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Elftes Kapitel.

Um die dritte Stunde am folgenden Nachmittag kehrte Hans zu einer kurzen Rast in dem uralten Gasthaus zur Lilien in Sankt Goar ein. Er hatte an diesem Tage schon mehrerer Herren Länder durchwandert und viel Schönes unterwegs betrachtet mit dem ganzen Behagen eines, der mit Geld und Papieren genügend ausgerüstet ist, um auf der breiten Heerstraße sorgenfrei zu reisen. Bei den hessischen Zollwächtern am Thore zu Sankt Goar und bei dem Lilienwirt genügte die bloße Berufung auf Mynheer van Tessel, um dem Boten dieses einflußreichen Kaufmanns dieselbe Anerkennung zu schaffen, die ihm die kurtrierischen Thorhüter und Landreiter angesichts seines Passes zu teil werden ließen. Es war köstlich, nach vier Wochen eines polizeischeuen Vagabundenlebens so anerkannt und sicher zu reisen; köstlicher noch, während des Wanderns immer wieder daran zu denken, wie freundlich Renata van Tessel ihm noch vom Schiffe aus zugenickt und nachgeschaut hatte. Diese Erinnerung beherrschte seine Seele so völlig, daß selbst die Neugier, was und wen er nun auf dem heißen Stein finden werde, dahinter zurücktrat. Einem unverdorbenen Herzen wandelt sich die Freude unschwer zum Wunsche, anderen Freude zu machen. Während Hans vor seinem Mahle saß, hörte er draußen vor der Hausthür den Wirt scheltend und abweisend reden, und hinausschauend gewahrte er zwei Franziskanermönche, die den ketzerischen Wirt demütig um einen Imbiß baten. Sie waren ihm schon unterwegs aufgefallen, noch im katholischen Gebiete, wo sie vor einem Winzerhäuschen bei einem guten Trunk Weines saßen, während er im Staube der Straße vorüberschritt. Nun hatte sich das Blatt gewendet. Hans aber that es leid, die beiden bärtigen Männer – einer war schon in hohen Jahren – so kläglich betteln zu sehen, zumal er daheim in der Reichsstadt von ihren Ordensbrüdern manche kleine Freundlichkeit empfangen hatte. Er winkte dem Wirt und hieß ihn, auf seine Kosten den Fremden Speise und Trank zu bieten. Die beiden Mönche dankten überrascht und gerührt mit manchem lateinischen und deutschen Spruch für die unvermutete Gabe, die sie draußen, bescheiden auf der Bank vor der Thüre sitzend, verzehrten. Der Wirt schien etwas beschämt. »Eigentlich habt Ihr recht,« sagte er zu Hans, »es sind doch auch Menschen wie wir, und ich bin wahrhaftig kein karger Filz. Aber ich darf es nicht thun, um meiner Stammgäste willen. Ich würde ja riskieren, daß unser Pfarrer es nächsten Sonntag von der Kanzel herab rügte, wenn es herauskäme, daß der Wirt zur Lilien ein paar papistischen Glatzköpfen etwas umsonst gegeben hätte. Bei Euch ist es etwas anderes, Ihr seid ein Reisender und mögt schenken, wem Ihr wollt. Ueberhaupt seid ihr Holländer ja nicht so, ich bin selbst in Amsterdam gewesen und habe gesehen, wie sich Reformierte und Katholiken da gegenseitig helfen. Einem Wirt könnt's schon recht sein, wenn wir auch etwas davon annähmen.« Da sich unterdes einige einheimische Gäste einstellten, brach er seine freigeistigen Reden vorsichtig ab, aber er bediente Hans sehr freundlich, und bei der Abrechnung fiel der Posten für die Franziskaner merkwürdig niedrig aus.

