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Mystizism der Kunst
Höherer Mystizism der Kunst – als Veranstaltung des Schicksals, als Naturereignis.
Erfindungskunst oder Phantastik
Schlafkammern der zukünftigen Welt
Jede künstliche Gestalt, jeder erfundene Charakter hat mehr oder weniger Leben und Ansprüche und Hoffnungen des Lebens. Die Galerien sind Schlafkammern der zukünftigen Welt. Der Historiker, der Philosoph und der Künstler der zukünftigen Welt ist hier einheimisch; er bildet sich hier, und er lebt für diese Welt. Wer unglücklich in der jetzigen Welt ist, wer nicht findet, was er sucht, der gehe in die Bücher- und Künstlerwelt, in die Natur, diese ewige Antike und Moderne zugleich, und lebe in dieser Ecclesia pressa der bessern Welt. Eine Geliebte und einen Freund, ein Vaterland und einen Gott findet er hier gewiß. Sie schlummern, aber weissagenden, vielbedeutenden Schlummer. Einst kommt die Zeit, wo jeder Eingeweihte der bessern Welt, wie Pygmalion, seine um sich geschaffne und versammelte Welt mit der Glorie einer höhern Morgenröte erwachen und seine lange Treue und Liebe erwidern sieht.
Wir stehen in Verhältnissen mit allen Teilen des Universums, sowie mit Zukunft und Vorzeit. Es hängt nur von der Richtung und Dauer unsrer Aufmerksamkeit ab, welches Verhältnis wir vorzüglich ausbilden wollen, welches für uns vorzüglich wichtig und wirksam werden soll. Eine echte Methodik dieses Verfahrens dürfte nichts weniger als jene längstgewünschte Erfindungskunst sein; es dürfte wohl mehr noch als diese sein. Der Mensch verfährt stündlich nach ihren Gesetzen, und die Möglichkeit, dieselben durch genialische Selbstbeobachtung zu finden, ist unzweifelhaft.
Phantastik
Hätten wir auch eine Phantastik wie eine Logik, so wäre die Erfindungskunst – erfunden. Zur Phantastik gehört auch die Ästhetik gewissermaßen wie die Vernunftlehre zur Logik.
Dryaden und Oreaden
Besondere Arten von Seelen und Geistern, die Bäume, Landschaften, Steine, Gemälde bewohnen. Eine Landschaft muß man als Dryade und Oreade ansehn. Eine Landschaft soll man fühlen wie einen Körper. Jede Landschaft ist ein idealischer Körper für eine besondre Art des Geistes. (Das Sonett.) (Der Witz.) (Sinn fürs Altertum durch die Antiken geweckt.)
Betrachtung der Antiken
Heiligtümer
Man wird durch die Antiken gezwungen, sie als Heiligtümer zu behandeln.
(Archäologie.) Galvanism der Antiken, ihr Stoff; Revivikation des Altertums. Wunderbare Religion, die sie umschwebt; ihre Geschichte; die Philosophie der Skulptur; Gemmen; menschliche Petrifikationen; Malerei; Porträt; Landschaften.
(Archäologie.) Definition der Antike. Antike Darstellung der Antike. Erziehung zu den Antiken.
Produkte der Zukunft und Vorzeit
Der Mensch hat immer symbolische Philosophie seines Wesens in seinen Werken und in seinem Tun und Lassen ausgedrückt. Er verkündigt sich und sein Evangelium der Natur. Er ist der Messias der Natur. Die Antiken sind zugleich Produkte der Zukunft und der Vorzeit – Goethe betrachtet die Natur wie eine Antike; Charakter der Antike, der Epigrammen; die Antiken sind aus einer andern Welt, sie sind wie vom Himmel gefallen. Etwas über die Madonna. Zum Schluß einige Gedichte. Die Betrachtung der Antiken muß gelehrt (physisch) und poetisch sein. Gibt es eine Zentral-Antike oder einen Universalgeist der Antiken? Mystischer Sinn für Gestalten. Die Antiken berühren nicht einen, sondern alle Sinne, die ganze Menschheit.
