Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Über die Entstehung des Brauches gibt es eine Anzahl von Versionen, die sich zumeist auf Vermutungen stützen. Größtenteils führt das Wort »Haberfeld« irre, das in verschiedenen sehr alten Redensarten vorkommt und den Beigeschmack schmählicher Ahndung hat. Einen wichtig erscheinenden Beleg zitiert Schmeller in seinem Wörterbuch aus den »Paragraphen an Bayerns Prediger«:
»Menscher, gebts acht, daß ihr nicht mit der Zeit mit dem Strohkränzl vor meinem Pfarrhofe vorbeyspazieren müßt, oder daß euch Bueba ins Haberfeld treiben.«
Aber auch dieser Beleg – obwohl er zeitlich nicht sehr früh vor dem ersten aktenmäßig bekannten Treiben anzusetzen ist – ist nicht wertvoll, nachdem eine Schlußnote (zum 1. Stück, Paragraph 15) erklärt: »Es war an vielen Orten Bayerns die Gewohnheit, daß, wenn ein Mädchen zu Fall kam, sie des Abends von den jungen Burschen des Dorfes unter unzähligen Geißelhieben in ein Haberfeld und von da wieder nach Haus getrieben wurde. Der Verführer mußte selbst mitmachen.« Es liegt also hier ein im Zeremoniell völlig anderer Brauch vor.
In einem der Fastnachtsspiele des Nürnbergers Hans Rosenplüt findet Schmeller das Zitat:
— — mülners tochter, die Ir gefangen habt habt durch trugenhait und schlägt s darnach auf die Haberwaid. |
Bei Hans Sachs klagt ein altes Weib, die mit ihrem Geld einen jungen Gatten fand:
Er hat mir all mein gut verthan, und hat sich gehenkt an meine maid, schlagt mich jetzund auf d haberwaid. |
Das alles hat mit dem Haberfeldtreiben nichts zu tun; es handelt sich lediglich um sinnbildliche Ausdrücke, die sich damit begründen, daß man in krasser Not vielleicht Vieh »auf die späteste und trostloseste Weide, die in den Stoppeln des Haberfelds«, (Schmeller) treibt.
Schmeller fügt seinen Zitaten die vorsichtige Erklärung bei:
»Ob diese alte figürliche Redensart etwa gar mit der nur in einigen altbayrischen Gegenden vorkommenden, etwas mehr als sinnbildlichen Zeremonie des Treibens oder Jagens ins Haberfeld in Zusammenhang steht? Ein Ja auf diese Frage wäre ohne Zweifel etwas gewagt. Man müßte vor allem wissen, worin diese Sitte, wenn sie wirklich so alt ist, als man glaubt, früher und ursprünglich bestanden hat. Denn sicher hat auch sie, wie alle dergleichen Dinge, im Laufe der Zeit Veränderungen erlitten. Ist doch selbst darüber, was sie heutzutage noch ist, gehörig Aufschluß zu geben, nicht so leicht, man müßte denn auch einer der Wissenden dieser Art Vehmgerichts sein. Es ist dabei leider weniger aus sittlicher Entrüstung, als aus Eifersucht oder Privatrache darauf abgesehen, eine Person, die irgendein, den gewöhnlichen Gesetzen unerreichbares, wirkliches oder eingebildetes Vergehen sich hat zuschulden kommen lassen, rechtsförmlich in der öffentlichen Meinung ihrer Umgebung zu brandmarken. Dies geschieht durch lautes Ablesen einer derben, gewöhnlich in Reimen verfaßten Spott- und Strafrede, welche gegen diese Person, nicht ohne gelegentliche Ausfälle auch auf manche andere gerichtet ist. Die zu so einer Aktion miteinander Verstandenen, meist jüngeren Leute der Gegend, die, oft Hunderte an der Zahl, den Anordnungen Eines unter ihnen, den sie Haberfeldmeister nennen, gehorchen, kommen, nachdem sie sich, um unerkannt zu bleiben, im Angesicht gehörig entstellt haben, gegen die Mitternachtsstunden in die Nähe des Hauses, in welchem jene Person wohnt, zusammen, und lassen derselben förmlich bedeuten, daß das, was nun erfolgen wird, ihr vermeint sey, mit Formalien, wie z. B.:
»Baua, steh auf, es hat ailfe gschlagn, jetzt wolln wir dei Hur eis Haberfeld jagn.« |
In der Folge schildert Schmeller das Zeremoniell des Treibens und erinnert an das Aschermittwochsgericht zu Burgebrach; 12 auserlesene Jungfrauen saßen hier zu Gericht über eine Menschenfigur, die aller das Jahr über begangener Skandale beschuldigt und am Ende entweder verbrannt oder freigesprochen wurde.
