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II.
Die Flucht

Du beharrst also bei Deiner Weigerung? fragte Herr Eskeles Flies mit flammenden Augen. Du wagst es, Deinem Vater zu trotzen und Dich aufzulehnen wider meine Befehle?

Ich beharre bei meiner Weigerung, erwiderte Rahel fest, und sie schaute ihrem Vater mit traurigen ruhigen Blicken in das tief erregte Angesicht. Ich muß mich auflehnen wider Deine Befehle, denn es gilt nicht nur mein irdisches Glück, es gilt das Heil meiner Seele, die Freiheit meines Herzens. Vater, oh mein Vater, verhärte Dein Herz nicht gegen Deine Tochter, stoße mich nicht grausam fort von dieser Stelle, welche mir gebührt, welche mein schönstes Erbtheil, mein köstlichster Besitz ist.

Und zerfließend in Thränen, mit ausgebreiteten Armen näherte sich Rahel zärtlich ihrem Vater. Er aber wies sie heftig zurück.

Du hast Dein Herz verhärtet, Rahel, Du allein, rief er. Du hast Deinen Vater verlassen und aufgegeben, bist untreu worden Deinem Gott und dem Gesetz, welches den Kindern befiehlt zu gehorchen ihren Eltern und ihnen unterthänig zu sein.

Ich kann dies Gesetz nicht mehr anerkennen, meine freie Menschenwürde lehnt sich dagegen auf, rief Rahel glühend. Ich will Dich lieben und ehren immerdar, aber ich kann Dir meine heiligsten Menschenrechte nicht zum Opfer bringen. Ich kann nie und nimmermehr die Gattin eines Mannes werden, den ich nicht liebe, den mein Herz nicht gewählt hat!

Den aber ich, Dein Vater, für Dich gewählt habe, sagte Eskeles Flies ernst und kalt, und den Du heirathen wirst, weil ich ihn gewählt habe!

Er ist ein roher, unwissender Mensch, mein Vater, ein Mensch, den ich verabscheue und hasse, weil er nichts schätzt, als seine Millionen, für nichts Hochachtung und Ehrfurcht hat, als für das Geld.

Er ist der Sohn des reichsten Handelshauses in Brüssel, von unserm allergnädigsten Kaiser belehnt mit dem Baronstitel, weil er hier in Oesterreich große Kattunfabriken angelegt hat, er ist also ganz und gar Deines Gleichen, oder vielmehr er ist vornehmer als Du, denn er ist reicher, ungleich reicher als wir.

Er ist nicht meines Gleichen, denn er ist ein roher, ungebildeter Mensch, rief Rahel, er versteht mich nicht.

Ihr Vater lachte laut auf. Er versteht Dich nicht. Er ist nicht Deines Gleichen, weil er nicht gleich Dir schwärmt für die Musik des jungen Herrn Mozart, er ist roh und ungebildet, weil er kein Freigeist ist, sondern heilig hält die Gebräuche seiner Väter und befolgt das Gesetz, und hasset die Christen, und ist stolz darauf, ein Jude zu sein.

Ja, ein Jude, sagte Rahel in sich erschauernd, ein Jude ist er in jeder Miene, in jedem Zug seines Angesichts, in jeder Bewegung, in jedem Wort und in jedem Gedanken. Ein Jude, nicht in dem edlen und schönen Sinn wie Du, mein Vater, sondern in jenem schlimmen und gehässigen Sinn, in welchem unsere Nation zum Gespött und Gelächter der Welt geworden, und der uns Verachtung und Hohn bei allen Völkern erworben hat. Oh, mein Vater, ich beschwöre Dich, zwinge mich nicht, Dir ungehorsam zu sein, stoße mich nicht von Dir, sondern gestatte mir, bei Dir zu bleiben, Dich zu lieben und Dir allein mein Leben zu weihen!

Ich habe Dich dem Baron von Meyer verlobt, und Du wirst seine Gattin werden, sagte Herr Eskeles Flies ernst.

Ich werde nicht seine Gattin werden, rief Rahel energisch. Wenn Du mich zwingst, mein Vater, Dir ungehorsam zu sein, so muß ich es thun.

