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Herr Jobst Kannemann, derzeit jüngstes Mitglied des Rates, war kein großes Licht, aber er vereinte in seiner Person zwei wichtige Vorzüge: Reichtum und Freigebigkeit. Was er bei Ausübung der letzteren Tugend noch von dem vornehmen Takte des echten Patriziers vermissen ließ, das ersetzte er reichlich durch gute Laune, die stets bereit war, fremde Vornehmheit bewundernd anzuerkennen. Mit diesen Eigenschaften, unterstützt von einer hübschen und lebenslustigen Frau, war er der berufene Gastmeister der Stadt, und wie jeder andere Staatsgast wären auch die holländischen Herren bei ihm auf jeden Fall einer glänzenden Aufnahme sicher gewesen. Obendrein aber empfahl sie bei ihm ein besonderer Umstand: Herr Sebaldus von Halveren hatte im Rate gegen die Zulassung der Gesandten und ihre Forderungen gesprochen; Jobst Kannemann aber war mit den Halverens völlig zerfallen, seit ihre Partei bei den jüngsten Wahlen den aussichtslosen Versuch gemacht hatte, statt seiner den Junker Lambertus in den Rat zu bringen. So werfen die persönlichsten Verhältnisse, gekränkte Eitelkeit und umgegangene Freundschaft der Mächtigen, den Einschlag in das politische Gewebe. Aber während in einem großen Staatswesen die einzelnen Triebfedern durch ihre Menge und die Ausdehnung des Ganzen schwer erkennbar bleiben, treten sie in einer winzigen Republik deutlich hervor. Wer bei den Kannemanns gerne eingeladen war, der lobte trotz aller konfessionellen Bedenken die Holländer und war geneigt, jede Aeußerung im entgegengesetzten Sinne darauf zurückzuführen, daß der betreffende mit Herrn Sebaldus oder mit dessen liederlichem Sohne in irgend einem dunklen Schuldverhältnis stehe. Für die Menge der kleinen Leute konnte es seit mehreren Tagen keinen anregenderen Gesprächsstoff geben, als die Zurüstungen im Kannemannschen Hause; und in Scharen strömten sie am Abend herbei, um die Auffahrt der reichen Damen und Herren zu dem Bankett zu genießen, das die Kannemanns den holländischen Gesandten gaben.
Eine Auffahrt im eigentlichen Wortsinne war es allerdings nicht; denn die bequemere Mehrheit der vornehmen Gäste zog es in gerechter Würdigung des vaterstädtischen Pflasters vor, sich in Sänften tragen zu lassen, die an Gestalt und Einrichtung einer Droschke des neunzehnten Jahrhunderts ziemlich gleichkamen und reich mit Wappen und Schnitzwerk geschmückt waren. Doch fehlte es auch nicht ganz an großen, schwerfällig gebauten und mit schweren belgischen Pferden bespannten Kutschen. Zur Entfaltung dieses ganzen Trag- und Fuhrparks bot sich vor dem Kannemannschen Hause eine seltene Gelegenheit, da es an einem freien Platze, unfern des Martinsturmes lag. Der Vater des jungen Ratsherrn hatte es sich nach seinem Uebertritt in die Reihen des Patriziats von einem welschen Baumeister errichten lassen, an der Stelle, wo vordem die Kannemannsche Brauerei gestanden hatte; daher hieß es im Volksmunde die Bräupfanne, obzwar es mit diesem einträglichen Gerät keine Aehnlichkeit hatte, vielmehr mit seinem breiten, von ionischen Säulen getragenen Portalgiebel und der schön gegliederten, pilasterreichen Fassade überaus stilgerecht und vornehm aussah. Das ganze Haus war festlich erleuchtet, auch auf dem Platze brannten auf hohen Pfählen Pechschalen und warfen malerische glührote Lichter über das Haus, auf die dichte Menge der Schaulustigen und die farbenreichen Wappen und Beschläge des Gefährts. Rechts und links vom Portal standen zwei städtische Dragoner im Paradeschmuck, als Ehrenwache für das niederländische Wappen, das nach der diplomatischen Sitte der Zeit für die Dauer der Anwesenheit der Gesandten über dem Portal, neben Herrn Kannemanns geliebtem Löwenschilde, aufgehängt war. Hinter diesen ernsten Wächtern regte sich in der breiten Halle eine geschäftige Menge von Dienern, bereit, die ankommenden Gäste zu empfangen und von ihren winterlichen Umhüllungen zu befreien. Hendricus, Meister Baltzers Page, war auch dabei. Auf sein dringendes Bitten hatte Meister Baltzer ihm diese Vergünstigung von Herrn Kannemann erwirkt, und nun stand er drinnen vor dem Eingang zu den Prunkgemächern und vergaß seine Dienerrolle völlig vor farben- und schönheitsfrohem Staunen über alle die Herrlichkeit. »Schöner kann es in der Kaiserburg zu Wien auch nicht sein!