»Wenn ich Euch raten darf,« meinte der Wirt, »so solltet Ihr noch ein Stündlein oder zwei bleiben. Es zieht ein böses Wetter überm Hunsrück zum Rhein her.«

Hans lehnte den guten Rat ab, aber nach einer kurzen Strecke Weges fand er, daß der wetterkundige Mann wahr gesprochen. Eine schwere, dunkle Wolkenmasse, in deren fahlen Rändern es unablässig flimmernd aufzuckte, schob sich vom Westen her, und das Unwetter brach los, als der Wanderer eben in jene unheimlichste Enge eingetreten war, wo der Strom schmal, tief und dunkel sich zwischen hohen, schaurig steilen, von keiner menschlichen Wohnung belebten Bergwänden hindurchpreßt. Zumal eine ungeheure, massige Felskuppe des rechten Ufers stemmt sich in furchtbarer Schönheit den Fluten entgegen. Diesem Berge gegenüber, unter einem die Straße überwölbenden Felshang, barg sich Hans in einer kleinen Grotte, um das schlimmste Unwetter vorüberzulassen. Die Finsternis der tiefhängenden Wolken und der strömende Regen verpfählten ihm die Aussicht fast ganz. Nur wenn ein besonders greller Blitz hindurchfuhr, erschien das Riesenhaupt des jenseitigen Felsens einen Augenblick wie in Feuer gebadet, und in der sogleich wieder niedersinkenden Finsternis scholl dann der rollende Donner, vom Wiederhall einmal über das andere zurückgeworfen und wieder aufgefangen, doppelt schaurig.

Ebenso plötzlich aber, wie das Unwetter losgebrochen war, brach es auch nach einem letzten furchtbaren Blitz und Donner ab. Der Regen rieselte nur noch leise nach; die Wolken zerrissen und die eben noch empört aufwallenden Wogen glätteten sich im freundlichsten Sonnenschein.

Schon in den einzelnen sekundenlangen Pausen des Gewitters war es Hans ein paarmal gewesen, als hörte er ganz in seiner Nähe ein einförmiges Gemurmel von Menschenstimmen, ohne daß er die Worte zu erkennen vermochte. Als er nun aus seinem Versteck vortrat, sah er kaum fünf Schritt weiter, unter einer zweiten Grotte, die beiden Franziskaner stehen.

»Benedicite,« rief der Aeltere, als er ihren Gönner wiedererkannte, »treffen wir uns hier? Da haben wir Euch ja gleich mit unserem Gebet ein wenig für Eure Gutthat danken können. Nun wahrhaftig, das war ein Wetterchen! Da kann einem ein bißchen Fürbitte bei den Heiligen nichts schaden, wenn man auch ein Ketzer ist wie Ihr, junger Freund. Und noch dazu an einem solchen Orte. Wißt Ihr auch, daß Ihr jetzt recht eigentlich bei dem heiligen Goar zu Gaste gewesen seid? In dieser Grotte hier hat er sein erstes Bett gehabt, und auf der Klippe dort seine erste Predigt gehalten, recht im Angesicht des Widersachers, wie es sich für einen Heiligen schickt. Denn wie heißt jener Fels da drüben? Die Lurlei heißt er, das ist verdolmetscht der Stein des Lauers, – des Bösen, – diaboli petra! Drüben auf der steilen, düstern Wand lag er wie ein Raubvogel, um den Seelen der Scheiternden aufzulauern, bis der heilige Gottesmann ihn mit manchem kräftigen Sprüchlein herunterscheuchte, daß er ins Wasser fuhr, und es zischte auf, wie wenn ein glühendes Eisen hineinfährt. Lest nur in der Legende nach, oder wenn Ihr einmal nach Koblenz kommt, fragt bei unserem Bruder Pförtner nach dem Bruder Sebastianus, so will ich es Euch verdolmetschen. Aber freilich, jetzt glauben sie in dem Nest da drunten nicht mehr an den Heiligen, von dem es doch den Namen hat, und da hat auch der Böse wieder Macht bekommen und lauert wie zuvor. He?! Ist nicht erst voriges Jahr ein Kahn mit gutem Rheinwein für unser Kloster an dieser verruchten Stelle versunken?«

Nach diesen beweiskräftigen Worten schlug der Bruder Sebastianus ein Kreuz nach der Lurlei hinüber und wandte sich mit dem Jüngeren, der bewundernd zugehört hatte, zum Weitergehen. Hans freute sich der Weggenossen, die sich als heitere und gesprächige Männer erwiesen und ihn mit aufrichtigem Wohlgefallen behandelten. Auch bestanden sie darauf, daß er mit ihnen bei ihren Ordensbrüdern in Oberwesel einkehrte und im kühlen Refektorium einen Becher leerte. »Dort sind wir wieder auf kurtrierischem Boden, – und habt Ihr uns mit Eurem ketzerischen Rheinfelser getränkt, so soll Euch unser gutkatholischer Engehöller auch munden.«

