Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebentes Kapitel.

Auch Herr Sebaldus von Halveren hatte seinen Platz an der Tafel eingenommen. Sein Benehmen verriet nichts davon, welchen Eindruck die Wirkung seiner Frage an den Oberst Friso auf ihn selbst gemacht habe. Man war es gewohnt, ihn zumal inmitten allgemeiner Lustbarkeit wortkarg und nachdenklich zu finden. Mit einer durch häufige Uebung gestählten Geduld ertrug er die Reihe der offiziellen Tischreden, den Lärm, mit dem Zinken und Pauken jeden Trinkspruch bestätigten, und das für ihn noch peinlichere Geräusch der fröhlichen Unterhaltung. Es dauerte mehrere Stunden, bis sich die Gesellschaft in einen Nebensaal verzog, wo Würzwein und Konfekt geboten wurde, für die Mehrzahl der Herren als Einleitung zum eigentlichen Bankett, den Damen, Geistlichen und älteren Würdenträgern als Abschiedskost. Diesen Zeitpunkt nahm Herr Sebaldus wahr, um sich still zu entfernen.

Als er hinter seinem vorleuchtenden Diener das Portal verließ, lagerte dort trotz Kälte und Regenfeuchte noch eine zahlreiche Menge. Das waren aber nicht mehr die ehrsamen Bürger, die ihn bei seiner Ankunft begrüßt hatten, vielmehr allerlei Gesindlein aus den Armeleuthäusern, aus Herbergen und Bettelgäßchen, das hier draußen auf den Abhub wartete, der ihm wie bräuchlich von der Tafel der Reichen in Körben und irdenen Schüsseln hinausgereicht wurde. Etliche Knechte besorgten die Verteilung, sie fühlten sich bei diesem Amte gegenüber dem Gesindlein als große Herren und Gönner, und Herr Sebaldus lächelte ganz eigen, als er sah, wie vornehm, herablassend und parteiisch sie sich dabei benahmen.

Das Haus der Herren von Halveren lag jenseits des Martinsturmes, ein düsteres massiges Gebäude in einem düsteren, winkligen Viertel, mit einem plumpen, spitzdachigen Rittertürmchen und allerhand verzwickten Erkern und Ausbauten. Es war ein Eckhaus; aus der Straße, auf die sich seine Hauptpforte öffnete, führte zwischen dem Hause und der Gartenmauer eines Krankenhauses ein schmales unbewohntes Gäßchen in der Richtung nach dem Pfahlbauernviertel hin. Nach dieser Seite lagen im Erdgeschoß, hinter unheimlich dicht vergitterten Fenstern, die Geschäftsstuben; die wenigen Fenster der oberen Stockwerke darüber hatte Herr Sebaldus verblenden lassen, angeblich weil er jeden zufälligen Ausblick auf den Garten des Hospitals scheute.

Der Gegensatz zwischen der düsteren, gefängnisartigen Lage und Erscheinung dieses Hauses und dem lichten, lebenslustigen Renaissancebau der Kannemanns war so aufdringlich, daß es selbst Herrn Sebaldus ergriff. Ein alter, mit einem dreiarmigen Leuchter bewaffneter Hausmeister öffnete ihm. »Ist mein Sohn zu Hause?« fragte Herr Sebaldus. Der Alte schüttelte verlegen den Kopf. Die Mienen des Ratsherrn verfinsterten sich noch. »Ihr könnt beide zu Bett gehen,« sagte er kurz, nahm den Leuchter und schritt die breite, knarrende Treppe hinauf zu seinen Gemächern.

Dort, nachdem er die Thür sorgfältig verriegelt, saß er lange vor seinem großen gotischen Schreibtisch, in einige Papiere vertieft, die er aus einer Schublade entnommen. Er sah jetzt, bei dem trüben Scheine der Kerzen, furchtbar verfallen und verstört aus. Indem er rechnete, sank sein Haupt immer tiefer, bis er mit dem spitzen, bartlosen Kinn fast die Tischplatte berührte, und seine schmalen Lippen bewegten sich fiebernd.