Von größerer Wichtigkeit ist, was Harzheim (conc. germ. III., 126) anführt:
»Wie man behauptet, war das Haberfeldtreiben früher auf die dem Kloster Scheyern gehörige Hofmark Fischbachau oder den sogenannten Ellbacher Winkel beschränkt; erst in der neueren Zeit hat es sich im Landgerichte Rosenheim weiter und zum Teil auch in die Landgerichte Miesbach und Ebersberg verbreitet. Demnach könnte man fast glauben, daß es von den dortigen Vätern Benediktinern als ein sehr wirksamer Pastoralbehelf, wenn nicht eingeführt, doch mehr als anderswo begünstigt worden sei. Auch anderwärts hat die Obrigkeit von solchen Zeremonien, da sie in der Regel ohne Beschädigung der Personen und des Eigentums abliefen, oder aber der Schaden ersetzt wurde, wenig davon Kenntnis genommen, bis in den jüngsten Jahren.«
Oskar Panizza hat in seiner Studie »Die Haberfeldtreiben im bairischen Gebirge« (Berlin 1897) das Alter des Brauches aus Etymologien und verwandten Sitten feststellen wollen. Er geriet bei der Unmenge an Material ins Uferlose.
Einer, der aus dem reichen Schatze seines historischen Wissens wie aus persönlichen Erinnerungen das wertvollste Material für die Geschichte des Haberfeldtreibens hätte zusammenstellen können, ist nun leider dahingegangen: Johann Nep. Sepp.
Sepp vertritt die Meinung, daß es sich im Haberfeldtreiben um einen Brauch »aus deutscher Vorzeit« handle, der germanische Mythologie mit christlicher Legende vermische. Ich entnehme seinem etwas wirren Essay, der im »Heimgarten« (Leykam in Graz) erschien, die folgenden Ausführungen:
»Ein Brauch aus deutscher Vorzeit, über welchen schon manches geschrieben wurde, aber von solchen, die wenig unterrichtet waren, ist das Haberfeldtreiben. Die Sitte hat sich nur in Altbayern im Gebirge erhalten, und zwar zunächst im Mangfalltale und den alten Grafschaften Hohenwaldeck, Maxlrain und Valley, mit der weiteren Erstreckung über die Gerichte Aibling, Miesbach, Tegernsee, Tölz und Rosenheim, sogar mitunter bis Ebersberg und Anzing ins Flachland hinaus, ja ausnahmsweise bis an den Würmsee. Eigentlich hält sich der Brauch zwischen Inn und Isar, aber wenn jemand der Vehme verfällt, sind es jedesmal nicht die Nachbarn, welche ihn treiben oder ins Haberfeld jagen, sondern Genossen auf drei oder vier Stunden Entfernung. Im Innviertel reiten die Burschen schon in der Nacht von Charsamstag auf Ostersonntag mit Musik und Gesang in die Felder den Haberfeldritt, es ist noch eine gutheidnische Flurprozession. Unsere Voreltern trieben uranfänglich vorzugsweise Haberbau; bei der Ernte ließ man für Großvaters Roß einen Zwickel stehen und die auf dem Halm besonders gebundene Garbe hieß der Haberhalm, Haberbock oder Habergais. Noch heute läßt der Bauer in der Aiblinger Gegend beim Mähen etwas weniges übrig, und sagt: ›Das gehört für unsern Herrgott sein'n Schimmel.‹
