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Was ist Mystizismus?
Was ist Mystizismus? Was muß mystisch (geheimnisvoll) behandelt werden? Religion, Liebe, Natur, Staat. – Alles Auserwählte bezieht sich auf Mystizism. Wenn alle Menschen ein paar Liebende wären, so fiele der Unterschied zwischen Mystizism und Nichtmystizism weg.
»Alles Mystische ist personell«
Alles Mystische ist personell und mithin eine Elementarvariation des Weltalls.
Religion und Liebe
Es gibt manche Blumen auf dieser Welt, die überirdischen Ursprungs sind, die in diesem Klima nicht gedeihen und eigentliche Herolde, rufende Boten eines bessern Daseins sind. Unter diese Boten gehören vorzüglich Religion und Liebe. Das höchste Glück ist, seine Geliebte gut und tugendhaft zu wissen, die höchste Sorge ist die Sorge für ihren Edelsinn. Aufmerksamkeit auf Gott und Achtsamkeit auf jene Momente, wo der Strahl einer himmlischen Überzeugung und Beruhigung in unsre Seelen einbricht, ist das Wohltätigste, was man für sich und seine Lieben haben kann.
Die Liebe ist der Endzweck der Weltgeschichte, das Amen des Universums.
Liebe kann durch absoluten Willen in Religion übergehn. Des höchsten Wesens wird man nur durch Tod wert. (Versöhnungstod.)
Unendliche Wehmut der Religion
Mitleid mit der Gottheit
Warum kann in der Religion keine Virtuosität stattfinden? Weil sie auf Liebe beruht. Schleiermacher hat eine Art von Liebe, von Religion verkündigt – eine Kunstreligion, – beinah' eine Religion wie die des Künstlers, der die Schönheit und das Ideal verehrt. Die Liebe ist frei –, sie wählt das Ärmste und Hilfsbedürftigste am liebsten.
Gott nimmt sich daher der Armen und Sünder am liebsten an. Gibt es lieblose Naturen, so gibt es auch irreligiöse.
Religiöse Aufgabe: Mitleid mit der Gottheit zu haben.
Unendliche Wehmut der Religion. Sollen wir Gott lieben, so muß er hilfsbedürftig sein. Inwiefern ist im Christianismus diese Aufgabe gelöst?
Liebe zu leblosen Gegenständen. Menschwerdung der Menschen. Vorliebe Christi zur Moral.
Unglück ist der Beruf zu Gott
Die Zukunft ist nicht für den Kranken, nur der Blick des Gesunden kann sich dreist in ihre wunderlichen Wege verlieren. Unglück ist der Beruf zu Gott. Heilig kann man nur durch Unglück werden, daher sich auch die alten Heiligen selbst ins Unglück stürzten.
Glückliche Leute
Das sind glückliche Leute, die überall Gott vernehmen, überall Gott finden, diese Leute sind eigentlich religiös. Religion ist Moral in der höchsten Dignität, wie Schleiermacher vortrefflich gesagt hat.
Symbole
Symbole sind Mystifikationen. Der Ausdruck Sinnbild ist selbst sinnbildlich.
Das Äußre ist ein in Geheimniszustand erhobnes Innere. (Vielleicht auch umgekehrt.)
Die Blüte ist das Symbol des Geheimnisses unsers Geistes.
Bild
Bild – nicht Allegorie, nicht Symbol eines Fremden: Symbol von sich selbst.
Zufall
Aller Zufall ist wunderbar, Berührung eines höhern Wesens, ein Problem, Datum des tätig religiösen Sinns.
Prophezeiungen
Prophezeiungen könnten auch aus Gefälligkeit und Einmütigkeit des Schicksals mit dem Propheten wahr werden.
Wunderkraft des Glaubens
Wunderkraft des Glaubens. Aller Glaube ist wunderbar und wundertätig. Gott ist in dem Augenblicke, als ich ihn glaube. – Glauben ist indirekt wundertätige Kraft. Durch den Glauben können wir in jedem Augenblick Wunder tun für uns, oft für andre mit, wenn sie Glauben zu mir haben.
Glauben ist hienieden wahrgenommene Wirksamkeit und Sensation in einer andern Welt, ein vernommener transmundaner Aktus. Der echte Glaube bezieht sich nur auf Dinge einer andern Welt. Glauben ist Empfindung des Erwachens und Wirkens und Sinnens in einer andern Welt. Angewandter, irdischer Glaube: Willen. Glauben: Wahrnehmung des realisierten Willens.
