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Sie saßen zusammen in dem kleinen Cabinet, welches sonst so oft widerhallte von ihrem Lachen und ihren Scherzen, in welchem sie oft die ganze Welt gehöhnt, und die thörichten Menschen verspottet hatten.
Heute war das Lachen verstummt, heute lag ein Schatten auf dem Antlitz der Gräfin Baillou, heute war selbst der leichtsinnige und lebenslustige Graf Podstadzky ernst und sinnend.
Die Gräfin war herrlich geschmückt; ein goldgesticktes Sammetkleid umhüllte ihre schöne, stolze Gestalt, ein Diadem von Brillanten blitzte auf ihrer hohen Stirn, und köstlich geschmückt waren ihre Arme und ihr wundervoller nackter Hals. Sie war eben im Begriff gewesen, zu einem Diner bei der Fürstin Karl Liechtenstein zu fahren, als der Graf Podstadzky gekommen war, und die seltsamen Nachrichten, die er ihr gebracht, hatten sie veranlaßt, daheim zu bleiben, und der Fürstin Liechtenstein ihre Entschuldigung zu senden.
Seit einer Stunde waren sie beisammen und überlegten. Ueberlegten den Sinn jedes Wortes, welches der Kaiser gesprochen, und machten darnach ihre Pläne, die immer wieder verworfen, immer wieder von andern verdrängt wurden.
Du glaubst also wirklich nicht, Arabella, daß Gefahr vorhanden ist? fragte der Graf jetzt nach einer langen Pause.
Ich glaube es nicht, sagte Gräfin Baillou sinnend. Der Kaiser liebt es bekanntlich, immer und überall guten Rath zu ertheilen, er liebt es, den Aristokraten rauh und lieblos zu begegnen, besonders, wenn das im Beisein des Volkes geschehen kann, damit dies entzückt sein soll von seiner Strenge gegen den Adel, seiner Leutseligkeit gegen das Volk. Ich glaube, er wollte sich also wieder nur bei dem Volk beliebt machen, als er mit so ernster zürnender Miene zu Dir sprach. Du weißt wohl, das gute, dumme Volk spielt immer den Moralischen und Keuschen gegenüber den Bevorzugten, und es hat von dem Grafen Podstadzky allerlei Dinge vernommen, die ihm vielleicht nicht wohlgefallen. Ich glaube, das ist Alles!
Der Graf schüttelte leise sein Haupt. Der Ton des Kaisers war so bedeutungsvoll, so pointirt, sagte er. Man ahnte, daß ein tieferer, geheimnißvoller Sinn in seinen Worten lag.
Das heißt, mein theurer Carlo, Deine stets wache Furcht ließ Dich das ahnen!
Und diese Worte selbst, waren sie nicht inhaltsvoll genug? »Ich fürchte sehr, Sie werden, wenn Sie noch einen Tag länger in Wien bleiben, Ihren Eltern Schande und Verdruß bereiten. Reisen Sie also ab.« Das waren seine letzten Worte, Arabella, und wie er sie sprach und wie er mich anschauete! Arabella, Arabella, es droht uns Gefahr! Ich fühle, ich weiß es! Mir ist es, als wenn eine Centnerlast meine Brust beschwerte, als wenn meine Arme schon die Ketten fühlten, die bald sie lähmen könnten. Arabella, laß uns fliehen, laß uns abreisen, sogleich, auf der Stelle!
Er war aufgesprungen und zu ihr hingeeilt, um sie mit krampfhafter Angst an sich zu ziehen. Sie wehrte ihn ruhig und stolz zurück, und schaute ihn an mit einem Blick kalter Verachtung.
Keine Kindereien! sagte sie. Entfliehen willst Du? Wohin? Wenn der Kaiser wirklich mit Absicht so gesprochen, so ist jede Flucht auch schon zu spät, denn seine Polizei ist wachsam und klug, und wird Dich nicht mehr von hinnen lassen.
Nein, nein, Arabella! Ich sage Dir, es war die Absicht, mich zu warnen, der Kaiser will mich entfliehen lassen, er will es um meiner Eltern willen! Oh, warum habe ich mich nicht sogleich auf mein Pferd geworfen und bin von dannen gesprengt! Mein Gott, irgendwo wird es doch ein einsames Thal, eine verborgene Stelle geben, wohin ich mich flüchten kann!
