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Winterlieder einer Mutter 1942

I.

/ Den Christbaum hatten wir entbrannt. – –
Wo warst du, lieber Sohn? – –
Wir löschten ihn mit leiser Hand.
Du bist im weißen Reussenland
Und schriebst nicht, lieber Sohn.

/ Der Weihnachtskaktus blühte nicht.
Er hat es wohl gewußt,
Daß du im kalten Kriege bist,
Daß dich die fremde Ferne frißt,
Da reute ihn der Blust.

/ Der erste Hyazinthenstock
Setzt grüne Knospen an.
Wo wirst du weilen, lieber Sohn,
Bei welcher Furt am breiten Don,
Wenn er sie aufgetan?

/ Wo legtest du dein Haupt zur Ruh,
Auf welchem Kissen rauh?
Was tatest du? Was littest du?
Mit welchen Nöten strittest du,
Dieweil er blühte blau?

/ Es tickt die Uhr, der Kessel singt,
Der Vorhang winkt und weht.
Die Dinge all in zagem Ton,
Sie fragen nach des Hauses Sohn,
Der jung im Osten steht.

II.

Ihr sollt der Mütter bange Angst nicht schelten!
Sie ahnen alles um den fernen Sohn.
Wie könnte eurer Tröstung lahmer Ton
In ihres Harrens Qual für andres gelten,
Als für versteckten Spott und hohlen Hohn.

Denn einer Mutter Herz ist alles wissend
Und aller fremden Fährnis ist es bloß.
Es schneit darin. Es ist wie Rußland groß.
Der Panzerwagen, der, die Richtung missend,
Durch Ödnis irrt, durchquert es Stoß um Stoß.

Es ist bedroht von aller wilden Drohung,
Durchjagt von Wölfen auf verwehter Spur,
Umlauert von Kosaken, schwach von Ruhr,
Gequält von Schmutz, geängstet von Verrohung,
Denn undurchschnitten pulst die Nabelschnur.

Drum sollt ihr Mütter mahnen nicht zum Mute.
Denn daß sie gehn, die Lippen schmal und dicht,
Durchs tägliche Getu und schreien nicht,
Des Kinds gedenkend dort in Eis und Blute,
Ist Muts genug vor Gottes Angesicht.


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