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Ströme und Flüsse. Kanäle

Das Land zwischen den Alpen und der Nord- und Ostsee muß seine Ströme nord- und nordwestwärts gemäß seiner Abdachung fließen lassen. Darin liegt eine große und weithin wirksame Eigentümlichkeit Deutschlands. Frankreichs Flüsse strahlen vom Zentralmassiv nach allen Richtungen, zum Mittelmeer, zum Atlantischen Ozean, zum Kanal und zur Nordsee aus. Daher sind sie nur mittelgroß; die Loire steht weit hinter Weichsel, Rhein und Oder zurück. Österreichs Flüsse streben zur Nord- und zur Ostsee, zum Mittelmeer, zum Schwarzen Meer. Deutschland ist, wenn wir von der Donau absehen, durch die Gleichrichtung seiner Ströme gekennzeichnet. Sie knüpfen den Süden an den Norden. Muß man zugeben, daß die Vielartigkeit der Bodengestalt in unserm Lande die politische Einheit erschwert hat, so liegt ebenso sicher eine vereinigende Kraft in den fließenden Wässern, die nicht bloß Güter, sondern auch Menschen und Ideen mit ihren Wellen von Uferstrecke zu Uferstrecke und vom Berg zum Meere tragen. Die Zukunft wird es immer mehr zeigen, daß vermöge seiner Ströme Deutschland mehr zur Vereinigung neigt als Frankreich. Der Rhein greift am tiefsten nach Süden hinab und hat daher von der Römerzeit an vereinheitlichend auf sein Gebiet, das westdeutsche, gewirkt; nach ihm kommt die Elbe; nur das Emsgebiet gehört vorwiegend der Küste an. Rhein und Weser sind großenteils Gebirgsströme, die Elbe ist es noch zur Hälfte, Oder und Weichsel sind fast schon ganz Tieflandströme. Die Höhenzonen des deutschen Bodens kommen in den Eigenschaften jedes einzelnen größern selbständigen Flusses zum Ausdruck. Jeder hat seine Quelle im Gebirge und durchbricht dessen äußere Falten; dann bahnt er sich einen Weg durch die Landhöhen, um in den Gürtel von Senken, Seen, Sümpfen und Flußverflechtungen einzutreten, dem Aller, Spree, Havel, Warthe und Netze und jenseits unsrer Grenzen noch Narew angehören, und in denen sogar die Weichsel in einem Teil ihres Laufes zwischen Warschau und Thorn und ein Stück Oder zwischen Küstrin und dem Finowkanal fließt. Darauf folgt bei allen der Ostsee zufließenden Strömen der Durchbruch durch die Seenplatte, an deren Ausläufer hin bei Altona auch noch die Elbe fließt, und der Eintritt in den Lagunen- und Dünenstreif, mit dem hier überall Deltabildung verknüpft ist. An der Nordsee dagegen fließen Elbe, Weser und Ems unmittelbar dem Tiefland zu und münden mit mächtigen Ästuarien oder in weiten Mündungsbuchten.

Die großen Flächen festen Wassers in den Firnfeldern und Gletschern und die zum Teil noch viel größern Flächen flüssigen Wassers in den Alpenseen und Voralpenseen sind eine Eigentümlichkeit des Alpengebiets. Von ihnen bis zu den unvergleichlich mächtigern Wasserflächen der Nord- und Ostsee ist ein breites Gebiet der Zersplitterung des Wassers in zahllose Quellen und Bäche und sehr wenig zahlreiche kleine Seen. Indem wir aber die Mittelgebirge und Hügelländer hinter uns lassen und ins Tiefland hinabsteigen, wächst die Menge des Wassers wieder an und sammelt sich zu Strömen, die sich endlich zu Meerbusen erweitern, zu zahllosen Seen und ausgedehnten Sümpfen.