Und wo der stolze Graf Podstadzky sich in einen Bauer verwandeln kann, und mit nackten Füßen, in Sack und Asche, demüthig an der Seite seiner Mutter zum Dorfkirchlein wallen und als zerknirschter, reuiger Sünder die Vergebung des Himmels anflehen kann! Die Idylle Deiner Frau Mutter spukt noch in Deinem erhitzten Gehirn. Ich mein' aber, es giebt nichts Lächerlicheres und Alberneres als einen Menschen, welcher bereut. Es ist die demüthigendste Rolle, welche man spielen kann, eine Rolle, in welcher man immer sicher ist, ausgezischt und verhöhnt zu werden! Carlo, richte Dich auf, denn diese Rolle ist Deiner nicht würdig. Hebe Dein Haupt empor und blicke um Dich. Es ist noch Alles unverändert. Das Leben, die Ehre, das Glück gehört noch uns, weshalb sollten wir es vorschnell, von thörichter Furcht geplagt, von uns werfen? Weshalb uns äffen lassen von unserm Gewissen und den Dunstgebilden unserer erhitzten Phantasie? Wer thun will, was wir gethan haben, der muß ein für alle Mal abgeschlossen haben mit aller Furcht, und muß sein Gewissen hinter sich geworfen haben als ein abgetragenes Kinderkleid, das nicht mehr paßt für den groß gewordenen Menschen. Hätten wir Beide ein Gewissen gehabt, so wärst Du jetzt ein armer, ruinirter Graf, der von der Gnade seiner Eltern lebte, oder froh sein könnte, wenn der Kaiser ihm eine Schreiberstelle bewilligte, so wäre ich eine ehrsame Nonne, die im hohen Chor Lieder psalmiren, mit den langweiligen alten Klosterjungfrauen sich zanken, und den einzigen Trost haben könnte, vielleicht einst nach ihrem Tode heilig gesprochen zu werden. Denn sage selbst, was wäre der enterbten Gemahlin des alten Grafen Baillou wohl anders übrig geblieben, wenn sie ein Gewissen gehabt hätte, und was hätte der ruinirte, von Gläubigern verfolgte Graf Podstadzky wohl für andere Aussichten gehabt, wenn er auf sein Gewissen gehört hätte? Wir haben es aber Beide nicht gethan, wir haben die Bande des Gewissens mit unsern starken Händen zerrissen und haben uns selbst ein neues Leben geschaffen, ein neues Glück gebaut. Und es ist ein schöner und stolzer Bau geworden, kühn steigt seine vergoldete Kuppel empor, und in seinen glänzenden Sälen sind Fürsten und Grafen unsere Gäste, und neigen sich vor uns in Ehrfurcht und Achtung, und huldigen unserm Glanz, unsrer Macht und unsrer Schönheit.
Aber der Bau wird über uns zusammenbrechen, und die, welche uns heute huldigen, werden uns morgen verachten und verhöhnen.
Sei's darum. Laß den Bau zusammenbrechen. Seine Trümmer mögen uns begraben, das ist besser, als sich in der Stunde des Unglücks feig zu zeigen. Muth, mein Carlo, Muth! Laß uns vor allen Dingen der Welt ein heiteres, sorgloses Gesicht zeigen, dann hat sie Vertrauen zu uns, denn man mißtrauet nur dem, der sich selber mißtrauet. Vielleicht hat der Kaiser in seinem argwöhnischen Sinn Dich nur prüfen wollen, weil der Aufwand, den Du treibst, ihm verdächtig erscheint. Zeige ihm also ein ruhiges, gleichmüthiges Wesen, bleibe, wie Du immer warst, entfliehe nicht, und er wird sich überzeugt halten, daß Du bleibst, weil Du nichts zu fürchten hast. Was schauest Du mich so seltsam an, Carlo?
Ich schaue Dich an, Arabella, weil Du so schön bist, sagte der Graf mit einem matten Lächeln, so schön, wie die gefallenen Engel sein mögen, welche auf die Erde verbannt sind, um die Menschen zu verführen.
Ich bin auch ein gefallener Engel, Du weißt es ja, sagte sie stolz, bin mit Dir gefallen, Carlo, und habe mich mit Dir wieder aufgerichtet. Laß uns jetzt aufgerichtet neben einander stehen bleiben! So lange die gefallenen Engel lächeln, können sie die Menschen verführen, aber sobald sie ihr Lächeln verlieren, erkennt man sie als Teufel und flieht vor ihnen. Lächle also, lächle, zeige den Menschen ein heiteres Gesicht!
Ich kann nicht, Arabella, ich kann nicht! rief der Graf. Eine namenlose Furcht ist in mir, eine gräßliche Angst martert mich! Oh, mir ist es, als sähe ich da vor mir das bleiche, schmerzzerrissene Angesicht meiner Mutter, und ihr Blick zerreißt mir das Herz! Arabella, laß uns fliehen, oder wenn Du das nicht willst, so laß uns sterben! Besser sterben, als der Schmach überliefert werden, besser in den Tod gehen, als im Kerker verschmachten und verkommen. Arabella, laß uns sterben, in dieser Stunde noch!
