winkel liegt die Hochebene des Eichsfelds, eine 450 Meter hohe, rauhe Muschelkalkplatte mit niedern tafelförmigen Stufenaufsätzen. Der hessischen Senke gibt zwar dieses Bergland den östlichen Hochrand, aber ein Gebirge ist es nicht, sondern eine Sammlung von Hochebenen, Höhenzügen, Vulkangruppen und Einzelbergen. Zerklüftungen und Versenkungen, die von Vulkanausbrüchen begleitet gewesen sind, haben im Verein mit Wasser und Luft das heutige Bergland gebildet. Man entdeckt in einzelnen Höhenzügen die Richtung des Thüringer Walds, wie im Meißner, in andern die rheinische, wie in der Egge. Doch haben hier offenbar die alte Zusammenhänge zerstörenden Kräfte mächtiger gewirkt als die erhaltenden. Und es ist daher bezeichnend, wie Einsenkungen und Vulkanergüsse die äußerlich hervortretendsten Merkmale dieses Landes sind.

Die Richtung des Harzes und des hessischen Berglandes setzt sich in einer Anzahl von niedrigen Höhenzügen zu beiden Seiten der Weser als Wesergebirge oder Weserbergland fort, wobei der Strom aus der Richtung nach Norden fast ganz in die westliche umgebogen wird. Ihnen entgegen ziehen zugleich die letzten Ausläufer der rheinischen Schiefergebirge, des Sauerlands, und so entsteht hier an der mittlern Weser noch einmal einer von den Winkeln, worin die niederländische und die sudetische Richtung fast rechtwinklig aufeinander treffen. Die Egge (470 Meter) begrenzt als ein echter Wall die Paderborner Hochfläche, und dieser Wall ist so eben und schmal, daß man auf ihm hinfährt und zu beiden Seiten Ausblick hat. Aus der Egge entwickelt sich an der durch die Felsbildungen der mit merkwürdigen Bildwerken bedeckten Externsteine bezeichneten Stelle der Teutoburger Wald, ein schmaler, fast gerade verlaufender Höhenzug, der aus drei parallelen Wellen besteht, die schmale Faltentäler einschließen. Die Grotenburg bei Detmold, die das Hermannsdenkmal trägt, ragt zu 388 Metern hervor. An der Ems bei Rheine löst sich der Teutoburger Wald, im nordwestlichen Teil Osning genannt, in Hügelwellen auf. Einschnitte dieses Zuges liegen bei Detmold, Bielefeld und Iburg. Der Bielefelder Einschnitt (Bielefeld 118 Meter) bestimmte früh die Richtung einer der wichtigsten Rhein-Elbe-Verbindungen.

Gruppe der Elb- und Odergebirge

Die Systeme der Sudeten und des Böhmerwaldes ordnen sich um die obere Elbe wie Schwarzwald und Vogesen um den obern Rhein. Es sind einzelne Horste, die durch Richtung und Bau zu einem Gebirge verbunden sind; ringsum ist das Land an ihnen abgesunken, und sie selbst sind durch breite Senken getrennt. Im geologischen Bau herrschen entschieden die Urgesteine, die nahezu den ganzen böhmischen Kessel einschließen. Doch durchbricht den Kessel die March im Süden und die Elbe im Norden, und in diesen Lücken treten jüngere Formationen in den böhmischen Grenzwall ein, während auch hier Kalkstufen nach Franken im Westen und Polen im Osten hinableiten. Sudeten und Böhmerwald ähneln einander auch im Bau. Breiten und langen Aufwölbungen sind zahlreiche, aber nicht lange und wenig zusammenhängende Rücken aufgesetzt, die vom Wasser wie vom Verkehr leicht umgangen wurden. Doch kommen dort sowohl in den Gipfeln als in einem Absturz wie dem zum Hirschberger Kessel, in dem bei Warmbrunn der Fuß des Riesengebirges etwa 350 Meter hoch liegt, viel großartigere Formen vor. Die Kare oder Zirkustäler sind noch schärfer ausgeprägt und bringen, da sie zum Teil über der Waldgrenze liegen, mit ihren in die Eiszeit zurückweisenden Seen, den Legföhren und kurzrasigen Alpenwiesen eine felsenhaft alpine Szenerie hervor. Ein klammartiges Tal, wie die Zackenschlucht, paßt zu diesem Eindrucke.

