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VII.
Das neue Begräbniß

Der Kaiser hatte seine Arbeiten vollendet und war eben im Begriff, seinen gewöhnlichen Spazierritt anzutreten, den er täglich nach Beendigung der Arbeiten des Vormittags zu machen pflegte. Sein Lieblingspferd stand schon gesattelt im Hofe, und daneben in seiner einfachen grauen Livrée der Jokey, der allein dem Kaiser auf seinem Spazierritt zu folgen hatte.

Aber wie der Kaiser eben sich anschickte, sein Cabinet zu verlassen, trat der Kammerhusar ein und meldete den Feldmarschall Lacy.

Soll eintreten! rief der Kaiser rasch, und er eilte selbst bis zu der Thür des Vorsaals, um den Feldmarschall zu begrüßen.

Lacy erwiderte den herzlichen Gruß des Kaisers mit einer steifen ceremoniellen Verbeugung, und ein Ausdruck feierlichen Ernstes sprach aus seinen Zügen.

Sire, sagte er, ich erlaube mir, Ew. Majestät um eine Unterredung zu bitten.

Gut, diese Unterredung soll Ihnen werden, mein Freund, sagte Joseph heiter. Machen Sie mir das Vergnügen, mich auf meinem Spazierritt zu begleiten! Man soll Ihnen ein Pferd vorführen, wir wollen in die einsamsten Alleen des Augartens reiten, und da wollen wir unsere Unterredung haben.

Verzeihung, Majestät, ich bitte um eine Audienz hier im Cabinet, und sogleich! Ich sah bei meinem Kommen wohl das Pferd Eurer Majestät gesattelt im Hof stehen, und wußte, daß Sie eben Ihren gewöhnlichen Spazierritt antreten wollten. Wenn ich dennoch komme, und dennoch Ew. Majestät um eine Unterredung hier im Arbeitscabinet bitte, so mögen Sie daraus ermessen, wie wichtig die Dinge sind, über welche ich mir erlauben möchte, mit Ew. Majestät zu sprechen.

Und sie erleiden keinen Aufschub? Wir können nicht vorher zusammen einen Spazierritt machen?

Sire, wenn ich annehmen darf, daß meine Audienz schon angefangen hat, und ich mit meinen Bitten beginnen darf, so ist meine erste Bitte, daß Ew. Majestät heute Ihren Spazierritt aufgeben, und sich heute nicht öffentlich zeigen!

Ah, wahrhaftig, Sie sprechen, als ob ich an der Stelle meines vielgeliebten Schwagers von Frankreich wäre, von dem man sagt, daß er es scheuen müsse, sich öffentlich zu zeigen, weil er das laute Murren seines unzufriedenen Volkes zu fürchten habe.

Sire, nehmen Ew. Majestät immerhin einmal an, daß Sie dasselbe zu fürchten hätten, wie der König von Frankreich, und geben Sie Ihren Spazierritt auf. Thun Ew. Majestät es mir zu Liebe!

Ihnen zu Liebe, ja! sagte Joseph rasch, indem er schellte. Man soll mein Pferd absatteln, ich reite heute nicht! befahl er dem eintretenden Kammerdiener, und sich dann wieder an Lacy wendend, fuhr er fort: Jetzt reden Sie! Was ist es, das Sie veranlassen kann, so ernste und unheilsvolle Worte zu sprechen, und mir zu drohen mit dem Murren meines Volkes?

Sire, sagte Lacy ernst und feierlich, erinnern Ew. Majestät sich noch jenes Tages, als Rosenberg und ich Ihnen gleich nach Antritt Ihrer Selbstherrschaft feierlich bei Allem, was uns heilig ist, bei dem Andenken an unsere Mütter, in Ihre Hand schwören mußten, Ihnen nicht allein immer die Wahrheit zu sagen, wenn Ew. Majestät es forderten, sondern auch, wenn wir unserm Gewissen nach es für nothwendig hielten, Ihnen unaufgefordert die Wahrheit zu sagen?

Ich erinnere mich dessen sehr wohl, mein Freund, aber ich weiß auch, daß Sie Beide leider noch niemals diesem Schwur gemäß mir unaufgefordert Ihren Rath ertheilt, Ihre Meinung gesagt haben!

Sire, heute thue ich es! Heute komme ich, Ew. Majestät zu warnen, zu Ihnen zu flehen, daß Sie ein wenig mehr auf ihre persönliche Ruhe und Sicherheit bedacht sein und nicht so rasch vorwärts schreiten möchten auf diesem gefährlichen Wege der Reformen.

