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Fünftes Buch.
Der Papst in Wien


I.
Der Einzug des Papstes

Eine unglaubliche, eine unerhörte Nachricht beschäftigte seit einigen Tagen nicht allein ganz Wien, sondern ganz Oesterreich. Sie verbreitete sich hinaus über die Grenzen Oesterreichs, und flog mit Windesschnelle durch alle Gauen Deutschlands hin, überall Erstaunen und Verwunderung erregend.

Der Papst, so lautete die Nachricht, der Papst wollte nach Wien kommen. Während sonst die deutschen Kaiser demuthsvoll und gehorsam gen Rom gepilgert waren, zu werben um die Gnade des Statthalters Gottes, wollte jetzt der heilige Vater nach Wien zu dem deutschen Kaiser pilgern, um zu werben um die Liebe und Gunst des mächtigen Herrschers.

Vorüber waren die Zeiten, wo ein deutscher Kaiser im Büßerhemd zu Canossa erschien, vorüber die Zeiten, wo der Papst einen Kaiser im Vorhof durfte warten lassen, während er selbst an der Tafel schwelgte. Eine neue Zeit war angebrochen, ein neues Licht hatte Joseph seinen Völkern angezündet, und dieses Licht war zur Brandfackel geworden für die Gewalt des geistlichen Oberhauptes der Kirche, dem Joseph nicht mehr gestatten wollte, auch das Oberhaupt seines Staates zu sein und Gesetze zu geben in seinen Landen.

Und nicht blos in seiner geistigen Oberherrschaft hatte Joseph den Statthalter Gottes bedroht, sondern auch in seiner materiellen Macht, denn die materielle Macht ist das Geld, sowohl für den Statthalter Gottes, als für die weltlichen Fürsten. Viele Millionen Gulden waren bis dahin jährlich aus dem österreichischen Kaiserstaat in die päpstlichen Kassen geflossen, der Kaiser hielt sie zurück; vier Quellen waren es gewesen, aus welchen den päpstlichen Kassen diese Millionen zuflossen – der Kaiser verstopfte sie. Bisher hatte der Papst den Bischöfen in Oesterreich Titel und Würden ertheilt, und für diese Ertheilung hatten dieselben eben so hohe Summen nach Rom zahlen müssen, als der Kaiser für die Ertheilung der Grafenwürde oder des Barontitels zahlen ließ.

Der Kaiser verbot seinen Bischöfen, irgend welche Titel oder Würden von Rom anzunehmen, und das war die erste Quelle der Millionen, welche er verstopfte. Er verbot ferner, daß die Dispense in Ehesachen und sonst vorbehaltenen Fällen aus Rom geholt werden sollten, sondern befahl, daß man sich um solcher Dispensationen nur an die inländischen Cardinäle und Bischöfe zu wenden und nur an sie die Gebühren zu zahlen habe, – und das war die zweite Quelle der Millionen, welche er verstopfte.

Die dritte Quelle der Millionen, die nach Rom ausflossen, hatte der Kaiser verstopft, indem er befahl, daß alle Ordensleute, alle geistlichen Brüderschaften keine Abhängigkeit und Gemeinschaft haben sollten mit den Generälen und Vorgesetzten in Rom, sondern nur den inländischen Bischöfen und der Landesobrigkeit zu gehorsamen hätten.

Die vierte und größte Quelle aber war erloschen, seit der Kaiser bei hohen Strafen alle und jede Geldsendungen außer Landes, sei es nach Rom oder an andere Stiftungen und Klöster, den Geistlichen sowohl als den Laien untersagt, und auch die Ablaß-Verleihungen und Beneficien-Vergebungen des Papstes für Oesterreich verboten hatte. Hübner I. S. 115.

Papst Pius VI., erschauernd über solche Angriffe auf seine Macht sowohl, als auf seine Einkünfte, erschreckt von der Furcht, es könne der Kaiser noch immer weiter gehen in seinen Reformen, und heimlich von der Hoffnung beseelt, es könne seiner Bitte und Ueberredung gelingen, den Kaiser andern Sinnes zu machen, oder mindestens doch zu verhüten, daß Joseph seinen Kampf mit der Kirche noch weiter fortführe, Papst Pius also hatte den Entschluß gefaßt, selber nach Wien zu pilgern, und da der Kaiser nicht zu ihm in den Vatican gekommen, ihn aufzusuchen in der Kaiserburg.

