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Viertes Kapitel.

Das Brautlaufhaus, wo sich die patrizische Gesellschaft heute zum Maitanz versammelte, war ein prächtiger Bau mit hohen Treppengiebeln, den der Rat vordem in reicheren Zeiten auf allgemeine Unkosten errichtet hatte, um dort Prunkmahle, Bälle und vornehme Hochzeiten zu feiern. Es war ein schöner großer Festsaal darin mit schachbrettartig eingelegtem Parkett, und dieser Saal füllte sich jetzt mit einer solchen Menge farbiger Gestalten, daß es selbst dem von der Musikantenbühne aus zuschauenden Meister Baltzer fast zu bunt vor den Maleraugen wurde. Die schönen jungen Patrizierinnen mit funkelndem Geschmeide an den rosigen Ohren und weißen Hälsen suchten einander zu überbieten an Pracht und Farbenreiz ihrer festlichen Hülle, und das ist ja auch heutzutage noch so, nur daß unsere vornehme Mode bei solchen Festen auch Oberarme und Schultern nach dem Abhärtungssystem behandelt und den hierdurch gewonnenen Kleiderstoff an irgend einer überraschenden Stelle des Kostüms ablagert. Damals aber hoben sich die anmutigen Frauen und Jungfräulein nicht von einem ernsten Hintergrunde von Waffenröcken und trauerfarbigen Fräcken ab, vielmehr erschienen sie in all ihrer Pracht doch nur wie bescheidene Wiesenblumen zwischen der Farbensymphonie ihrer männlichen Begleiter, und wenn Meister Baltzer in diesem lebendigen Regenbogenspiel nach einem Ruhepunkte suchte, so mußte er sich schon mit dem breiten Rücken Herrn Winands begnügen, dessen dunkle Fläche wenigstens nur durch den sechs Zoll breiten Scharlachbesatz und die dicke goldene Kette unterbrochen wurde. Er stand just zwischen seiner Nichte Mechthildis und ihrer Freundin Johanna Reynolds, einer munteren, etwas rundlichen, goldhaarigen Schönheit in himmelfarbenem Gewand, und Meister Baltzer verschwieg es dem neben ihm sitzenden Ratskapellmeister nicht, daß ihm der Herr Bürgermeister in diesem Augenblick vorkomme wie eine Hummel zwischen einem roten und einem blauen Schmetterling. Wie aber verblaßte der Farbenschimmer dieser Schmetterlinge gegen die beiden, die ihnen zu galantem Gespräch gegenüberstanden! Jobst Kannemann war der eine, – sein Geschlecht gehörte noch nicht lange zur Gesellschaft, erst sein Vater hatte gefunden, daß die Kannemanns nunmehr genug Gold aus der Bräupfanne gemünzt hätten, um den Bierbrauerschurz mit dem schwarzen Ratsmantel zu vertauschen, und so konnte man es dem Junker Jobst nicht verargen, daß er sein junges Wappen recht deutlich zur Schau trug und die ungeschlachte Gestalt in ein Gewand zwängte, das ganz mit goldenen, zweischwänzigen Löwen auf dunkelblau und rot gestreiftem Grunde besät war. Neben ihm aber stand oder vielmehr ließ sich hängen ein unendlich hagerer, spitzknochiger Jüngling mit einer langen, spitzen Nase in dem bartlosen Gesicht und glatten, langsträhnigen, semmelblonden Haaren; das war der Junker Lambertus Halveren von der Kaulen, des Bürgermeisters einziger Sohn. Er war kaum drei Jahre älter als Mechthildis und teilte mit ihr das Schicksal, überall Aufsehen zu erregen, nur in verschiedenem Sinne; die Frauen lächelten über seine Erscheinung und entsetzten sich vor seiner Fistelstimme, und die Bürger pflegten seine geistigen Vorzüge mit dem Erfahrungssatze abzuthun, daß ja die höchsten Häuser immer unter dem Dach am dürftigsten ausgestattet seien. Nur sein Vater teilte den Irrtum vieler schlauen Männer, in einen dummen Sohn verliebt zu sein, er war sogar ein wenig eitel auf ihn, und wenigstens das nahm Lambertus, der von Haus aus ein ganz gutmütiges Geschöpf war, als gehorsamer Sohn von ihm an. Somit legte er auch etwas an seine äußere Erscheinung, und noch nie hatte er sich so gefallen wie heute, in einem himmelblauen Wams von spanischem Schnitt mit feuerfarbenen Schlitzen an den gelben Aermeln, dazu weiter abwärts einem unförmlich ausgestopften Kleidungsstück mit grünen und roten Puffen, aus denen sich dann plötzlich ganz unvermittelt die langen, von grauen spanischen Tricots umschlossenen Beine erstreckten. Johanna Reynolds lobte seine Erscheinung sehr, sie erklärte ihm, er sehe aus wie ein Storch, der sich als Papagei verkleidet habe, und es sei ein erfreulicher Anblick. Dann ließ sie sich von dem löwenbesäten Jobst Kannemann zum Reigen leiten, und während Junker Lambertus noch in seiner Seele nach einer geistvollen Wendung suchte, um seine Base Mechthildis um die gleiche Ehre zu bitten, hatte diese bereits die Hand ihres Oheims ergriffen, der sich mit einem Seufzer der Ergebung in die für seine Wohlbeleibtheit nicht mehr ganz mühelose Auszeichnung schickte. Und feierlich, in einem Mittelstand zwischen langsamem Schreiten und müßigem Hüpfen, zog der künstlich verschlungene Reigen zu der Weise eines von Geigern und Zinkenisten begleiteten Liedes durch den Saal hin, an dem einsamen verkleideten Storch vorüber.