Ich werde Dich zwingen, mir gehorsam zu sein, sagte ihr Vater mit kalter Ruhe. Unser Gesetz giebt den Vätern Gewalt über ihre Kinder, und ich werde diese Gewalt gebrauchen, um meine Tochter zu erretten von dem Abgrund, an welchem sie steht. Oder meinst Du, Rahel, Dein Vater ließe sich täuschen von Deinen Worten? Meinst Du, Dein Vater schaute nicht bis auf den Grund Deines Herzens und wüßte nicht, wie es in demselben aussieht? Nein, Rahel, täusche Dich nicht, Dein Vater kennt Dich. Deine Gedanken liegen klar vor ihm da, wie ein aufgeschlagenes Buch, und er liest darin Deine Untreue, Deinen Meineid und Deine Schande!

Wenn mein Vater das liest, so hat er falsch gelesen in meinen Gedanken, rief Rahel mit flammenden Zornesblicken. Nie bin ich untreu geworden den heiligen Gesetzen Gottes, nie habe ich einen Meineid begangen, denn das Gelübde, welches ich Dir geleistet, ich habe es gehalten, ich bin eine Jüdin geblieben. Nie habe ich etwas gethan, was irgend einer sterblichen Zunge, und sei es auch die meines Vaters, das Recht giebt, von meiner Schande zu sprechen!

Und Du wagst es, so, mit so klarer Stirn, mit so offnem Auge zu mir zu sprechen, sagte ihr Vater mit leiser bebender Stimme, indem er ihre Hand packte und sie mit drohenden Zornesblicken anschaute. Du wagst es, zu mir von Deiner Treue, Deiner Ehre und Deiner Religion zu sprechen, zu Deinem Vater, welcher mit angstzitterndem Herzen seit Jahren jeden Deiner Schritte überwachte, welcher das Unheil langsam, Tag um Tag immer näher heranschleichen sah, welcher all sein Geld und seine Reichthümer, all seine Millionen hätte hingeben mögen, um dieses Unheil zu ersticken, welcher mit verzehrender Angst im Herzen versuchte, es wenigstens zu beschwören und zurückzudrängen, indem er seine Tochter umgab mit verschwenderischer Liebe, mit königlicher Pracht, um sie zu zerstreuen und zu beschäftigen, um sie zu rühren, daß sie großmüthig all die Liebe ihres Vaters mit ein klein wenig Liebe, ein klein wenig Entsagung belohnen sollte. Und ich konnt's nicht erlangen, konnt' meiner einzigen Tochter nicht einen Tropfen einflößen von dem Blut ihrer Eltern. Konnt' ihr nicht geben von meinem Haß und meiner Verachtung der stolzen Christen, die ich sie doch sehen ließ in ihrer Erbärmlichkeit und Gemeinheit, die ich um sie versammelte, damit sie sähe, wie sie ihres Uebermuthes, ihres Glaubens und ihrer Verachtung vergaßen, um zu schwelgen an der üppig besetzten Tafel des Juden, vor dem sie sich beugten, und den sie wie einen Hund würden von ihrer Thür gestoßen haben, wenn er nicht Millionen besäße, Millionen, denen sie huldigen, wie einst unsere mißleiteten Urväter gehuldigt haben dem goldenen Kalb und des Herrn vergaßen. Es ist Alles umsonst gewesen, Alles vergeblich! Mein einzig Kind hat nicht hören wollen auf die Stimme der Wahrheit, sie hat sich doch bethören lassen von dem lügnerischen Christenlächeln. Und zu mir, Rahel, zu Deinem Vater, der dies Alles weiß, der die Nächte sich auf seinem Lager gewunden hat in Schmerz und Verzweiflung und Dir doch Tags ein heiteres Gesicht gezeigt hat, der jedes Mittel versucht hat, sein irregeleitetes Kind wieder zu sich zu ziehen, zu mir wagst Du zu sprechen von Deiner Treue und Deiner Unschuld? Deiner Unschuld! Nennt Rahel Eskeles Flies das Unschuld, wenn sie, trotz des Verbotes ihres Vaters, einem Manne in früher Morgenstunde im Pavillon des Gartens ein Rendezvous gestattet? Nennt sie das Treue, wenn sie in glühender Liebe einem Christen angehört und diesem Christen geschworen hat, sein Weib zu werden, oder keines Mannes Weib?