Alles Vollendete
Mit jedem Zug der Vollendung springt das Werk vom Meister ab, in mehr als Raumfernen, und so sieht mit dem letzten Zuge der Meister sein vorgebliches Werk durch eine Gedankenkluft von sich getrennt, deren Weite er selbst kaum faßt, und über die nur die Einbildungskraft, wie der Schatten des Riesen Intelligenz, zu setzen vermag. In dem Augenblicke, als es ganz sein werden sollte, ward es mehr als er, sein Schöpfer, er zum unwissenden Organ und Eigentum einer höhern Macht. Der Künstler gehört dem Werke und nicht das Werk dem Künstler.
Der Schleier der ewigen Jungfrau
Alles Vollendete spricht sich nicht allein, es spricht eine ganze mitverwandte Welt aus. Daher schwebt um das Vollendete jeder Art der Schleier der ewigen Jungfrau; den die leiseste Berührung in magischen Dunst auflöst, der zum Wolkenwagen des Sehers wird. Es ist nicht die Antike allein, die wir sehn. Sie ist der Himmel, das Fernrohr und der Fixstern zugleich und mithin eine echte Offenbarung einer höheren Welt.
Man glaube nur auch nicht allzu steif, daß die Antike und das Vollendete gemacht sei; gemacht, was wir so gemacht nennen. Sie sind so gemacht, wie die Geliebte durch das verabredete Zeichen des Freundes in der Nacht; wie der Funken durch die Berührung der Leiter oder der Stern durch die Bewegung im Auge.
Gerade so wie der Stern im Fernrohr erscheint und dasselbe durchdringt, ebenso eine himmlische Gestalt in der Marmorfigur. (Poetische Theorie der Fernröhre. Der Stern usw. ist ein spontanes, das Fernrohr oder Auge ein rezeptives Lichtwesen.)
Erinnerung und Ahndung
Nichts ist poetischer als Erinnerung und Ahndung oder Vorstellung der Zukunft. Die Vorstellungen der Vorzeit ziehn uns zum Sterben, zum Verfliegen an. Die Vorstellungen der Zukunft treiben uns zum Beleben, zum Verkörpern, zur assimilierenden Wirksamkeit. Daher ist alle Erinnerung wehmütig, alle Ahndung freudig. Jene mäßigt die allzu große Lebhaftigkeit, diese erhebt ein zu schwaches Leben. Die gewöhnliche Gegenwart verknüpft Vergangenheit und Zukunft durch Beschränkung. Es entsteht Kontiguität, durch Erstarrung Kristallisation. Es gibt aber eine geistige Gegenwart, die beide durch Auflösung identifiziert, und diese Mischung ist das Element, die Atmosphäre des Dichters.
Vorzeit
Sanft und groß ist der Vorzeit Gang: Ein heiliger Schleier deckt sie für den Ungeweihten; aber dessen Seele das Schicksal aus dem sanften Rieseln des Quells erschuf, sieht sie in göttlicher Schöne mit dem magischen Spiegel.
Magische Musik
Absoluter Diskant. Absoluter Baß
Der Mittelpunkt ist ein Konsonant sowie die Peripherie des Universums. Die Betrachtung der Welt fängt im unendlichen, absoluten Diskant, im Mittelpunkt an und steigt die Skala herunter; die Betrachtung unsrer selbst fängt mit dem unendlichen, absoluten Baß an, der Peripherie, und steigt die Skala aufwärts. Absolute Vereinigung des Basses und Diskants. Dies ist die Systole und Diastole des göttlichen Lebens.
