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Neuntes Kapitel.

Der hochweise Rat der Stadt hatte die Nachwirkung des Kannemannschen Festes ausgeschlafen und angefangen, das Geschäft mit den holländischen Herren zu erledigen. Das hätte in wenigen Stunden geschehen können; denn der Rat wußte zum Beispiel genau, daß der Staatsrat Govaert Friso die Einwilligung seiner Regierung zum Nachlaß gewisser Zölle in der Tasche trug, und er hatte seinerseits bereits den Entschluß gefaßt, wonach auch für das nächste Jahr holländische Proviant- und Munitionsschiffe unbehelligt unter den neutralen Mauern vorüberfahren und holländische Werber Seite an Seite mit ihren spanischen Kollegen ihren Tisch in den neutralen Wirtshäusern aufstellen durften. Aber die diplomatischen Tanz- und Anstandsregeln erforderten gebieterisch, daß man vor dem Austausch der Unterschriften einige Wochen lang eine anmutige Komödie mit Fliehen und Suchen, Schmollen und Werben aufführte. Für die Ausfüllung der Pausen in diesem staatsmännischen Kotillon sorgte die Gastfreundschaft der Patrizier. Die holländischen Herren mußten viel festliche Strapazen erdulden. Sie bewiesen aber auch so viel feine gesellschaftliche Künste, daß beinahe der Zweck ihres Besuches darunter litt; denn die schönen Patrizierinnen fingen an, ihre Väter und Vettern mit allen Mitteln weiblicher List zu bestürmen, daß sie den Abschied so angenehmer Gäste möglichst lange hinausschöben.

Auch das Mechterhaus war, nach sechs Jahren klösterlicher Stille, wieder der Schauplatz eines glänzenden Festmahles gewesen, zu dem sich der General Gonsalvo Fernandez de Cordova die Erlaubnis und den Vorsitz der Hausherrin erbeten hatte. Die holländischen Herren hatten von ihrem galanten Erbfeind eine Einladung zu diesem Feste erhalten und befolgt. Es war ordentlich, als ob sich die beiden Gegner von Fleurus verschworen hätten, den Eingeborenen dieser Oase vollkommenster Neutralität Anschauungsunterricht in der kameradschaftlichen Höflichkeit zu erteilen. Meister Baltzer hatte seine größte Freude daran. Er versicherte Mechthildis, er wolle die beiden nächstens Arm in Arm malen und das Bild in eine Kirche stiften.