In diesem Wechsel der Bodengestalt nehmen die Flüsse natürlich auch ihrerseits wechselnde Gestalt an. Der eng zusammengedrängte Rhein zwischen Bingen und Bonn, die Elbe in den Felsenufern der Sächsischen Schweiz, die Oder und die Weichsel in den Durchbruchstälern des Baltischen Höhenrückens Küstrin–Stettin und Thorn–Danzig verursachen auf der einen Seite große Schwierigkeiten im Wasserverkehr und bereichern auf der andern die deutsche Landschaft mit Bildern von hoher Schönheit. Auch der Rheinfall von Schaffhausen gehört einem Durchbruch an, der dem jugendlichen Strome die Pforte ins oberrheinische Tiefland erschloß. Eine merkwürdige Eigentümlichkeit ist endlich die Größe der östlichen Zuflußgebiete im Gegensatz zu einer Art von Verkümmerung auf der westlichen Seite. Ems, Weser, Elbe, Oder und Weichsel, jeder ist auf der Westseite durch die östliche Ausdehnung des Nachbars zusammengedrängt. In der Richtung dieser Ausbreitung liegt das Wachstum Deutschlands von der Elbe nach Osten. Die in den Mittelgebirgen auf einen weiten Raum, in Tausende von Tälern zerteilten Quellflüsse sammeln sich bei allen deutschen Strömen bald nach dem Austritt aus dem Gebirge, wo daher alle unsre Ströme auf kurzer Strecke eine Menge von Zuflüssen empfangen, wogegen das Tiefland nur wenige größere Zuflüsse zusendet. So erhält die Elbe nebeneinander Saale, Mulde und Schwarze Elster, die Oder Neiße, Bober und Bartsch und die Weser Fulda, Eder, Werra und Diemel. Weiter unten tritt in allen diesen Fällen nur noch ein größerer Nebenfluß: Aller, Havel, Warthe hinzu, der in jedem Falle die Schiffbarkeit auf eine höhere Stufe hebt. Außerdem tritt in den mitteldeutschen Flußsystemen in jedem einzelnen ein Nebenfluß hervor, in dessen Richtung sich der Hauptfluß fortsetzt, sodaß eine längere hydrographische Linie entsteht, die verhältnismäßig kleinen Nebenflüssen wie Saale und Neiße eine höhere Bedeutung verleiht. Ein andrer Einfluß der Bodengestalt macht den Unterlauf aller Flüsse in den Küstengebieten der Ostsee durchaus abhängig von dem Zug der die Ostsee umgürtenden Höhenrücken. Wo dieses System in Holstein und dann wieder in Ostpreußen nordsüdliche Richtung annimmt, geht sein Abfluß westwärts, wo es nordöstlich gerichtet ist, nordwestwärts, und in der Senke der untern Oder ostwärts.

Früher, als die Geographie den Wasserscheiden eine große, aber nicht begründete Bedeutung beilegte, war viel die Rede davon, daß durch Deutschland ein Teil der großen europäischen Wasserscheide zwischen Ozean und Mittelmeer ziehe. Auch der Ruhm des Fichtelgebirges geht darauf zurück, daß dort die Quellen des Mains und der Eger, der Nab und der Saale liegen, der Zuflüsse des Rheins, der Donau und der Elbe. Praktisch bedeuten solche Annäherungen nichts, wenn sie so hoch gelegen sind, daß der Verkehr sie nicht benutzt. Wenn auf dem 800 Meter hohen Brockenfeld in felsbesätem Heide- und Moorland die Wasserscheide zwischen Bode und Oder, Elbe und Weser fast verwischt ist, wird davon kaum jemals praktischer Nutzen gezogen werden. Wenn dagegen das Vorwalten flacher Erhebungen zwischen den deutschen Mittelgebirgen und die auf weite Strecken hin geringfügigen Höhenunterschiede im Tiefland die Wasserscheiden nicht überall zu scharfer Ausprägung kommen lassen, so kann das wichtiger werden. Auch das Versinken des Wassers in den Schlüften und Höhlen des Kalksteins verwischt die Wasserscheiden; so verliert die Donau unter Tuttlingen einen Teil ihres Wassers, der dann im »Quelltopf« der Aach im Hegau mächtig hervorquillt und dem Rhein zufließt. Bei der bekannten Station Treuchtlingen zwischen Nürnberg und Ingolstadt entspringt ein Quellarm den Rezat nur 5 Meter über der Altmühl und hart neben ihr. Flußgeröll zwischen Altmühl und Rezat zeigt, daß hier nicht immer eine Trennung bestand. Bei Neumarkt liegen die Ursprünge von Nebenflüssen der Altmühl und Regnitz, von denen die eine zur Donau, die andre zum Main geht, aus derselben sumpfigen Hochfläche. Als Livingstone den Dilolosee als Quellsee von Sambesi- und Kongozuflüssen entdeckt hatte, schrieb ein fränkischer Geograph in den Geographischen Mitteilungen (1858): Der Dilolo entspricht ganz diesem bayrischen Sumpfe! Auf dem Schwarzwald verbinden Bewässerungskanäle in Hochmooren Rhein- und Donauzuflüsse. Ungemein häufig sind im norddeutschen Tiefland bei abnehmenden Höhen und Wassergeschwindigkeiten die Annäherungen und Verbindungen, die besonders durch die Kanalreihe von der Havel bis zur Weichsel ausgenutzt wurden.

