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Dreizehntes Kapitel.

In diesen trübseligen Tagen öffentlicher Verstörung hatten sich auch die Geister der beiden Freundinnen Mechthildis und Johanna geschieden. Mechthildis blieb sich inmitten der allgemeinen Einschüchterung völlig treu. Ihrer stolzen Seele war es ganz unfaßbar, daß sie aus selbstischer Feigheit Leute verleugnen sollte, mit denen sie eben noch gastlich verkehrt hatte und gegen die nichts vorlag, als die vagen Beschuldigungen eines verrückten oder verleumdungssüchtigen Weibes. Trotz der verstohlenen Abmahnungen des Domherrn und sogar des Meisters Baltzer, die sie nur in Erstaunen setzten, hatte sie ihren Verkehr in den verfemten Familien fortgesetzt; und nachdem sie gesehen, wie es dort stand, wiederholte sie ihre Besuche täglich, um sich mit den Frauen und Töchtern in die Arbeit der entlaufenen Mägde zu teilen, Ordnung zu schaffen, Kinder zu pflegen und die Mahlzeiten zu rüsten, zu denen sie oft das Nötigste erst mitbringen mußte. Die unglücklichen Insassen jener Häuser blickten zu ihr, die sie so oft bald als hochmütig und bald als Beguine bekrittelt hatten, wie zu einem höheren Wesen auf, nun sie als die einzige mit ihrem ruhigen Stolze durch die trüben Fluten der Verleumdung den Weg zu ihnen fand und ihnen vor allen anderen Gaben auch wieder ein wenig Selbstvertrauen brachte. Die Menge folgte ihren Wegen mit Mißtrauen und drohendem Zischeln, in ganz besonderem Maße aber zog sie sich den Unwillen ihrer Standesgenossinnen zu, bei denen sich das Gefühl der Beschämung mit der Angst vor dem ansteckenden Verkehr mischte. Zumal Frau Johanna Kannemann war im Innersten empört über ihre ehemalige Gespielin. Schon zuvor fühlte sie sich als Hauswirtin durch die allzu häufigen Besuche ihrer Gäste im Mechterhause gekränkt, dann hatten die Aeußerungen Cordovas ihr die Gefahr einer unwürdigen Neigung Mechthildis' zu dem ahnenlosen holländischen Glücksoffizier eröffnet, und nun drohten ihr die Holländer noch auf dem Umwege über Mechthildis' Haus das Hexengeschrei in ihr eigenes zu bringen. In dieser Aufregung griff sie endlich zu einem Mittel, das ihr um den Preis einer ganz kleinen Lüge alle drei Uebel mit einem Schlage zu lösen schien: »Fürchtet Ihr denn nicht, Herr Obrist, mit Euren Aufmerksamkeiten bei meiner herzliebsten Freundin Mechthildis Seiner Excellenz, dem spanischen Herrn, zu nahe zu treten?« fragte sie Hans eines Tages mit ihrem schönsten schalkhaften Lächeln. Und da sie aus seiner Bestürzung zu merken glaubte, daß Cordova doch am Ende einige Ursache zu seiner Befürchtung gehabt habe, schlug sie rasch entschlossen noch einmal in die Kerbe: »Ja, wißt Ihr das denn nicht?« rief sie ganz verwundert. »Es ist doch, glaub' ich, nicht erst seit gestern richtig zwischen den beiden. Seine Excellenz hat seine Wohnung ja deshalb schon, unter dem Vorwand, daß er sich über das ewige Hochrufen ärgere, auf den Mechterhof hinaus verlegt, – denn Ihr versteht, wenn sie erst öffentlich versprochen sind, dann muß er ja doch anderswo wohnen.... Aber natürlich gratulieren darf man ihnen noch nicht,« setzte sie schnell hinzu, denn es fiel ihr ein, daß Lügen kurze Beine haben.