Dieser Treffliche gehörte allerdings nicht zu den Teilnehmern der großen Festessen, nicht einmal mehr als Zuschauer. Er behauptete, sie seien einander alle gleich, und er verpflichte sich, über jedes einen genauen Bericht zu liefern, wenn man ihm nur sage, von wem und zu wessen Ehren es gegeben worden sei. An Gelegenheit, seine Freunde beisammen zu sehen, fehlte es ihm gleichwohl nicht, denn er war ja ein täglicher Besucher in Mechthildis' Hause, und die holländischen Herren waren es ebenfalls. Für ihre Besuche hatte sich ein überaus triftiger, ganz geschäftlicher Grund gefällig eingefunden. Das Stift Marienforst besaß große Güter im nördlichen Gelderland, genau in der Gegend, wo sich Spanier und Niederländer seit zwei Jahren mit Vorliebe zu begegnen pflegten, und wäre sie natürlich sehr gern um einen guten Preis losgeworden; denn wenn auch die Generale beider Parteien höflich genug waren, das Klostergut mit einer salva guarda zu belegen und thunlichst zu schonen, der Ertrag war unter diesen Umständen doch immer sehr unsicher, auch fühlten sich die frommen Stiftsdamen in ihrem Gewissen durch die Aussicht sehr beschwert, im Falle eines endlichen Sieges der Niederländer mit einem Teile ihres Besitztums unter ketzerischen Regenten zu verbleiben. Ein annehmbarer Kaufpreis aber war in dieser Zeit auch schwer zu bekommen. Die leidige Angelegenheit war und blieb ein rechtes Kreuz für das Stift und ganz besonders für den Domherrn von Hernoth, der es als einen persönlichen Kummer empfand, das Vertrauen auf seine maklerische Gewandtheit einmal so völlig enttäuschen zu müssen. Schließlich hatte er sich durch den Meister Baltzer an Herrn Govaert Friso gewandt, der sogleich seine ganze Beihilfe zusagte und am ersten Tage nach seiner Ankunft anfing, mit dem Domherrn und den beiden Stiftsdamen die Sachlage zu erörtern. Zu diesen Besprechungen eignete sich aus mancherlei zarten Rücksichten die geistliche Wohnung des Domherrn ebensowenig wie das Quartier der ketzerischen Gesandten. Somit hatte auf den Vorschlag des Meisters Baltzer Mechthildis ihre Zimmer als neutralen Ort hergegeben, und es war den beiden Stiftsdamen sehr erfreulich, zu sehen, mit welchem Eifer die holländischen Herren, der junge fast noch mehr als der alte, sich der Sache annahmen. Der Oberst Hans Friso ließ trotz schlechtem Wetter, amtlichen und geselligen Abhaltungen keinen Tag vorübergehen, an dem er sich nicht mit neuen Erkundigungen und Anfragen einfand. Meist gesellte sich auch Meister Baltzer, zuweilen sogar Cordova hinzu, so daß die Stiftsdamen immer einen Zuhörer fanden, um das wichtigste geschäftliche Thema ihrer Klostergespräche wieder einmal gründlich darzulegen, während die übrigen zusammen oder paarweise über andere Dinge plauderten. Selbst der Domherr von Hernoth kam auf seine Rechnung, nachdem er in Cordova einen gewiegten Schachspieler entdeckt hatte. Mechthildis bewegte sich inmitten ihrer von so verschiedenen Gästen belebten Räume mit einem Ausdrucke stillsinniger Zufriedenheit, der ihr bei aller mädchenhaften Schönheit etwas ganz Hausfrauliches gab, und wie die Hausfrau nun einmal die Hauptsache in der Familie ist, gewann die wunderliche Versammlung durch sie wirklich den traulichen Anstrich der Familie. Draußen klatschte der greuliche Schlackerregen, der in diesem Winter dem Schnee gar nicht weichen wollte, an die runden Fensterscheiben und ließ die behagliche Wirkung des großen kunstvoll glasierten Kachelofens doppelt angenehm empfinden. Aus irgend einem bequemen Winkel klang das sanfte Gelispel der beiden Stiftsdamen, die dort, mit Plänen und Pachtrechnungen auf dem Schoß, ihrem Opfer – fast immer war es Meister Baltzer – wieder einmal die traurige Geschichte von dem Stiftsgut im Geldernschen auseinandersetzten, und in einer anderen Ecke saß der Domherr mit Cordova beim Schach und gewann gewöhnlich die Partie, denn sein Partner war zerstreut; er blickte zu viel nach Mechthildis hin, die vor einer Zeichnung oder auch vor ihrem Spinnrad saß und sich von dem Obersten Hans Friso unterhalten ließ, und dann zog er falsch. Kam Herr Govaert Friso einmal dazu, der viel durch seine diplomatischen Tanzübungen mit Bürgermeistern und Ausschüssen ferngehalten wurde, so pflegte er gewissermaßen das verbindende Glied herzugeben; er war noch immer wie weiland in Bacharach der Allerweltsvertrauensmann; bald mußte er den Stiftsdamen durch die Maschen einer allzu verzwickten Rechnung helfen oder ihre Seelenpein mit Aufzählung einiger reichen Herren in Holland mindern, die das Stiftsgut möglicherweise kaufen könnten, bald hatte er als Kiebitz bei den Schachspielern die Vortrefflichkeit eines Zuges anzuerkennen. Wenn er aber neben seinem Sohne und Mechthildis stand, so schwieg er am liebsten und begnügte sich, still zuzuhören und seine Seele an dem Anblick des schönen Paares zu weiden. Meister Baltzer hatte wieder einmal geflunkert, als er prophezeite, Mechthildis würde mit den alten Herren den ganzen Tag philosophieren.