Wodan, der Erntegott, reitet nämlich selber um und sieht nach, ob alles recht geschieht. Wie aber nach Einbringung der Feldfrüchte die Abrechnung mit dem Ehehalten stattfindet, auch das Gemeinwesen mit Einnahmen und Ausgaben ins Gleichgewicht gesetzt wird, fand zugleich um die herbstliche Tag- und Nachtgleiche im Zeichen der Wage ein Michilting oder allgemeiner Volks- und Gerichtstag statt. So blieb Michaeli das Herbstziel für Zehent und Abgaben in der christlichen Zeit, und die religiösen und bürgerlichen Jahresgebräuche wirken noch nach. Der Tag der Ernte kommt ja selbst im Evangelium als Sinnbild des Weltgerichtes vor, wo die Guten und Bösen wie der Kern von der Spreu gesondert werden. Darum figuriert die Windmühle auch beim Haberfeldtreiben. Wodan selber hält nach der jüngeren Edda auf dem Idafelde das öffentliche Gericht ab, zu welchem die Asen angeritten kommen, und holt als Windgott (Wauwau) zugleich im Sturm die Gehenkten als seine Opfer heim.
Von der Flachsbehandlung rührt der Ausdruck durchhecheln her, und gilt von der Rüge, welche dann mit öffentlichen Sündern in der Gemeinde vorgenommen wird. Unser Haberfeldtreiben ist ein Aufzug, so alt, wie das bayrische Volk. Nach der ideellen Vorstellung hält der alte Gott selber seinen Umzug unter dem Volke, und Christus mit St. Peter tritt nur an die Stelle von Odin und Hönir, um die Gastfreundschaft der Menschen zu erproben. Was Einer immer den Armen tut, das hat man Gott zulieb getan, der sich mitunter zu erkennen gibt – dies ist schon gut heidnische Grundlehre. Der alte Gott ist zwar in den Hintergrund getreten und in Bergestiefe eingegangen, aber an seine Stelle tritt der Kaiser, zuvörderst Karl der Große, der die Grafengerichte im ganzen Reiche einführte. Dingstätten mit ungebotenen wie gebotenen Gerichten bestanden von jeher unter heiligen Bäumen, wo ein Stein den Dingstuhl vorstellte, wie in den Dörfern unter der Linde die Gemeinde abgehalten wird.
Der alte Kaiser reitet nun aus dem Untersberg, von wo zwölf Gänge ins Freie führen, ins Haberfeld, und ist wenigstens unsichtbar gegenwärtig. Mit der Anlehnung an die alten Asen bestehen zwölf Haberfeldmeister:Diese 12 Meister, die auch Felix Dahn in der »Bavaria« erwähnt, sind urkundlich nicht zu belegen. die Würde ist auf dem Hause angestammt und vererbt sich wohl seit unvordenklicher Zeit von Vater auf Sohn. Nach ursprünglichem Herkommen können nur ehrengeachtete Männer und Hausväter mittun oder das Unkraut vom Weizen scheiden helfen. Wo immer das Jahr hindurch ein öffentliches Ärgernis eingetreten ist, stellten diese Rachimburgi sich zum Volksgericht ein. Und so geschah es alle Herbste, wenn noch kein Schnee lag, damit man dem Geheimbunde nicht auf die Spur kam. Eine eigentliche Verschwörung oder Beeidigung bei der Aufnahme hat wohl nicht stattgefunden, das Geheimnis wurde ohnedies bewahrt, zumal ein Handschlag für den Schwur hingeht und ›ein Mann ein Wort‹ gilt; gleichwohl bilden die Verbündeten eine geheime Eidgenossenschaft. Die Unparteilichkeit war so heilig gehalten, daß sogar Haberfeldmeister getrieben werden konnten, falls sie selbst wider Recht und gute Sitte handelten. Wer gegen andere einen Stein aufhob, mußte auch selber ›sauber‹ sein. Der Frevler wurde im voraus mehrfach gewarnt und mit dem Ehrengerichte bedroht; nur artete dies in kein blutiges Duell aus, sondern es galt die laute Erklärung des Ehrenverlustes ohne Staatsanwalt.
