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Deutschland hat als regenreiches Land viele Tausende von Seen und Teichen. Man findet sie in den Höhen, wo der Firn des Wettersteins hineinschaut, und am Rande des Meeres, sie blicken uns aus dem Walddunkel der Mittelgebirge an und stehen in den Einsturztrichtern (Maaren) der Eifelvulkane wie in den Trichtergruben der Zechsteinhochebenen. Von dem Bodensee, der bei mittlerm Wasserstand 528 Quadratkilometer mißt, stufen sie sich durch den Chiemsee in Bayern (93 Quadratkilometer), den Müritz- und Mauersee (113 und 105 Quadratkilometer) zu den unzähligen kleinen Teichen und Söllen ab, die zuletzt in den Dorfteich auslaufen, der in der Mitte slawischer und einst slawischer Dörfer gewöhnlich, in den süd- und westdeutschen selten ist. Erwägt man, daß Seen immer nur Ruhepunkte in einer Entwicklung sind, die vom Eis und Fluß zum Sumpf, zum Moor und zur Torfwiese führt, so tauchen noch viele Tausende und zum Teil mächtige Seen vor uns auf, die heute trocken liegen. In der baltischen Seenregion gibt es besonders viele Abstufungen von dem trocknen Moor bis zu der schwimmenden Moosdecke, die eine »Wasserblänke« in der Mitte läßt. Der letzte Rest eines zuwachsenden Sees ist das auf der Höhe der Hochmoorwölbung in trichterförmigem Becken stehende kreisrunde tiefe Wasserauge. Mittelgebirge, denen heute die Zierde der Seen fehlt, wie Erz- und Fichtelgebirge, Harz und Thüringer Wald, haben nur noch Torfmoore oder letzte Reste als Teiche an ihrer Stelle. Man muß bekennen, daß ihnen mit den tiefen, klaren Seen, in denen sich Bäume und Berge spiegeln, und an deren Rand sich eine Menge lieblicher Einzelbilder aus dem Ganzen loslöst, eine wesentliche Schönheit, besonders eine Verstärkung des großen, stillen Zuges in der Landschaft abgeht. Eigentümliche Gebilde entstehen, wo sich in vermoorenden Seen Torfinseln loslösen, die über dem Wasserspiegel hintreiben. Der Schwarzwaldsee Nonnenmattweiher hat lange eine schwimmende Torfinsel gehabt, und im Clevenzer See in Ostholstein tauchte 1852 und schon 1803 eine Torfinsel vom Grunde empor, die vielleicht durch Zersetzungsgase aufgetrieben worden war.
Wasser zur Seenbildung ist in Deutschland überall vorhanden, es kommt nur darauf an, daß eine Bodenform dazutritt, die das Abfließen des Wassers nicht allzu leicht macht. Wo also das Gefäll an sich schwach ist und mannigfach wechselt, auf welligen Ebenen, sei es im Hoch- oder Tieflande, da sind Seen zu finden. Am Nordrand der Alpen und auf der viel gewölbten Platte, die um den Südrand der Ostsee zieht, ist Deutschland am seenreichsten. In beiden Gebieten begünstigt der regellos zerstreute Schutt von Gletschern der Eiszeit die Seenbildung. Alle unsre großen Seen des Binnenlandes liegen in Betten, wo einst Gletscher flossen. Daher gehört zu den hervortretenden Merkmalen und Schönheiten des norddeutschen Tieflands der Seenreichtum. Seen und seenartige Flüsse in allen Größen sind von der Memel bis zur Ems und von den unter Buchen träumenden Seen Ostholsteins bis zu den Teichen der Lausitz verbreitet. Es gibt Gegenden, ich erinnere an die von Teichen »siebartig durchlöcherte« Niederung vor dem lausitzischen Höhenzug zwischen Elbe und Queis oder an das Seengewirr der Osterseen südlich vom Würmsee, wo zahlreiche Seen das unbedingt herrschende Element der Landschaft sind. Wo große Seen fehlen, kommt oft eine auffallend große Zahl kleinere vor. So hat die Flur von Pörnitz bei Schleiz allein 107 Teiche, worunter der vierundzwanzig Hektar bedeckende Teich von Pörnitz. Am Südfuß des Thüringer Waldes ist die Gegend von Salzungen durch Seenreichtum ausgezeichnet.