Das Iser- und Riesengebirge, der westliche Zug der Sudeten, ist ein durch den Kamm der Proxenbaude (880 Meter) zusammenhängender Gebirgswall mit westnordwestlichem Streichen, bestehend aus einem Granitkern und einem Mantel kristallinischer Schiefer. Westlich davon bricht die Neiße in einer mittlern Höhe von 220 Metern durch, und östlich haben wir das Aupatal und den Sattel von Königswalde mit 520 Metern. Dazwischen erhebt sich das Gebirge in einer Länge von 100 Kilometern zu 960 Metern mittlerer Höhe. Das Isergebirge beginnt im Osten des Zittauer Beckens mit zwei Gruppen von Längskämmen, die zwischen sich die obere Iser einschließen. Es ist im Süden das Isergebirge (1120 Meter), im Norden der Iserkamm mit der Tafelfichte (1123 Meter), beides flachwellige Gebirge, bis oben dicht bewaldet, sodaß nur von Aussichtstürmen ein freier Blick über die Kronen der die Gipfel umdrängenden Fichten gewonnen wird. Das eigentliche Riesengebirge bildet einen wasserscheidenden Kamm von 1100 Metern Höhe in der Länge von 49 Kilometern, der steil zum Hirschberger Kessel abfällt, während sich im Süden ein Stufenbau erhebt. Der wasserscheidende Kamm, der zugleich der Grenzkamm ist, erreicht in der pyramidenförmig hervortretenden Schneekoppe (1601 Meter) die höchste Erhebung der Sudeten. Jenseits eines von der Elbe durchbrochnen Längstales erhebt sich auf böhmischem Boden ein zweiter Kamm, der im Brunnberg 1555 Meter erreicht. Das Riesengebirge hat alpine Züge, wo es mit einem schmalen Saum von Vorbergen aus der 250 Meter hohen Hirschberger Ebene emporsteigt. Die amphitheatralisch von Felsen umrandeten und Täler abschließenden Gruben oder Kessel erinnern an die Kare der Alpen. In ihnen lagen einst in der Eiszeit Gletscher, und heute bewahren sie Schneereste als Firnflecke. Jenseits des kriegsberühmten Passes der Landeshuter Pforte liegt das Glatzer Bergland (Schneeberg 1400 Meter), das mit zwei Gruppen von Bergwällen: Eulengebirge, Reichensteiner, Heuscheuer-, Adler- und Habelschwerdter Gebirge den Glatzer Kessel einschließt. In derselben Richtung folgt nach Südost das dem Harz ähnliche Gesenke (Altvater 1500 Meter). Aus den Vorbergen der Sudeten tritt im Norden der alte heilige Berg der Slawen, der Zobten, im Westen die kühngeformte Basaltkuppe der Landeskrone hervor.

Der südwestliche und südliche Gebirgswall Böhmens ist der Böhmerwald, beim Volke schlechtweg »der Wald«. Ein außenliegender südwestlicher Teil diesseits des Schwarzen Regens und der Ilz wird als Bayrischer Wald abgesondert, wo dann Böhmerwald im engern Sinn das Gebirge zwischen der Senke von Neumarkt (450 Meter) und Taus und dem Moldauknie bei Rosenberg ist. Die nördlich davon liegenden, weniger hohen, mehr plateauartig weit hingezognen Wellenzüge bis zur Eger oder genauer bis zum Wondrebtal, wo die Grenze gegen das Fichtelgebirge 450 Meter hoch liegt, pflegt man Pfälzerwald zu nennen. Die ins Nabtal führenden Straßenpässe von Waldmünchen, Bärnklau, Waidhaus liegen alle über 600 Meter. Als Nabgebirge sondern endlich die bayrischen Geographen den zwischen Weiden und Schwandorf über die Nab hinausziehenden Teil des Pfälzerwaldes ab. Im eigentlichen Böhmerwald samt dem Bayrischen Wald liegen zwischen breiten Rücken, aus denen der Arber zu 1460, der Rachel zu 1450 Metern ansteigen, Hochflächen (Pässe von Eisenstein und Kuschwarda 920 und 970 Meter, Längstal der Moldau 710 Meter), die aber weder so gedrängt noch so massiv sind, daß sie das Gebirge als Schranke den Vogesen vergleichbar machen könnten. Nur im hintern Wald rücken sie dichter zusammen, im Bayrischen Wald sind sie lockrer, und dieser ist daher viel wegsamer, trotzdem daß Hochwald mehr als zwei Fünftel seiner Oberfläche bedeckt. Um so einheitlicher ist die Nordwestrichtung in allen Kämmen, Gipfeln und Tälern, vor allem in dem merkwürdigen Pfahl, einem Quarzzug von 40 bis 50 Metern Breite und 150 Kilometern Länge, der schneeweiß aus dem dunkeln Walde hervorleuchtet. Auch der Pfälzerwald hat bei Tachau seine kolossalen Quarzfelsriffe.