Die beiden Mönche hatten ein Geschäft ihres Koblenzer Klosters in Lorch, gegenüber Bacharach, zu bestellen. »Bis an die Bacharacher Grenze gehen wir mit Euch,« meinte Bruder Sebastianus, »dort wohnt ein frommer Fährmann, der uns um Gotteslohn ins Mainzische übersetzt. Denn Eure pfälzischen Calviner in Bacharach lassen uns nicht herein.«

Sie hatten Oberwesel und die Schönburg schon hinter sich, als sie an einem Winzerhäuschen vorüberkamen, das völlig unbewohnt schien und mit den letzten Spuren eines einst sorgsam gepflegten friedlichen Heims doppelt traurig von der Schönheit der Gegend abstach. Die Barfüßer wandten den Blick ab und bekreuzten sich. Dann, als sie vorbei waren, sagte der Aeltere: »Da hätte Euch auch ein frommes Sprüchlein nichts geschadet, junger Ketzer. Auf die Jungen und Hübschen hat es der Teufel immer am ärgsten.«

»Da habt Ihr wohl recht, Bruder Sebastian,« sagte der Jüngere. »Die Maria Schäfferin in dem Häuschen da war ja auch noch ein junges Blut. Und dann erst das Kind. Erzählt dem jungen Gesellen die Geschichte doch.«

Es war eine Geschichte, dergleichen die Welt damals zu Hunderten in einem Jahre erlebte. Die Maria Schäfferin war eine junge Winzerswitwe gewesen, die mit ihrem zehnjährigen Töchterchen in jenem Hause lebte. Eines Tages hatte man sie und das Kind eingezogen auf die Aussage einer Hexe hin, die auf der Folter unter anderen auch diese beiden als Teilnehmerinnen bei den nächtlichen Teufelstänzen auf dem Königsstuhl bei Rhense angezeigt hatte; und vier Wochen darauf waren sie beide, »nach erlangtem Geständnis«, verbrannt worden. Ihre Habe verfiel dem Fiskus.

»Ich verarg's Euch nicht, wenn Euch eine Gänsehaut überläuft,« sagte der Bruder Sebastian. »Wenn man denkt, wie mächtig der Teufel ist!«

»Gewiß,« meinte der andere Mönch. »Denkt doch nur an die Geschichte, die uns gestern unser gelehrter Bruder Marcellus erzählt hat!«

»Wie war das eigentlich, Bruder Placidus?« fragte der Aeltere. »Ihr wißt, ich war gestern mit dem Esel terminieren und bin ums Zuhören gekommen.«

»Ja, genau habe ich den Fall auch nicht verstanden. Aber ich glaube, so war es. Es war da in irgend einer Stadt, unten nach dem Niederlande zu, eine alte Turmwächterswitwe, eine greuliche Hexe muß es gewesen sein. Und sie hatte einen Raben bei sich. Die kommt eines Tages und sagt, ihr Neffe, der Turmwächter, sei am Morgen nach der Walpurgisnacht von einer Taube fortgerufen worden und aus der Stadt gegangen. Und den Raben habe er mitgenommen. Wie aber die Herren die Sache näher besahen, da fanden sie, daß der Teufel in dem Raben saß. Der habe den jungen Kerl – Hans Maiwurm hieß er, oder so ähnlich – umgebracht und fortgeschleppt.«

»Nun, das ist ja nichts Neues,« meinte Bruder Sebastian und strich sich den grauen Bart. »Eine Hexe muß dem Teufel immer von Zeit zu Zeit eine Seele liefern.«

»Ja, wartet nur. Das Merkwürdigste kommt noch. Die Hexe haben sie natürlich eingesperrt, und anderen Tages –«

»Haben sie sie peinlich befragt?!« schrie Hans so entsetzt, daß beide Mönche ihn mitleidig anstarrten und Bruder Sebastian etwas wie »weiches Kinderherz« murmelte.