Wunder
Können Wunder Überzeugung wirken? Oder wäre nicht wahrhafte Überzeugung, diese höchste Funktion unsers Gemüts und unsrer Personalität, das einzige, wahre, Gott verkündende Wunder? Jedes Wunder muß isoliert in uns bleiben, unverknüpft mit unserm übrigen Bewußtsein, ein Traum. Aber eine innige moralische Überzeugung, eine göttliche Anschauung, dies wäre ein reales bleibendes Wunder.
Der Wunder höchstes
Sollten gewisse intellektuelle Grenzen oder Unvollkommenheiten der Religion wegen da sein wie die Hilflosigkeit der Liebe wegen? Wir haben uns, um verbunden zu sein, auf unendliche Art, auch mit den Transmundanern, zu Menschen bestimmt und einen Gott wie einen Monarchen gewählt. Deduktion der Geister aus dem Wesen der Vernunft. Unsre Verhältnisse mit ihnen. (Poetische Weltform.) Wir haben keine Grenze des intellektuellen Fortschritts usw., aber wir sollen uns welche ad hunc actum, transitorische Grenzen setzen, begrenzt und unbegrenzt zugleich, Wunder tun können, aber keine tun wollen, alles wissen können, aber nicht wollen. Mit der richtigen Bildung unsres Willens geht auch die Bildung unsers Könnens und Wissens fort. In dem Augenblick, wo wir vollkommen moralisch sind, werden wir Wunder tun können, i. e. wo wir keine Wunder tun wollen, höchstens moralische. (Christus.) Der Wunder höchstes ist eine tugendhafte Handlung, ein Aktus der freien Determination.
Mystische Kraft
Überall wird eine Kraft oder Aktion ( quod idem est) transitorisch sichtbar, die durchaus verbreitet, unter gewissen eintretenden Bedingungen (Berührungen) sich zu offenbaren, wirksam zu werden scheint. Diese mystische Kraft scheint die Kraft der Lust und Unlust zu sein, deren begeisternde Wirkungen wir so ausgezeichnet in den wollüstigen Empfindungen zu bemerken glauben.
Schwärmer und Mystiker
In allen wahrhaften Schwärmern und Mystikern haben höhere Kräfte gewirkt – freilich sind seltsame Mischungen und Gestalten daraus entstanden. Je roher und bunter der Stoff, je geschmackloser, je unausgebildeter und zufälliger der Mensch war, desto sonderbarer seine Geburten. Es dürfte größtenteils verschwendete Mühe sein, diese wunderliche, groteske Masse zu säubern, zu läutern und zu erklären – wenigstens ist jetzt die Zeit noch nicht da, wo sich dergleichen Arbeiten mit leichter Mühe verrichten ließen. Dies bleibt den künftigen Historikern der Magie vorbehalten. Als sehr wichtige Urkunden der allmählichen Entwicklung der magischen Kraft sind sie sorgfältiger Aufbewahrung und Sammlung wert.
Magie ist Kunst, die Sinnenwelt willkürlich zu gebrauchen.
Religiosität der Physiognomik
Religiosität der Physiognomik. Heilige, unerschöpfliche Hieroglyphe jeder Menschengestalt. Schwierigkeit, Menschen wahrhaft zu sehn. Relativität und Falschheit der Begriffe von schönen und häßlichen Menschen. Recht häßliche Menschen können unendlich schön sein. Öftere Beobachtung der Mienen. Einzelne Offenbarungsmomente dieser Hieroglyphe.
Wollust der Religion
Die Sünde ist der große Reiz
Die christliche Religion ist die eigentliche Religion der Wollust. Die Sünde ist der große Reiz für die Liebe der Gottheit. Je sündiger man sich fühlt, desto christlicher ist man. Unbedingte Vereinigung mit der Gottheit ist der Zweck der Sünde und Liebe. Dithyramben sind ein echt christliches Produkt.
Dem echt Religiösen ist nichts Sünde.
Umarmung – Abendmahl
(Thetische Bearbeitung des Neuen Testaments oder der christlichen Religion.)
Ist die Umarmung nicht etwas dem Abendmahl Ähnliches?