In einem eigenhändigen Schreiben hatte Pius dem Kaiser Joseph angezeigt, daß er nach Wien kommen wolle, seinen geliebtesten Sohn in Christo zu umarmen, ihn zu sprechen und ihm seine innersten Gesinnungen unmittelbar zu eröffnen, welche einzig und allein dahin abzielten, dem Kaiser alle Dienstbeflissenheiten und Pflichten der Freundschaft zu erweisen. Groß-Hoffinger II. S. 210.

Der Kaiser hatte ihm in einem eigenhändigen Schreiben geantwortet, daß er Se. Heiligkeit auf die geziemendste Art und mit kindlicher Ehrfurcht zu empfangen gedenke, und daß er sich sehr auf die Gelegenheit freue, ihn zu sehen und persönlich zu ehren. Außerdem hatte er gebeten, daß der Papst nicht, wie er es beabsichtigte, in der Nunciatur wohnen, sondern die Zimmer annehmen möge, welche Joseph für ihn in der Kaiserburg einrichten lasse, weil dies ihrer beiderseitigen Würde gemäßer, und weil ihnen Beiden dadurch Gelegenheit werde, sich vertraulicher einander zu nähern.

Der Papst hatte sich freundlich diesem Wunsche gefügt, und die Zimmer Maria Theresia's waren für ihn in Bereitschaft gesetzt worden. Aber Joseph kannte die Gefahr, welche die vielen zu diesen Zimmern führenden geheimen Thüren und Treppen darboten; durch diese Thüren und über diese Treppen waren zu Zeiten der großmüthigen Kaiserin alle Diejenigen gewandelt, welche Protectionen besaßen, und dadurch zur Gnade einer geheimen Audienz gelangt waren, und diese geheimen Audienzen hatten so viele Gnadengehalte und Pensionen zur Folge gehabt, daß dadurch die Schulden des Staatsschatzes sich jährlich um Millionen vermehrten.

Der Kaiser fürchtete nicht, daß diese Treppen und Thüren jetzt bei der Anwesenheit des Papstes zu ähnlichen Zwecken verwendet würden, aber er wußte, daß sie von seinen Feinden, welche sich die Freunde der Kirche und des Papstes nannten, benutzt werden würden zu geheimen Unterredungen und Verhandlungen.

Joseph aber, welcher für sich selber die Wahrheit und Offenheit liebte, und bei sich keine Hintertreppen und geheimen Thüren duldete, wollte sie auch dem Papst nicht gewähren. Er ließ daher alle geheimen Eingänge vermauern, alle kleinen Hintertreppen abbrechen, nur eine Pforte führte zu dem von dem Papst bewohnten Flügel der Burg, und vor dieser Pforte hielten zwei Grenadiere Wache, welche Befehl hatten, Niemand hindurchzulassen, der nicht einen Erlaubnißschein des Kaisers vorzeigen konnte.

Der Kaiser war gern bereit, den Papst in den Mauern seiner Hauptstadt gastlich zu empfangen, aber er wollte nicht, daß der Papst nach Wien komme, um als geistlicher Oberfeldmarschall mit seinen bischöflichen Generälen geheime Conferenzen zu halten und den Schlachtplan wider die kaiserliche Macht zu verabreden. Einer der eifrigsten Anhänger der päpstlichen Gewalt war der Bischof von Görz, der es sogar wagte, gegen die kaiserlichen Anordnungen zu opponiren. Joseph ließ ihn zur Verantwortung nach Wien berufen, und zwar gerade zu derselben Zeit, als der Papst auf seiner Hinreise nach Wien durch Görz kommen mußte. Denselben Tag aber, als der Papst in Wien eintraf, erhielt der Bischof den Befehl, wieder in seine Diöcese zurückzureisen, so daß er den Papst weder sehen noch sprechen konnte. Siehe Friedels Briefe aus Wien Th. I. S. 223. Als Papst, als das über alle Feindschaften, alle Wirrnisse erhabene Oberhaupt der Christenheit sollte Pius dem Kaiser willkommen sein, und so wollte Joseph ihn empfangen mit der Ehrfurcht und Zuvorkommenheit eines frommen und gläubigen Sohnes.