Er preßte sie in seine Arme mit bleichem, verzerrtem Angesicht, seine Lippen bebten, sein Athem kam keuchend und fieberisch aus seiner Brust hervor.
Arabella wehrte ihn wieder von sich, und ein helles, lustiges Lachen tönte von ihren purpurnen Lippen. Sterben! sagte sie. Bist Du des Lebens und der Freude schon satt und überdrüssig? Ich nicht! Ich will das Leben noch genießen, noch aus goldenen Bechern trinken von seinem berauschenden Wein! Sterben? Als ob man wüßte, was kommt hinter dem Tode! Hier wissen wir, was wir haben, wissen, daß es schön und genußvoll ist! Aber mich erbarmt Deiner Angst, und wenn Du's denn durchaus verlangst, so wollen wir verreisen! Verreisen, aber nicht fliehen!
Der Graf stieß einen Freudenschrei aus und drückte einen glühenden Kuß auf die Hand, die sie ihm darreichte. Wann reisen wir ab? fragte er. In einer Stunde, nicht wahr?
Das wäre Flucht, schimpfliche Flucht! Nein, morgen wollen wir abreisen!
Morgen, wenn der Tag graut, also!
Morgen, beim hellen Licht des Tages! Morgen um die Mittagsstunde, vor Aller Augen, furchtlos und ruhig!
Es sei so, sagte der Graf seufzend. Morgen Mittag also! Du reisest allein ab, ich desgleichen. In Neustadt treffen wir zusammen.
Ja, in Neustadt treffen wir zusammen. Nun aber laß uns eilen, Carlo. Vieles muß noch gethan werden bis dahin, ungeheure Lasten müssen abgewickelt werden.
Ich habe gar wenig zu thun und abzuwickeln, lachte der Graf, der jetzt schnell seine Heiterkeit wiedergewonnen hatte. Meine Meubles, meine Kostbarkeiten, meine Pferde und Equipagen, das Alles gehört den Wucherern, und Du weißt, sie haben mir ihren Bevollmächtigten als Haushofmeister gegeben, der überwacht ihr Eigenthum.
Warum bezahlst Du sie nicht heute noch mit Deinen schönen Banknoten? fragte sie lachend.
Ich machte ihnen gestern den Vorschlag, sagte der Graf düster. Aber sie verweigerten es und sagten, sie hätten mir klingendes Geld gegeben, und klingendes Geld wollten sie wieder haben. Sie wollten meine Banknoten nicht nehmen.
Desto besser, so nehmen wir sie mit. Anderswo wird man sich nicht scheuen, sie zu nehmen, sagte Arabella hastig. An's Werk denn, mein Geliebter, an's Werk! Sieh zu, was Du den Augen Deines Argus entreißen kannst, verbrenne alle Papiere, welche Dich verdächtigen könnten, triff alle Vorbereitungen, laß Deine Koffer packen und reise ab. In Neustadt treffen wir zusammen. Jetzt aber fort, fort, Carlo, denn auch ich muß meine Vorbereitungen treffen, meine Koffer, meine Juwelen packen, mein Silberzeug verkaufen. Oh, ich werde diese Nacht keine Stunde des Schlafs genießen können, werde arbeiten und einrichten müssen, und heimlich, damit es Niemand merkt, damit meine Gläubiger – doch still, sprechen wir nicht mehr davon. Lebe wohl, mein Carlo, und laß die Wolken von Deiner Stirn verschwinden, laß die Furcht in Deinem Herzen ersterben. Morgen reisen wir, morgen bist Du frei aller Sorge und aller Angst. Addio, caro amico mio, addio!
Sie reichte mit einem süßen Lächeln ihm ihre purpurnen Lippen dar, und er preßte einen glühenden Kuß auf dieselben. Dann geleitete sie ihn bis zur Thür.
Auf morgen also, Carlo!
Auf morgen, Arabella!
Jetzt schloß sich die Thür hinter ihm, jetzt war er fort.
Arabella legte ihr Ohr lauschend an die Thür. Sie hörte ihn den Corridor hinunter gehen. Jetzt war er an der Treppe. Nun noch fünf Minuten, nun konnte er hinab gegangen und bis zum Ausgang gelangt sein.
Da, da rollte sein Cabriolet von dannen. Jetzt war er fort. Gelobt sei Gott, er war fort.