Die Wasserführung der deutschen Flüsse zeigt den großen Unterschied der Alpenabflüsse mit ihren großen Sammelbecken in Firnfeldern und Gletschern, die einen ausdauernden Zufluß im Sommer gewährleisten, und den Abflüssen der deutschen Mittelgebirge mit ihren raschen Schwellungen bei den Frühlingsregen und der Schneeschmelze, worauf im trocknen Sommer oft vollständiges Austrocknen der kleinen Erzgebirgs- und Sudetenabflüsse und selbst in Elbe und Oder ein beklagenswert niedrer Wasserstand eintritt, den einzelne starke Gewitterregen nur zu rasch, aber auch zu kurz unterbrechen. Vergleicht man die Nieder-, Mittel- und Hochwasserstände, so ergeben sich daher geringere Schwankungen bei den Alpenflüssen als bei denen des Mittelgebirges. Und je kleiner der Fluß, desto größer ist der Unterschied zwischen Mittelstand und Hochwasserstand. Er ist bei der Elster fünfmal so groß als bei der Isar. Die Anschwellungen unsrer Mittelgebirgsflüsse sind durchaus größer und länger im Winter als im Sommer. Wo diesen Winterschwellen sich die sommerliche Zufuhr aus den Firnfeldern und Gletschern der Alpen anreiht, wie beim Rhein, haben wir die günstigsten Wasserstandsverhältnisse. Daß der Rhein der verkehrsreichste Strom Europas ist, hängt damit zusammen. Die Wasserstände der deutschen Flüsse sind, seitdem Messungen vorliegen, sicherlich gesunken. An der Iller und am Inn sind sowohl die höchsten als die niedrigsten Wasserstände zurückgegangen. Das hängt zum Teil auch mit den Eindämmungen und Geradlegungen zusammen, die im Interesse der von Überschwemmungsgefahr bedrohten Anwohner und des Verkehrs bei uns in so großartigem Maße durchgeführt worden sind wie nirgends in Europa. Der Rhein ist bis nach Maxau, dem Hafen von Karlsruhe, großen Dampfern zugänglich und wird bis Straßburg dem regelmäßigen Verkehr geöffnet werden. Bremen und Hamburg sind durch die Vertiefung der Unterweser und der Unterelbe den großen Ozeandampfern zugänglich gemacht, und auf der Oberweser und der Fulda dringt jetzt der Schiffsverkehr bis Kassel vor, auf der Oder wird ihm der Weg bis Kosel erschlossen, auf der Donau ist Ulm als Endpunkt ins Auge gefaßt. Frankfurt ist durch die Vertiefung des untern Mains ein großer Hafenplatz geworden; und die Kanalisierung des Mains ist auf dem preußischen und bayrischen Gebiete weitergeführt worden. Auch für den Neckar ist Ähnliches beabsichtigt, und für die Mosel seit Jahren gefordert.

Deutschland hat 14 000 Kilometer Wasserstraßen, die dem großen Schiffsverkehr zugänglich sind, und dazu 6500 Kilometer flößbare Flüsse. Das deutsche Kanalnetz ist am besten entwickelt in dem großen System alter Quertäler des nordostdeutschen Tieflandes, wo durch die Kanalverbindung der Havel, Spree, Netze, Warthe und Brahe Elbe und Weichsel verknüpft sind. Ostpreußen hat sein eignes Kanalsystem, und so auf der andern Seite Ostfriesland. Im Reichslande treffen bei Straßburg der Rhein-Rhone- und Rhein-Marnekanal zusammen. In Franken übersteigt der 177 Kilometer lange Donau-Mainkanal den Frankenjura in 230 Metern Höhe, um Kelheim an der Donau mit Bamberg am Main zu verbinden. Wie der Rhein heute der verkehrsreichste Strom, so ist Berlin der größte Süßwasserhafen Europas. Die Binnenseen sind schon erwähnt worden, unter denen der Bodensee durch seinen regen Dampferverkehr von internationaler Bedeutung ist, während die größern Seen Ostpreußens in die Kanalverbindungen einbezogen sind. Man berechnet die Länge der schiffbaren Binnenseen Deutschlands auf 990 Kilometer.