Daß der Neumond dabei eine Rolle spielte, möchte ich nicht behaupten; getrieben wurde regelmäßig von Samstag auf Sonntag oder am Vorabende eines Feiertages, sowie die elfte Stunde der Nacht angebrochen war. Man macht drei Punkte ausfindig, von wo durch Signalfeuer die Mitteilung geschah oder Einberufung stattfand: am Irschenberg, dann zu Bergham ober Bruckmühl am höchsten Punkte neben der Kapelle, endlich am Schloßberg von Vagen.
So weit war alles in Ordnung, bis ›diese schöne alte Sitte durch die Unvernunft der Polizei beseitigt worden ist‹, wie Wolfgang Menzel klagt. Vernünftige Landrichter waren übrigens auf dieses Dorfgericht nicht eifersüchtig, und König Ludwig I. gab selber einen Wink, es nicht zu ernst zu nehmen und diese Kraftmenschen nicht immer vor Gericht zu schleppen.
Früher wurde die gefallene Dirne von den jungen Burschen mit Geißelhieben durchs Dorf ins Haberfeld gejagt und wieder zurück, auch mußte der ›Schlankel‹, der sie verführt hatte, selber mit auspeitschen helfen. Das Volk also übernahm die Rechtfertigung der öffentlichen Ehre unter lauter Verdammung der vorgefallenen Unbill. Es war ein rechtschaffenes Sittengericht, das dauernde Skandale abschaffen sollte und besser wirkte, als alle heutigen Strafgesetze, auch die Einführung des römischen Rechtes lange überdauert hat. Eigentlich ergänzte es die Rechtspflege, wenn ›Fräulein Justiz mit der wächsernen Nase‹, volkstümlich zu reden, den großen Dieb laufen ließ, während der kleine gehenkt ward. Gibt es doch genug Fälle, wo das Gesetz von der Ruchlosigkeit gar keine Notiz nimmt, und der Frevler, der sich auf der Grenzlinie des geschriebenen Rechtes hält, ungestraft durchkommt. Was nicht verboten ist, gilt für erlaubt, heißt es bei durchtriebenen Kalfaktern mit oder ohne Frack, denen die Gerichte hinaushelfen.
Es stellt sich mehr und mehr heraus, daß beim oberbayrischen Bauernkrieg 1705 die Haberfeldtreiber eine erste Rolle spielten. Die Muttergottesfahne, mit welcher die Valleyer auszogen, hatte der Subdekan von Weyarn, Pater Florentin Haspieder, geweiht, auch in drei Predigten zum Aufstand für Fürst und Vaterland wider die fremde Unterdrückung aufgefordert. Zu diesem Feldbanner stand der Nachbar Balthasar Riesenberger, Huf- und Waffenschmied von Bach, in der Pfarrei Neukirchen, also ein notorischer Schmied-Balthes, der unter den Gefallenen in der Mordweihnacht verzeichnet ist.
Das Haberfeldtreiben hat uranfänglich eine rein moralische Grundlage, und zeigt fort und fort von der Sittenstrenge der alten Deutschen, wie sie Tacitus schildert. Jemand ins Haberfeld jagen heißt eigentlich, ihn aus dem Kreise ordentlicher Leute und zum Orte selber hinaustreiben. Um aber die Wegwerflichkeit bildlich auszudrücken, wurden leere Haberhalme oder taubes Stroh auseinandergezupft und in den Wind oder zu Boden geworfen. Die Hauptsache ist der Schlußakt, wo dann die Teilhaber mit klappernden Windmühlen, Ketten, Kuhschellen und Peitschen einen Höllenlärm vollführen oder Katzenmusik und Charivari veranstalten. Damit ist Name und Gedächtnis gebrandmarkt und der Ärgernisgeber von der ehrlichen Gesellschaft ausgeschlossen.