« seufzte er. In Wirklichkeit war es in der Kaiserburg lange nicht so schön. Denn dort herrschte noch der einförmige spanische Hofpomp; hier im Westen aber war erst neuerdings – mitten in den Stürmen des Krieges – eine Wandlung in Schnitt und Farben der Trachten zum Siege gelangt, die mit der spanischen Steifheit und Trauerseligkeit aufräumte und der Schönheit wieder das Recht gab, einfach schön zu erscheinen. Das heitere, bequem genießende und männlich schaffende Niederland hatte auch in der Mode den Spanier verdrängt. Freilich war es nur ein kurzer Sieg, und kein vollständiger; viele, zumal ältere Herrschaften, hielten noch an den Wulsten und Ausstopfungen, an den steifen Kragen und Drahthauben fest – ganz abgesehen von der ewig gleichen Würde der mittelalterlichen Amts- und Gelehrtentrachten – und vereinzelt wagten sich schon die Vorposten einer neuen, widerwärtigen Modeentartung heraus, die von Frankreich herkam und die schönen Linien weiblicher Formen durch Wespentaille und Ballonrock entstellte, die freie Mannesstirn unter Kräuselwolken geborgten Haares verbarg. Einstweilen aber hielt sich die feine Mode noch in der gemäßigten Zone, gleich weit von gefrorener Steifheit und von überhitzter Willkür entfernt. Sie erlaubte für die Gewandung der Herren vom Knie aufwärts einen weiten und bequemen, aber nicht weibischen Zuschnitt, der den Ausdruck der Vornehmheit und des Reichtums auch ohne spanische Wattierung und Auspuffung erreichte und den Bewegungen männlicher Kraft mit malerischem Faltenspiel folgte, während vom Knie abwärts die schöne spanische Erfindung der Tricotweberei im Rechte blieb. Bart und Haar waren durch keine eigensinnigen Friseurlaunen entstellt, die Umhüllung des Halses machte es nicht mehr nötig, den Bart zu stutzen, denn an Stelle der steifen, hohen Einzwängung war jetzt der weich nach den Schultern hin abfallende Kragen getreten, über dem sich das Haupt auf freiem Halse stolz erhob. Auch die kostbaren, schöngemusterten Stoffe der Damenkleider ließ diese Mode gefällig, ohne übermäßige Einschnürungen und Wulste, nach dem natürlichen Gesetze der Bewegung und Schwere hinwallen; und selbst gewisse Launen des Reichtums fügten sich ihrem Gesamtstreben auf gesunde, lebenskräftige Erscheinung ein. Die kostbaren, fußbreiten, halb zurückgebogenen Spitzen am weiten Ausschnitt des Damenkleides hoben die von ihnen umrahmten Reize nur noch wirksamer hervor, und die weitgehende Anwendung von Edelsteinen und Perlen, die an Hals und Armen, in den Haaren und sogar auf den Gewändern ihrer schönen Besitzerinnen schimmerten, verlor den Schein des Aufdringlichen durch die künstlerische Anordnung und Fassung, welche die Goldschmiedekunst dieser Zeit ihnen zu geben wußte. Während der hoffnungsvolle Schüler des Meisters Baltzer sich drinnen an so viel Pracht und Herrlichkeit berauschte, mußte sich die Menge draußen in Frost und Wind mit dem flüchtigen Anblick von Pelzmänteln und Umhängen begnügen. Um so reichlicher und lauter fielen hier die Anmerkungen über die Herrschaften selbst. Die städtische Aristokratie war das gewohnt, und sie hütete sich, dem Volke eine Neigung zu unschädlichem Räsonnieren zu verkümmern. Selbst die politischen Kannegießereien, die zwischendurch klangen, entlockten erfahreneren Ratsherren nur ein nachsichtiges Lächeln.
