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Es war eine große und aufrichtige Teilnahme unter dem warmherzigen Winzervolke. Sie hatten sie ja alle gekannt, sie lieb gewonnen in ihrer fremdartigen, elfenhaften Holdseligkeit – und vielleicht sie auch oft beneidet, wenn sie an der Seite ihres Vaters, umgeben vom sorglosen Glück des Reichtums, an ihnen vorüberschritt. Ein Schauern des tiefsten Mitgefühls ging durch die Gemeinde, als Doktor Crustarius in seiner Osterpredigt mit zitternder Stimme Renatas Namen nannte, und der Junker Amtmann, der aufrecht und steif, in Galamontur, in seinem Kirchenstuhl saß, wandte das Antlitz zur Mauer, um vor den Leuten zu verbergen, daß auch ihm die Thränen noch nichts Fremdes waren.
Für die Bacharacher Winzer bedeutete der traurige Fall noch einen besonderen Verlust. Es war ihnen zu verzeihen, daß sie zumal angesichts eines so bösen Weinjahres auch daran dachten. Wenn Mynheer van Tessel jetzt seinen Handel aufgab, so konnten sie lange suchen, bis sie einen gleich angenehmen und zuverlässigen Abnehmer fanden; und schon jetzt war es sicher, daß sie ihren Domine verloren.
Der Domine hatte Hans seinen Entschluß sogleich mitgeteilt, nachdem sich der erste heftigste Schmerz in trauervollem Wechselgespräch ausgelöst hatte. »Unsere Wege, mein lieber Sohn, scheiden sich jetzt. Ich muß zu meinem Admiral. Das versteht sich von selbst, er braucht mich nicht erst zu rufen. Er hat mich nicht allein gelassen, als ich einsam und allein war, so will ich's jetzt noch einmal als Siechentröster versuchen für ihn – ach, fürwahr, einsam und arm ist er jetzt in allem Reichtum! Du aber gehörst fürs erste der Pflicht, die dich heute mit diesem Ehrenband geschmückt hat – will's Gott, so finden wir uns in einem Heerlager wieder zusammen, und vielleicht noch eher, als dein Obrist meint.... Krieg! das ist die Zukunft. Es wird trübe in der Welt.... Und sie war für eine lichte, friedliche Welt geschaffen...« fügte er leiser hinzu. Dann richtete er sich straff auf und sagte laut: »Hans, mein Sohn – einmal schon heute hat dich dein Oberst in Pflicht genommen – gib mir die Hand und gelobe auch mir, dem Degen – und dem Namen, den du trägst, Ehre zu machen.«
»Ich gelobe es,« sagte Hans und ergriff die Rechte des Greises.
»Es ist gut so,« erwiderte der Domine. »Und nun laß mich dir noch eins sagen, Hans. Ich weiß, daß in diesen Monaten ein Gefühl in dir immer mächtiger gewachsen war – obzwar du es mir nie anvertraut hast.... Es war doch unschwer zu bemerken,« fügte er mit einem trüben Lächeln ein. »Du brauchst dich deshalb nicht zu verantworten. Es war über dich gekommen, du hast es nicht gerufen. Und es war auch nichts Unrechtes – mehr noch, du hattest, glaube ich, ein Recht dazu, das höchste Recht: daß sie dasselbe Gefühl für dich trug, heimlich und tief wie du. Sterbend noch, mit der zuversichtlichen Hoffnung, zu genesen, mit der eine gütige Barmherzigkeit diese lange unheilbare Krankheit lindert, hat sie vom Wiedersehen – und vom Vereintsein mit dir geträumt.... Laß mich dir auch sagen, daß ich selber mit euch vielleicht einst davon träumte. Aber das ist nun vorbei. Bewahre dir jedes Angedenken an sie und an dies unerfüllte Glück wie einen Talisman; aber hänge ihm nicht nach in fruchtlosem, thatenlosem Träumen. Sieh, ich habe manchen lieben Gesellen im Weltmeer begraben: ein Gebet, ein Lied, ein Kommando – die Planke sank in die Fluten – und das Schiff folgte weiter seinem Kurs. Und anders ist es im Leben nicht. Alle Segel auf, mein Sohn! Du kannst noch viel Glück schaffen und finden, solange du nicht verzagst und thätig bleibst. Erhalte dich des Glückes würdig, das allein sei dein Totenopfer für ein Glück, das dir nur im Traum beschieden war!«
Hans konnte vor Thränen nicht sprechen, er biß die Zähne zusammen und neigte sein Haupt zu stummem Gelöbnis, und der Domine legte segnend die Hände auf seinen Scheitel. –
Sogleich nach dem Feste reiste der Domine ab, nur von seinem alten Diener geleitet. Der Junker Amtmann hatte es übernommen, mit Hans seine Geschäfte in Bacharach zu ordnen.
Das Schiff fuhr stromab, vorüber an unzähligen Dörfern und Burgen, die im jungen Frühlingsglanze leuchteten, an uralten malerischen Städten mit hohen Domen und trotzigem Mauergürtel. Auch der Domine hatte, öfter als er es Hans gestehen mochte, von dieser Reise geträumt; er hatte von einem jungen Paare geträumt, das mit ihm diese Reise machen werde – die Brautreise ins Vaterland. Auch auf dieser Fahrt begrub er viel Liebes in den Wellen.
Am Nachmittag des dritten Tages sah er die Mauern und Türme der Reichsstadt wieder. Er versuchte, unter den Hunderten von Turmgiebeln jenen herauszufinden, auf dem Hans einst seines Amtes gewaltet; und er verlangte danach, sich mit dem Meister Baltzer auszusprechen. Aber von den Kirchen klang ein trauriges, schwer gemessenes Geläute, vom Maste des einzigen Kriegsschiffes der Stadt, das in traurigem Verfall halbwrack unter dem Schutze der Stapelmauern lag, wehten lange schwarze Wimpel, und die am Stapel liegenden Handelsschiffe hatten auf Halbmast geflaggt: – der Bürgermeister Winand, der letzte seines alten Geschlechts, war gestorben.
»Nein,« sagte der Domine auf eine Frage des Dieners, »nein, David, wir reisen weiter. – Was soll ich den alten Freund jetzt stören?« setzte er für sich hinzu. »Er hat sein Teil zu trösten und ich das meine, es wäre thöricht, uns einander das Herz noch schwerer zu machen.« Er dachte an Meister Baltzers Erzählungen über Mechthildis und verglich ihr Geschick mit dem Adriaans van Tessel. »Einsam und reich, er wie sie – ein schweres Los. Und doch minder schwer noch für ihn. Das Leben kann ihm nichts mehr rauben, in vielerlei Thätigkeit ist er Meister, um die kurze Spanne noch auszufüllen, jenseits deren ihm der Tod friedlich zuwinkt, wie ein befriedigter Gläubiger. Sie aber steht inmitten züngelnder Begehrlichkeit, auf schmaler Klippe, an die sie Herkommen, Stand und alles Vererbte fesseln, – ja, wahrlich, auf dem heißen Stein!«