Der Rechtshandel der Haberfeldtreiber ging, wie wir an einem Vorgange sahen, auch in die soziale Bewegung ein und nahm noch früher sogar eine politische Richtung. Bei der zunehmenden Parteiung im Volksleben und Zerklüftung der Gemeinden, dann dem Argwohn und Strafregiment der Obrigkeit wird dieses patriarchalische Ehrengericht wohl kaum mehr zu Ehren kommen, wo nicht gar in sich erlöschen. Hat doch auch die Ausartung damit begonnen, daß statt gewissenhafter Hausväter junge Burschen sich das Richteramt anmaßten und die Spottverse auf die Unsitte selber unsauber lauteten. Jedenfalls ist es jetzt die höchste Zeit, eine richtige Schilderung von dem rechtmäßigen Gebrauche zu treffen, soll anders die verlässige Kunde erhalten bleiben.«
Man sieht: auch die etwas krausen Ausführungen Sepp's gaben den Untersuchungen nach der Entstehung des Brauches keinen Boden. Es war ihm wie den Grimm, Simrock, Dahn, Schmeller u. a. m. unmöglich, zwischen dem Brauch von heute und den außerordentlich zahlreichen leise verwandten Bräuchen, die aus der vorchristlichen bis zur mittelalterlichen Zeit bekannt sind, eine verbindende Linie zu finden.
Man nimmt zumeist den Klosterbezirk Fischbachau als Geburtsstätte des Brauches an, freilich ohne die notwendige Begründung zu geben. Wenn man diese Geburtsstätte nur wenig nach dem Norden verschieben würde, käme eine neue interessante Version zur Geltung, deren Kenntnis ich Herrn Ludwig Schönchen-München verdanke.
Diese Version geht von der Tatsache aus, daß die Haberer sich bei ihren nächtlichen Gerichten als Sendlinge und Beauftragte Karls des Großen bezeichnen. Keinesfalls ist diese Bezeichnung ganz willkürlich entstanden; zum mindesten führt sie auf eine Gerichtsbarkeit zurück, die Karl der Große den bayrischen Grafschaften gab – und es mag vielleicht der Fall sein, daß nach dem sanften Erlöschen dieser zäh am Leben gebliebenen Rechte der Volksbrauch sich den Titel anmaßte und in Unzufriedenheit mit der neuen Rechtspflege als heimlicher Urteils Sprecher nach dem alten System auftrat.
Die Sitte also etwas nach Norden verpflanzt: nun ist der ursprüngliche historische Sitz der Haberer im Warngau. Dort sind die Warner zu Ende des 6. Jahrhunderts ansässig geworden, Sachsen-Thüringer also, deren ursprüngliche Heimat Mecklenburg ist. Es ist möglich, daß die Warner gewisse mehr volkstümliche Einrichtungen sächsischer Art, wie Freiengerichte, auch in der neuen Heimat pflegten und sich dadurch von den monarchisch regierten Bauern der Umgebung unterschieden. Dann könnte in dem Haberfeldtreiben die älteste Form des sächsischen Volksgerichtes erblickt werden, wie es sich in Westfalen zum Fehmgericht ausgewachsen hat.
Die Grafschaft Warngau wurde im Jahre 788 durch Karl den Großen organisiert, mit dem Sitz in Pinzenau bei Glonn. Jedenfalls verlieh der Kaiser den Warngauern auch die Gerichtsbarkeit, die wohl im Namen Karls des Großen ausgeübt wurde. Als diese später von den Herzögen aufgehoben wurde – im Jahre 1365 wird diese Aufhebung bestätigt – konnte dann das althergebrachte Recht in den Rahmen des Volksbrauches übergehen und als heimliches, weil verbotenes, Rügegericht weiterbestehen, um allmählich seine Funktionen zu verringern und sich schließlich lediglich auf das Gebiet sexueller Vergehen zu erstrecken.