Mißmutig verließ er den Saal und schlotterte ins Erdgeschoß, wo der Ratswirt an solchen Abenden drei Trinkstuben bereit hielt, eine große rechts für die Diener, Fackel- und Sänftenträger der Herrschaften, eine kleine Hinterstube links für die Herren vom Rate und daneben eine größere Vorderstube für sonstige Standespersonen. In dieser nahm Junker Lambertus Platz, um bei einem einsamen Glase Malvasier über sein Mißgeschick zu trauern. Er hatte sich doch so fest vorgenommen, heute abend Mechthildis und Johanna Reynolds durch wohlabgewogene Verteilung seiner Huldigungen ein wenig aufeinander eifersüchtig zu machen, weil er gehört hatte, daß dies die Neigung der Mädchen schüre! Und nun ließen sie ihn von vornherein beide links liegen. Aber man sollte ihn noch kennen lernen. Vorab die Base Mechthildis mit ihrem Hochmut. Für die nächste Zeit war er fest entschlossen, sich überhaupt nicht mehr nach ihr umzusehen. Mochte sie dann selber fühlen, wie weh das thut; vielleicht daß er der Reuigen später edelmütig entgegenkam – aber nur ja nicht zu früh!

Zur selben Zeit saß in der hinteren Stube der Bürgermeister Sebaldus von Halveren vor einem Becher herben Rotweins, den er am liebsten trank, und gab seinen Gedanken Audienz, während er scheinbar dem politischen Gerede einiger Ratsherren aufmerksam folgte. Er überließ es seinem Kollegen, beim Tanze die Obrigkeit galant zu vertreten, während er selber auf dem Posten blieb, um für einen allfälligen Volkstumult die sorgfältig von ihm vorbereiteten Maßregeln zu leiten. Seine Gedanken trafen übrigens ganz seltsam mit denen seines Sohnes zusammen. Auch er dachte an Mechthildis, er dachte nebenbei daran, daß ihr Oheim ein fetter, lebenslustiger älterer Herr sei, vollblütig und kurz von Atem, und das Ergebnis seiner Rechnung war ebenfalls, daß sein Lambertus und die Nichte Mechthildis wohl zusammenzubringen seien – aber noch nicht, nur ja nicht zu früh!

Unterdes hatte Lambertus in der Vorderstube Gesellschaft erhalten, andere junge Herren von Stande, die einen freundschaftlichen Umtrunk dem Tanze vorzogen, sei es, daß sie die eine unter den vielen just nicht finden konnten, oder daß sie überhaupt schon zu blasiert für so gewöhnliche Galanterien waren. Sie zechten, schwatzten und zogen besonders über das unverschämte Handwerksvolk her, das nie Ruhe gebe, bis man es einmal gehörig unter den Daumen nehme. Plötzlich aber scholl in ihr lärmendes Gerede noch lauterer Lärm von der Straße her, und als sie neugierig und thatendurstig hinausstürzten, fanden sie dort bereits eine ausgedehnte Rauferei vor, die zum Mittelpunkt auffallenderweise ein großes auf einem Handkarren liegendes Bierfaß hatte.

