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Achtes Kapitel.

Als Hans am folgenden Morgen in einer sauberen Wirtskammer erwachte, tauchten erst allmählich in ihm eine ganze Reihe anmutiger Erinnerungen vom gestrigen Abend auf. Er erinnerte sich sogar verschiedener weiblicher Versuche, ihn in die Kunst des Tanzens einzuweihen. Der Ausgang des Abends aber verlief sich in eine undurchsichtige Wolke angenehmen Weindunstes.

Es war ihm, als hätte er sich noch nie so fröhlich und zu allem Lustigen aufgelegt gefühlt. »Der Alte gestern abend hatte recht,« dachte er, »im Weinland bekommt der Wein doch ganz anders!« Der freundlichen Wirtin, die ihm zum Abschied statt des Kerbholzes noch eine wohlgefüllte thönerne Flasche am Riemen überreichte, hätte er am liebsten einen Kuß gegeben, welcher Einfall ihm bei seiner leiblichen Muhme Brigitt nie gekommen war. Als er dann die Uferberge erklommen und unter schattigen Wipfeln hinschritt, war es ihm, als ob in diesem gesegneten Lande immerfort so morgens wie abends Kirmes wäre, nur daß statt der Dorfgeiger vom vergangenen Abend hier die kleinen Waldvögel musizierten und statt der lustigen Winzermädchen Eidechsen und Schmetterlinge über den glatten Moosboden huschten und flogen. Er wurde so übermütig, stimmte bald mit einem frischen Liede in die Weisen der Vögel ein, bald sprang er über einen Waldquell ganz ohne Not hin und her, winkte mit seiner Flasche nach einer durch die Lichtungen von hohem Berggipfel herniederdrohenden Burg herüber und trieb solcher Streiche mehr, daß es dem ernsten Raben ganz unheimlich zu Mute wurde. So wunderlich wirkten die Geister des Moselweins in Hans Maybrunners Seele nach, vielleicht that auch die Erinnerung an seine schmucken Tanzmeisterinnen noch ein übriges dazu. Allgemach aber, wie die lautesten Stimmen des Waldes verstummten und mit den heißeren Strahlen der Sonne die große Stille sich über das grüngoldige Dämmerreich zu breiten begann, wurde ihm ernster und frömmer zu Mute. Es fielen ihm allerlei Reden seines Vaters ein von der Waldfeier, die der liebe Gott selber hält, wenn er im Schweigen der wachsenden Mittagsstille durch seinen grünen Tempel geht, seine Werke beschaut und findet, daß sie gut sind; seine Seele schwoll von Andacht, wie sie vorher in eitel Lustigkeit gesprüht hatte, und als er, schon näher am Ziele denn am Ausgang seiner Wanderung, an einem Kreuzweg eine kleine Kapelle fand, trat er hinein, um sich in heißem, wortlosem Gebete dem Herrn des Waldes und der Welt anzuempfehlen.

Es war eine ganz winzige, alte Waldkapelle, mit einem dürftigen, von verwelkten Kränzen halb umhüllten Bilde des heiligen Hubertus; statt einer Thüre schloß nur ein blütenübersäter Wildrosenstrauch das Gotteshäuschen von der Hauptstraße ab, und das Murmeln eines Bächleins klang von der Seite des anderen, in eine Schlucht hinabführenden Weges aus der Tiefe durch ein zerbrochenes Fensterchen herauf. Eben aber, als Hans wieder hinaustreten wollte, mischte sich in das Murmeln der Klang von Fußtritten und groben Mannesstimmen, und als er vorsichtig durch das Fensterchen lugte, erkannte er zu seinem großen Erstaunen den pluderhosigen Matz und dessen bußfertigen Freund, der aber sehr in Widerspruch zu seiner Pilgertracht jetzt ein rostiges kurzes Reitergewehr, einen sogenannten Dragon, trug.

Die beiden waren so nahe an die Kapelle getreten, daß Hans jedes ihrer Worte verstehen konnte.

»'s ist noch zu früh alleweil,« sagte der Pilgersmann, nachdem er eine Weile die Hauptstraße hinabgeäugt. »Du aber auch mit deiner Ungeduld! Das kommt alles von deinem unsinnigen Gesöff. Gerade wie die Geschichte gestern abend. Wenn ich dich gestern nicht herausgeholt hätte, so hätten dich die Knollfinken von Bauern totgeschlagen.«

»Halb haben sie's schon,« brummte der dicke Matz und rieb sich unter dem Rücken. »Den Kerl, den mit seinem Galgenvogel, der die Geschichte angestiftet hat, – wenn ich den in die Finger kriege, der hat sein letztes Sprüchlein gesprochen.«

Hans überlief es kalt bei diesen Worten, denn er verstand wohl, wen der greuliche Landstreicher mit seiner Drohung meinte; und dabei lehnte sich der Unhold so nahe an die Mauer, daß Hans die Spitze seiner langen Messerscheide zwischen den Rosen dicht vor sich sah. Fest preßte er den Kopf des Raben in die Falten seines Rockes, damit ihn der Vogel nicht durch einen Ausbruch seiner Redseligkeit verrate.

»Wart, bis du ihn kriegst,« antwortete der Pilger gleichgültig. »Heut gibt's was Besseres. Der reiche Holländer hat mehr Geld bei sich, als sonst in einem halben Jahre von Boppard durch den Wald geht. Und dann haben wir noch das leckere Töchterchen zum Zuspitz.«

»Sag mal, langer Pilger, ist denn auch dem Mauskopf zu trauen, daß er uns die beiden sicher abliefert?« fragte der andere.