Auch in diesem Falle wäre dem Brauch ein ziemliches Alter zuzuschreibenDer »Bayrische Volksfreund« berichtet unterm 16. November 1826 über ein Haberfeldtreiben in Thalham bei Miesbach mit der Bemerkung: »Schon beinahe über 70 Jahre sind es, daß das sogenannte Haberfeldtreiben ein Ende genommen«. – aber ein urkundlicher Nachweis ist auch hier nicht zu führen.
Um so mehr müssen die Aufstellungen über »12 Haberfeldmeister« usw. befremden, ebenso wie die über einen »Habererbund«, die ohne jede Belege gegeben werden. In dem ältesten Akt, der Mitteilungen über die Sitte enthält, finde ich das Treiben als Novum (1766) geschildert; im Jahre 1834 tritt es gewissermaßen als Kirchweihbelustigung auf:
»Am Kirta müessma doch aa an Gspaß ham . . . « |
Aus den sechziger Jahren erhalte ich dann verlässige Mitteilungen durch den Bauern Andreas Niedermeier von Maxlrain, den Sepp als »sicheren Haberfeldmeister« anführt. Indeß: Andreas Niedermeier war lediglich in den Jahren 1860-1863 infolge seines weittragenden Organs Rugsprecher und wenn er sich auch »Meister vom Flachland« nannte, so hatte er doch organisatorisch gar nichts anderes zu tun, als daß er sich gelegentlich mit Freunden und Haberergenossen nach neuen Kräften für die Nachskandale umsah, vielleicht – wie viele andere auch – zu den Treiben »einsagte« und Verse mit fabrizieren half.
Der Brauch war so allgemein, daß man eben jeden jungen Burschen als Haberer betrachten konnte und daß besondere Talente durch ihr Organ oder durch ihre Pfiffigkeit besondere Posten erhielten. Die Organisation, wenn es überhaupt eine gab, war nur sehr locker; sie konnte nur darin bestehen, daß man die Treiber für ein Haberfeld nach Maßgabe der örtlichen Entfernungen auswählte und daß die in Betracht kommenden Organisatoren entweder geschulter in den Regeln waren oder radaubedürftiger als die andern.
Was endlich die Behauptung anbelangt, daß nur reife ernste Männer früher an den Treiben beteiligt waren, so ist aktenmäßig nachgewiesen, daß schon vor 150 Jahren lediglich junge Burschen die Sitte pflegten. Wenn – und das ist später ebenso der Fall – mannhaftere Leute mittrieben, so beweist das nur ein längeres Festhalten an der Burschensitte und eine durch die Anzahl der Jahre nicht geschmälerte Radaulust.
Harzheim glaubt, daß die Propstei Fischbachau das Haberfeldtreiben vielleicht zur Sitte erhoben, jedenfalls aber begünstigt habe.Für diese Annahme ist die Aussage des Wirtes Anton Lindl von Feilnbach (das ja im Bereich der Propstei lag) zutreffend, die im Jahre 1826 vom Landrichter von Aibling protokolliert wurde: »Man sagt sogar, daß dieser Unfug von der Geistlichkeit unterstützt wird, wo schon mehrere denselben diesen Herrn als eine Sünde sollen gebeichtet haben, und aber der Pfarrer ihnen erklärt hätte, daß es keine Sünde sey, das Laster zu bestrafen; ja man behauptet sogar, daß die Geistlichen, z. B. der Pfarrer Kirchberger von Au und der Pfarrer Kreitmeier von Elbach öffentlich in Wirtshäusern oder vielmehr in ihren eigenen pfarrlichen Zechstuben Lobreden auf dieses Haberfeldtreiben machen und, was leicht zu vermuten ist, jeden Meineid deswegen absolvieren . . .« Des ferneren berichtet im selben Jahre der Miesbacher Landrichter an die Regierung über das Haberfeldtreiben als einen »einfältigen und tollen Spuk, den selbst die Geistlichkeit als Strafe der Gefallenen recht gerne sieht«.