Luftseele
(Chemische Musik; vom Ton usw.) Unsre Seele muß Luft sein, weil sie von Musik weiß und daran Gefallen hat. Ton ist Luftsubstanz, Luftseele, die fortpflanzende Luftbewegung ist eine Affektion der Luft durch den Ton. Im Ohre entsteht der Ton von neuem.
Grammatische Mystik
Überall liegt eine grammatische Mystik, wie mir scheint, zum Grunde, die sehr leicht das erste Erstaunen über Sprache und Schrift erregen konnte. (Die wilden Völker halten die Schrift noch jetzt für Zauberei.)
Magische Sprachlehre
Beschwörung
Jedes Wort ist ein Wort der Beschwörung. Welcher Geist ruft – ein solcher erscheint.
Dynamik des Geisterreichs
Die Bezeichnung durch Töne und Striche ist eine bewundernswürdige Abstraktion. Vier Buchstaben bezeichnen mir Gott; einige Striche eine Million Dinge. Wie leicht wird hier die Handhabung des Universums, wie anschaulich die Konzentrizität der Geisterwelt! Die Sprachlehre ist die Dynamik des Geisterreichs. Ein Kommandowort bewegt Armeen; das Wort Freiheit Nationen.
Der Philologe = Wahrsager aus Chiffern = Letternaugur
Begriff von Philologie: Sinn für das Leben und die Individualität einer Buchstabenmessung. Wahrsager aus Chiffern; Letternaugur. Ein Ergänzer. Seine Wissenschaft entlehnt viel von der materialen Tropik. Der Physiker, der Historiker, der Artist, der Kritiker usw. gehören alle in dieselbe Klasse. (Weg vom Einzelnen aufs Ganze – vom Schein auf die Wahrheit et sic porro. Alles befaßt die Kunst und Wissenschaft, von einem aufs andere und so von einem auf alles, rhapsodisch oder systematisch zu gelangen; die geistige Weisekunst, die Divinationskunst.)
(Grammatik.) Die Sprache ist Delphi.
Name des Namens. (Schemhamphorasch)
Eine Definition ist ein realer oder generierender Name. Ein gewöhnlicher Name ist nur eine Nota. – Schemhamphorasch, Name des Namens. Die reale Definition ist ein Zauberwort. Jede Idee hat eine Skale von Namen; der oberste ist absolut und unnennbar. Die Namen werden nach der Mitte zu gemeiner und gehn endlich in antithetische Namen über, von denen der höchste wieder namenlos ist.
Poetische Mystizismen
Der Sinn für das Eigentümliche, Personelle, Unbekannte, Geheimnisvolle
Der Sinn für Poesie hat viel mit dem Sinn für Mystizism gemein. Er ist der Sinn für das Eigentümliche, Personelle, Unbekannte, Geheimnisvolle, zu Offenbarende, das Notwendig-Zufällige. Er stellt das Undarstellbare dar. Er sieht das Unsichtbare, fühlt das Unfühlbare usw. Kritik der Poesie ist ein Unding. Schwer schon ist zu entscheiden, doch einzig mögliche Entscheidung, ob etwas Poesie sei oder nicht. Der Dichter ist wahrhaft sinnberaubt, dafür kommt alles in ihm vor. Er stellt im eigentlichsten Sinn Subjekt-Objekt vor – Gemüt und Welt. Daher die Unendlichkeit eines guten Gedichts, die Ewigkeit. Der Sinn für Poesie hat nahe Verwandtschaft mit dem Sinn der Weissagung und dem religiösen, dem Sehersinn überhaupt. Der Dichter ordnet, vereinigt, wählt, erfindet – und es ist ihm selbst unbegreiflich, warum gerade so und nicht anders.
Unerschöpfliche Fülle
Welche unerschöpfliche Menge von Materialien zu neuen individuellen Kombinationen liegt nicht umher! Wer einmal dieses Geheimnis erraten hat, der hat nichts mehr nötig als den Entschluß, der unendlichen Mannigfaltigkeit und ihrem bloßen Genusse zu entsagen und irgendwo anzufangen. Aber dieser Entschluß kostet das freie Gefühl einer unendlichen Welt und fordert die Beschränkung auf eine einzelne Erscheinung derselben.