Ach, Lacy, auch Sie! rief Joseph erstaunt. Auch Sie, der Tapferste meiner Tapfern, wollen mich zurückhalten und sprechen mir von den Gefahren meiner Reformen? Wo liegen denn die Gefahren? Was will ich denn? Ich will mein Volk glücklich, aufgeklärt und frei machen, und das so rasch, als möglich!

Das eben ist die Gefahr, Sire! Alles was Sie wollen, ist groß, edel und gütevoll. Aber indem Sie das Gute bezwecken, übersehen Ew. Majestät, daß, wenn man das Gute befiehlt, dies nur als Zwang empfunden, und daher lässig gethan wird. Ew. Majestät wollen in allen Dingen nur das Wohl Ihres Volkes, aber Sie vergessen dabei, daß die Völker eben so gut erzogen werden wollen, wie die Kinder, und daß man die Sclaven nicht in Einem Tag gleich in freie Menschen umformen kann. Ihr Volk hat seit Jahrhunderten geschlafen, es ist dahin geschlichen in der Dunkelheit und Finsterniß des Geistes- und Gewissenszwanges, und jetzt auf einmal wollen Sie es wecken und ihm das volle Licht des Tages geben? Kein Wunder, daß diese an die Dunkelheit gewöhnten Augen sich davon geblendet fühlen, und daß sie nun, statt Ew. Majestät als den Lichtspender zu segnen, Ihnen zürnen als Dem, der sie blind gemacht hat. Ew. Majestät wollen diese vom Priesterdruck gelähmten Seelen auf einmal erlösen und frei machen, und weisen deshalb die Geistlichkeit zurück in ihre Schranken und entreißen den Priestern die usurpirten Rechte über Ihre Unterthanen. Aber Sie vergessen, daß der lange Druck Ihre Unterthanen an den Zwang gewöhnt hat, daß sie sich selber fühlen als die Untergebenen ihrer Priester, und wie gute Kinder ihre Peiniger und Kerkermeister lieben.

Wie gute Hunde, wollen Sie sagen, rief Joseph mit einem bittern Lachen. Ich aber will kein Volk von demüthigen, schmeichlerischen Hunden, sondern ein Volk von denkenden, freien, selbstständigen Menschen. Und das will ich haben so rasch als möglich, denn mich widert's an, nur einen Fetzen noch zu sehen von dieser Zwangsjacke, in welche die Priesterherrschaft mein Volk eingezwängt hat. Ich will sie zerreißen auf Einen Schlag, ich will, daß mein Volk ungehindert seine Glieder regen, daß es aufathmen soll aus freier Brust. Ich habe nicht Zeit zu temporisiren, denn ich weiß, was ich zu thun habe, und darum muß es schnell geschehen. Schnell müssen die altgothischen Zwingherrschaften niedergerissen werden, damit sich über den Trümmern und dem Schutt das Gebäude eines neuen, freien, glücklichen Staats erheben kann.

Wer langsam baut, der baut allein sicher, sagte Lacy seufzend. Wer auf schwachem Fundament einen noch so schönen und herrlichen Säulenbau aufführen will, wird doch erleben, daß er zusammenfällt; seine schönsten Baupläne werden doch nicht verhindern, daß die Säulen zusammenbrechen und in Staub zerfallen, wenn auf schlechtem, unterhöhltem Grund gebaut ist, oder wenn man dem Bau nicht Zeit gelassen hat zu trocknen und in dem freien Luftzug sich zu härten.