Vornan, inmitten einer Gruppe von Handwerksleuten, stand der stämmige Schmied, der Herrn Sebaldus von Halveren schon einmal durch seine Freude über das noch immer siegreiche Niederland gekränkt hatte. Auch diesmal hielt er mit seiner politischen Weisheit nicht zurück. »Mich freut's, daß die holländischen Herren einen rechten Ehrenabend haben, wenn es auch Ketzer sind. Was geht's uns an, daß sie sich mit dem Spanier herumschlagen? Wehren darf sich jeder. Bei uns im Reich, das ist was anderes, und da hat der gestrenge Herr von Halveren ganz recht: es ist eine Schande, daß unsere alte Stadt müßig zusehen soll, wie sich der Kaiser mit ketzerischen Reichsständen herumschlägt. Aber wenn der Spanier die Holländer durchaus kleinkriegen will, so ist das seine Sache. Mir haben sie nichts gethan.«
»Wahrhaftig, da habt Ihr recht, Meister Anton,« versetzte sein Nachbar. »Seht, ich bin ein guter Katholik, so gewiß als ich ein ehrlicher Schuster bin; und mit der Neutralität, wie's unsere gnädigen Herren vom Rat meinen, das ist nichts. Der Bruder Placidus, von den Franziskanern, hat mir's noch neulich im Beichtstuhl auseinandergesetzt, daß sie eigentlich alle dafür in die Hölle kommen. Ja, der Bruder Placidus meint, daß am Ende nur deshalb jetzt die Hexerei so überhand nehme, weil die Obrigkeit solche verkehrte Politik treibe. Weil ja doch der römische Kaiser unser gesalbter und katholischer Oberherr ist, versteht ihr. Es ist, als wenn mir mein einer Lehrjunge, der Niklas, die Zunge herausstreckt, und ich sag' dem anderen: ›Gib ihm eins hinter die Ohren, daß ich nicht erst deshalb vom Dreibein herunterzuklettern brauche.‹ Dann darf mir der Peter nicht sagen: ›Geht mich nichts an, ich bin neutral.‹ Aber für die Holländer und Spanier, ja, da sind wir neutral. Das ist Ausland, versteht ihr. Und eine Freude ist's, wie sich die holländischen Kabeljauköpfe wehren gegen die spanischen Baseolosmanos! Und nun erst so Herren, wie die zwei da oben, – ei wahrhaftig, was geht's mich an, ob sie Ketzer sind? Drum bin ich doch stolz auf unseren Feuerwächter, was der für ein rechter Kerl geworden ist, und wenn er wollt', macht' ich ihm alle Tag ein Paar Reiterstiefel so gut, als ob sie für den spanischen Herrn, den Cordova, wären. Denn da bin ich neutral.«
Die Nachbarn nickten und murmelten Beifall. Sie waren wirklich stolz auf den Oberst Friso, so wenig sie sich auch um ihn bekümmert hatten, als er noch auf dem Martinsturme saß und für zehn Gulden jährlich ihren Schlaf bewachte. Auch Herr Govaert Friso hatte es ihnen angethan mit seiner ehrwürdigen Erscheinung, ganz besonders aber rechneten sie es beiden hoch an, daß sie die ärgerlichen Kundgebungen bei ihrem Einzug einfach übersehen hatten.