Sollten wir vielleicht einem ähnlichen Entschlusse unser irdisches Dasein zuzuschreiben haben?
Der große Rhythmus
Der Hexameter in Perioden, im großen. Großer Rhythmus. In wessen Kopfe dieser große Rhythmus, dieser innre poetische Mechanismus einheimisch geworden ist, der schreibt ohne ein absichtliches Mitwirken bezaubernd schön, und es erscheint, indem sich die höchsten Gedanken von selbst diesen sonderbaren Schwingungen zugesellen und in die reichsten, mannigfaltigsten Ordnungen zusammentreten, der tiefe Sinn sowohl der alten orphischen Sage von den Wundern der Tonkunst als der geheimnisvollen Lehre von der Musik als Bildnerin und Besänftigerin des Weltalls. Wir tun hier einen tiefen, belehrenden Blick in die akustische Natur der Seele und finden eine neue Ähnlichkeit des Lichtes und der Gedanken, da beide sich Schwingungen zugesellen.
»... daß in einer guten Erzählung allemal etwas Heimliches ist«
Es ist seltsam, daß in einer guten Erzählung allemal etwas Heimliches ist – etwas Unbegreifliches. Die Geschichte scheint noch uneröffnete Augen in uns zu berühren – und wir stehn in einer ganz andern Welt, wenn wir aus ihrem Gebiete zurückkommen.
Erzählungen wie Träume
Erzählungen, ohne Zusammenhang, jedoch mit Assoziation, wie Träume. Gedichte, bloß wohlklingend und voll schöner Worte, aber auch ohne allen Sinn und Zusammenhang – höchstens einzelne Strophen verständlich – wie lauter Bruchstücke aus den verschiedenartigsten Dingen. Höchstens kann wahre Poesie einen allegorischen Sinn im großen haben und eine indirekte Wirkung, wie Musik usw., tun. Die Natur ist daher rein poetisch und so die Stube eines Zauberers, eines Physikers, eine Kinderstube, eine Polter- und Vorratskammer.
Die Fabellehre
enthält die Geschichte der urbildlichen Welt
Die Fabellehre enthält die Geschichte der urbildlichen Welt, sie begreift Vorzeit, Gegenwart und Zukunft.
Fabel: Maximum der poetischen, populären Darstellung der Philosophie der ersten Periode – oder der Philosophie im Naturzustand – der vereinzelten Philosopheme der ersten Kultur oder Formation – nicht ursprüngliche Poesie, sondern künstliche, zur Poesie gewordne Philosophie. Zur schönen Kunst gehört sie nicht. Sie ist technisch – Gebild der Absicht, Leiter eines Zwecks. Daher die absichtliche Willkür in der Wahl des Stoffs. Gezwungner Stoff verrät Absicht, Plan eines Vernunftwesens. Der Mensch fühlt sich genötigt, einen Gedanken, als Supplement dieser Erscheinung, hinzuzudenken. Sich leicht verständlich zu machen, hat der Erfinder selbst eine Begebenheit erfunden, die bloß zu diesem Behuf erdacht, schnell und ohne Mißverstand den beabsichtigten Gedanken im Hörer erwecken soll. Vielleicht hat er lange Mühe verwenden müssen, um aus den gemischten, unreinen Begebenheiten, die er erlebte, dieses Resultat zu ziehn, dieses Urteil, diesen Satz zu erhalten und sich von seiner Richtigkeit zu überzeugen. Dies gab ihm Gelegenheit zur Erfindung der Fabel. Er komponierte eine Begebenheit, eine hieroglyphische Formel, die nichts als den Satz enthielt und so physiognomisch sprechend war, daß man ihre Seele nicht verfehlen konnte, daß man bei ihrer Anhörung, bei dieser geistigen Nachbildung, notwendig den darin verborgenen Satz mit nachbilden und auch sogleich, weil man wissentlich ein Menschenwerk, das Produkt einer Absicht, nachbildete, denselben durch Aufmerksamkeit absondern und als Zweck des Werks anerkennen mußte. Je roher die Kunst, je frappanter der Zwang des Stoffs. Auf die Schönheit und Selbstgesetzmäßigkeit der Form legt der erste Künstler keinen Wert. Er will nur einen sichern Ausdruck seiner Absicht – verständliche Mitteilung ist sein Zweck. Je ungeübter der ausscheidende Allgemeinsinn, je weniger fertig der Verstand im Erraten ist, desto kürzer und einfacher muß seine Operation, desto weniger verhüllt, desto loser verknüpft muß die Absicht, der Gedanke mit dem Stoff sein. Die Seele des Kunstwerks muß so nackend als möglich auf der Oberfläche liegen. Sie muß in überspannten, unnatürlichen Bewegungen und Modifikationen des Stoffs, in Karikatur, sich zudringlich zu erkennen geben.