Zeit! Ich habe keine Zeit zu warten, rief Joseph. Ich gehe schnell und sicher auf mein Ziel los, ohne Warten und Bedenken. Entschluß und Ausführung muß Eins sein, denn das Leben ist kurz, und der Tod schaut uns immer über die Schulter. Deshalb darf man nicht säumen und nicht stille stehen auf seinem Wege, deshalb muß man auch mit dem Guten sich beeilen. Ich kann mich nicht damit begnügen, das Gute blos zu säen und meinen Nachkommen die glückliche Ernte getrost zu überlassen. Ich muß selbst säen, aber auch selbst ernten. Als ich meinen Wienern den Augarten öffnete und ihnen einen schattigen Spaziergang schaffen wollte, habe ich mich da etwa begnügt, ihnen dort junge Sprößlinge hinzupflanzen, damit die langsam wachsen und einst unsern Enkeln Schatten gewähren möchten? Nein, ich habe, der ungeheuren Kosten und Mühen nicht achtend, gleich ausgewachsene große Bäume dahin schaffen und in die Erde senken lassen, damit ich selbst und meine Mitmenschen von ihrer Größe und ihrem Schatten Vortheil haben möchten. Und die Erde trägt als sicheres Fundament auch die großen Bäume, die ich in sie versenkt, und mein Volk freut sich der mächtigen großen Alleen, und indem es ihres Schattens genießt, liebt es mich und dankt mir durch sein Wohlbehagen. Des Kaisers eigene Worte. Eben so wird und muß es auch sein mit meiner ganzen Regierung und meinen Reformen. Große Bäume will ich pflanzen, keine Schößlinge. Das Licht will ich geben, aber auch gleich Schatten haben unter meinen Bäumen! Das Alte soll fort, und das Neue will ich an seine Stelle setzen, bevor die alten zusammenstürzenden Ruinen mein Volk zerschmettern.

Die Idee ist erhaben und segensvoll, sagte Lacy seufzend, aber die Praxis kann nicht so schnell den Ideen folgen, und nur langsam und ruckweise kann die Umwandlung der Geister und Menschen geschehen. Die Reformationen, welche sich überstürzen, werden zu Revolutionen, welche Alles zerschmettern, das Gute mit dem Bösen, das Erhabene mit dem Erbärmlichen, und nichts übrig lassen, als ein ödes Chaos, eine ungeheure klaffende Ruine. Reformationen müssen so gemacht werden, wie die Pilgerfahrten der Gläubigen im Mittelalter. Sie thaten nach drei Schritten vorwärts immer einen Schritt rückwärts, um nur besonnen und gestählt in der Geduld und dem Ausharren weiter zu kommen, und sie kamen weiter, wenn auch langsam; der eine Rückschritt hemmte sie, aber er hinderte ihre Reise nicht, sie ruhten zugleich, indem sie gingen, sie überstürzten sich nicht, sondern langten besonnen und ruhig bei ihrem Ziel an.

Ich kann und mag nicht lernen von diesen Pilgern des Mittelalters, rief Joseph ungeduldig. Mein Zweck ist heilig, und darum dürfen auch meine Mittel scharf und energisch sein. Lacy, was ist es denn, das man mir zum Vorwurf macht?

Ew. Majestät reformiren zu viel auf Einmal, und das thut zu Vielen wehe.

Aber ich reformire doch nur im guten Sinn, ich bin kein Tyrann, der sein Volk knechtet und in den Staub tritt. Ich will es erheben und frei machen, und doch schreit man wider mich, doch hindert man mich überall. Ich habe seit dem Antritt meiner Regierung mir jederzeit angelegen sein lassen, die Vorurtheile gegen meinen Stand zu besiegen, mir Mühe gegeben, das Zutrauen meiner Völker zu gewinnen. Seit ich den Thron bestiegen, habe ich zu beweisen gesucht, daß das Wohl meiner Unterthanen mich allein beschäftigt, allein mein Herz ausfüllt, daß ich, um diesem zu genügen, keine Arbeit, keine Mühe und selbst keine Qualen scheue, und daß ich genau die Mittel überlege, welche mich meinem Ziel und meinen Absichten näher bringen. Dennoch finde ich bei meinen Reformen überall Widersetzlichkeit, selbst von Denen, welche meine Pläne billigen und meine Absichten verstehen. Oh Lacy, das thut meinem Herzen bitter wehe. Wenn ich unbekannt wäre mit den Pflichten meines Standes, wenn ich nicht moralisch davon überzeugt wäre, daß ich von Gott dazu bestimmt bin, mein Diadem zu tragen, mit all der Last der Verbindlichkeiten und Pflichten, die mir damit auferlegt worden, so müßte Mißvergnügen, Unzufriedenheit mit meinem Loos, und der Wunsch: Nicht zu sein! meine Freudigkeit lähmen und die Ruhe meines Geistes bewältigen. Ich kenne aber mein Herz, ich bin in meinem Innersten von der Redlichkeit meiner Absichten überzeugt, und hoffe, daß wenigstens einst, wenn ich nicht mehr bin, die Nachwelt billiger, gerechter und unpartheiischer das, was ich für mein Volk gethan, prüfen wird, daß man mich beurtheilt, während man mich jetzt grausam und ungerecht verurtheilt. Des Kaisers eigene Worte. Siehe: Briefe Josephs II. S. 114.