Ah, mein Vater, Du weißt also Alles! rief Rahel mit freudiger, voller Stimme. Gelobt sei Gott, daß Du endlich das entscheidende Wort gesprochen hast, daß wir endlich klar und frei, ohne Rückhalt und Verschleierung zu einander sprechen können. Ja, mein Vater, ich liebe Günther, ich liebe ihn ewig, unaussprechlich, grenzenlos. Ich bin freudig bereit, für ihn alles Leid und alles Ungemach der Erde auf mich zu nehmen, für ihn in den Tod zu gehen, für ihn zu leben als seine Sclavin, seine Magd, wenn ich sein Weib nicht sein darf! Und nun kennst Du das Geheimniß und den Inhalt meines ganzen Lebens. Ich liebe Günther, ich liebe ihn seit jenem Tage, als Du ihn mir vor zwei Jahren zuführtest, als Du mit der strahlenden, stolzen Freude jüdischer Demuth ihn mir vorstelltest, als den Liebling und den Vertrauten des Kaisers. Damals warst Du stolz darauf, daß er unser Haus besuchte, denn damals warst Du noch nicht der reiche Millionnair, der vornehme Baron. Was kann Günther dafür, daß Du anders geworden? Er ist derselbe geblieben, derselbe hochherzige, edle, uneigennützige Mann.

Uneigennützig! unterbrach sie ihr Vater hohnlachend. Uneigennützig, und er sucht die Tochter des Millionnairs zu verführen!

Und er beklagt es, daß seine Geliebte die Tochter eines Millionnairs ist, rief Rahel stolz, und er wäre selig, wenn seine Geliebte die Tochter eines armen Tagelöhners wäre.

Aber er würde sich dann wohl hüten, ihr seine Hand zu geben und sie zu seiner Gemahlin zu erheben, hohnlachte ihr Vater. Er würde zufrieden sein, sie als seine Geliebte um sich zu dulden, während jetzt sein glühender Wunsch ist, die Tochter des Millionnairs zu seiner Gemahlin zu erniedrigen.

Zu erniedrigen! wiederholte Rahel. Mein Vater, ich würde mich stolz und hochgeehrt fühlen, wenn ich das Weib meines Geliebten sein könnte, nicht weil er eine bedeutende Stellung hat, nicht weil er der Günstling des Kaisers ist, sondern weil ich ihn liebe, weil für ihn und für mich die Ehren der Welt und die Millionen meines Vaters nichtig und werthlos sind, weil wir nichts wollen und nichts ersehnen, als uns anzugehören und in stiller Abgeschiedenheit zu leben unserer Liebe und unserm Glück.

Und doch, gelobt sei Gott, doch wird Rahel Eskeles Flies niemals daran denken können, die Gattin ihres Geliebten zu werden, rief ihr Vater, und ein Strahl triumphirender Freude flog über sein Antlitz hin. Rahel Eskeles Flies hat ihrem Vater geschworen, niemals zu verleugnen die Religion ihrer Väter, niemals eine Christin zu werden, sie hat es geschworen bei dem Andenken an das Grab ihrer Mutter, bei Allem, was ihr heilig ist im Himmel und auf Erden.

Sie wird ihren Schwur halten, wenn ihr Vater sie nicht davon entbindet, rief Rahel glühend. Aber er wird es thun, er wird gerührt werden von dem Jammer, dem Schmerz seiner Tochter, er wird sein Kind nicht grausam der Verzweiflung dahin geben wollen!

Und ganz überwältigt von ihrem leidenschaftlichen Schmerz, ganz Demuth, Angst und Liebe sank Rahel vor ihrem Vater auf die Kniee nieder, und ihre schönen Arme zu ihm erhebend, rief sie: Mein Vater, habe Erbarmen mit Deiner Tochter, zeige ihr nicht mehr dieses finstere unheilsvolle Angesicht. Laß Dich erweichen von meinem Schmerz und meiner Qual, öffne Deine Arme und nimm mich wieder auf an Dein Herz. Sei großmüthig und edel, wie Du es sonst immer gewesen, entbinde mich von diesem Gelübde, erlaube mir, eine Christin zu werden, damit ich die Gattin meines Geliebten werden kann. Er fragt nicht nach Deinen Millionen, Deinen Schätzen, er will nichts, nichts als mich allein! Gieb mich ihm zum Weibe, Vater, laß mich eine Christin werden, damit ich sein werden kann!