Die westdeutschen Ströme sind nur kurze Zeit durch Eis verschlossen, auch die Elbe führt durchschnittlich nur 54 Tage Eis und hat die Hälfte dieser Zeit Eisstand. Die Oder hat bei Brieg durchschnittlich 29 Tage Eisstand. Es scheint, daß auf allen deutschen Strömen die Strombauten die Eisstände verkürzt und zugleich ihre Hochwassergefahr beträchtlich vermindert haben.

Mit der Bodengestalt wechselt auch der landschaftliche Charakter der deutschen Flüsse von Stufe zu Stufe. Das gefällarme Tiefland hat langsam fließende Gewässer, in deren dunkelm Spiegel sich überhängende Erlen und starke Eichen spiegeln. Wo sich diese Gewässer verirren und verflechten, da bilden sie merkwürdige Flußnetze wie im Spreewald, in einigen Teilen der Havel- und Warthe-Niederungen und in der Leipziger Gegend. Die Auenlandschaft der Magdeburger Gegend: Wiesen und Waldufer, dunkles Gehölz, parkartig über das helle Grün der Wiesen zerstreut, ist für die großen Tieflandströme Norddeutschlands bezeichnend. Eine andre Art von Bildern entrollt sich in den Einschnitten der braunen Oder und der gelben Weichsel in den Baltischen Landrücken, deren Steilufer, bewaldet oder angebaut, breite, reichbewässerte und dicht bewohnte Tieflandschaften einschließen. Der Geologe Jentzsch schildert das Land südlich von Marienwerder als breite Niederung mit fast zahllosen parallelen Gräben, dazwischen der glänzende Streifen der Weichsel, die von Segelbooten belebt ist. Um 60 Meter erhebt sich darüber ein steiler, zum Teil unersteiglicher Absturz, den an einigen Stellen einmündende Bäche tief einschneiden.

Im Mittelgebirge rieseln und plätschern die in der Regel nicht wasserreichen Bäche über braune Felsen, und gelegentlich kommt ein Wasserfall von mäßiger Größe vor. Dazwischen winden sie sich auch durch Wiesengründe, deren Kontrast als kleine grüne Ebenen vor schroffen Felsenhängen besonders malerisch in der Rauhen Alb, im Frankenjura und in der Sächsischen Schweiz ist.

Im Voralpenland gehen grüne und grünblaue Wässer zwischen weißbestäubtem und weißbekrustetem Kalkgeröll, aus dem spärliche Weiden hervorsprossen. Daß der Rhein der klarste und der heiter grünste von unsern deutschen Strömen ist, trägt dazu bei, daß er uns so gefällt; und dazu kommt der rasche Gang der mächtigen Wassermasse. Das sind alpine Eigenschaften. Wo, wie bei Passau, ein Alpenabfluß mit einem Mittelgebirgsfluß zusammentritt und mit den beiden noch ein dunkler Wald- und Moorbach sich verbindet, Inn, Donau, Ilz, da liegen die interessantesten Stellen der deutschen Flußlandschaft.

Wenn bei Schneeschmelze oder Regen der Wasserreichtum wächst, färben sich die Alpenflüsse grau, aber das ihrem Wasser eigne leuchtende Grünblau schimmert durch. Außerordentlich schwankend ist ihre Größe in den Kalkalpen. Im Spätsommer wird mancher dieser Bäche zum »Dürrenbach«, und man begreift, daß dieser Ortsname neben Gries (Kies), Lenggries und dergleichen so häufig vorkommt, wenn man dann vergeblich in dem breiten Geröllfeld den Wasserfaden sucht. Beim ersten Septemberschnee, der in den Höhen fällt und rasch wegschmilzt, tritt das bisher versickernde Wasser trüb wieder an die Oberfläche, um beim stärksten Frost wieder abzunehmen. Wenn sie zwischen Schnee und Rauchfrost fließen, werden Lech, Inn und Isar klar und leuchten an flachern Stellen grasgrün bis ins Türkisblaue, als seien die Farben der Gletscher in sie herabgestiegen.