Oh, ich sehe es wohl, Ew. Majestät zürnen mir, rief Lacy traurig, Sie rechnen auch mich zu den Uebelwollenden, welche Ihre erhabenen Ideen nicht anerkennen, das Herrliche nicht sehen wollen, was Sie bezwecken. Und doch bin ich durchglüht von Bewunderung für Ihr großes Wollen, doch weiß und erkenne ich, was Ew. Majestät Ihrem Volke Herrliches und Edles geben und aufrichten wollen. Aber gerade deshalb erfüllt es mich mit Schrecken und Entsetzen, daß dem erhabenen Wollen nicht auch das Vollbringen entsprechen sollte, daß Ew. Majestät scheitern könnten mit Ihren hochherzigen Plänen, weil Sie dabei vielleicht zu wenig auf die Schwäche und Erbärmlichkeit der Menschen gerechnet, weil Sie, erfüllt von der Heiligkeit Ihres Zweckes, vielleicht zu wenig Rücksicht auf Ihr Zeitalter und Ihr Volk genommen haben. Ew. Majestät wollen bei Ihrem Volk durch Befehle, nicht durch allmälige Heranbildung eine Veränderung der Denkungsart bewirken, aber ich fürchte, Sie achten dabei zu wenig auf die Gewalt der Meinung und des Vorurtheils, gegen welche doch die größte Fürstenmacht nichts vermag, ich fürchte, Sie berechnen zu wenig den Einfluß der Menschen, denen Ihre Reformen wehe gethan.

Wer sind diese Menschen, denen ich wehe gethan? fragte Joseph hastig. Es sind die Adligen und die Priester, nicht wahr?

Ja, diese sind es zunächst. Ew. Majestät haben durch zu schnelle Gleichmachung der Stände, durch die neuen Grafen aus der Finanzwelt, die neuen Barone aus der Judenwelt den alten Geburtsadel beleidigt, welcher bei Ihrer edlen, philosophischen Denkungsart von seinem Ansehen eingebüßt hat; Sie haben durch den gerechten Krieg gegen die Hierarchie die Geistlichkeit in Aufruhr gebracht, trotz der verliehenen Censurfreiheit doch durch jenes Rescript, in welchem Ew. Majestät den Büchernachdruck gestatten und den Buchhandel mit dem Käsehandel vergleichen, auch die Gelehrten und Publicisten mißvergnügt und widerwillig gemacht.

Sie mögen Recht haben mit all Ihren Anschuldigungen, rief Joseph. Ich habe diejenigen, welche sich gern die bevorrechteten Stände nennen, wider mich aufgebracht, sie unzufrieden gemacht und ihnen zu Klagen Anlaß gegeben. Aber ich habe es gethan, weil ich keinem Stand Vorrechte vor dem andern zugestehen, weil ich gerecht sein wollte gegen Alle. Die Bevorrechteten mögen mich hassen, wenn nur mein Volk mich liebt, und dem Volk, hoff' ich, habe ich keinen Anlaß zum Verdruß gegeben.

Ach, Sire, Sie denken zu edel von dem Volk, sagte Lacy traurig, und weil ich denn doch geschworen habe, Ew. Majestät stets nur die Wahrheit zu sagen, so muß ich meinem Schwur genügen. Ja, Sire, Sie haben auch Ihrem Volk Anlaß zum Aerger und Verdruß gegeben.

Wodurch? fragte der Kaiser hastig.

Dadurch, Sire, daß Sie die Vorurtheile und den Aberglauben verachtet und verspottet haben, daß Sie die Gebräuche und Gewohnheiten des Volkes, weil Sie dieselben als schädlich und unheilsvoll erkannten, auszurotten trachteten, ohne Rücksicht darauf, daß Ihr Volk dieselben liebt, an ihnen hängt, und nur allmälig zum Losreißen und Aufgeben derselben mußte gebildet werden. Das Volk zürnt Ew. Majestät, weil Sie ihm die Heiligenreliquien und die wunderthätigen Bilder aus ihren Kirchen entrückt, weil Sie den Handel mit Amuletten, Agnus Dei und geweiheten Zetteln verboten haben, weil sie den Heiligenbildern ihre Allongenperrücken und ihre Reifröcke fortnehmen ließen, weil Sie die Wallfahrten einschränkten, und die Bitt- und Umgänge verboten.