Das Fichtelgebirge. Im Vordergrunde ein Stück Felsenmeer der Kösseine

Das Elbsandsteingebirge liegt als ein deltaförmiger Keil zwischen dem Erzgebirge und dem Lausitzer Bergland, im Gegensatz zu deren deutlich gewellten Hochflächen ein Tafelland bildend, das durch eine Anzahl von engern Tälern zerschnitten ist, die scharf die einzelnen Sandsteinblöcke voneinander sondern. Diese sind auf ihrer Oberfläche gewöhnlich flach, wo man sie dann ganz treffend »Ebenheiten« nennt. Die Wände der schmalen Täler fallen oft fast senkrecht in die Tiefe, wo wieder ein ebener »Grund« alles Schroffe dieser Formen aufnimmt und aufhebt. In diesen Gegensätzen der Ebenheiten, der Talwände und der Gründe liegen die Elemente einer wilden Szenerie, die allerdings mit der geringen Größe (der höchste Gipfel ist der Schneeberg mit 720 Metern) aller Verhältnisse in einem merkwürdigen Widerspruch stehen. Die barocken, oft geradezu märchenhaften Felsformen, die senkrechten Mauern, Säulen, Pfeiler, Türme, die Höhlen und Tore mildern diesen Widerspruch, und die Landschaft hat doch im Grunde, auch wo sie an den Eindruck des »Imitierten« streift, einen eignen großen Zug; nicht am wenigsten durch jenen andern Gegensatz der stillen Quadermauern zu den Eisenbahnen, Straßen, kanalisierten Flußstrecken, Wehren und Schloten in jedem »Grund«. Doppelt stark empfindet man dort unten das Seltsame, wie kleine Massen die Träger großer Kontraste sind.

Das Erzgebirge steigt von Norden mit seinen gefalteten Schiefern langsam an und fällt nach Süden in mehreren Absätzen steil ab. Der im Mittel 600 Meter hohe Abfall zum Egertal, wo der Fuß des Erzgebirges bis zu 260 Metern herabsinkt, erinnert ebenso an die Steilabfälle des Schwarzwalds und der Vogesen zum Rheintal, wie deren sanfte Abdachung zum Neckar und zur Mosel an die Abdachung des Erzgebirges zur Mulde. Das Bild der halbaufgehobnen Falltür wäre auch hier vollkommen anwendbar. Auch im Erzgebirge sind die höchsten Erhebungen (Keilberg 1240, Fichtelberg 1215 Meter) dem Steilabfall zugekehrt. Der breite Kamm, der über 180 Kilometer weit in einer Höhe von durchschnittlich 840 Metern hinzieht, ist nur der obere Rand der von Norden langsam sich aufwellenden Felsmasse. Die Gipfel treten sehr wenig hervor, ihre mittlere Höhe ist nur 38 Meter über der mittlern Höhe des wellenförmigen Kammrückens, den Wiesen, Äcker und Waldparzellen bedecken. Zahlreiche Dörfer und Häuser, die großen einförmigen Gebäude der Bergwerke und Fabriken, die Schutthalden und die Schornsteine in den flach eingesenkten Tälern tragen die Merkmale der Kulturlandschaft bis in die höchsten Teile des Gebirges. Plutonische Durchbrüche kommen nur in beschränktem Maße vor. Erst der Blick vom Kamm nach Süden auf das wie ein Stück Mondrelief vor uns liegende böhmische Mittelgebirge zeigt die in Mitteldeutschland sonst so vertraute Kraterlandschaft. Im Kaiserwald bei Karlsbad ist ein Rest des alten Gebirges südlich von der Bruchzone stehen geblieben. Während sich das Vogtländische oder Elsterbergland, ein Hügelgewirr, in dem sich das erzgebirgische, fichtelgebirgische und böhmische System durchkreuzen, allmählich zur sächsisch-thüringischen Bucht herabsenkt, hat das Erzgebirge eine Stufe im Norden. Durch das Erzgebirgische Becken (300 bis 400 Meter) und eine Reihe von flachen Erhebungen, die diesem folgen, ist der Fuß des Erzgebirges vom Tiefland getrennt. Und diese Stufe verliert sich in das Tiefland durch eine Reihe von runden Hügeln, die zum Teil vereinzelt aus dem Tieflandschutt aufragen. Dieser wellige Abfall nach Norden bewirkt einen großen landschaftlichen Gegensatz: ein voller Blick auf das Erzgebirge wie im Süden aus dem Egertal ist von Norden her nicht zu gewinnen. Das sächsische Mittelgebirge mit seiner welligen Hochfläche von 300 bis 400 Metern ist eines der in Deutschland so weit verbreiteten Hügelländer von milden Formen. Zwischen dem Erzgebirge und diesem Mittelgebirge liegen im Erzgebirgischen Becken die reichen Kohlenlager von Zwickau. Als dritte Stufe baut sich das Lausitzer Bergland nach Osten hinaus, in dem wir die Gesamtheit der Erhebungen zwischen der Sächsischen Schweiz und der Neiße zusammenfassen. Es ist eine langsam von 400 Metern im Süden bis zu 100 Metern ins nördliche Tiefland sinkende gewölbte wellige Platte, deren höchste Erhebungen (der Falkenberg im Hochwald, 606 Meter) aufgesetzte Basaltkegel sind.