Etliche ehrsame Meister von der Brauerzunft wollten den Bäckern auf deren Zunfthaus einen Besuch abstatten zwecks gemeinsamer Weiterberatung, und als Gastgeschenk führten sie auf einem von kräftigen Bräuburschen bedienten und eskortierten Karren, gewissermaßen auf ihrem Bannerwagen, ein ziemliches Faß Märzenbier mit. Leider aber ging ihr Weg durch die Gasse, an welcher das Brautlaufhaus lag, und hier waren sie mit einigen Nachtwächtern und herrschaftlichen Dienern aneinander geraten. Durch das Erscheinen der jungen Kavaliere gewann das aristokratische Prinzip einstweilen die Uebermacht, gleichzeitig aber zeigte sich von der anderen Seite der Gasse ein Trupp Bäcker, die ihren Freunden zu Hilfe eilten. Unter den Bräuknechten war einer, der sich durch so große Gemütsruhe wie Körperstärke auszeichnete, in der Hand hielt er einen ungeheuren steinernen Deckelkrug, der ihm zur Labung und Wehr diente, indem er immer umschichtig den Krug zum Munde führte und dann wieder einem Gegner an den Kopf stieß, zuweilen aber auch einen Verwundeten ohne Unterschied der Partei daraus tränkte. Als dieser starke Mann die bunte Gestalt des Junkers Lambertus erblickte, stutzte er einen Augenblick, trank und reichte den Krug dem Junker mit den Worten hin: »Proficiat, Herr Stieglitz!«

Lambertus von Halveren war wirklich sehr gutmütig und ohne kriegerische Neigung, aber in diesem Augenblicke wallte doch so etwas wie ein letzter Rest vom Blute seiner ritterlichen Ahnen in ihm auf, er zog seinen kurzen Galadolch und stürzte auf den starken Mann los. Der aber parierte den Hieb mit seinem Kruge, so daß die Klinge absprang, dann stülpte er den Krug vorsichtig über seines Gegners Haupt um: es mochte immer noch eine Maß Bier darin gewesen sein.

Diese Unthat aber entflammte den Zorn der Junker, und nun wurde das Gefecht wirklich ernstlich, zumal auch von beiden Seiten der Gasse wie andererseits aus dem Brautlaufhause den beiden Parteien immer neuer Zuwachs kam. An den hohen Fenstern des Tanzsaales drängten sich die Frauen und Jungfrauen, Hals und Haupt sorgfältig mit Tüchern gegen die Nachtluft geschützt und mehr neugierig als entsetzt, denn ihre Nerven waren Schlimmeres gewohnt, und bei einem Bürgerkampfe auf deutschem Boden hatte die Frauenehre nichts zu befürchten. Zwischen Mechthildis und Johanna Reynolds stand Herr Winand und suchte vergebens den Knäuel der Kämpfenden durch die Künste seiner Beredsamkeit zu entwirren; ein Zipfel von Mechthildis' rotseidenem Tuch flatterte über seinem kahlen Haupte. Plötzlich leuchtete das Tuch wie eine Flamme auf im Widerschein eines grellen Lichtes, das sich von obenher über den Kampfplatz ergoß. Der Bürgermeister Sebaldus von Halveren hatte zwei auf dem Dache inmitten großer zinnerner Wasserbütten – der Feuersgefahr wegen – stehende Pechtonnen anzünden lassen. Das war das Zeichen, das er für alle Fälle mit dem auf dem Rathause bereit stehenden Stadtmilitär verabredet hatte.