Der Oberst Friso verließ bald darauf das Zimmer, um mit seinem Vater eine lange ernste Unterredung zu haben, bei welcher Herr Govaert Friso erst als Beichtvater und dann als Tröster wieder einmal die ganze Güte und Weisheit seines Herzens bewähren mußte. Herr Jobst Kannemann aber, der die Neuigkeiten seiner klugen Frau mitangehört hatte, fragte sie ganz verwundert: »Du, woher weißt du denn das, was du eben dem Oberst sagtest?«

Frau Johanna wurde sehr rot. Ihrem Manne eingestehen, daß sie gelogen habe, – nein, dann lieber noch eins weitergelogen. »Ach Gott,« sagte sie, »so was merkt eine Frau gleich.... Uebrigens kümmere dich nicht um Frauendinge. Sorg lieber, daß ihr im Rat endlich mit den Holländern zum Schluß kommt!«

»Am Sankt Thomastag wird die Akte unterzeichnet,« versicherte Herr Jobst, »wir haben es heute in geheimer Sitzung abgemacht, und dann reisen sie gleich ab, denn an einen ordentlichen Abschiedstrunk ist ja bei all dem Hexenlärm nicht zu denken. Aber sag mal, ist das denn auch sicher mit dem Spanier und Mechthildis?«

»Mein Gott, ja,« erwiderte die gequälte Hausfrau, »sei doch nicht so unausstehlich, Jobst!«

»Holla,« sagte ihr Gatte, »da weiß ich aber einen, den man damit ärgern kann,« und verließ sehr aufgeräumt das Zimmer.

Für Mechthildis hatte das niedliche Manöver ihrer ungetreuen Freundin sehr traurige Folgen. All die widerwärtigen Erfahrungen und Enttäuschungen dieser allgemeinen Unglückstage hatte sie still in ihrem Herzen abgemacht, ohne sich etwas merken zu lassen; nun aber kam eine neue Wahrnehmung hinzu, der sie fast erlag.

Meister Baltzer ertrug es nicht, sie lange stumm leiden zu sehen. Da sie ihm die Ursache ihres Kummers nicht von selbst offenbaren wollte, so beschloß er nach etlichen trübseligen Tagen zu sondieren, und fing frischweg an, mächtig auf die Feigheit der Patrizier zu schelten, die für ihre eigenen Standesgenossen und Verwandten in der Stunde der Gefahr nicht zu sprechen seien.

»Andere Leute machen es nicht besser,« seufzte Mechthildis.

»Ach so,« sagte Meister Baltzer, dem plötzlich ein Licht aufging, »Ihr meint, weil die holländischen Herren sich in den letzten Tagen so rar machen und so kühl benehmen? Jawohl, da habt Ihr recht. Eure liebe Freundin hat ihnen wohl einen Wink gegeben, daß sie sich schaden würden, wenn sie viel mit Euch verkehren, solange Ihr zu den vermeintlichen Hexen und Hexenmeistern geht. Und da nehmen sie sich eben in acht.«

Mechthildis sprang plötzlich auf und trat zornig auf ihn zu. »Schämt Euch, Meister Baltzer!« rief sie, »daß Ihr so etwas sagt, was Ihr selber in Eurem Herzen den beiden Herren nicht zutraut!«

»Du lieber Gott,« erwiderte Meister Baltzer ganz gelassen, »ich meine, Ihr hättet es eben selber gesagt? Aber hört mal, wenn Euch der Oberst Friso – oder meinetwegen auch sein Vater – mit seinem neuen Benehmen und Wegbleiben ärgert, warum fragt Ihr ihn denn nicht in aller Freundschaft selber, was zum Kuckuck ihm auf einmal einfällt?«

Aber diesmal hatte der Wind an ein dürres Blatt gerührt, das noch nicht ganz lose saß. Mechthildis schüttelte heftig den Kopf, dann brach sie in ein Schluchzen aus und verließ wortlos das Gemach.

Meister Baltzer blickte ihr mit einem unverhohlenen Vergnügen nach. »Daß etwas mit diesem Querkopf, dem Hans, nicht in Ordnung ist, das ist klar,« brummte er, »und er soll mir dafür beichten, sobald ich ihn irgendwo fasse. Denn in sein Quartier lassen mich die Kannemanns einfach nicht hinein. Aber daß sie darüber ins Schluchzen kommt, das freut mich. Wahrhaftig, ich kann mir nicht helfen, es freut mich ausnehmend!«



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