Mechthildis schien ihm auch diese Verleumdung nicht nachzutragen. Sie wurde nicht einmal böse, als ihr alter Freund sie am Vorabend des Sankt-Nikolaustages in der Hausschürze, mit aufgestreiften Aermeln vor einem mächtigen Tische überraschte, der ganz mit Düten und Körbchen voll frisch gebackenem Konfekt und anderen Leckereien nebst Paketen in verschiedener Größe bedeckt war.

»Sieh so,« sagte Meister Baltzer, »was ist denn das?«

»Ein Geheimnis,« erwiderte Mechthildis. »Das könnt Ihr schon daraus merken, daß Ihr Euch darum bekümmert.«

»Ich wollte, alle Geheimnisse ließen sich so leicht lösen,« meinte Meister Baltzer. »Denkt Ihr, ich habe keine Augen, um in den Kalender zu sehen, und keine Nase, um vor den Zuckerbäckerläden und vor Eurer Küche zu riechen, was morgen für ein Tag ist? Heute abend geht Sankt Niklas um und beschenkt die artigen Kinder, und es scheint, Ihr wollt die heilige Barbara vorstellen, die ihm die Waffeln bäckt.«

Mechthildis nickte strahlend. »'s ist für die Kinder von meinen Hausarmen,« sagte sie und überblickte prüfend die Herrlichkeiten. »Am liebsten hätte ich es selber mit den beiden Stiftsdamen rundgetragen, sie freuten sich so darauf, und Don Gonsalvo wollte uns begleiten. Nun muß ich es doch der Schwester Gertrud überlassen, weil heut abend wieder Gesellschaft bei den Kannemanns ist. Sie sind ohnedies schon böse, weil ich ihnen ihre Gäste zu viel ablockte. Wenn Ihr aber wollt, könnt Ihr als Knecht Ruprecht die Gertrudis begleiten.«

Meister Baltzer verzog das Gesicht ein wenig. »Danke schön,« versetzte er. »Eure Gertrudis mag eine ganz gute Person sein, aber Ihr wißt, sie paßt nicht recht zu mir. Ich finde, ihr Wesen hat einen Stich ins Heilige – etwas Lila, wißt Ihr – und es könnte ihrem Seelenheil schaden, wenn sie mit einem so gottlosen alten Kameraden herumzöge. Zudem bin ich schon versehen.« Er zog einige Düten aus seinen Manteltaschen.

»Aber für wen denn?« fragte Mechthildis erstaunt. »Ihr habt doch keine Verwandten oder –«

»Ach nein,« sagte Meister Baltzer mit einem Anflug von Trübsinn, »das einzige Kind aus meiner Verwandtschaft bin ich selber. Daher mag's wohl auch kommen, daß ich so gern Süßes esse. Ich glaube, die ganze Schleckerei, die sich sonst auf die Familie verteilt, hat sich in mir vereinigt – wie alle anderen Untugenden. Aber nachher will ich noch ein Stündchen durch die Gassen schlendern, da werd' ich schon hie und da ein zerschlissenes Kinderschühchen am Fenster stehen sehen, das nicht aussieht, als ob andere Leute den Niklas spielen und viel hineinlegen werden, und da kann der Meister Baltzer immer noch aushelfen.«

Mechthildis sah ihn nachdenklich an. »Wenn nun aber –« begann sie zögernd.

»Ihr meint, wenn nun aber das Kind es gar nicht verdient?« ergänzte Meister Baltzer. »Das ist freilich ein ernstes Bedenken, und ich möchte wissen, was aus uns würde, wenn der Herrgott sich das Bedenken auch jedesmal kommen ließe.«

Mechthildis errötete. »Verzeiht,« sagte sie nach einer Weile fast demütig. »Ich glaube, nun habt Ihr mir wieder ein welkes Blatt abgestoßen.«

»Wie meint Ihr das?« fragte Meister Baltzer.