Deshalb sollte nichts fehlen, um den großen Fürsten der Kirche mit allem Glanz und Pomp der Erde zu umgeben und ihm einen feierlichen Triumph in Wien zu bereiten. Nicht blos in der Kaiserburg hatte man mit verschwenderischer Pracht die Zimmer für ihn ausgestattet, auch alle Kirchen waren reich geschmückt, um als würdige Prachtzimmer zur Aufnahme des Oberhirten bereit zu sein. Alle Bischöfe und Priester hatten sich beeifert, sich neue Goldgewänder, neue Spitzenkragen anzuschaffen, und die Altäre zu schmücken mit neuen Teppichen und glänzendem Gold- und Silbergeräth. Ein heiliger Festtag für alle Kirchen und die ganze Geistlichkeit sollte der Tag der Ankunft des Papstes in Wien sein, denn seit beinahe vierhundert Jahren hatte kein Papst mehr den Boden Deutschlands betreten; jener Papst, welcher damals die deutsche Erde mit seinem Fuß berührt, hatte sie durch diese Berührung nicht geheiligt, sondern entheiligt. Johann XXIII. war als Statthalter Gottes, als Oberhaupt der Christenheit nach dem deutschen Kostnitz gekommen, er verließ es als ein mit Schmach beladener, aller seiner Würden und Titel beraubter Mönch, welcher im öffentlichen Concil siebenzig verschiedener Verbrechen angeklagt und »überführt war der Seeräuberei, des Mordes, der Blutschande!«

Seit jenen Tagen, wo das Concilium zu Kostnitz, nachdem es Johann Huß verbrannt, den Papst Johann XXIII. abgesetzt und gefangen gehalten, seit jenen Tagen hatte kein Papst wieder nach Deutschland kommen mögen, nach diesem Deutschland, welches die heilige Tiara von der Schulter des geweiheten Statthalters Gottes gerissen, die goldene Krone von seinem Haupt genommen, um ihn als Verbrecher zu entlarven.

Jetzt aber wollte ein heiliger frommer Mann die unheilsvollen Erinnerungen jener Tage auslöschen, jetzt wollte Pius der Sechste nach Deutschland kommen, den Frommen und Gläubigen zur Freude und zum Trost, und der Kirche zur Rettung und zum Gedeihen.

Denn er kam, um mit beredtem Wort seinen geliebtesten Sohn in Christo zu beschwören, nicht weiter zu gehen in seinen Angriffen gegen die Kirche, sondern als treuer und gehorsamer Sohn sich zu unterwerfen und in sich zu gehen.

Und Pius zweifelte nicht, daß ihm, welchen seine Römer wegen der Macht seiner Rede » il Persuasore« (den Ueberreder) nannten, es gelingen werde, das Herz des Kaisers zu rühren und ihn zum Gehorsam zurückzuführen.

Ganz Wien, ganz Deutschland, ganz Europa kannte diesen Zweck der päpstlichen Reise; Aller Augen waren daher nach Wien gerichtet, alle anderen Interessen schienen erloschen, in athemloser Erwartung harrte Jeder des Momentes, wo der Kaiser mit dem Papst zusammentreffen würde.

Und so war endlich der Tag hereingebrochen, an welchem der Papst seinen Einzug in Wien halten sollte. Die ganze Stadt hatte sich für ihn geschmückt, Teppiche, Kränze, Guirlanden hingen aus allen Fenstern, schmückten alle Straßen; hunderttausende von Menschen drängten sich nach der Stephanskirche, wohin der Papst sich gleich nach seiner Ankunft begeben wollte, um dort sein Gebet zu verrichten; hunderttausende von Menschen strömten nach der Kaiserburg hin, um den Papst zu sehen, wenn er an der Seite des Kaisers dort anlangen würde.