Dann lehnte er sich zurück, schloß die Augen halb und rechnete im Kopfe weiter, um immer wieder dasselbe trostlose Ergebnis zu bekommen. Er hatte sich verspekuliert, nicht bloß geschäftlich. Was ihm die Papiere da seit etlichen Tagen immer von neuem erzählten, war schwer genug, aber es war nichts, was nicht jeden Kaufmann treffen konnte, zumal in solchen Zeiten. Ein Warenzug im Werte von vielen Tausenden war im Bergischen in die Finger einer plündernden Bande von Marodeurs gefallen, ein lothringischer Kaufherr, mit dem er seit Jahrzehnten in Verbindung stand und bei dem er sich auch mit der größten Forderung sicher glaubte, war durch spanische und mansfeldische Kontributionen erschöpft und bat um langen Nachlaß; ein ländliches Kloster, das eine große Summe zu üblichen Zinsen dem Halverenschen Geschäft anvertraut hatte, kündigte das Kapital, da es durch Kriegswirren und notwendige Neubauten in die Enge geraten sei; – das alles waren unangenehme Dinge, doppelt unangenehm durch ihr zeitliches Zusammentreffen, aber sie gehörten zu den Zufällen, mit denen jedes Haus in diesen unruhigen Zeiten zu rechnen hatte, und insgesamt machten sie nur einen Betrag aus, der in keinem bedrohlichen Verhältnis zu der Bedeutung seines Hauses stand. Das Schlimme aber war, daß eben diese Bedeutung seit langem nur noch leerer Schein war. Bis jetzt war es ihm gelungen, andere darüber zu täuschen, indem er mit dem verwegenen Geschick des Spielers immer ein neues Loch grub, um das vorige zu füllen, Zinsen bezahlte und Kapitalien verbrauchte; allmählich aber versagte auch diese Kunst. Noch ein oder zwei, an sich kleine Verluste, dann mußte er die Karten auf den Tisch legen, – und schon jetzt, ohne einen greifbaren Anhalt, begann sich das Mißtrauen zu regen. Er hatte, wie in allem, auch geschäftlich das Heimlichthun geliebt; damit hatte er sich, solange es flott ging, im Volke den Ruf eines Reichtums verschafft, der weit über sein wirkliches Vermögen hinausging; aber dieser Ruf war eben kein kaufmännisch gefestigter Kredit, sondern nur das müßige Nebelbild der öffentlichen Meinung, aus Gerede und Mutmaßung zusammengeballt und ebenso leicht durch den Hauch der Schwätzer auseinander geweht.

Es war für Herrn Sebaldus nur ein geringer Trost, daß er bis jetzt keine geschäftliche Unredlichkeit im eigentlichen Sinne begangen hatte. Redlich und unredlich waren für ihn weit undeutlichere Begriffe als klug und unklug, und nichts ängstigte ihn mehr als die Aussicht, vor der Welt am Ende als ein unkluger, schlechter Rechner zu erscheinen. Er war sich bewußt, daß er es sich hatte sauer werden lassen. Von Geburt an war er mit einem Namen behaftet, der die doppelte Last auf ihn legte, mit mäßigen Mitteln den geschäftlichen und den Standesruhm seiner Vorfahren zu erhalten. Er hatte gearbeitet, um mühsam zu erringen und zu behaupten, was anderen, Söhnen des Glückes, wie seinen Vettern Andreas und Winand, spielend zufiel, und es war ihm gelungen: zweimal hatte er den Stab des regierenden Bürgermeisters geführt und war in den schmeichlerischen Anreden fremder Gesandten als einer der adeligen Kaufherren gepriesen worden, »denen von alters her Merkur und Jupiter hold sind«. Und nicht aus bloßem Ehrgeiz hatte er das alles erstrebt und erreicht. Noch ein zweites starkes Gefühl lebte in ihm: die Fürsorge für seinen Sohn, an dessen bessere Gaben er trotz aller Enttäuschungen noch immer hartnäckig glaubte. Ja, wenn es Lambertus gelungen wäre, mit seinem treuen, immer fortgesetzten Werben Mechthildis' Herz zu gewinnen! »Auch in ihr habe ich mich verrechnet,« murmelte Herr Sebaldus grimmig. »Der Vetter von Halveren ist ihr zu einfach. Nach einem glänzenderen Freier hat sie manches Jahr unter ihrer frommen Kutte ausgescharrt, – nun, und jetzt hat er sich ja gefunden, der Rechte: Don Gonsalvo Fernandez de Cordova, Generallieutenant, Grande von Castilien etc. etc.«