Weil ich den Aberglauben mit all seinem Wust, seiner Heuchelei und Betrügerei beseitigen wollte, um dafür meinem Volk wieder den Glauben und die wahre unverfälschte Religion ohne Schminke, Allongenperrücken und Kleidertrödel zu geben.

Das Volk verwechselt nur zu leicht seinen Aberglauben mit dem Glauben, Sire, und wer seinen Aberglauben heilig hält, den nennt es gottesfürchtig.

Weil menschenfürchtig! unterbrach ihn Joseph.

Ja, Sire, weil menschenfürchtig. Ew. Majestät fürchten die Menschen nicht, sondern Sie lieben sie, und darum wollen Sie auch ihres Aberglaubens nicht schonen, darum wollen Sie die unmündigen Kinder als erwachsene denkende Männer behandeln. Aber sie danken es Ihnen nicht, sie nennen Ew. Majestät einen Gottesleugner, weil Sie die Mißbräuche, die sich die Geistlichkeit erlaubte, abgestellt haben, einen Freigeist, weil Sie den Eid auf die unbefleckte Empfängniß Mariä verboten, einen Despoten, weil Sie die theatralische italienische Kirchenmusik verbannt und befohlen haben, daß man deutsche Gesänge bei der Messe ausführen soll. Oh zürnen Ew. Majestät mir nicht, daß ich es wage, so zu sprechen und Ihnen alles das aufzuzählen, was die Beschränktheit und die Dummheit Ihnen als Verbrechen anrechnet. Ich mache mich zum Ankläger Ew. Majestät, weil ich mich zum Anwalt des Volkes machen möchte, weil ich hierher gekommen bin, um Ew. Majestät zu beschwören, daß Sie dieses armen Volkes sich erbarmen und Mitleid und Schonung haben möchten mit seinen Schwächen und seiner Beschränktheit.

Und ist es etwas Specielles, Lacy, was Sie geändert haben möchten?

Ja, Sire, etwas sehr Specielles, bei welchem ich der Anwalt des Volkes sein will. Ew. Majestät haben eine Verordnung erlassen, welche das Volk in seinen geheimsten Tiefen aufgeregt hat, und – verzeihen Ew. Majestät mir diesen Freimuth, – welche so sehr freigeistig und frei von allen Vorurtheilen ist, daß sie fast an die Grenzen des Barbarischen streift.

Welche Verordnung meinen Sie?

Die Verordnung über das neue Leichenbegängniß, Sire. Ich beschwöre Ew. Majestät, nehmen Sie dieselbe zurück, beruhigen Sie den aufgeregten geängsteten Sinn Ihres Volkes, welches jammernd und wehklagend schreit, daß Ew. Majestät nichts heilig sei, selbst nicht die Todten und die Gräber. Lassen Sie dem Volk seinen Gottesacker und die Gräber seiner Angehörigen, auf denen es beten geht.

Nein, auf denen es seinem Aberglauben fröhnen geht, rief Joseph glühend. Ich will nicht, daß der Mensch den gestorbenen Menschen unter der Erde suche, sondern ich will, daß er seinen Blick zum Himmel erhebe, ich will nicht, daß er das Andenken der Verwesung und des Würmerfraßes feiere, sondern ich will, daß er den unsterblichen Geist liebe, welcher nicht zu finden ist in der elenden Menschenhülle und in dem Futteral der Seele. Die Menschen sollen ihre Vorangegangenen nicht lieben in den abgestandenen todten Leibern, sondern in dem lebendigen ungestorbenen Geist, der bei ihnen bleibt und sich nicht in Gräbern verschütten läßt.

Sire, Sie sprechen da von einem idealen Volk, welches niemals gewesen ist, und das zu bilden der allmächtige Gott Ihnen das Leben eines Methusalem geben müßte. Aber noch ist es zu früh mit dieser Verordnung, welche dem Volk so erhabene Begriffe zumuthet, und statt sich davon geschmeichelt zu fühlen, empört sich das Volk.

Sprechen Sie im Ernst, Lacy? fragte der Kaiser mit flammenden Augen. Das Volk empört sich, sagen Sie?