Aus einem Menschen spricht für dieses Zeitalter Vernunft und Gottheit nicht vernehmlich, nicht frappant genug: Steine, Bäume, Tiere müssen sprechen, um den Menschen sich selbst fühlen, sich selbst besinnen zu machen.
Die erste Kunst ist Hieroglyphistik.
Mitteilungs-, Besinnungskunst oder Sprache und Darstellungs-, Bildungskunst oder Poesie sind noch eins. Erst später trennt sich diese rohe Masse – dann entsteht Benennungskunst, Sprache im eigentlichen Sinn – Philosophie – und schöne Kunst, Schöpfungskunst, Poesie überhaupt.
Die Rätselweisheit oder die Kunst, die Substanz unter ihren Eigenschaften zu verbergen, ihre Merkmale mystisch zu verwirren, gehört als Übung des jungen Scharfsinns in diese Periode. Mystische, allegorische Worte mögen der Anfang dieser Popularisierung der frühsten Theoreme gewesen sein – wenn nicht die Erkenntnis überhaupt gleich in dieser populären Form zur Welt kam. Parabeln sind viel späterer Formation. Zur künstlichen Poesie oder zur technischen überhaupt gehört die rhetorische. Der Charakter der künstlichen Poesie ist Zweckmäßigkeit – fremde Absicht. – Die Sprache im eigentlichsten Sinn gehört ins Gebiet der künstlichen Poesie. Ihr Zweck ist bestimmte Mitteilung. Wenn man also Sprache – Ausdruck einer Absicht nennen will, so ist die ganze künstliche Poesie Sprache – ihr Zweck ist bestimmte Mitteilung, Erregung eines bestimmten Gedankens.
Der Roman gehört zur natürlichen Poesie – die Allegorie zur künstlichen.
Die natürliche Poesie kann oft ohne Schaden den Schein der künstlichen, der didaktischen haben. Er muß aber nur zufällig, nur frei damit verknüpft sein. Dieser Schein der Allegorie gibt ihr dann noch einen Reiz mehr – und sie kann nicht Reize (Inzitamente jeder Art) genug haben.
Musik, Plastik und Poesie sind Synonymen.
Das Märchen
Das Märchen ist gleichsam der Kanon der Poesie
Das Märchen ist gleichsam der Kanon der Poesie. Alles Poetische muß märchenhaft sein. Der Dichter betet den Zufall an.
Naturanarchie, abstrakte Welt, Traumwelt
Nichts ist mehr gegen den Geist des Märchens als ein moralisches Fatum, ein gesetzlicher Zusammenhang. Im Märchen ist echte Naturanarchie. Abstrakte Welt, Traumwelt, Folgerungen von der Abstraktion usw. auf den Zustand nach dem Tode.