»Mehr über das Abendmahl«
Das gemeinschaftliche Essen
Das gemeinschaftliche Essen ist eine sinnbildliche Handlung der Vereinigung. Alle Vereinigungen außer der Ehe sind bestimmt gerichtete, durch ein Objekt bestimmte und gegenseitig dasselbe bestimmende Handlungen. Die Ehe hingegen ist eine unabhängige Totalvereinigung. Alles Genießen, Zueignen und Assimilieren ist Essen, oder Essen ist vielmehr nichts als eine Zueignung. Alles geistige Genießen kann daher durch Essen ausgedrückt werden. – In der Freundschaft ißt man in der Tat von seinem Freunde oder lebt von ihm. Es ist ein echter Trope, den Körper für den Geist zu substituieren und bei einem Gedächtnismahle eines Freundes in jedem Bissen, mit kühner, übersinnlicher Einbildungskraft, sein Fleisch, und in jedem Trünke sein Blut zu genießen. Dem weichlichen Geschmack unsrer Zeiten kommt dies freilich ganz barbarisch vor – aber wer heißt sie gleich an rohes, verwesliches Blut und Fleisch zu denken? Die körperliche Aneignung ist geheimnisvoll genug, um ein schönes Bild der geistigen Meinung zu sein – und sind denn Blut und Fleisch in der Tat etwas so Widriges und Unedles? Wahrlich, hier ist mehr als Gold und Diamant, und die Zeit ist nicht mehr fern, wo man höhere Begriffe vom organischen Körper haben wird.
Wer weiß, welches erhabene Symbol das Blut ist? Gerade das Widrige der organischen Bestandteile läßt auf etwas sehr Erhabenes in ihnen schließen. Wir schaudern vor ihnen, wie vor Gespenstern, und ahnden mit kindlichem Grausen in diesem sonderbaren Gemisch eine geheimnisvolle Welt, die eine alte Bekanntin sein dürfte.
Um aber auf das Gedächtnismahl zurückzukommen – ließe sich nicht denken, daß unser Freund jetzt ein Wesen wäre, dessen Fleisch Brot und dessen Blut Wein sein könnte?
So genießen wir den Genius der Natur alle Tage und so wird jedes Mahl zum Gedächtnismahl, zum seelennährenden wie zum körpererhaltenden Mahl, zum geheimnisvollen Mittel einer Verklärung und Vergötterung auf Erden, eines belebenden Umgangs mit dem absolut Lebendigen. Den Namenlosen genießen wir im Schlummer – wir erwachen, wie das Kind am mütterlichen Busen, und erkennen, wie jede Erquickung und Stärkung uns aus Gunst und Liebe zukam, und Luft, Trank und Speise Bestandteile einer unaussprechlichen lieben Person sind.
Angewandte Religion
Alle unsre Neigungen scheinen nichts als angewandte Religion zu sein. Das Herz scheint gleichsam das religiöse Organ. Vielleicht ist das höhere Erzeugnis des produktiven Herzens – nichts anders als der Himmel.
Indem das Herz, abgezogen von allen einzelnen wirklichen Gegenständen, sich selbst empfindet, sich selbst zu einem idealischen Gegenstande macht, entsteht Religion. Alle einzelnen Neigungen vereinigen sich in eine, deren wunderbares Objekt ein höheres Wesen, eine Gottheit ist; daher echte Gottesfurcht alle Empfindungen und Neigungen umfaßt. Dieser Naturgott ißt uns, gebiert uns, spricht mit uns, erzieht uns, beschläft uns, läßt sich von uns essen, von uns zeugen und gebären; kurz ist der unendliche Stoff unsrer Tätigkeit und unsers Leidens. Machen wir die Geliebte zu einem solchen Gott, so ist dies angewandte Religion.
Der Jüngste Tag
Der Jüngste Tag ist die Synthesis des jetzigen Lebens und des Todes (des Lebens nach dem Tode).
Der Jüngste Tag wird kein einziger Tag, sondern nichts als diejenige Periode sein, die man auch das tausendjährige Reich nennt.
Jeder Mensch kann seinen Jüngsten Tag durch Sittlichkeit herbeirufen. Unter uns währt das tausendjährige Reich beständig. Die besten unter uns, die schon bei ihren Lebzeiten zu der Geisterwelt gelangten, sterben nur scheinbar; sie lassen sich nur scheinbar sterben; so erscheinen auch die guten Geister, die bis zur Gemeinschaft mit der Körperwelt ihrerseits gelangten, nicht, um uns nicht zu stören. Wer hier nicht zur Vollendung gelangt, gelangt vielleicht drüben, oder muß eine abermalige irdische Laufbahn beginnen.
Sollte es nicht auch drüben einen Tod geben, dessen Resultat irdische Geburt wäre?
So wäre das Menschengeschlecht kleiner, an Zahl geringer als wir dächten. Doch läßt es sich auch noch anders denken.
Gespenster, – indirekte, falsche, täuschende Verklärung – Resultat der Verfinsterung. Nur dem Weisen, dem schon hienieden Verklärten, erscheinen verkörperte Geister.
Die Glorie jener Welt
Darwin macht die Bemerkung, daß wir weniger vom Lichte beim Erwachen geblendet werden, wenn wir von sichtbaren Gegenständen geträumt haben. Wohl also denen, die hier schon vom Sehn träumten! Sie werden früher die Glorie jener Welt ertragen können.