Ja, Sire, es empört sich. Gestern hat das erste Begräbniß der neuen Verordnung gemäß stattgefunden, und seitdem ist das Volk in der höchsten Aufregung. Heut soll ein zweites derartiges Begräbniß in einer der Vorstädte stattfinden. Die Nachricht davon ist wie ein Lauffeuer durch ganz Wien gefahren, sie ist wie ein Wuthschrei in den niedrigsten und elendesten Spelunken, in den schmutzigsten Dachkammern wiederholt worden, und die Bewohner derselben sind hinausgestürzt auf die Straße mit geballten Fäusten, Thränen des Zorns in den Augen, mit einem tiefen Wehegefühl im Herzen, denn sie fühlen sich angegriffen und beleidigt in ihren heiligsten Menschenrechten, sie fühlen, daß dieses Verbot: ihren Leichen Särge und ein bleibendes Grab zu geben, nicht die Reichen und Bevorzugten trifft, nicht Diejenigen, welche sich Erbbegräbnisse bauen können, sondern nur die Armen, welche das nicht können.

Die Armen, denen ich das Land, das sie sonst für ihre Gräber nutzlos liegen lassen mußten, zu besserm und vortheilhafterm Gebrauch dienstbar machen wollte, die Armen, welche ich verhindern wollte, ihr Geld für einen hölzernen Sarg auszugeben, der in der Erde verfaulen muß, damit sie sich dafür anderes Holz kaufen können, welches ihre Wohnung wärmt, und bei dem sie das Essen kochen können für ihren hungrigen Leib!

Aber ich wiederhole Ew. Majestät, das Volk ist noch nicht so weit vorgeschritten in der Geistesfreiheit und Bildung, um das einsehen und begreifen zu können. Nehmen Sie also Ihre Verordnung zurück, Sire, ich beschwöre Sie darum!

Zurücknehmen! rief Joseph, und sein Antlitz flammte auf im Zorn. Ich sollte zurücknehmen, was ich einmal befohlen habe? Niemals werde ich der Dummheit und dem Uebelwollen ein solches Zugeständniß machen.

Dann, sagte Lacy ernst und fest, dann ist es möglich, daß die Flammen der Revolution, welche, wie Ew. Majestät mir selbst gesagt, jetzt überall aufglühen, hier in Wien zuerst zum Ausbruch kommen, und dann werden Sie es sein, welcher sie angeschürt hat. Sire, ich flehe Sie an, haben Sie Erbarmen mit dem armen verdüsterten Volk, das das Licht noch nicht ertragen kann, gehen Sie nicht zu Gericht mit unmündigen Kindern. Bewahren Sie sich und Ihr Volk vor Aufruhr und Empörung, die Sie wohl dämpfen würden, welche aber das Blut und das Glück vieler Ihrer Unterthanen kosten könnte. Es herrscht eine Aufregung auf den Straßen, wie ich sie nie gesehen, Tausende und aber Tausende stürmen nach der Vorstadt hin, wo das Begräbniß stattfinden soll.

Wann soll es stattfinden? fragte der Kaiser rasch.

Um drei Uhr Mittags, Sire.

In einer Stunde also, sagte Joseph, einen raschen Blick nach der Uhr hinüber werfend.

Ja, in einer Stunde, Sire, und dies kann eine Stunde des Schreckens werden, wenn Ew. Majestät es nicht großmüthig verhindern. Sie haben, um das Volk vom Müßiggang abzuhalten, das Nachfolgen bei den Leichenbegängnissen verboten, und diese arme Handwerkersfrau, welche heut begraben werden soll, wird ein Gefolge von Tausenden haben, und selbst die Polizei, welche zu Hunderten auf der Straße und sich mit Drohungen und Scheltworten unter die Menschenhaufen stürzt, wird sie heute nicht hindern können, oder sie wird es mit Gewalt thun müssen.

Es ist also schon jetzt ein Volksauflauf? fragte der Kaiser entsetzt.

Würde ich sonst um diese Stunde hierhergekommen sein? Würde ich Ew. Majestät sonst gebeten haben, heute Ihren Spazierritt zu unterlassen?

Deshalb also? Sie glaubten doch nicht etwa, daß ich mich vor dem Volk fürchten könnte?

Sire, die Wuth des Volkes ist wie das empörte Rasen eines Tigers, welcher lange im Käfig gesessen, und endlich die Eisenstangen zerbrochen und sich frei gemacht hat. In der blutgierigen Freude über seine eroberte Freiheit, wird er Jeden erwürgen, der ihm in den Weg tritt und ihn aufhalten möchte.

Ich bin doch begierig, diesen Tiger in seiner blutgierigen Freude zu beobachten, sagte der Kaiser, die Hand nach der Klingel ausstreckend.

