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Das Gebiet der altbayrischen Folklore ist nicht in dem Maße seiner Ergiebigkeit bearbeitet worden. Die volkstümlichen Liedersammlungen beschränken sich auf den Charakter von Blütenlesen und verlieren durch den Geschmack und die Wahl, die ihre Herausgeber in der Zusammenstellung leiteten, die notwendige Objektivität. Am meisten ist bezüglich der sogenannten Schnaderhüpferl gesündigt worden; indem man einerseits lediglich purifizierte Ausgaben veranstaltete, wurde der Charakter des ebenso lyrischen wie sarkastischen, bescheiden schwärmerischen wie erotischen Vierzeilers nur einseitig dargestellt, und indem man andererseits zumeist mit tausend Stück-Sammlungen numerisch prunkte, gab man zu viel oder zu wenig dadurch, daß man auf der gleichen Leyer in Varianten sich wiederholte oder aus Stoffmangel minderwertige Füllsel einschob.
Ein Bedürfnis nach Sammlungen altbayrischer Lieder bestand und besteht jedenfalls im Volke selbst. Die reizenden Sammlungen Kobells und Neureuthers sind leider durch die Art ihrer Veröffentlichung nicht Gemeingut geworden, und Hartmanns wertvolle Arbeiten verzichteten von vornherein auf Popularität: infolgedessen wurde der Markt den mehr industriell arbeitenden »Musikalienverlegern« überlassen, die ihn bald mit Trivialitäten überschwemmten. Während sie dem Bauern für seine Zither und seine Guitarre die gangbarsten der alten Volkslieder brachten, mischten sie seinem Repertoire zugleich die neuesten Schlager bei, und der städtische Kitsch wurde auch auf diesem Spezialgebiet des großen Begriffes Volkskunst rasch allgemein adoptiert und verdrängte das bessere Althergebrachte. Es handelt sich nicht nur um eine geschmacklose Mehrung der ländlichen Gesangsnummern; viel schlimmer ist, daß jeder dieser neuen saftlosen Gesänge einen der kräftigeren alten in die Vergessenheit zwingt.
Wenn nun das landläufige Volkslied heute schon dringend der erweiterten Aufzeichnung bedarf, so verlangt die erotische Volksdichtung umsomehr nach Festlegung, als sie bisher mit Peinlichkeit aus allen Sammelwerken ausgeschieden wurde. Umsomehr auch, als sie in der Charakteristik altbayrischen Lebens und altbayrischer Art einen markanten Zug bedeutet und der ungeheuren Anzahl blutloser Figuren, die uns der Bauernroman und die typische Bauernbühne zu schauen gaben, Kraft und Leben bringt, indem sie ihnen die fade Süßlichkeit raubt. Wenn es ein Verbrechen an der altbayrischen Rasse war, ihre Vertreter für Roman und Bühne zu entmannen, so mag es zum mindesten entschuldigt sein, wenn die Folklore Äußerungen dieser Rasse aufzeichnet, die in ihrer derben Kraft sexuelles Leben, wenn nicht Volksgesundheit atmen.
Und es mag auch entschuldigt sein, wenn diese Aufzeichnungen aus einer nichtwissenschaftlichen Feder kommen. Gerade das Spezialgebiet, das der Titel dieses Buches ankündigt, verlangt den langen persönlichen Verkehr mit dem platten Lande. Der aber ist dem Laien möglicher gemacht als dem an die Stadt gefesselten Gelehrten. Ein großes Material häufte sich im Laufe der Jahre in meinen Notizbüchern an; und als ich groteske Proben dieser Aufzeichnungen vor mehreren Jahren in den »Anthropophyteia« veröffentlicht hatte, wurde ich von maßgebenden Persönlichkeiten zu einer umfangreicheren Publikation veranlaßt, die zunächst unter dem Titel »Bauernerotik und Bauernfehme« hauptsächlich den alten Brauch des Haberfeldtreibens behandelt und die im März 1912 durch eine Sammlung erotischer Schwänke der Altbayern fortgesetzt werden soll.
Leider verbot der heikle Stoff eine allgemeine Ausgabe und machte die mir weniger sympathische Form des Privatdruckes zur Notwendigkeit. Aber ich bitte über dieser Tatsache den Ernst der Arbeit nicht verkennen zu wollen.
Starnberg, im März 1911.
Georg Queri