Aber auch hier fehlte es nicht ganz an Störenfrieden. Da war ein langnasiger kräftiger Kerl, der den einen Fuß beim Gehen nachzog und seine Reden mit einem wunderlichen Auf- und Abschieben der einen Hand begleitete, – man nannte ihn von dieser Gewohnheit den Bassuner oder Posauner, übrigens wußte man wenig von seiner Vergangenheit. Vor etlichen Jahren war er in der Stadt aufgetaucht mit seinem Weibe, einer robusten verwitterten Zigeunerschönheit, und war dank der warmen Empfehlung einiger Ordensgeistlichen thatsächlich rasch in die Höhe gekommen, – der Rat hatte ihm nämlich das Amt eines Feuerwächters oben auf dem Martinsturm anvertraut. In seinem Amte war ihm nichts nachzusagen, übrigens stand er in keinem guten Ruf, er galt als ein zänkischer Zechbruder und sein Weib trieb allerhand Besprechungskuren unter der Hand, beide aber waren sie sehr fleißige Kirchgänger. Dieser Kerl machte sich mit allerlei anzüglichen Redensarten über die beiden Gesandten lästig. »Der eine ist ein davongelaufener Stadtknecht, und der andere war früher Winkelpfaff bei den Oberländern, – sie passen zusammen,« schrie er. Ein paar Nebenstehende, geringe Leute, lachten, der Meister Schmied aber verbot ihm derb das Maul und hatte ihn bereits am Wickel gefaßt, als die Erscheinung eines neuen, unerwarteten Festgastes ihn rettete. Dies war der Ratsherr Sebaldus von Halveren. Er war kraft seiner Würde eingeladen, aber niemand, und am wenigsten wohl der Festgeber, rechnete auf ihn. Nun erschien er doch, gemessen und ernst, wie es in seiner Art lag, übrigens zu Fuß und nur von einem Diener geleitet, der ihm die Laterne vorauftrug. Die Kannegießer wußten nicht recht, was sie dazu sagen sollten, unwillkürlich stimmten sie angesichts der Amtstracht und Amtsmiene in die laute Begrüßung der Minderheit ein. Herr Sebaldus dankte mit ernster Freundlichkeit. Den lahmen Posauner, der sich besonders vordrängte, musterte er einen Augenblick nachdenklich, als koste es ihn Mühe, den Mann zu erkennen. »Ihr seid der Feuerwächter vom Martinsturm, der Hieronymus, nicht wahr?« sagte er. »Geht auf Euren Posten, Mann, und treibt Euch hier nicht müßig herum.« Dazu winkte er zweimal bedächtig mit dem Zeigefinger. Der Bassuner nickte, anscheinend beschämt, und zog sich schweigend zurück. Die Bürger blickten mit Befriedigung hinter Herrn Sebaldus her. »Ein gestrenger, fürsichtiger Herr ist's doch!« meinte der Meister Schmied. »Ja, auf Ordnung hat er allezeit gehalten.« – »Aber nicht bei seinem Sohne,« warf der Schuster ein, und es erhob sich ein Gelächter, in welchem sich die öffentliche Meinung über Junker Lambertus erschöpfend aussprach. – »Aber daß er nun doch zu den Kannemanns geht?« – »Das will ich euch sagen: das ist Politik!« erklärte der Meister Schmied und legte bedächtig den Zeigefinger an die Nase. »Wenn die Herren spinnefeind sind, die Ehre geben sie einander doch vor den Leuten, damit der Respekt nicht ausgeht. Seht doch, da kommt sogar die spanische Excellenz angefahren, und die liegt doch mit den Holländern im Kriege!«
Die anderen nickten, ganz dem neuen Augenschmause hingegeben. Ihre Neugier ließ nur eine schmale Gasse frei, durch welche der General Gonsalvo Fernandez de Cordova Mechthildis mit feierlicher Galanterie in das Portal geleitete.
Als dieses erlauchte Paar sich den Festräumen näherte, erwachte Hendricus aus seiner sträflichen Unthätigkeit. Dienstfertig sprang er vor, verbeugte sich tief und öffnete. »Ei sieh,« sagte Mechthildis lächelnd, »bist du auch hier? Und wie höflich und gewandt! Hast du das auch beim Meister Baltzer gelernt?« Das hübsche Knabengesicht errötete vor Seligkeit. »Ja,« stotterte er, »damals schon – als Ihr Euer Bild bei uns besehen kamt.« Auch Mechthildis errötete, wie von einer plötzlichen Erinnerung berührt. Sie erhob den Federfächer, an dessen Knauf ein großer Rubin – einer aus dem berühmten Rubinenschatz des Hauses Mechter – funkelte, und ließ sich schweigend von ihrem Kavalier in den Saal geleiten, wo der Haushofmeister ihre Namen schon mit lautem Rufe verkündet hatte.