Ihr Vater schaute zu ihr nieder mit einem Ausdruck finstern Hasses. Du bist eine Jüdin, sagte er, Du wirst eine Jüdin bleiben.

Ich bin keine Jüdin, mein Vater, rief Rahel, Du hast mich auferzogen in christlicher Luft, in einem christlichen Staat, Du hast mir die Bildung, die Gewohnheit, die Sitten der Christen gegeben. Ich bin keine Jüdin mehr, und auch Du bist nicht mehr ein Jude, denn Du hast auch das Gesetz Deiner Väter verleugnet, Du hast gegessen an Einem Tisch mit den Christen, hast angenommen die Wohlthat der christlichen Gesetze, und hast dafür Dein Haar beschnitten und Dein Kleid gekürzt, Du hast Deinen alten Namen verleugnet und Dir, wie es der christliche Kaiser geboten, einen Familien-Namen beigelegt, und vor diesen Namen hast Du jetzt einen stolzen Titel gesetzt, der nur den Christen gehört. Du bist kein Jude mehr, kein Jude der Wahrheit, sondern nur der Form nach. Zerbrich die Form, mein Vater, habe den Muth der Wahrheit. Tritt hinaus aus dem engen Judentempel in die freie schöne christliche Gotteswelt, laß uns abschwören den strengen Gott des Hasses und der Rache, und ihn bekennen den Gott der Liebe, den Allerhaltenden, Allmächtigen, der die Welt so schön gemacht, damit sich die Menschen ihrer freuen, der nichts weiß von Kirchen und Religionen, dessen einziges Gesetz die Liebe ist! Wirf ihn von Dir, mein Vater, den Judentitel, denn Du bist kein Jude!

Ich bin ein Jude und will ein Jude bleiben, so lange ich lebe! rief Eskeles Flies mit Zornesröthe auf den Wangen. Ich schwöre es noch einmal bei Allem, was mir heilig ist, im Himmel und auf Erden, ich will ein Jude bleiben, so lang ich lebe.

So nimm ihn von mir diesen Schwur, der mich bindet an das Unglück wie an ein wildes Ungeheuer, das mit mir durch die Welt ras't. Löse die Bande, welche meine Zunge und mein Herz binden. Es ist ja nicht der Glaube, sondern die Liebe, welche mich zu einer Christin macht! Laß also die Liebe gewähren, gieb mich meinem Geliebten zum Weibe, behalte alle Deine Millionen, wir begehren ihrer nicht, sie sind machtlos gegen unsere Liebe, wir begehren von Dir nichts als Deinen Segen, wir wollen nichts als die Heiligung unsers Bundes! Habe also Erbarmen, mein Vater, erlöse mich von meinem Schwur, laß mich eine Christin sein!

Du bist eine Jüdin und bleibst eine Jüdin! sagte ihr Vater rauh.

Rahel stieß einen wilden Schrei aus und sprang von ihren Knieen empor. Ist das Dein letztes Wort? fragte sie mit flammenden Augen, mit fliegendem Athem, keuchend vor Erregung und Gluth.

Es ist mein letztes Wort! sagte ihr Vater, sie mit festen kalten Blicken ansehend.

Nun, so höre auch mein letztes Wort, rief sie athemlos, ihre ganze Gestalt durchzittert von leidenschaftlicher Erregung. Ich habe Günther Treue gelobt bis an den Tod, ich werde sie halten. Ich habe geschworen, wenn ich einst wählen müsse zwischen ihm und Dir, dann Alles aufzugeben, Alles zu verlassen und nur Ihn zu wählen. Ich werde diesen Schwur eben so treu erfüllen, wie den, welchen ich Dir geleistet habe! Ich werde nicht mich bekennen zu der Religion der Christen, aber ich werde doch auch keine Jüdin mehr sein, ich werde ausscheiden aus Eurer Gemeinde, wie das Gesetz es mir erlaubt, und wenn Du mich daran verhindern willst, so werde ich hingehen zu dem Kaiser und ihn um seinen Schutz bitten, und bei ihm Klage führen über den Zwang, den Du einer freien Menschenseele anthun willst.