»Potz Daus, das will ich meinen,« erwiderte der Lange. »Da verlaß dich nur drauf. Meinst du, der Mauskopf hätt' umsonst diese acht Tage drunten in Boppard den Frommen gespielt, bis sie ihm die Kutsche anvertrauten? Nein, alles was recht ist. Ordentliche Kerls müssen ein Zutrauen zu einander haben. Ehrlich Wort und ehrlich geteilt, wenn er uns das Pärchen da unten in die Schlucht kutschiert hat. Und dann aber auseinander! Der Mauskopf muß mit den Pferden ins Pfälzische 'rüber.«

»Ich mach', daß ich ins Kölnische nach Rhens komme.«

»Und ich pilgere ruhig weiter nach Trier,« schloß der »lange Pilger«, während sie wieder vorsichtig den Schluchtweg hinabschritten. »Kerls wie ihr müssen Angst haben, hinter meinem Rock hier sucht kein Amtmann den Teufel. – Uebrigens, einen Tag währt's immer, bis sie die zwei hier finden.«

Die letzten Worte klangen bereits nur noch undeutlich herauf. Hans wartete noch eine Weile, dann schlich er sich vorsichtig wie ein Wiesel, aber mit zitternden Gliedern, auf die Landstraße und kroch so noch eine Strecke fort. Alsdann aber erhob er sich und schritt, so schnell er konnte, fürbaß auf Boppard zu, während der Rabe ihn aufgeregt umflatterte.

Nach einer halben Stunde Wegs sah er in der Ferne eine schwerfällige Kutsche herankommen, von zwei kräftigen Gäulen gezogen. Er stellte sich seitab und wartete.

In der Kutsche saß ein älterer Mann in bequemer dunkler Tracht mit breitem Spitzenkragen; seine Züge waren sehr verwittert, Schnurr- und Knebelbart ganz ergraut. Neben ihm lehnte ein junges Mädchen, trotz der Wärme in einen großen Mantel gehüllt, aus dem fast nur ein Teil ihres Gesichtes hervorlugte.

Weit aufmerksamer als diese beiden faßte Hans den Kutscher ins Auge. Es war ein mittelgroßer, spitzknochiger Gesell mit langen roten Haaren und einer merkwürdig langen spitzen Nase. Hans bemerkte mit vieler Freude, daß er keine andere Waffe als seine Peitsche führte. Dann winkte er dem Rothaarigen geheimnisvoll, trat an den Wagenschlag und fragte höflich: »Um Vergebung, Herr, seid Ihr der reiche Holländer?«

Der Herr sah ihn überrascht an. »Wenn Ihr der reiche Holländer seid, der aus Boppard, so hab' ich Eurem Kutscher da was zu bestellen,« fuhr Hans fort.

Der Kutscher hatte die Pferde zum Stehen gebracht und wandte sich um.

»Es ist mein Vetter, Mynheer,« rief er und zwinkerte Hans verständnisvoll zu. »Er wird mir etwas zu bestellen haben von wegen der Herberge für Euch.«

Damit war er abgestiegen und näherte sich Hans, der ein paar Schritte zurückgetreten war. Im nächsten Augenblicke aber hatte ihn Hans von hinten am Kragen gefaßt, niedergeworfen und kniete nun mit vieler Kraft auf ihm herum.

Der Herr im Wagen hatte ein Pistol hervorgeholt und zielte auf Hans. »Schießt nicht,« schrie dieser, »es ist ein Räuber, er wollte Euch den Räubern zuführen,« und während der Herr die entsetzt aufschreiende und sich an ihn festklammernde Dame mit etlichen Worten beruhigte und aus dem Wagen kletterte, mühte er sich mit aller Kraft, den Kutscher unter sich zu halten. Bei dem Ringen ging mit diesem plötzlich eine Veränderung vor, der unmäßig lange rote Skalp fiel ab und ein Schädel voll kurz geschorener, struppiger Borsten zeigte sich.

»O so!« sagte der Holländer sehr gelassen. Er schien kein Mann von vielen Worten zu sein, aber sehr thatkräftig. Nach einer Minute hatte er bereits mit Hans Maybrunners Hilfe den verdächtigen Mann geknebelt, mit seiner eigenen Peitschenschnur kunstvoll gebunden und visitiert, wobei außer einem breiten Messer auch ein ellenlanger dicker Strick zum Vorschein kam. Mit diesem wurde der Kerl in das sogenannte Schiff unter dem Wagen gebunden. »So, damit wären wir fertig,« sagte der Holländer. »Könnt Ihr kutschieren? Nicht? Na, ich auch nicht, wenigstens nicht vom Bocke aus. Dann müssen wir's so versuchen.«

Mit einiger Mühe gelang es ihnen, die Pferde, die glücklicherweise vom kältesten Schlage waren, zum Umdrehen zu bringen, worauf sie als Fuhrleute neben dem langsam fahrenden Wagen herschritten. Der Rabe saß unterdes in der Kutsche bei dem schönen Fräulein. Er hatte ihr die Perücke des falschen Kutschers im Schnabel gebracht, und wenn sie es auch verschmähte, diese sonderbare Huldigungsgabe anzurühren, so versöhnte sie den Ueberbringer doch durch freundliches Krauen, – und durch die Blicke heißen Dankes, die sie aus ihren großen schwarzen Augen seinem Herrn zusandte. Hans hatte noch nie so seltsame mandelförmige, schwarze Augen gesehen, auch die Farbe des schönen Gesichtes war anders, als er es bis dahin an irgend einer christlichen Frau oder Jungfrau bemerkt hatte.

»So,« sagte der holländische Herr, »das Schiff wäre im richtigen Fahrwasser, alles richtig verstaut, nun legt mal los, wie sich das eigentlich verhält?«



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