Aber die Ungeduld der Erwartung ließ das Volk vergessen, daß diese Ankunft des Papstes erst in der Mittagsstunde statt haben, daß man daher ruhig seinen Arbeiten und Geschäften nachgehen könne. Niemand wollte daheim bleiben, Niemand konnte einem andern Gedanken sich hingeben, als diesem großen, unermeßlichen: »der Papst kommt nach Wien!« Und diesem Gedanken folgte dann die Frage: »warum kommt der Papst nach Wien?«

Um seinen Segen zu sprechen über das, was der Kaiser gethan hat, sagten die Anhänger Josephs.

Um den Kaiser zu beschwören und anzuflehen, daß er ablasse von den Kränkungen der Kirche, von dem Pfad der Sünde, daß er von dem Unglauben sich wiederbekehre zu der allein seligmachenden Kirche, sagten die Geistlichen und Priester, die Feinde des Kaisers.

Und diese Fragen flogen nicht blos von Mund zu Mund, sondern sie flogen in Broschüren und Flugschriften aus den Stuben der Gelehrten, unter den Pressen der Drucker hervor, und flatterten in tausend und tausend Exemplaren aus den Fenstern hernieder auf diese Volksmenge, welche da athemlos und neugierig in den Straßen sich drängte.

»Ueber die Ankunft des Papstes.«

»Warum kommt der Papst nach Wien?«

»Was ist der Papst?«

Das waren die Titel der Broschüren, durch welche die Wiener sollten aufgeklärt werden über die Bedeutung dieses wichtigen Tages, und die Straße glich zu dieser Stunde einem ungeheuren Lesezimmer, denn diese herniedergeflatterten Broschüren waren in allen Händen, und indem man sie las, bereitete man sich vor auf die Ankunft dessen, dem alle diese Flugschriften galten.

Endlich begannen die großen Glocken der Stephanskirche langsam und feierlich einige Töne anzuschlagen. Diese Töne bedeuteten, daß der Papst, welchem der Kaiser bis Wienerisch Neustadt entgegengefahren war, jetzt an der Seite des Kaisers die Grenzmarken der Stadt erreicht habe. Die metallene Zunge des Doms sollte den Wienern das Nahen des heiligen Vaters verkünden. Der Kaiser selber hatte dazu seine Einwilligung gegeben, und als der Cardinal Migazzi den Kaiser gefragt, ob man bei dem Einzug des Papstes mit den Glocken läuten dürfe, hatte Joseph lächelnd geantwortet: »Mich wundert, daß Sie mich darum fragen. Sind nicht die Glocken Ihre Artillerie?« Friedels Briefe aus Wien. Th. I. S. 213.

Diese Artillerie der Kirchen hatte jetzt das Annähern des Papstes verkündet. Das Volk empfing diese Verkündigung mit einem lauten Jubelschrei und drängte sich immer stürmischer, in immer wildern, ungestümern Wogen den Straßen zu, durch welche der Zug kommen mußte, und achtete in seiner ungeduldigen Neugierde nicht der Kinder und Greise, welche sich unter ihnen befanden; wie eine losgelassene Meute stürzte es vorwärts, des Jammergeschreies nicht achtend, nicht hörend auf die Klagen Derer, welche von dem Strom mit fortgerissen und zu Boden geschleudert, jetzt zerstampft, zertreten, unter den Füßen der vorwärts Stürzenden, unbeklagt und ungerächt ihren Geist aushauchten. Acht Personen wurden beim Einzug des Papstes im Gedränge erdrückt. Siehe Friedels Briefe I. 208. Das Volk sah, hörte und dachte nichts, als daß es den Papst sehen und von ihm gesegnet sein wollte.

Und jetzt auf einmal begannen alle Kirchthürme ihre ehernen Zungen zu regen, um laut und dröhnend es zu verkünden: der Papst kommt! Jetzt eben fährt er in die Stadt ein!