Wenn das der Fall ist, so hat sich das Kloster einen Feind erzogen. Kern teilt in seinem »Oberbayrischen Sittenbild: Die Haberfeldtreiber« (3. Auflage, Stuttgart 1862) die folgende aktengemäße Tatsache mit:
»Im Jahre 1790 wurde dem Probst von Fischbachau getrieben. Die Veranlassung dazu eignet sich nicht für diese Blätter.Der Propst hatte einen ziemlich ausschweifenden Lebenswandel geführt. Der Probst gebot Gegenwehr, da sich aber keiner von den Klosterleuten dazu verstand, nahm er selbst dem Klostermaier das Gewehr aus der Hand und schoß – traf einen Tiroler, der auf der Brücke stand, dieser konnte just noch profitiert werden, dann starb er. –
Jeden anderen hätte diese rasche Tat auch sogleich das eigene Leben gekostet. Der Probst, der höhern Geistlichkeit zugehörig, war indes doch – besonders für die damalige Zeit – eine zu gewichtige Persönlichkeit, um eine solche Sühne zu gestatten. Eine Kriminaluntersuchung wurde zwar sogleich eingeleitet, aber das Verfahren der Justiz befriedigt die Haberer nie. Der Probst war auf freiem Fuß, im Genuß seiner Probstei, und den Probst wollten sie fort haben. Die Justiz ging ihnen zu langsam.
Von dieser Zeit an schien sich eine Anzahl Kobolde mit unirdischen Kräften begabt gegen ihn, seine Habe und seinen Frieden verschworen zu haben, und kein erdenklicher Schabernack blieb unverübt. Saaten wurden ihm verwüstet, junges Holz abgetrieben, Wege abgegraben, Wasserrieseln in seine Felder geleitet, seine jungen Bäume geringelt, seine Heerden vertrieben, seine Fischhalter ausgeleert, seine Getreidewagen auf offenem Felde verbrannt, ganze Gebräue Bier verdorben, kurz jeder denkmögliche Schaden getan, ohne daß auf ein einziges Individuum mit Sicherheit ein Verdacht geleitet werden konnte.
Keine Vorsicht, keine Wachsamkeit, nichts verfing. Es schienen Geisterhände im Spiel, und der Probst stand des Morgens nicht auf, und legte sich des Abends nicht nieder, ohne einen gründlichen Ärger. Er war ein harter, willensfester Mann, ertrug das Ding eine Weile. Endlich gab er sich. Er fühlte, daß er der zähen, hartnäckigen Rachsucht seiner geheimnisvollen Gegner nicht länger widerstehen konnte. Er verließ die Probstei, und mit ihm waren auch die Kobolde abgezogen.«
Die Darstellung Kerns ist vollständig der Wahrheit entsprechend. Kern ist überhaupt einer der wenigen gewesen, die es damals wagten, im Roman den Altbayern von der weniger bekannten Seite zu schildern, wie der nachfolgende Abschnitt beweist (der auch nicht uninteressante Streiflichter auf die Notwendigkeit des Haberfeldtreibens wirft):
»Wer eine hohe Idee von Sitteneinfalt und Sittenreinheit nach dem Oberlande mitbrächte, würde sich sehr getäuscht finden. Die Geschlechter genießen einer zügellosen Freiheit im gegenseitigen Umgang, und das Kammerfenstern hat sich zu derselben bedauerlichen Berechtigung verhelfen, wie der Kiltgang in der Schweiz. Daß ein Brautpaar eine Familie von vier und fünf Kindern mit an den Traualtar bringt, ist weder eine Seltenheit, noch eine Schande. Sind die Leute aber verheiratet, dann tritt Ordnung und Mäßigung an die Stelle der früheren Zügellosigkeit, und Mann und Frau richten ihren Sinn auf das Erwerben. Und der landbauerliche Erwerb ist ein schwerer und langsamer, man mag noch so viel von hohen Kornpreisen und bäuerlicher Hoffahrt sprechen. Wohl sechzigmal muß der Bauer den Pflug handen, die schwere Scholle treten, wohl sechzigmal mit Zagen die schwarzen Wolken heranrücken sehen, wohl sechzigmal die Sichel schwingen, bis die sechzig Kreuzer, die einen Gulden ausmachen, auch rein gewonnen sind.«