Die Bürger kannten die Bedeutung dieses Fanals nicht, erstaunt blickten sie auf, es ward einen Augenblick ruhig, so daß Herr Winand Hoffnung auf Gehör fand. Jetzt aber brummten durch seine Worte drei tiefe Glockentöne, immer und immer in demselben Takte wiederholt. Vor der unheimlichen Bedeutung dieses Zeichens verstummte der Streit völlig, die Hände sanken und die Gesichter wandten sich einander ängstlich fragend zu. Da scholl von dem Fenster neben Herrn Winand scharf und schneidend die helle Stimme des Meisters Baltzer herunter: »Schämt euch, Herren und ehrsame Bürger, in solcher Stunde zu hadern! Vertragt euch und rettet! Hört ihr's nicht? Das kommt vom Martinsturm. Es brennt

Und im nächsten Augenblicke wälzte sich die Menge, Junker und Bürger durcheinander, im Sturmschritt die Gasse hinunter, dem Martinsturme zu. Nur etliche Herren vom Rate und die herrschaftlichen Diener blieben bei den Frauen zurück, deren Entsetzen jetzt größer war als vorher.

Als die Menge auf dem nächsten freien Platze anlangte – sie hatte sich inzwischen um eine Abteilung heranmarschierender Stadtsoldaten vermehrt, ohne dadurch an Ordnung zu gewinnen – richteten sich aller Augen nach der plumpen Turmmasse auf, die von hier aus zu sehen war.

Die Fackel vor der Wächterstube wies nach der Richtung hin, aus der sie eben gekommen waren.

Und immerzu brummten die dumpfen Schläge des Glockenhammers von dem Türme herüber.

Ein Teil der Menge verlief sich jammernd. Es waren die Leute, nach deren Wohnsitzen die Fackel hinwies; hilfsbereite Freunde und Verwandte eilten ihnen nach. Andere aber drängten weiter dem Turme zu. Man mußte doch wissen, wo es denn eigentlich brannte.

Der große Platz vor dem Turme, wo vordem die Kirche gestanden, war schwarz von Menschen. Man rüttelte an der Turmpforte, sie war verschlossen, das Schloß mußte aufgebrochen werden. Als es endlich gelang, stürmten ein Dutzend Männer mit Laternen die Treppen hinauf; allen voran, mit merkwürdiger Behendigkeit, Meister Baltzer.

Atemlos harrte die Menge ihrer Wiederkehr. Die Feuerglocke war verstummt. Plötzlich erlosch auch die Fackel unter einem kräftigen Guß, ein Regen von Wassertropfen stäubte herunter, und einer der Kundschafter, den leeren Eimer im Arme haltend, rief einige Worte herab; aber sie zerflatterten im Winde unverstehbar. Zugleich aber stürzte ein anderer aus der Thür und rief mit lachendem Gesicht: »Nirgends brennt es! Der Feuerwächter hat den Lärm vor dem Brautlaufhaus für Brandlärm genommen!«

Während die Menge ihm noch mit unendlichem Lachen und Johlen dankte, polterten seine Genossen hinter ihm die Turmtreppe herunter und riefen: »Er ist fort! Der Feuerwächter ist ausgerückt! Schon seit vier Tagen! Die alte Brigitt ist diese vier Tage unser Feuerwächter gewesen! Der Meister Baltzer sitzt oben bei ihr und tröstet sie!«

Und endlich erschien auch der Maler, ein altes, überaus häßliches Weiblein an der Hand führend, schwenkte sein Barett und rief: »Leute, das ist sie, die heute nacht groß Unglück verhütet hat mit ihrem blinden Lärm!«

Da brach der fröhliche Beifall in doppelter Stärke wieder los, und ein paar Trommler von den Stadtsoldaten mußten dem Bürgermeister Winand erst Gehör schaffen. »Ehrsame Bürger!« rief er von der Vortreppe des Turmes aus, »dies ist fürwahr ein gelinder Ausgang. Nun geht und schlaft euch aus, oder wenn ihr das vorzieht, zecht, soviel ihr wollt, nur bitte ich mir aus, in Fried' und Eintracht. Der Rat zahlt die Zeche, und allen Beschwerden soll thunlichst Abhilfe werden. Wir werden den Morgen nicht herankommen lassen, bis wir alles untersucht haben!«

Herr Sebaldus von Halveren aber fügte, zu einem Offizier der Stadtsoldaten gewandt, mit seiner trockenen Stimme bei: »Alles soll untersucht werden. Auch dieser seltsame Feuerlärm, der uns ja so weit zupaß kam, und das Verschwinden des Wächters. Drei Mann auf den Turm, und niemand hereinlassen. Die Alte bringt einstweilen aufs Rathaus in sicheres Verwahrsam. Wir werden sie selber genau verhören.«



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