Die herzynische Gruppe

Das Fichtelgebirge wird mit Recht von den Anwohnern bescheidner als Fichtelberg bezeichnet. Es ist eine Granitwölbung, der fünf kleinere Wölbungen als Bergrücken aufgesetzt sind. Die relative Höhe ist gering, denn die Wölbung erhebt sich über einer Hochebene, die vom Vogtland herzieht: Wunsiedel liegt auf ihr 250 Meter hoch. Schon von der Luisenburg sieht man das Gebirge grenzlos ins Erzgebirge übergehn. Aus den beiden längern Rücken, die nordöstlich streichen, treten im Westen die flachen Wölbungen hervor (Schneeberg 1040 Meter, Ochsenkopf 1020 Meter), die allerdings nur wenig ihre nächste Umgebung überragen. Nur kleine Besonderheiten, wie Abplattung des flachen Kegels des Ochsenkopfes, wie man ihn von Gefrees aus sieht, fallen an den einfachen Formen auf. Diese westlichen Ketten oder besser Gewölbe bilden den eigentlichen Fichtelberg. Vom Schneeberg zieht eine schmale Höhe bis zum Elstergebirge, die Waldsteiner Berge (Gipfel 880 Meter), und im Südwest vollendet der Steinwald oder der Weißenstein (840 Meter) die hufeisenförmige Umschließung, aus der die Eger hervortritt. Es ist ein sehr merkwürdiger Blick, den man durch diese Anordnung der Höhenzüge von Wunsiedel aus nicht auf das Gebirge, sondern in das Gebirge hinein gewinnt; man steht in der Öffnung eines riesigen Winkels und sieht nach dem Scheitel hin, wo hinter der Wölbung der Hohen Heide die breite regelmäßige Pyramide des Schneeberges ansteigt. Der Beschauer steht einer in tieferm Sinne bedeutsamen Landschaft gegenüber, sind es doch die Grundrichtungen im Bau des deutschen Bodens, die hier aufeinandertreffen und dem Fichtelgebirge eine so wichtige Stellung im Bau und in der Bewässerung des deutschen Bodens verleihen.

Der Thüringer Wald streckt sich wie ein Ausläufer der Umrandung des böhmischen Kessels genau in der Richtung des Böhmerwaldes nach Nordosten bis zur Weser und trifft mit dem hessischen Berglande dort in spitzem Winkel zusammen. Rings von tiefern Ländern umgeben, ist er unter allen deutschen Mittelgebirgen das gebirgskettenhafteste. Er bietet auf jedem Gipfel und jeder Stelle des breiten, bezeichnenderweise mit dem uralten Grenzweg des Rennsteigs belegten Kammes weite, kontrastreiche Aussichten, wo nicht Hochwald den Blick beschränkt.