Sire, was wollen Sie thun? fragte Lacy, die Hand des Kaisers zurückhaltend.

Ich will mein Pferd vorführen lassen und in die Leopold-Vorstadt zum Begräbniß reiten.

Um die Wuth des Volkes noch mehr zu reizen, Sire? Um diese armen Leute zu ängstigen und außer sich zu bringen? Um Ew. Majestät der Gefahr auszusetzen, dem blutdürstigen Tiger als Beute zuzufallen? Oh, ich beschwöre Ew. Majestät, bei der grenzenlosen Liebe, die ich zu Ew. Majestät hege, bei der heiligen Liebe, welche Sie für Ihr Volk hegen, geben Sie nach, Sire! Haben Sie Erbarmen mit dem befangenen Sinn dieser Armen, welche besitzlos und elend durch das Leben gehen, und deren erstes und einziges Eigenthum oft das Grab ist, in welchem sie ausruhen von der harten Arbeit und Mühe eines ganzen Lebens, und Frieden finden nach langen Entbehrungen und Qualen. Und Sie wollen den Kindern dieser Armen den letzten und einzigen Trost nehmen, hinzugehen zu den Gräbern, welche auch ihr einziges Eigenthum sind, und zu beten an der Asche ihres Vaters um Kraft und Muth! Sie wollen diesen Schwerbeladenen, welche die Noth oft verdammt, zu leben wie das Thier, noch den Trost rauben, wenigstens begraben zu werden wie ein Mensch! Sie befehlen, daß die Leichen in graue Säcke genäht, ohne Sarg, in ein tief gegrabenes Loch geworfen werden, nicht einmal jede einzeln, sondern so viel eben da sind, und mit Kalk bestreut werden, um desto rascher zu verwesen. Kein Gedenkstein soll sich mehr erheben über diesen zugeworfenen Löchern, nichts soll die Zurückbleibenden erinnern an die Stätte, wo ihre Heimgegangenen ruhen? Die Leichenverordnung lautete: Da bei der Begrabung kein anderes Absehen sein kann, als die Verwesung so bald als möglich zu befördern, und solcher nichts hinderlicher ist, als die Eingrabung in Todtentruhen, so wird für gegenwärtig geboten, daß alle Leichen in einen leinenen Sack ganz bloß, ohne Kleidungsstücke, eingenäht, sodann in die Todtentruhe gelegt und in solcher auf den Gottesacker gebracht werden sollen. – Es soll auf diesen Kirchhöfen jederzeit ein Graben von sechs Schuh Tiefe und vier Schuh Breite gemacht, die dahin gebrachte Leiche aus der Truhe allemal herausgenommen, und wie sie in den leinenen Sack genäht ist, in diese Grube gelegt, mit ungelöschtem Kalk überworfen, gleich wieder mit der Erde zugedeckt werden. Sollten zu gleicher Zeit mehrere Leichen ankommen, so können mehrere in dieselbe Grube gelegt werden. Groß-Hoffinger: Lebens- und Regierungsgeschichte Joseph II. Th. II. S. 146. Das ist hart und grausam, es ist groß und klar gedacht, aber es erscheint in der Ausführung lieblos und barbarisch. Ich weiß wohl, was ich wage, indem ich mich unterfange, so rücksichtslos und unehrerbietig zu Ew. Majestät zu sprechen, aber mein Gewissen befiehlt es mir, und ich muß ihm gehorchen, sollte ich selbst die Gnade meines Kaisers darüber verlieren. Noch einmal, Sire, widerrufen Sie. Nehmen Sie diesen grausamen Befehl zurück, thun Sie es aus Erbarmen mit diesem armen Volk, das zerknirscht und gedemüthigt, außer sich vor schmerzlicher Wuth, durch die Straßen rennt; jetzt können Sie es noch beruhigen mit einem gütigen Wort; in einer Stunde, wenn sein Schmerz bei dem Anblick dieses Begräbnisses, welches ihnen ein schimpfliches und entehrendes scheint, in Raserei ausgeartet ist, wird es vielleicht des Schwertes und der blutigen Strenge bedürfen, um die Wogen dieses aufgeregten Meeres wieder in seine Grenzen zurückzuführen. Sire, geben Sie nach, jetzt, da Sie es noch können, in einer Stunde wird Ihr kaiserliches Ansehen es Ihnen nicht mehr gestatten!