»Nein,« fuhr der Jüngere fort, »das ist es ja. Als sie sie anderen Tags befragen wollten, war sie weg. Rein weg. Der Teufel hat sie durch die Wand geholt.«

»Hm, so,« murmelte Bruder Sebastian. »Aber so was kann vorkommen. Ich erinnere mich, der Guardian erzählte uns einmal über Tisch eine Geschichte aus Benevent, – Ihr wißt, das ist für die welschen Hexen, was der Königsstuhl für die unsrigen und der Blocksberg für die lutherischen Hexen aus Sachsen ist. Da hatte der Teufel eine dicke alte Frau in einem Nadelbüchschen aus dem Gefängnis geholt, als Henkersknecht verkleidet. Das Nadelbüchschen haben sie hernach gefunden, aber die Hexe war nicht mehr drin.«

»Ja, aber jetzt kommt das Allermerkwürdigste,« sagte Bruder Placidus und hob den Zeigefinger auf. »Die Geschichte ist einem Jesuiten in die Finger gefallen, der in selbiger Stadt Professor ist, und der hat natürlich gleich eine Schrift darüber aufgesetzt, worin er beweist, wie und warum der Teufel in dem Raben saß und den jungen Burschen holte. Und unseren Fratres in selbiger Stadt hat er dabei auch einen Hieb versetzen wollen, weil der junge Bursch bei denen etlichemal die Predigt gehört habe.«

»Natürlich,« brummte Bruder Sebastian. »Wann läßt ein Jesuit auch einmal die frommen Brüder ungeschoren? Aber sie haben's ihm hoffentlich heimgezahlt, dem Schleicher?«

»Ja, darum haben sie ja gerade an den Bruder Marcellus geschrieben, weil der sozusagen ein Ausgelernter in dem Fach ist. Und denkt euch, just an dem Tage, wo Bruder Marcellus morgens den Bericht kriegt, kommt nachmittags ein fahrender Spielmann mit einem Aeffchen, ein Hinkefuß noch obendrein, ins Kloster und erzählt so ganz nebenbei, daß derselbige angeblich vom Teufel geholte Wächter Hans Maiwurm mit seinem Raben eine ganze Zeit mit ihm und seiner Bande als Musikus herumgezogen sei.«

»Benedicite,« rief der Bruder Sebastian und blieb stehen, »was sagt Ihr da?! Dann war am Ende der vermeintliche Wächter selber der Gottseibeiuns?«

»Beinahe habt Ihr's getroffen, aber nicht ganz. Ach, Ihr kennt den Bruder Marcellus nicht! Das ist ein homo profunditatis, ein tiefer Geist. Nun, ich will Euch nur sagen: der junge Bursche war freilich mit im Teufelsbündnis, aber der Rabe – war die Hexe selbst.«

»Ah!«

»Der Rabe war die Hexe,« wiederholte Bruder Placidus fast schwärmerisch. »Die beiden ziehen jetzt zusammen hier im Land herum, aber man wird sie doch noch einmal fassen. Der Kommandant in Ehrenbreitstein hat gleich gestern abend darum an den Amtmann in Boppard Bericht geschickt, daß man auf sie fahnden soll.«

»Aber weshalb hat sie denn die Geschichte den Herren erzählt?« fragte der Aeltere.

»Nun,« meinte der andere, »das ist ja eben das Feine. Einfach nur, um die Herren und nebenbei die Spürnase von Jesuiten zum Narren zu halten! Sie wußte ja doch, daß der Teufel sie nachts aus dem Gefängnis holen würde. Und dann ist sie als Rabe ihrem sauberen Neffen wieder zugeflogen. Wer weiß, wieviel Seelen die zwei jetzt schon wieder auf dem Gewissen haben.«

»Schrecklich,« murmelte Bruder Sebastian. »Es kann einem ordentlich bang werden. Aber auf die Schrift von unserem Bruder Marcellus wider den Jesuiten freue ich mich. Er hat eine spitzige Feder und wird es dem Schwarzrock schon zu fühlen geben. Aber da ist unser Fährmann, – und dort ist auch schon das Bacharacher Rheinthor; da seid Ihr am Ziel, junger Freund. Nein, hat Euch die Geschichte angegriffen! Man sollte meinen, Ihr hättet den Hans Maitrunk, oder wie er heißt, mit seinem Raben selber gesehen.«

»Was denkt Ihr!« stotterte Hans.

»Nun, nun, es war ja bloß Scherz. Lebt wohl, und hütet Euch vor allem Teufelswerk!«



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