Der Rhein steht allen deutschen Strömen voran, indem er am weitesten nach Süden greift und die Alpen mit der Nordsee verbindet. Der Vorderrhein am Gotthard, der Hinterrhein am Splügen entspringen beide einen ganzen Breitegrad südlich vom südlichsten Punkt des Deutschen Reichs. Durch den Bodensee, die Aar mit der Limmat und Reuß, die Ill, Thur und Birs sammelt der Oberrhein den Abfluß des Nordabhangs der Alpen vom Jura bis zum Bregenzer Wald. Dann sammelt der Mittelrhein den größten Teil des Abflusses der rheinischen Gebirge. Die Wassermasse, womit der Rhein den Bodensee verläßt, hat sich bei Basel durch Alpen- und Schwarzwaldzuflüsse schon verdoppelt, und bei Mannheim ist sie vervierfacht. Während der Main das Wasser aus dem Osten Deutschlands herführt, schneidet die Maas die Zuflüsse von Westen her ab und führt sie erst im Mündungslande dem Rhein wieder zu. Die rechte Seite des Rheingebiets ist überhaupt, dem Gesetz der deutschen Strombildung entsprechend, die entwickeltere, denn während auf der linken alle wichtigern Rheinzuflüsse in die drei Rinnen Ill, Mosel und Maas gesammelt werden, sind Neckar, Main, Lahn, Sieg, Ruhr und Lippe selbständiger und zum Teil absolut wichtiger als jene.

Der Main nimmt eine so große Stellung in der deutschen Geschichte ein, weil seine vom Fichtelgebirge an östliche Hauptrichtung die allgemeine Richtung der deutschen Ströme kreuzt. Dadurch wurde der Main gleichsam ein Symbol der Abgrenzung zwischen Nord- und Süddeutschland: Mainlinie. Da er bis hinauf nach Bamberg größere Fahrzeuge trägt, wobei die Stromschnellen von Urfahr und oder der Taubermündung wenig bedeuten, so konnte er früh eine große Ader des westöstlichen Verkehrs werden. Sein vielgewundner, das schöne Frankenland reich belebender Lauf trägt gerade wie bei der auf der linken Rheinseite im engem Raum ähnlich wirkenden Mosel zu seiner geschichtlichen Bedeutung bei. So wie einst die römische Kultur von Gallien zum Mittelrhein das Moseltal herabstieg, so nahm die deutsche einen ihrer Hauptwege nach Osten den Main aufwärts. Die enge kirchliche Verbindung Böhmens mit Mainz, die große geschichtliche Stellung von Frankfurt und Bamberg bezeugen die Bedeutung dieses Weges.

Donau und Rhein sind als Alpenflüsse und durch ihre zu Verflechtungen führende Annäherung im Bodenseegebiet natürliche Verwandte. Zu geschichtlich und politisch Verwandten hat sie die gemeinsame Geschichte von der Römerzeit her gemacht. Man pflegt wohl zu sagen, die Donau entspringe am Schwarzwald, der Rhein in den Alpen; aber das ist nur ein formaler Gegensatz. Man braucht nur einen Blick auf die Karte zu werfen, um zu erkennen, daß die Donau bis tief nach Ungarn hinein ihre größern Zuflüsse alle aus den Alpen erhält, ebenso wie der westliche Schenkel des merkwürdigen Winkels, den sie mit dem Scheitel an der Nabmündung bei Regensburg macht, der Nordostrichtung der Mittlern und östlichen Alpen entspricht, wogegen allerdings der östliche der herzynischen Gebirgsrichtung gemäß ist. Was bedeuten Flüsse wie Altmühl, Nab, Regen, Ilz neben den stolzen Alpenkindern wie der Iller, dem Lech, der Isar? Der Inn, der bei Passau als lichtgrüner oder grüngrauer Alpenfluß in die trübe gelbliche Donau mündet, macht vollends erst die Donau zum großen Strom. Ja bis hinunter nach Belgrad, wo sie die Sau aufnimmt, hängt die Donau mit den Alpen zusammen. Die bei Preßburg einmündende March ist der erste große nördliche und nichtalpine Nebenfluß der Donau. Die Donau ist überhaupt der größte Alpenfluß Europas.