Das Volk, welches bis dahin gejauchzt, gesungen, gelacht und geschrieen hatte, verstummte jetzt auf einmal. Unwillkürlich ergriffen von der Größe dieses Momentes wagte es nicht, seine unheiligen Stimmen zu mischen in die harmonischen Stimmen der Glocken, aber alle diese flammenden Blicke, diese gespannten, neugierigen Gesichter richteten sich die Straße hinunter dahin, wo jetzt ein kleiner weißer Punkt sichtbar ward. Dieser Punkt ward größer und größer, er nahm Form und Gestalt an; und jetzt erkannte man schon die Vorreiter des Kaisers, jetzt die kaiserliche Equipage, die von acht milchweißen, mit Gold- und Purpurdecken aufgeschirrten Pferden gezogen, langsam daher kam.

Immer näher und näher kam der Zug; jetzt war er da, der große, der erhabene Moment, wo Wien den Papst in seine Mauern einziehen sah.

Da, dieser Greis zur Rechten des Kaisers, dieser Greis in dem von Gold und Juwelen blitzenden Gewande, mit dem pelzverbrämten Sammetbarrett, unter welchem einzelne silberweiße Locken hervorquollen, dieser Greis mit dem milden, sanften Blick, den edlen, immer noch schönen Zügen, das war Antonio Braschi, der Papst Pius VI.

Ein Ausruf des Staunens ertönte, vielleicht wider seinen Willen, von den Lippen des Papstes, als er sein Auge auf diese ungeheure Menschenmenge heftete, welche auf den Straßen und Plätzen wogte, welche sich dicht herandrängte an den Wagen, athemlos keuchend neben demselben herlief. Niemals vielleicht hatte Pius solche Masse des Volkes beisammen gesehen. Und diese Tausende waren gekommen, um ihn zu sehen, um ihn zu begrüßen. Ein stolzes Lächeln des Triumphs flog einen Moment über das schöne Antlitz des Papstes hin, aber er unterdrückte es schnell, und heftete seine Blicke dann mit einem raschen, forschenden Blick auf den Kaiser hin.

Josephs Antlitz indeß war heiter und ruhig, nicht der kleinste Anflug von Mißmuth sprach aus seinen Zügen, sondern vielleicht ein leiser Ausdruck des Spottes.

Josephs ruhiger, ungetrübter Blick sah, was dem Papst in seiner triumphirenden Freude vielleicht entgangen war, er sah, daß das Volk, welches sich einst vor jedem Priester auf die Kniee geworfen, jetzt aufrecht und ungebeugt da stand, obwohl es der Papst war, welchen es da von Angesicht schauete. Friedel I. S. 215. Während der Papst triumphirte, sagte der Kaiser freudig zu sich selber: meine Kinder sind schon Männer geworden. Sie beugen ihr Knie nicht mehr vor einem Menschen, und wenn dieser Mensch auch immerhin ein Papst ist! Dies freie Bewußtsein ihrer Menschenwürde, das habe ich meinem Volke eingeflößt, und es wird den Herrn Priestern nicht mehr gelingen, meine Oesterreicher wieder in das Joch ihrer Sclaverei einzuschmieden!

Der Zug war jetzt langsam, immer gehindert von dem wogenden Menschenstrom, unter dem Geläut aller Glocken bis zu der Burg gelangt, und fuhr jetzt in den innern Hof ein.

Der Kaiser selbst beeilte sich, als der Wagen vor dem Portal anhielt, dem Papst mit der Sorglichkeit und Ehrfurcht eines Sohnes beim Aussteigen behülflich zu sein, und bot ihm den Arm, um ihn die mit kostbaren Teppichen belegte Marmortreppe hinauf und in seine Gemächer zu geleiten.

Pius ließ das ruhig geschehen, und schauete nur zuweilen mit einem sanften stillen Lächeln zu dem Kaiser hinauf, der ruhig und stolz und durchaus nicht zerschmettert von der ungeheuren Ehre, den Herrn der Christenwelt zu geleiten, an seiner Seite ging.

Schweigend durchschritten sie die großen Empfangssäle und Staatsgemächer, und erst, als sie bis in das Wohnzimmer des Papstes gelangt waren, führte der Kaiser seinen Gast zu einem Lehnstuhl hin, und bat ihn, auszuruhen von der beschwerlichen Wanderung.