Hüte Dich, daß ich Dir nicht zuvorkomme und Klage gegen Dich zu führen habe bei dem Kaiser, rief ihr Vater mit einem rauhen Lachen. Du drohst mir, auszuscheiden aus der Gemeinde der Juden und willst doch nicht den Schwur brechen, und willst keine Christin sein. Was willst Du denn sein, wenn Du keine Jüdin mehr bist und keine Christin werden kannst? Zu welcher Religion willst Du Dich alsdann bekennen?

Zu der Religion der Liebe, der Wahrheit und der Treue! Ich werde in keinen Tempel und in keine Kirche mehr gehen, aber ich werde Gott dienen mit meinem Leben, und ich werde ihm einen Cultus errichten in meinem Herzen.

Das heißt, Du willst eine Deistin werden?

Nenn's, wie Du willst! Ich werde gehorsam sein dem göttlichen Gebot auch ohne Cultus und ohne Kirche.

Ah, eine Deistin? Und Du weißt also nicht, welche Strafe der Kaiser den Deisten zuerkennt? Du weißt auch nicht, daß der Kaiser, welcher sich einbildet, den Gedanken erlöst und die Gesinnung freigegeben zu haben, daß der Kaiser, welcher sich verrühmt, jede Religion zu respectiren, um Jedem das Recht zu gestatten, zu glauben, was er will, daß der Kaiser auch seine Achilles-Ferse hat, wo er verwundbar ist? Und diese Achilles-Ferse des Kaisers, das ist gerade der Deismus. Er erlaubt den Juden, den Muhamedanern, den Protestanten ihre Existenz, aber die Deisten will er nicht dulden in seinen Staaten, und mit schimpflicher Prügelstrafe will er sie ausrotten. Groß-Hoffinger II. S. 160. Hüte Dich also, eine Deistin zu werden, denn ich könnte hingehen und Dich bei dem Kaiser anklagen. Aber dieses Alles sind ja nur Phantasiegebilde des Augenblicks. Meine Tochter Rahel wird in sich gehen, sie wird ihr Unrecht bekennen und bereuen. Sie wird wieder meine gehorsame Tochter sein, und ich werde sie lieben und anbeten als den herrlichsten Schatz meines Lebens, und was die Vaterliebe ersinnen kann, das werde ich thun, um Dich glücklich zu machen, um Dir jeden noch unausgesprochenen Wunsch zu befriedigen.

Ich habe nur einen Wunsch, nur den, die Gattin meines Geliebten werden zu können! rief Rahel glühend.

Ihr Vater gab sich den Anschein, ihre Worte gar nicht gehört zu haben und fuhr ruhig fort: Ja, meine Rahel wird wieder eine gehorsame Tochter werden, sie wird den Gemahl annehmen, den ich ihr zuführe.

Niemals, niemals, mein Vater!

Das Geschäft war lange schon unter unsern beiden Familien verabredet, das ist ein gutes Geschäft für uns Beide, diese Heirath, denn ich gebe meiner Tochter eine halbe Million baares Geld mit, und der Baron von Meyer bekommt von seinem Vater eine Million zweimalhunderttausend Gulden. Außerdem zahlt der Schwiegervater meiner Rahel monatlich dreihundert Gulden Nadelgeld und ich gebe ihr siebenhundert Gulden, so daß sie tausend Gulden monatlich zu ihren kleinen Ausgaben hat, und Niemanden über dieselben Rechenschaft abzulegen braucht. Das ist auch ein ganz gutes Geschäft für eine junge Frau! Zudem gebe ich meiner Rahel einen Trousseau, wie nur eine Fürstin ihn wünschen kann; im Hof steht schon ihre Kutsche, auf welcher die adligen Wappen derer von Eskeles Flies und von Meyer neben einander gemalt sind, und im Stall stehen vier herrliche Rappen, welche morgen Mittag die junge Baronin von Meyer, geborne von Eskeles Flies, in ihr neues Hôtel führen werden! Ah, mein Kind, freue Dich, denn Du wirst jetzt auch, obwohl Du eine Jüdin bist, doch von Geburt sein. Weißt Du nicht, wie wir einst dabei waren, als der Graf Fürstenberg von einer schönen Dame sprach, und man ihn fragte: was sie für eine Geborne sei? »Sie ist gar keine Geborne, erwiderte der Graf, sie ist nur eine getaufte Jüdin!« Die Jüdinnen sind bisher keine Gebornen gewesen, aber meine Rahel wird eine Geborne sein, denn sie ist eine Baronin, obwohl sie eine Jüdin ist. Frau Baronin von Meyer, geborne von Eskeles Flies, ich mache Ihnen mein Compliment. Sie werden die schönste Equipage, das eleganteste Hôtel, den prächtigsten Salon haben, und alle vornehmen Grafen, Freiherren und Barone werden sich herandrängen zu dem Salon der schönen Baronin von Meyer, und alle Damen der haute volée werden Dich beneiden und Dir doch schön thun, und Dir schmeicheln, weil Du reich bist, außerordentlich reich!