In dem von Quellen und unterirdischen Bächen durchwühlten Boden der Kalkhochebenen und Kalkhügelländer sind Einstürze von der Gestalt derer, die in den vulkanischen Gebieten Westdeutschlands als Maare vorkommen, in kleinern Maßen häufig und bilden nicht selten kleine Seen, die manchmal gesellig auftreten. In Sachsen und Thüringen nennt man sie Pingen. Am häufigsten entstehen sie dort, wo in den Tiefen Gips liegt, den das Wasser leicht auflöst und wegführt, wobei es sogenannte Schlotten im Gipslager bildet. Da liegen sie oft reihenweis hintereinander, die einen trocken, die andern mit Wasser gefüllt. Solchen Ursprungs sind die Teichreihen zwischen Osterode und Herzberg oder bei Walkenried, wie denn überhaupt der Gips am Südrande des Harzes an derartigen Bildungen reich ist. Der Hungersee oder Bauerngraben bei Roßla am Harz, der in Zwischenräumen See und trocknes Becken ist, scheint auf wiederholte Nachstürze zurückzuführen, die bald einen Ausfluß zur Helme öffneten, bald wieder verschlossen.
In dem baltischen Seengebiete füllen die Seen breite Vertiefungen (Spirdingsee 25 Meter) zwischen den Hügelgruppen und Einzelerhebungen aus, bald einzeln und dann in der Bogenform von dem Moränenbette abhängig, bald gruppenweise, in Parallelrichtungen unter dem Vorwiegen der nordwestlichen geordnet, durch breite Flüsse so aneinander gekettet, daß flußartige Seenketten entstehen, die sogar in sich selbst zurücklaufen. Mit geringen Opfern sind diese Seen durch Kanäle verbunden und dadurch Wasserwege mitten durch die seenreichen Hügelländer gelegt worden. Indem man in Ostpreußen vom Spirdingsee durch eine Reihe von Seen und Kanälen (Dargeinen, Löwentin u. a.) zum Mauersee kam, verband man die Angerapp (Narew) mit dem Pregel. In Mecklenburg steht der Müritzsee in enger Verbindung mit dem Plauer, Kölpin- und Fleesersee, wodurch eine Wasserfläche von 240 Quadratkilometern entsteht. Die auffallend langgestreckten, rinnenförmigen Seen des pommerschen Seenhügellandes werden ohne Zweifel einst die Verkehrsentwicklung, besonders Hinterpommerns, ähnlich begünstigen.
In den Vogesen, im Schwarzwald, im Böhmerwald und im Riesengebirge gibt es eine Anzahl von kleinen hochgelegnen Seen, die viel Ähnlichkeit in der Lage, Tiefe und Größe haben und wahrscheinlich auch dem Ursprung nach ähnlich sind. Sie liegen auf der Massenerhebung der Gebirge, meist unter einem überragenden Gipfel, in ein tiefes Kar oder Zirkustal eingebettet, das in der Regel steile Hinterwand und Seitenwände hat. Wo Glazialerscheinungen beobachtet sind, kommen sie als Moränen vor der Mündung eines solchen Kares oder als Schliffe an den Felswänden vor, in die der See gebettet ist. Die Tiefe dieser Seen erreicht an einigen Stellen den verhältnismäßig hohen Betrag von 40 Metern, und häufig liegt die tiefste Stelle an der steilern Rückwand. Über dem Arbersee steigt eine solche Wand unmittelbar 456 Meter an. Im Böhmerwald gehören hierher u. a. die Arberseen, der Schwarze See, der Teufelssee, der Rachelsee, im Schwarzwald der Titisee, der Schluchsee, der Mummelsee, der Feldsee, in den Vogesen der Weiße See und der Sulzer See (58 Meter tief), im Riesengebirge die Koppenteiche, die 1218 und 1168 Meter hoch liegen.
Von allen deutschen Seen hat nur der Bodensee auch eine politische Bedeutung. Er trägt die Reichsgrenze von Lindau bis Konstanz. Fünf Staaten, Bayern, Württemberg, Baden, Österreich, die Schweiz haben sich gegen dieses für mitteleuropäische Verhältnisse bedeutende Wasserbecken vorgeschoben. Er vermittelt also einen internationalen Verkehr, dessen Bedeutung für Deutschland größer war als heute, als der deutsch-italienische Verkehr vor der Zeit der Gotthardbahn sich mehr der Pässe des Rheinquellengebiets (Lukmanier, Splügen, Septimer) bediente. Aber noch immer führen die Wege von München und Stuttgart nach dem Gotthard über den Bodensee, und noch wichtiger ist es, daß Österreich und Frankreich in der Richtung des Bodensees durch die kürzeste Bahnlinie verbunden werden. Über dreißig Dampfer und Trajektschiffe dienen heute dem Bodenseeverkehr. Wie sich hier in engem Rahmen eine eigentümliche historische Landschaft entwickelt hat, geschmückt mit Städten, die zu den schönsten und erinnerungsreichsten Deutschlands gehören, wie Konstanz und Lindau, und eine Bevölkerung heranwuchs, die etwas international Aufgeschlossenes hat, das zeigt an einem, freilich hervorragenden Beispiel, wieviel Großes Deutschland an Belebung und Verschönerung seinem Reichtum an stehendem und fließendem Wasser verdankt.