Ein Lächeln tiefen Hasses verzerrte das blasse Antlitz bei dem Namen Cordovas, in dem sich ihm zugleich das Mißlingen einer dritten, gewagtesten Reihe von Spekulationen verkörperte. Es war unklug gewesen, die Ungeduld schwankender Anhänger mit der Erfindung von einer geheimen Sendung des spanischen Generals zu beschwichtigen. Wenn es so weiterging, so verlor Herr Sebaldus bei den nächsten Wahlen auch die wenigen Stimmen im Rate, die noch zu ihm hielten; er verlor vielleicht seinen eigenen Sitz. Dann war er, das ehemalige Oberhaupt der Stadt, nur noch der Führer einer Gassenpartei. Herr Sebaldus erhob sich langsam, die Faust auf die Lehne des Sessels stemmend. »So müssen wir das alte Mittel versuchen,« murmelte er. »Flectere si nequeo superos, Acheronta moveboKann ich den Himmel nicht beugen, so ruf' ich zum Beistand die Hölle..« Dann horchte er einige Augenblicke mit verhaltenem Atem. Es war ganz still im Hause; so still, daß er das Rieseln in der auf dem Tische stehenden Sanduhr zu hören glaubte, mit der seine Finger vorhin gespielt hatten. Aus einem Geheimfach des Tisches entnahm er ein Papier und überlas es sorgfältig, worauf er mit der Feder eine Zeile durchstrich. »Die Kannemanns nicht,« murmelte er. »Es könnte Verdacht geben – man weiß zu gut, wie wir miteinander stehen. Und der Hohlkopf ist ja nicht gefährlich.« Dann steckte er das Papier ein und holte aus einem großen Schrank ein wunderliches Kleidungsstück hervor. Es war ein langer hemdartiger Mantel von weißer Farbe mit schwarzer Kapuze, die den Kopf von allen Seiten bedeckte und nur für die Augen Löcher freiließ – die schauerliche Tracht gewisser Brüderschaften, die sich der Pflege und Bestattung der Aussätzigen und Pestkranken widmeten. Nachdem er sich in dieses Gewand gehüllt und eine winzige Laterne angezündet, löschte Herr Sebaldus die Kerzen und öffnete eine kleine Thüre, die auf einen langen, schmalen Gang führte. Ueber diesen Gang, eine enge Schneckentreppe hinab, gelangte er leisen Schrittes an ein Pförtchen. Er öffnete es und stand in dem Seitengäßchen. Vorsichtig schloß er das Pförtchen wieder und machte sich auf den Weg.

Der Novemberregen hatte sich inzwischen gelegt, der Wind ging in schweren, heftigen Stößen und jagte gewaltige, wildzerrissene Wolkenmassen am Himmel her, hinter denen nur ab und zu auf kurze Zeit das Licht des unvollkommenen Mondes trübe vorleuchtete. Es war, zumal bei dem Zustand der Straßen, kein Wetter für Fußgänger. Die wenigen, die Herrn Sebaldus begegneten, hielten sich beim Anblick des weißen Bußhemdes mit der schwarzen Kapuze behutsam zur Seite und vermieden es, zu sprechen oder voll Atem zu holen, bis er vorbei war: denn ebenso groß wie die Achtung vor den menschenfreundlichen Trägern dieses Gewandes war auch die Furcht vor ihrer Berührung. So gelangte er unbehindert bis in die Nähe des Martinsturmes. Dort aber verbarg er seine Laterne unter dem weißen Ueberwurf und wartete, in einen Mauerwinkel gelehnt, bis er sicher war, daß ihn keiner beobachtete. Dann schritt er schnell auf den Turm los. Die Pforte war nur angelehnt; hinter sich verriegelte er sie fest. Dann riß er an einem Schellenzug, der in den Turm hinaufführte. Ein mißtöniges Gebimmel erfolgte, und alsbald tappte von oben der lahme Hieronymus herab.

»Pünktlich wie immer, gestrenger Herr,« meinte er, während er Herrn Sebaldus aus der Vermummung half und den Verschluß der Thüre prüfte. »Gerade habe ich zwei Uhr geläutet. Der Pilger ist oben.«

Herr Sebaldus nickte schweigend und folgte dem Führer, der mit vieler Behendigkeit die steilen Stufen hinaufhumpelte. Durch die Schalllöcher, an denen sie vorüberstiegen, wehte der Nachtwind fröhliche Musikklänge herein.

»Das nimmt ja kein Ende bei den Kannemanns,« bemerkte der lahme Hieronymus giftig. »Nun, sie passen zusammen: der Bräuprotz, der Winkelpfaff und der Bettelhornist.«



 << zurück weiter >>