Langsam entwickelt sich der Thüringer Wald aus der hochebenenhaften, von schmalen Tälern zerschnittenen Tonschieferplatte des Frankenwalds, den die junge Saale zwischen Felsenhängen wie eine »kleine Mosel« durchschlängelt, und zeigt sofort seine Eigentümlichkeit durch steilern Nordabhang, Zusammenrücken des Nord- und Südabhanges bis auf 20 Kilometer und zugleich eine Erhöhung bis zu hervorragenden Punkten von über 900 Metern (Beerberg 985 Meter), deren eine größere Zahl im östlichen Teil des Gebirges liegt, und zwar entweder auf dem Kamm oder nur wenig seitab. Vom Inselsberg (915 Meter) westwärts sinkt die Höhe des Gebirges langsam. Mit einer mittlern Kammhöhe von 780 Metern und 110 Kilometern Länge zieht sich so der Wall von der Saale zur Weser. Die wie ein Vorgebirge heraustretende Wartburg bezeichnet eine der wenigen abgezweigten Höhen (395 Meter).

Der Harz liegt für einen raschen Blick zwischen Ost und West, hat daher eine ausgesprochne Süd- und Nordseite. Bei genauerer Betrachtung ist aber seine Gebirgsachse ostsüdöstlich-westnordwestlich gerichtet: die Richtung der uralten Falten des verwitterten Gebirges. Auf fast allen Seiten hebt er sich deutlich, oft inselartig scharf von seiner Umgebung ab. Dazu trägt allerdings auch der Gegensatz seines dunkeln Waldkleides zu den hellern, bewohntern Kulturflächen ringsumher bei. Seine geringe Fläche von wenig über 2000 Quadratkilometern – 100 Kilometer Länge bei 30 Kilometer größter Breite – erlaubt, von verschiednen Seiten mit einem Blick einen großen Teil des Gebirges zu umfassen, was den inselhaften Charakter wie den landschaftlich wohltuenden Eindruck eines gestaltenreichen und doch geschlossenen Gebirgsganzen noch verstärkt. Nur im Osten sinkt er langsam auf eine wellige Hochebene von 325 Metern herab, die sich bis zur Unstrut verfolgen läßt. Kein Längstal bezeichnet hier den Unterschied zwischen den alten Kernschichten und den jüngern Bildungen der Mansfelder Gegend. Dagegen ist der Westabhang des Gebirges steil. Das ganze Gebirge erhebt sich auf einer nach Osten geneigten Platte. Wer das Glück hat, bei klarem Wetter vom Brocken aus den Harz zu überblicken, was sich im Winter leichter ereignet als im Sommer, der sieht nach Westen hin die flachen Wölbungen rasch an Höhe zunehmen, und am Westrand schaut er von einer 600 Meter hohen Platte auf das Tal der Leine hinab, die hier 200 bis 300 Meter tiefer fließt. Der Brocken (1140 Meter) liegt mit dem langen Höhenzug des Bruchbergs zwischen dem höhern westlichen Teil, dem Oberharz, und dem niedern östlichen, dem Unterharz. Soweit auch der Harz nach Nordwesten vorgeschoben ist, er erinnert nicht nur in seiner ausgedehnten Bewaldung mit dunkelm Nadelholz an den Schwarzwald oder den Bayrischen Wald. Mancher hellgrüne Wiesengrund zwischen Waldwänden, manche Felsschlucht, durch die ein Bach über braune, bemooste Blöcke rauscht, manche Felszinne ruft dieselbe Erinnerung wach. Es ist ein Doppelzug von Kraft und Milde in diesen Granitbergen, deren Rauheit das Waldkleid mildert.

Die Mittelgebirgslandschaft

Wer eine Sammlung mittel- und westdeutscher Landschaften durchblättert, sieht überall dieselben milden Wellenformen, wer die Merianschen Städtebilder vergleicht, sieht dieselben Linien allenthalben in den Gebirgshintergründen. Leute, die unsre Landschaften nicht kennen, halten das für Manier, es sind aber treue Bilder der Wirklichkeit. So kann es kommen, daß sich Schwarzwald und Vogesen von manchen Stellen des obern Rheintals aus zum Verwechseln ähnlich sehen, gerade so wie nach der Unstrut zu sich Harz und Thüringer Wald Kamm über Kamm mit ähnlichen Wellenhügeln gegeneinander vorbauen. Und der auf dem Rücken des Brockens Stehende hat wohl den Eindruck, auf einer flachen Wölbung zu stehn, bemerkt aber nichts vom ganzen übrigen Gebirge als diese hinauszitternden Wellenhöhen.