»Weit häufiger als in den Städten sieht man auf dem Lande die ungleichartigsten Paare zusammengekoppelt, den sechzigjährigen Greis mit dem zwanzigjährigen Weibe, oder die fünfzigjährige Frau mit dem fünfundzwanzigjährigen Manne, ohne daß diese Ehen zu solchen schauderhaften Experimenten werden, wie in den Städten. Die junge Frau sieht neben dem alten Manne die neuen Tücher und Röcke, den Schrank voll gerollter Leinwand, und der junge Mann gegenrechnet bei den Runzeln und grauen Haaren der Seinigen die Felder, das Vieh und die Gulden, die er zugleich mit ihr geheiratet hat, und hält sich für abgefunden.«
Das Sexualleben auf dem Lande war also damals – insofern es sich heute gebessert hat – durchaus nicht nach den Ansprüchen einer sittlichen Warte geartet. Da es also vielseitig Ärgernis gab, gegen das die weltlichen Gerichte nur in ganz besonderen Fällen vorgehen konnten, war ein volkstümliches Rügegericht vielleicht notwendig.
Über das Zeremoniell des Haberergerichtes wird im folgenden Kapitel eingehend berichtet werden. Hier sei einiger Varianten gedacht.
Hermann von Schmid gibt in seinem Roman »Der Habermeister« (Leipzig 1873) eine eingehende Schilderung des Zeremoniells, das so ziemlich an die heilige Vehme erinnert und das Haberfeldtreiben zu stark idealisiert. Da verlangt der Meister, nachdem er die Anklagen in einer Vorversammlung bespricht :
»Der Leumund sagt es; das Habergericht verlangt den Beweis. –« Diesen Beweis aber haben die Haberer leider immer beiseite gelassen. Hermann von Schmid läßt den Haberfeldmeister zum Beschluß des Vorgerichtes eine Ähre zerreißen zum Zeichen dafür, daß die besprochene Person dem Habergerichte verfallen sei. Auch Sepp führt dieses Zeremoniell an. Ich konnte leider weder mündliche noch schriftliche Belege dafür finden.
Dagegen gab ein Akt über die Person des Teufels beim Haberfeldtreiben Auskunft. Das Volk erzählt sich, daß der »Sparifankerl« bei keinem Treiben fehle. Immer, wenn sämtliche Treiber vom Meister bei ihren (fingierten) Namen aufgerufen waren und mit »Hier!« geantwortet hatten, erscholl plötzlich ein überzähliges »Hier!«, das den Teufel zur Stelle meldete.
Ein ländlicher Gendarm, der über ein am 26. März 1827 zu Steingraben bei Elbach stattgefundenes Haberfeldtreiben zu berichten hat, schreibt:
»Die Namen wurden verlesen, jeder antwortet mit ›Hier!‹ Darnach ward abgezählt, wobei sich immer fand, daß Einer zu viel sey, weshalb der Ableser rief:
»Einer ist darbey, den thun wir nit kennen, Gaißfüß hat er 2, wie möcht er sich wohl nennen? Ich bild mir's schon ein, der Teufel mueß's seyn!Aus diesem Treiben hat die lückenhafte Aufzeichnung des Gendarmen die folgenden Verse übermittelt:
(Es herrscht zu viel Unzucht; den Übelstand müssen die Haberer beheben.) |