Die Wanderung war nicht beschwerlich, sondern erfreulich, sagte Pius mit einem leisen Kopfschütteln. Meine Seele neigte sich bei jedem Schritt dankbar vor den Schatten aller dieser frommen und gottseligen Kaiser, welche im Lauf der Jahrhunderte diese Räume durchwandelt haben als die getreuen Herren ihrer Reiche, die getreuen Diener ihrer Kirche und ihres Gottes. Oh, welch ein schönes und beglückendes Bewußtsein ist es für mich, ein Haus zu bewohnen, das durch den Segen so vieler meiner Vorgänger geheiligt worden –

Und deren Herrschern außerdem niemals die Liebe ihrer Unterthanen gefehlt hat, unterbrach ihn der Kaiser lebhaft. Die Liebe seiner Unterthanen, das ist für den Herrscher der wahre Segen Gottes, und dieser ist es, nach welchem ich vor allen Dingen strebe!

Und welcher Ew. Majestät gewiß niemals fehlen wird, sagte Pius mit seinem sanftesten Lächeln. Ich habe niemals gezweifelt an dem edlen Sinn und dem erhabenen Herzen Eurer Majestät, und wenn Einiges vorgefallen, was unsere Seele mit Schrecken erfüllte, und uns zittern machte für die Wohlfahrt der heiligen Kirche in den Landen Eurer Majestät, so getrösteten wir uns doch mit dem Gedanken, daß es nur der eindringlichen Bitte, des überzeugenden Wortes bedürfen würde, um zu unserer Aller Zufriedenheit diese Mißverständnisse zu lösen, welche zwischen Eurer Majestät weltlicher Regierung und Ihren Pflichten als erster gläubiger Sohn der Christenheit entstehen könnten. Deshalb, mein edelster und geliebtester Sohn in Christo, kam ich hierher, deshalb nahm der siebenzigjährige Greis den Wanderstab und pilgerte nach Wien zu dem edlen jungen Kaiser, der es verschmähte, zu dem Statthalter Gottes nach Rom zu kommen, um sich von ihm den Segen der Kirche zu holen. Ich bringe ihn Euch, mein geliebtester Sohn in Christo, den Segen Gottes und der Kirche, und mit und in diesem Segen werden schnell alle die Wirrnisse enden, die mein Herz bisher betrübt haben. Ich habe Ew. Majestät das freudige Opfer dieser Reise gebracht, und ich weiß wohl, daß es eine Pilgerfahrt war, wie die Welt niemals eine zweite sehen wird, eine Pilgerfahrt, mit welcher Rom sich demüthig beugt vor dem mächtigen Kaiser Deutschlands, und es eingesteht, daß die Zeit seiner Größe vorüber ist, und daß es nicht mehr mit seinem Bannstrahl und seinem schallenden Gebieterwort die Welt regieren kann, sondern nur noch mit Liebe, mit Demuth und Geduld. Aber ich weiß auch, daß Ew. Majestät genug haben werden an dieser Demüthigung Roms, daß Sie nicht weiter gehen werden in dieser Fehde, welche mein väterliches Herz so sehr betrübt hat, daß Sie, gerührt von meinem Flehen, demselben nachgeben und die heilige Mutterkirche wieder einsetzen werden in ihre Rechte.

Ich fürchte, Ew. Heiligkeit haben sich in mir geirrt, rief der Kaiser, und sein leuchtender Blick begegnete in ruhiger Entschlossenheit den sanften bittenden Augen des Papstes. Wie tief auch mein Herz gerührt werden mag von den erhabenen Worten Ew. Heiligkeit, so darf ich doch als Herrscher und Kaiser mich von der Rührung meines Herzens nicht umstimmen lassen, denn ein Fürst darf nicht mit dem Herzen, sondern nur mit dem Kopf regieren. Und also fürchte ich, daß Eure Heiligkeit nicht zufrieden sein werden mit dem Resultat Ihrer Reise. Ich habe diese Reise für ein nicht nur sonderbares, sondern auch ganz ausnehmendes Kennzeichen Ihres päpstlichen Wohlwollens gehalten, und mich der Gelegenheit gefreut, Ew. Heiligkeit meine kindliche Ehrfurcht und Liebe beweisen zu können. Des Kaisers eigene Worte. Siehe: Hübner I. S. 119. Und darin werde ich mit meinem ganzen Volke wetteifern; als vor unserm heiligen Vater wollen meine Unterthanen und ich in Liebe und Ehrfurcht sich vor Ihnen neigen, und dem geistlichen Oberhirten werde ich keine Ehre und Anerkennung versagen, nur muß derselbe nicht gekommen sein, um sich mit weltlichen Dingen zu befassen und seine heiligen und geweihten Hände zu mischen in den Staub und Wust dieser Erde.