Am Rhein und an der Donau fanden die aus Süden und Westen kommenden Römer die deutschen Stämme, an diesen Schranken hielten sie sich auf, an sie lehnten sich ihre Kastelle, ihre befestigten Lager und, als Friede und friedlicher Verkehr erschien, die Römerstädte, die die ältesten Städte auf deutschem Boden sind. Viele von ihnen bezeugen in ihrer bis heute fortdauernden Blüte die Gunst ihrer Lage und die Einsicht bei ihrer Anlage. Basel und Straßburg, Speier und Worms, Mainz und Köln, Augsburg, Regensburg, Passau, Wels, Wien sind römische Pflanzstädte. Von der Donau zum Rheine zog der Wall, der das Römerreich gegen die blonden Barbaren schützen sollte. So trugen Rhein und Donau die im Mittelmeer geborne, von Ägypten nach Griechenland, von dort nach Rom getragne Kultur nach Osten und Westen, indem sie zugleich das Reich schützend umschlangen, das der Träger dieser Kultur war. Und in der Geschichte des Christentums auf deutschem Boden, wie treten da Trier, die Stadt der Märtyrer, und Köln, die Stadt der Heiligen, ein! Freising und Passau und später auch Salzburg haben nach Osten gewirkt. Bis nach Ungarn hinein erstreckten sich diese Bistümer, so wie der Einfluß von Mainz einst bis nach Böhmen reichte. An der Donau hinab ging die bayrische Kolonisation bis zur Adria und bis an den Bug, bis ans Eiserne Tor. Das große Österreich ist aus dem kleinen Bayern entstanden, indem die bayrischen Kolonien, auf Staat oder Kirche gestützt, an der Donau abwärts und an den Donauzuflüssen in die Alpen und Karpaten hineingewandert sind.

Die Weser ist am engsten mit dem Mittelgebirge verflochten, dem sieben Achtel ihres Zuflußgebiets angehören. Im Vergleich mit jenen von den Grenzfirsten des Mittelmeergebiets kommenden Strömen ist die Weser ein innerer deutscher Fluß. Die Weser entwässert den Thüringer Wald, die Rhön und den Vogelsberg im obern Lauf, durchfließt das hessische Bergland und die Wesergebirge und empfängt in der Aller die Abflüsse des Harzes. Daher rasches Gefäll bis ins Flachland und starker Wechsel der Wasserstände, wiewohl ihr Zuflußgebiet niederschlagsärmer ist als das der Elbe oder Oder. Wasserbauten, die die Weser bis Bremen für große Seeschiffe bereits fahrbar gemacht haben, streben eine Maximaltiefe von fünf Meter bis Münden an.

Die Elbe tritt auf deutschen Boden in einer schmalen und kurzen Versenkung mit steilen quaderähnlichen Wänden, deren Ursprung dem des obern Rheintals ähnlich ist. Sie empfängt darin die Richtung der sudetischen Bergzüge, dieselbe, die auch die untere Elbe von Havelberg an in so ausgesprochner Weise wieder aufnimmt. Der größte Elbzufluß, die Saale, fließt dagegen fast meridional aus dem sächsisch-thüringischen Winkel heraus, in dem die Mulde das schöne Beispiel einer strahlenförmigen Entwässerung des Erzgebirges bietet. In Verbindung mit der ebenfalls fast meridionalen Elbstrecke Magdeburg-Havelberg konnte daher die Saale die wichtigste natürliche Binnengrenze in Deutschland bilden. Die geschichtliche Bedeutung der Saalelinie als deutsch-slawische Grenze ist tiefer begründet als die der Mainlinie als nord- und süddeutsche Grenze. Die Havel, die nicht nur die Abflüsse des breitesten der Urstromtäler (s. o. S. 100) sammelt, sondern mit der Spree das Lausitzer Bergland und mit der Elde einen Teil des mecklenburgischen Seengebiets entwässert, verleiht der untern Elbe erst recht den Charakter des Tieflandstroms, dessen Breite übrigens nicht den gegenwärtigen Wassermassen entspricht, sondern auf eine Zeit zurückgeht, wo sich der größte Teil der Gewässer des mittlern und östlichen Norddeutschlands in diese Sammelrinnen ergoß. Daher der verkehrsgeographisch so wichtige Zusammenhang der Tiefland-Elbe mit der Oder und Weichsel und die meeresbuchtartige Breite und Tiefe der untern Elbe bis über Hamburg hinauf.