In diesen Gebirgen sind die größten Gegensätze längst ausgeglichen. Noch manches tiefe Tal und manche steile Felswand blieb übrig; aber in dem trägen Anstieg breiter Erhebungen geht manche landschaftliche Schönheit verloren, die die Höhe über dem Meeresspiegel uns erwarten läßt. Wie allmählich erhebe ich mich vom Rand des Tieflandes, etwa von Leipzig oder Halle aus, zum Erzgebirge auf der einen und zum Harz auf der andern Seite. Bei Halle markiert noch der 240 Meter hohe Kegel des Petersbergs den Gebirgsrand, aber der Übergang in das sächsische Bergland ist fast unmerklich. Zunächst sehen wir nur die Wiederholung der langen Wellen und Schwellen des Tieflandes. Ein leichter Einschnitt des Schienenwegs oder der Verlauf der Straßen zwischen zwei Wölbungen, die kaum uhrglasförmig sind, kündigt den Eintritt in das Hügelland an. Ein von zwei Rasenstreifen und zwei Reihen Kirschbäumen eingefaßter Weg führt zu einer Baumgruppe, die sich scharf vom Himmel abhebt; ihr Herunterschauen vermittelt mir den ersten »bergmäßigen« Eindruck. In den Mittelgebirgen überwiegen die Breitendimensionen so sehr die der Höhe, daß das Heraufdämmern und Hereinragen des höhern Hintergrundes, ein Grundzug alpiner Landschaftsbilder, gar nicht vorkommt. Bei einer Wanderung im Harz, im Thüringer Wald oder im Schwarzwald sieht man die höchsten Gipfel erst, wenn man an ihrem Fuße steht, und auch dann oft nicht ganz, sondern der eigentliche Gipfel verbirgt sich noch lange hinter der rundlichen Wölbung, die die Basis des Gipfels bildet. Oder man sieht sie, wenn man einen Standpunkt ziemlich weit davon nimmt, wie man denn den vollen Anblick des Brockens nur außerhalb des Gebirges gewinnt, oder zur Not als Schattenriß, den die untergehende Sonne auf eine im Osten stehende Nebelwand zeichnet. Daher kommt es, daß man die Reize einer Talwanderung in diesen Gebirgen nicht in dem Blick nach vorn und oben, sondern im Talgrunde und an den Gehängen sucht. Die grünen Gründe der Sächsischen Schweiz, die über braune, uralte, bemooste Granitfelsen plätschernden Bäche des Harzes, die Felsenklippen an den steilen Hängen des Murgtales oder des Bodetales, der Kontrast zwischen dem leuchtenden Gelbweiß und Grauweiß der Jurafelsen der Schwäbischen Alb oder des Frankenjura und dem Grün der ebenen Talgründe mit den langsamen, klaren Wässern der Donau oder der Altmühl gehören alle hierher. In ihnen sucht der Wanderer eine Art von Entschädigung unten für das, was ihm anderwärts das Hochgebirge aus der Höhe beut. Daher auch der große Wert, der in den Mittelgebirgen mit Recht den Seen beigelegt wird.

So sind denn auch die meisten Täler unsrer Mittelgebirge flach ausgehöhlt, entsprechend den flachen Wellen den Erhebungen, zwischen denen sie hinziehen. Daher die Talmulden mit sanften Böschungen, in denen die große Mehrzahl jener Städtchen und Dörfer liegt, mit deren Namen sich die Vorstellung der lieblichsten Lagen unsrer Mittelgebirge verbindet. Solche Talmulden haben eine bestimmte Umrandung, ohne abgeschlossen zu sein. Man sieht die Straßen über die runden Rücken der Talränder hinaus in die Ebene oder hinüber in Nachbartäler ziehen. Baumreihen deuten nach allen Seiten ausstrahlende Feldwege an, und oft zeigt eine drüben emporsteigende Rauchsäule, wie bald der Talrand überschritten ist. Wohl fehlt es auch nicht an tiefen Tälern von der Art des Höllentals im Schwarzwald, des Saaletals im Frankenwald oder des Bodetals im Harz, und gerade aus ihren Wänden treten die kühnsten Klippen, wie der Hirschsprung und die Roßtrappe hervor. Daß in ihrer Tiefe die kühnen Formen erscheinen, ist ebenso bezeichnend für unsre Gebirge wie die Abgeglichenheit der Höhen. Das Wasser hat eben seine nagende und hinabführende Arbeit mit der Zeit immer tiefer verlegt, und diese Täler sind der jüngste, noch immer in die Tiefe und in den Berg hineinwachsende Teil der Gebirge.