»Ach,« sagte Mechthildis, »es soll nur ein Gleichnis sein. Wißt Ihr, es kommt mir immer öfter so vor, als ob gar vieles von dem, was einem mit sonderlichem Fleiß von klein auf gelehrt und eingeprägt und so von einem Geschlecht zum anderen gegeben wird, – all die Urteile und Vorurteile, die Weltklugheit und Wohlweisheit eigentlich doch nur wie das dürre Laub sei, das winters über an den jungen Eichen hängen bleibt. Manchmal aber kommt etwas darüber, ein gutes Wort aus wertem Munde oder auch ein gutes Beispiel, das streift wie der Frühlingswind Blatt um Blatt ab und läßt wieder Licht und Luft an die Zweige.«

»Ihr müßt Euch das Ding im nächsten Frühjahr noch einmal ansehen, Fräulein Weisheit,« versetzte Meister Baltzer. »Mit den dürren Eichblättern, das hat seine Richtigkeit, aber nicht der Frühling, der von außen darüber weht, streift sie ab, vielmehr der neue Blätterfrühling, der von innen heraus keimt und mit den jungen kräftigen Keimen die rascheligen dürren Reste der früheren Herrlichkeit abstößt. Seht Ihr, so ist das. Und solches ist Euch in der letzten Zeit besonders aufgefallen?«

Mechthildis schien die Frage zu überhören. Sie ordnete ein Weilchen an ihren Paketen herum, dann blickte sie ihm herzlich ins Gesicht und sagte: »Mit Euch ist es ja etwas ganz anderes, Meister Baltzer. An Eurer Seele ist nichts verwelkt und braucht nichts zu verdorren. Ihr seid immergrün, wie die Tannen und Fichten, bei denen allezeit Frühling ist.«

»Oder wie die Stechpalmen,« fügte der alte Maler ein.

»Auch das, wenn Ihr wollt,« sagte Mechthildis lachend. »Wo habt Ihr denn Euren getreuen Famulus gelassen?«

»Den Hendricus? Der sitzt zu Hause. Ich werde mich hüten, den Jungen Euch unter die Augen zu bringen. Ihr stiftet ohnedies schon Uebel genug an mit der Andacht, die Ihr in seinem Herzen für Euch entflammt habt. Seit vierzehn Tagen verbessere ich ihm an der Abzeichnung einer Gipshand herum. Vorgestern dachte ich nun endlich, er habe es erfaßt. Ich verließ ihn mit der angenehmen Hoffnung, daß er bei meiner Rückkehr das Sorgenwerk fertig gebracht habe, und wie ich nach ein paar Stunden unversehens dazu komme, hat sich der Lümmel über mein altes Skizzenbuch hergemacht und ist dabei, die Rötelzeichnung, die ich einmal in einer guten Stunde von Euch genommen habe, mit Farben abzumalen. Natürlich, Ihr lächelt dazu; aber Ihr würdet andere Augen machen, wenn Ihr sähet, mit was für Farbentönen Euer jugendlicher Bewunderer Euch ausgestattet hat. Wenn ich einmal einen besonderen Hang zur Eitelkeit an Euch bemerke, werde ich Euch sein Opus schicken, zur Beschämung und christlichen Selbsterkenntnis.«

»Ihr solltet mir lieber das Original aus Eurem Buche schenken,« bat Mechthildis. »Dann ist es vor seinen Studien sicher.«

Meister Baltzer schüttelte den Kopf und sah ihr behaglich ins Gesicht. »Das geht nicht so schnell,« sagte er. »Wißt Ihr nicht, was ich Euch damals versprochen habe, als Ihr's zuerst saht? Wenn Ihr's einmal einem Liebsten schenken wollt, solltet Ihr es für den bekommen. Seid Ihr denn – «

»Entschuldigt, Meister Baltzer,« fiel Mechthildis hastig ein, »ich muß mich jetzt wirklich zu dem Feste vorbereiten. Ihr wißt, Frauen und Katzen brauchen viel Zeit, um sich zu putzen. Und dann muß ich auch noch darüber nachdenken,« setzte sie lächelnd hinzu, während sie den alten Freund zur Thüre geleitete, »ob ich nicht ein braves Kind vergessen habe, das auch gern etwas vom heiligen Mann hätte.«



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