Es ist indessen meine Pflicht, auch die weltlichen Angelegenheiten der Kirche zu übernehmen, sagte der Papst seufzend.

Diese Dinge zu besprechen, ist die Sache Ihrer und meiner Minister, rief Joseph rasch. Aber da Ew. Heiligkeit einmal dieses Thema berührt und der Streitigkeiten erwähnt haben, welche, durch einige meiner Verordnungen veranlaßt, zwischen der päpstlichen Regierung und mir ausgebrochen, so erlauben mir Ew. Heiligkeit, in dieser ernsten und gewichtigen Stunde Ihnen eine Erklärung abzugeben, welche meinerseits unser Verhältniß klar und unabänderlich feststellt, und von der ich niemals abweichen werde. Diese Erklärung ist: daß ich unerschütterlich sein werde in Allem, was ich gethan und unternommen habe, und daß die Reise Ew. Heiligkeit, wenn Sie damit bezwecken, auf meine Erlasse und Verfügungen einzuwirken, fruchtlos sein wird, denn Alles, was ich zum Vortheil der Religion und zur bessern Einrichtung der Kirchenzucht mit landesherrlicher Gewalt unternommen habe, ist nur nach reiflicher Ueberlegung und nach festen Grundsätzen ausgeführt worden, und gar nichts auf der Welt wird mich von denselben abbringen können. Des Kaisers eigene Worte. Siehe: Hübner I. S. 119.

Und dennoch gebe ich die Hoffnung nicht auf, das Herz Ew. Majestät zu rühren, sagte der Papst feierlich. Dennoch verzage ich nicht, die Augen meines geliebtesten Sohnes in Christo zu öffnen, daß er sehen und erkennen möge, er sei abgeirrt von der rechten Straße, und daß er wieder einlenke auf die Straße der Gerechtigkeit, des Friedens und der Gottseligkeit.

Einlenke, das heißt widerrufe, rief Joseph heftig. Niemals wird das geschehen können, denn ich habe gehandelt aus bester und ernster Ueberzeugung, und Ueberzeugungen lassen sich nicht umwenden, wie ein Handschuh.

Auch Ueberzeugungen sind dem Wechsel unterworfen, sagte Pius. Die Geschichte der heiligen Päpste selbst giebt uns Beispiele davon. Aeneas Sylvius war als gelehrter Bischof ein heftiger Gegner der päpstlichen Gewalt und richtete die glühendsten und gelehrtesten Streitschriften gegen die Unfehlbarkeit des Papstes, von dem er behauptete, daß er nicht über den Concilien, sondern unter ihnen stände. Aeneas Sylvius aber, als er Papst geworden und sich Pius der Zweite nannte, sah das Irrige und Gefährliche seiner frühern Ansicht ein und wechselte seine Ueberzeugung, indem er feierlich anerkannte: »der Papst steht nicht unter, sondern über den Concilien, und Niemanden ist er verantwortlich, als Gott allein, unabsetzbar regiert er auf dem Stuhl St. Petri!« Oh, mein Sohn, ich hoffe der gnadenreichen herrlichen Zeit entgegen, wo Ew. Majestät widerrufen werden, wie einst Aeneas Sylvius widerrufen hat, wo Ew. Majestät sprechen werden die Worte voll Demuth und Zerknirschung, welche Pius der Zweite in seiner Widerrufungsbulle gesprochen hat, daß Sie rufen werden, wie er es gethan hat: »Wir sind ein Mensch und haben als Mensch geirrt. Wir leugnen nicht, daß Vieles von dem, was wir gesagt, oder gethan haben, verwerflich ist. Wir haben aus Verführung wie Paulus gesündigt, und aus Unwissenheit die Kirche Gottes verfolgt. Wir ahmen aber dem Beispiel des heiligen Augustinus nach, der die in seinen Werken ihm entschlüpften irrigen Meinungen widerrufen hat. Wir widerrufen gleich ihm und bekennen offenherzig unsere Unwissenheit, aus Furcht, daß das, was wir in unserer Jugend gethan haben, zu irgend einem Irrthum, der mit der Zeit dem heiligen Stuhle nachtheilig werden könnte, Gelegenheit geben möchte.« Diese Widerrufungsbulle gab Pius II., der ehemalige gelehrte Aeneas Sylvius, im Jahr 1463 ab, während er auf dem Concilium zu Basel durch seine gelehrten Schriften und Reden gerade die Veranlassung gewesen, daß das Concilium sich für ermächtigt erklärte, die Päpste abzusetzen.