Der Kaiser schaute mit einem langen, düstern Blick in das Antlitz Lacy's, der mit flehendem Ausdruck, mit gefaltenen Händen vor ihm stand. Dann wandte sich Joseph von ihm ab, ohne ein Wort zu sagen, und ging mit ernstem, feierlichem Schritt zu seinem Schreibtische.

Einen Moment blieb er gedankenvoll vor demselben stehen, einen Moment schien es, als wolle er wieder zurücktreten, als gereue ihn der Entschluß, den er gefaßt. Aber dann nahm er mit einer hastigen Bewegung die Feder, und auf den Fauteuil vor dem Schreibtische sich niedersetzend, begann der Kaiser mit raschen Zügen zu schreiben.

Dann stand er auf und schritt mit dem beschriebenen Blatt Papier in der Hand zu Lacy hin.

Lesen Sie, sagte er, dem Feldmarschall das Papier darreichend.

Dieser nahm es, indem er einen flehenden Blick auf den Kaiser warf, dessen Antlitz einen düstern, feierlichen Ausdruck zeigte.

Lesen Sie laut, befahl der Kaiser.

Lacy verbeugte sich und las: »Da ich erfahre, daß die Begriffe der Lebendigen leider noch so materiell sind, daß sie einen unendlichen Preis darauf setzen, daß ihre Körper nach dem Tode langsamer faulen und länger ein stinkendes Aas bleiben, so ist mir wenig daran gelegen, wie sich die Leute begraben lassen. Sie werden also erklären und bekannt machen lassen, daß, nachdem ich die vernünftigen Ursachen, die Nutzbarkeit und Möglichkeit dieser Art Begräbnisse gezeigt habe, ich keinen Menschen, der nicht davon überzeugt ist, zwingen will, vernünftig zu sein, und daß also ein Jeder, was die Truhen anbelangt, frei thun kann, was er für seinen todten Körper zum Voraus für das Angenehmste hält.« Hübner: Lebensgeschichte Joseph II. Th. II. S. 525.

Als Lacy ausgelesen hatte, rief Joseph mit lauter Stimme nach seinem Geheim-Secretair Günther; sofort öffnete sich die Thür, welche nach der Kanzlei führte, und Günther trat ein.

Diesen Brief sogleich an den Oberkanzler und Minister Fürsten Kaunitz, sagte Joseph. Nehmen Sie einen Wagen und bringen Sie es dem Fürsten selbst hin. Ich will, daß dies Schreiben sofort in der Staatsdruckerei gedruckt und an allen Ecken angeklebt werde. Alsdann eilen Sie in die Leopold-Vorstadt; irgend einer von der Polizei wird Ihnen schon das Haus bezeichnen, wo heute das Leichenbegängniß stattfinden soll. Begeben Sie sich dahin und sagen Sie den Leidtragenden, daß ich ihnen gern erlaube, ihre Leiche so schön zu putzen, als sie es vermögen, und sie in einem Sarge zu begraben. Eilen Sie sich.

Günther verneigte sich und wandte sich wieder der Thür zu. Halt, noch Eins! rief der Kaiser rasch. Verfügen Sie sich alsdann auf das Polizei-Präsidium und bringen Sie dem Präsidenten meinen Befehl: es sollen sofort alle Polizei-Agenten die Straße verlassen, alle Soldaten in ihren Kasernen designirt werden. Weder der Anblick einer Waffe, noch irgend ein barsches Wort soll das Volk, welches sich heute zu einer Straßenpromenade verabredet hat, beunruhigen oder aufregen. Man lasse die guten Leute ungehindert so lange wandern, bis sie müde werden und unaufgefordert in ihre Häuser zurückkehren. Eilen Sie sich, Günther.

Günther verließ das Cabinet, und jetzt wandte sich Joseph wieder dem Feldmarschall zu.

Mit einem Blick voll unendlicher Liebe reichte er Lacy seine beiden Hände dar. Lacy, sagte er, ich habe Ihnen heute das schwerste Opfer dargebracht, ich habe widerrufen, ich habe es gethan, nicht aus Ueberzeugung oder aus Furcht, sondern nur, um Ihnen zu beweisen, welche Gewalt Ihr beredtes Wort über mich hat, um Ihnen zu danken für den mannhaften, edlen und kühnen Muth, mit welchem Sie zu mir gesprochen. Ein treuer und aufrichtiger Freund, das ist ein Kleinod, welches die Fürsten nur selten besitzen. Ich danke Gott und Ihnen, daß ich dieses Kleinod mein Eigen nenne!


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