Weiter oben bleibt der Schutt liegen, wie er fällt, und so erscheint uns ein ganzes Gebirge, wie das Fichtelgebirge, an der Oberfläche als ein Trümmerhaufen. Die berühmten Felsenmeere, wie sie im Fichtelgebirge auf der Luisenburg, im Odenwald hinter dem Königsstuhl, im Harz auf dem Brockenfeld, bei den Hohneklippen, bei Schierke und Braunlage liegen, sind nur die Höhenpunkte der Zertrümmerung. Überall treten in solchen Gebirgen bald rundliche wulstförmige, bald plattige Granitmassen aus dem Boden hervor. Wenn man sie mit Erde und grünenden Heidelbeerbüschen ganz überzogen sieht, erkennt man das Bild des Gebirges in ihnen, dessen Felsenkern in ähnlicher Weise von einer Trümmer-, Schutt- und Humusdecke umhüllt wird. Selten entblößt ein Wegeinschnitt die tiefern Bodenschichten, ohne daß große oder kleine Granitblöcke zutage treten. Bedenkt man nun, daß wir hier den Rest eines Gebirges vor uns haben, von dem Tausende von Metern andrer Gesteine durch Luft und Wasser gleichsam losgeschält sind, so erscheint uns auch das mächtigste Felsenmeer nur als ein Mittel für Luft und Wasser, um dem Gebirgskern näher zu kommen. Die Granitfelsenmeere des Odenwaldes und des Fichtelgebirges, die aus gerundeten und vereinzelten Klippen und Blöcken bestehn, sind aber verschieden von den Sandsteinklippengebieten, die besonders im Buntsandstein häufig wiederkehren. Bei diesen ist immer der Quaderbau der alten Schichtung kenntlich, und es gibt Vogesenburgen, wo es schwer ist zu sagen: Hier hört die natürliche Quaderschichtung auf, und dort beginnt die künstliche des Steinmetzen. Die Mauern sind an der Wasenburg, am Schloß von Hochbarr u. a. wie mit dem Felsen verwachsen.

Man kann nicht das Mittelgebirge mit den Alpen vergleichen, und man kann auch nicht von dem Tale, das in eine gleichmäßig abgetragne Platte eingegraben ist, dieselbe Mannigfaltigkeit der Bilder verlangen wie von einem, das sich durch ein reichgegliedertes Hügelland windet. Denen, die unsre Mittelgebirgslandschaft tief unter die Alpen stellen und die Natur nur vor einem Gletscherhintergrund groß finden, möchten wir zurufen: Gebt auch der Landschaft ihr eignes Recht. Einem Schilderer des Erzgebirges, Berthold Sigismund, hat man es verdacht, daß er besonders hervorhob, das Erzgebirge habe »keine trotzigen, imposanten Berge, keine Seen, überhaupt wenig oder nichts, bei dessen Anblick der verwöhnte Tourist der Gegenwart das Augenglas einklemmen und in Beifallsrufe ausbrechen würde. Die Täler sind mehr traulich und gemütlich.« Gegen das Positive in diesem Satz ist nichts einzuwenden; das Erzgebirge hat in der Tat, besonders auf der sächsischen Seite, mehr milde als großartige Formen. Vernünftiger wäre es aber, statt zu sagen, was unser Mittelgebirge nicht haben kann, hervorzuheben, was es als uraltes Gebirge haben muß. Das hieße seine ausgeglichnen Formen in die erdgeschichtliche Perspektive rücken, wo sie uns dann allerdings nicht bloß traulich und gemütlich, sondern vom Hauch einer Geschichte umweht, die nach Millionen Jahren zählt, ehrwürdig und in ihrer Weise großartig gegenübertreten.


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