Ich hoffe, daß ich niemals so sprechen, und wie Aeneas Sylvius es gethan, um persönlicher Vortheile willen widerrufen werde, was ich als wahr und recht erkannt habe, rief der Kaiser glühend. Aber streiten wir nicht über diese Dinge, reden wir gar nicht wieder von ihnen. Ich bin kein Theologe und verstehe mich nicht darauf, Ihnen, wie ich es müßte, auch aus dem Canonischen Recht zu beweisen, daß alle meine Ansprüche gesetzlich und berechtigt sind. Belieben Ew. Heiligkeit also gnädigst, Alles, was Sie mir über die obwaltenden Streitpunkte sagen möchten, niederzuschreiben, damit ich es alsdann meinen Theologen zur Untersuchung vorlegen kann. Ministeriell und bis in's Kleinste, Einzelne soll mein Kanzler dann darauf antworten; ich will das Ganze dann zur Belehrung meiner Unterthanen drucken lassen. Des Kaisers eigene Worte. Siehe: Ramshorn, Kaiser Joseph II. und seine Zeit. S. 318. Aber wir selber wollen nichts damit zu thun haben. Ew. Heiligkeit sind hierher gekommen, um mir einen dankenswerten Beweis Ihrer Gnade und Liebe zu geben; ich werde Alles thun, um mich dieser Liebe würdig zu zeigen und meinem edelsten und erhabensten Gast ein gefälliger und dienstbereiter Wirth zu sein. Und da mahnt mich sogleich mein Gewissen, daß ich meinen Pflichten als Wirth schlecht genüge, indem ich Ew. Heiligkeit durch meine Anwesenheit verhindere, der Ruhe zu pflegen, deren Ew. Heiligkeit nach so langer und anstrengender Reise ohne Zweifel bedarf. Ich eile also, mich zurückzuziehen, und bitte mir zu vergeben, daß der Wunsch, die Gegenwart Ew. Heiligkeit zu genießen, mich der schuldigen Rücksicht vergessen ließ.

Er neigte sich tief vor dem Papst, und als dieser ihm seine Hand darreichte, drückte Joseph sie mit der Zärtlichkeit und Unterwürfigkeit eines Sohnes an seine Lippen. Dann wandte er sich rasch ab und verließ, ohne ein Wort weiter zu sagen, das Gemach.

Der Papst schaute ihm mit einem langen und traurigen Blick nach. Ich fürchte, er hat die Wahrheit gesagt, und er ist unverbesserlich, murmelte er leise, und indem er dann langsam seine tiefen, dunkeln Augen gen Himmel erhob, fuhr er fort: Eine Zeit lang versucht es der Herr mit Milde. Aber wenn die Milde nicht fruchtet, sendet er seine Blitze, und sie werden dereinst diesen Abtrünnigen zerschmettern, wie sie noch alle Diejenigen zerschmettert haben, welche gegen Gott und die heilige Kirche sündigten!


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