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Die zentrale Lage

Indem eine Nachbarschaft immer auch eine lebendige Beziehung ist, müssen alle Staaten, die Deutschland umgeben, auf Deutschland wirken, und Deutschland muß mit Gegenwirkungen antworten. Das ist das Leben, die Größe und die Gefahr eines zentralen Landes. Für Deutschland liegt in seiner mittlern nachbarreichen Lage ebensowohl Schwäche als Kraft. Deutschland besteht nur, wenn es stark ist; ein schwacher Staat würde dem konzentrischen Druck erliegen. Und Deutschland kann die Vorteile der zentralen Lage nur nützen, wenn es stark ist. Für einen Staat in Deutschlands Lage gibt es nur die Möglichkeit, sich zusammenzuraffen und durch unablässige Arbeit seine Stelle in der Welt zu behaupten, oder zerdrückt zu werden wie Polen, oder sich unter den Schutz der Neutralität zu stellen wie die Schweiz. Bismarck erwies sich als ein trefflicher politischer Geograph, als er 1888 im Reichstage sagte: »Gott hat uns in die Lage versetzt, in der wir durch unsre Nachbarn daran verhindert werden, irgendwie in Versumpfung oder Trägheit zu geraten. Die französisch-russische Pression, zwischen die wir genommen werden, zwingt uns zum Zusammenhalten und wird unsre Kohäsion auch durch Zusammendrücken erheblich steigern, sodaß wir in dieselbe Lage der Unzerreißbarkeit kommen, die fast allen andern Nationen eigentümlich ist, und die uns bis jetzt noch fehlt.«

Daß die zentrale Lage den Vorteil gibt, nach allen Seiten hin aus dem Mittelpunkt mit gleicher Kraft zu wirken, und daß sie zugleich alle diagonalen Verbindungen beherrscht, machte es fremden Mächten immer wünschenswert, sich auf deutschem Boden festzusetzen. Aber die Überzeugung von der Bedeutung dieser Lage hat dann auch immer wieder den Widerstand Europas gegen den Übergang Deutschlands an eine fremde Macht wachgerufen. Auch im geistigen Wechselverkehr der Völker ist Deutschland ein geistiger Markt, wo Nord und Süd, Ost und West ihre Ideen tauschen, wohin Anregungen zusammenfließen, und von wo Impulse ausströmen. Es ist nicht bloß die nationale Eigenschaft der Empfänglichkeit, die Deutschland zum klassischen Lande der Übersetzungen gemacht hat. Ist doch auch der Gedanke der Weltliteratur und die Würdigung der Völkerstimmen von hier ausgegangen.

In der Lage Deutschlands ist das Bedürfnis der Verbündung mit Ländern begründet, die die friedliche Ausbreitung in eine geschütztere Stellung erlauben. Indem sich Deutschland mit Österreich und Italien verbündete, hat es sich aus seiner karreeartigen Stellung, die man ebensogut Zusammenfassung wie Zusammendrängung nennen kann, zur Stellung in der beherrschenden Mitte eines breiten Aufmarsches zwischen der Nordsee und Sizilien entwickelt. Dadurch hat es im Süden die Anlehnung ans Mittelmeer und im Westen und Osten die Verlängerung und Deckung seiner eignen Front gegen Frankreich und Rußland gewonnen.


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