Achse des Märchens
Sonderbar, daß eine absolute, wunderbare Synthesis oft die Achse des Märchens – oder das Ziel desselben ist.
Zur Theorie der Märchen
Wird eine Geschichte ins Märchen gebracht, so ist dies schon eine fremde Einmischung. Eine Reihe artiger und unterhaltender Versuche, ein abwechselndes Gespräch, eine Redoute sind Märchen. Ein höheres Märchen wird es, wenn, ohne den Geist des Märchens zu verscheuchen, irgendein Verstand (Zusammenhang, Bedeutung usw.) hineingebracht wird. Sogar nützlich könnte vielleicht ein Märchen werden.
Der Ton des bloßen Märchens ist abwechselnd – er kann aber auch einfach sein. Bestimmte Theorie der Märchen.
Die Ähnlichkeit unserer heiligen Geschichte mit Märchen
Höchst sonderbar ist die Ähnlichkeit unsrer heiligen Geschichte mit Märchen: anfänglich eine Bezauberung, dann die wunderbare Versöhnung usw., die Erfüllung der Verwünschungsbedingung.
Wahnsinn und Bezauberung haben viel Ähnlichkeit. Ein Zauberer ist ein Künstler des Wahnsinns.
Ein Ensemble wunderbarer Dinge
Ein Märchen ist wie ein Traumbild, ohne Zusammenhang. Ein Ensemble wunderbarer Dinge und Begebenheiten, z. B. eine musikalische Phantasie, die harmonischen Folgen einer Äolsharfe, die Natur selbst.
Das echte Märchen
In einem echten Märchen muß alles wunderbar, geheimnisvoll und unzusammenhängend sein; alles belebt. Jedes auf eine andre Art. Die ganze Natur muß auf eine wunderliche Art mit der ganzen Geisterwelt vermischt sein; die Zeit der allgemeinen Anarchie, der Gesetzlosigkeit, Freiheit, der Naturstand der Natur, die Zeit vor der Welt. Diese Zeit vor der Welt liefert gleichsam die zerstreuten Züge der Zeit nach der Welt, wie der Naturstand ein sonderbares Bild des ewigen Reichs ist. Die Welt des Märchens ist die durchaus entgegengesetzte Welt der Welt der Wahrheit und eben darum ihr so durchaus ähnlich wie das Chaos der vollendeten Schöpfung.
In der künftigen Welt ist alles wie in der ehemaligen Welt und doch alles ganz anders. Die künftige Welt ist das vernünftige Chaos; das Chaos, das sich selbst durchdrang, in sich und außer sich ist.
Das echte Märchen muß zugleich prophetische Darstellung, idealische Darstellung, absolut notwendige Darstellung sein. Der echte Märchendichter ist ein Seher der Zukunft.
(Bekenntnisse eines wahrhaften synthetischen Kindes, eines idealischen Kindes.) (Ein Kind ist weit klüger und weiser als ein Erwachsener; das Kind muß durchaus ironisches Kind sein.) Die Spiele des Kindes, Nachahmung der Erwachsenen. (Mit der Zeit muß die Geschichte Märchen werden; sie wird wieder wie sie anfing.)
Die Welt muß romantisch werden
Die Welt muß romantisiert werden. So findet man den ursprünglichen Sinn wieder. Romantisieren ist nichts als eine qualitative Potenzierung. Das niedre Selbst wird mit einem bessern Selbst in dieser Operation identifiziert. So wie wir selbst eine solche qualitative Potenzreihe sind. Diese Operation ist noch ganz unbekannt. Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehn, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es. – Umgekehrt ist die Operation für das Höhere, Unbekannte, Mystische, Unendliche – dies wird durch diese Verknüpfung logarithmisiert – es bekommt einen geläufigen Ausdruck. Romantische Philosophie. Lingua romana. Wechselerhöhung und Erniedrigung.