Die Oder folgt in ihrem obern und mittlern Laufe gleich der Elbe der sudetischen Richtung. Von ihrem Ursprung im Mährischen Gesenke bis zum Eintritt der Neiße bildet sie die Längsachse der nordwestlich gerichteten schlesischen Bucht. Dann nimmt sie dieselbe gerade Richtung nach Norden an wie die Neiße, weshalb sie mit dieser zusammen einen der wichtigsten alten Verkehrswege auf deutschem Boden gewiesen hat. Bei Küstrin nimmt sie die von der polnischen Platte kommende Warthe auf, die sich mit der im Urstromtal in vorwiegend westlicher Richtung durchfließenden Netze verbunden hat. Die Netze bildet die natürliche Verbindung mit der Weichsel, mit der sie durch den Bromberger Kanal verbunden ist, der bei Bromberg in die Brahe, ihren Nordzufluß, eintritt.

Die Weichsel betritt deutschen Boden erst, nachdem sie, von den Zentralkarpaten kommend, in weitem Bogen die polnische Platte umflossen hat. Kurz darauf biegt sie bei der Einmündung der Brahe in fast rechtem Winkel um und geht gleich der Oder fast gerade nördlich zur Ostsee. Einen Mündungsarm gibt sie als Nogat in das Frische Haff ab. Die Weichsel ist mehr als tausend Jahre nach dem Rhein in das geschichtliche Bewußtsein der Deutschen wieder eingetreten, aber ihre Bedeutung für das Wachstum der Deutschen nach Nordosten zu ist gewaltig. Im fruchtbaren, durch steile Ufer malerischen Weichseltal liegen die Ausgangs- und Stützpunkte der deutschen Kolonisation der Nordostmark: Thorn, Graudenz, Kulm, Marienwerder und auf einem Hügel, der das 1100 Quadratkilometer große Werder des Weichseldeltas beherrscht, an der Nogat die herrliche Marienburg. Da in dem preußischen Seenhügelland die vorwaltende Richtung dieselbe nordwestliche bleibt, die die mittlere Weichsel bewahrte, entwickelt sich hier eine Reihe von selbständigen Flüssen, die zum Frischen Haff gehen. Weiter im Norden setzt aber eine rein westliche Richtung ein, der der vom preußischen Hügelland kommende Pregel und die erst nahe an ihrer Mündung deutsche untere Memel folgen.

Sechs Ströme und Flüsse von großer Verkehrsbedeutung erreichen auf deutschem Boden das Meer, und die Flußmündungen sind die wichtigsten Stellen unsrer Küste überhaupt. Schon äußerlich sind sie ausgezeichnet durch ihre Lage: die Rheinmündung bezeichnet den Übergang Europas von westwärts zu nordwärts gerichteter Lage; die Elbe mündet im äußersten Südostwinkel der Nordsee; die Odermündung liegt an der südlichsten Stelle der Ostsee; und die ihr darin ähnliche Mündung der Weichsel liegt ebenso wie die der Memel im Winkel zwischen Süd- und Ostküste der Ostsee. Merkwürdige Veränderungen der Laufrichtung der Ströme verkünden gegen die Mündung zu die Wirkung neuer Einflüsse, die schon der Küste angehören. Wo sich der Niederrhein nach Westen wendet, die Unterweser und die Unterelbe nach Nordwesten, da fließen sie zwischen ihren eignen Niederschlägen in einem uralten Delta- und Anschwemmungsland, das ununterbrochen dem Meere entgegenwächst. Die Elbe mündete einst weit oberhalb Hamburg in eine ältere südlichere Nordsee. Oder und Weichsel wenden sich im Unterlauf nordostwärts, wo sie den Baltischen Höhenrücken in tief eingeschnittnen Tälern durchmessen. Das Weichseldelta liegt am Übergang einer östlichen Küstenrichtung in eine nördliche, und die ganze preußische Hafflandschaft ist ein großes Deltaland zwischen Weichsel und Memel. Das »lange Wasser«, wie die Preußen die Verbindung zwischen Königsberg und Tilsit durch Pregel, Dieme, Kurisches Haff, Seckenburger Kanal und Memel nennen, ist ein echt deltahaftes Flußgeflecht.


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