Alle diese Dinge werden sich nicht begeben, sagte Rahel vollkommen ruhig, ich werde niemals dem Baron von Meyer meine Hand geben!

Du wirst morgen in der Frühe dem Baron von Meyer angetraut werden, sagte ihr Vater ebenso ruhig. Alle Vorbereitungen sind beendet, Dein Hôtel ist vollständig eingerichtet, Dein Trousseau ist bereit, die nöthigen gesetzlichen Schritte sind geschehen, ich habe Alles in der Stille besorgt, ohne Dich mit diesen Vorbereitungen belästigen zu wollen, und nichts steht Deiner Vermählung mehr im Wege.

Nichts als mein Wille, und diesen wirst Du nicht aus dem Wege räumen können! rief Rahel heftig. Du kannst freilich den Prediger und den Mann, den ich heirathen soll, in mein Zimmer führen, aber ich werde dieses Ja, welches der Prediger von mir fordern wird, nicht sprechen, ich werde Nein rufen, und immer nur Nein, bis Gott im Himmel mich hört, und mir Rettung sendet!

Gott im Himmel wird Dich ebenso wenig hören, wie Dich der Prediger hören wird, der die Trauung verrichten soll. Ich habe ihn mir eigens aus Polen kommen lassen zu diesem Zweck, denn er ist stocktaub, und Dein Nein wird ihn ebenso wenig entsetzen, als ihn Dein Ja entzücken kann. Herr Baron von Meyer aber wird großmüthig Dein Nein überhören; ich habe ihn auf Alles vorbereitet, er weiß, daß Du Dir einbildest, einen Andern zu lieben, er kennt Deine phantastischen Träume und er verzeiht sie Dir, denn er macht ein gutes Geschäft mit dieser Heirath, und außerdem ist er ein viel zu treuer und eifriger Jude, als daß er mir nicht helfen und beistehen sollte, meine Tochter zu erretten von den Verführungen der Christen, und sie dem Glauben unserer Väter in unverbrüchlicher Treue zu erhalten. Du siehst, all Dein Streben ist vergeblich. Füge Dich also in Dein Schicksal, und nimm das glänzende Loos an, das Dir geboten wird.

Ich nehme es nicht an, rief Rahel. Lieber den Tod, lieber Unglück und Schande!

Gott wird gnädigst Dich vor Unglück bewahren, vor der Schande aber werden Dich die wachsamen Augen Deines Vaters zu behüten wissen, sagte Herr Eskeles Flies ruhig. Aber jetzt genug der Worte. Ich verlasse Dich jetzt, mein Kind. Die Nacht beginnt zu dunkeln, und ich habe noch allerlei kleine Anordnungen für den morgenden Tag zu treffen. Auch Du wirst Dich noch vorzubereiten haben. In der Stille der Nacht wirst Du mit Dir selber Dich berathen, wirst überlegen und prüfen und wirst endlich zu der Erkenntniß kommen, daß es am Klügsten und Weisesten ist, sich mit Anstand in das Unvermeidliche zu fügen. Denn unvermeidlich ist diese Heirath, und ich bin entschlossen, sie durchzusetzen. Füge Dich also und sei mein gehorsames Kind. Wir werden uns heute nicht wieder sehen, Du wirst allein bleiben müssen, aber das geziemt wohl einer Braut vor dem Hochzeitstage, und damit das Alleinsein Dich nicht ennuyirt, habe ich Dir in den Staatsgemächern all die Herrlichkeiten Deines Trousseau ausbreiten lassen. Du hast nur nöthig, durch Deine Gemächer Dich dorthin zu begeben, um Zerstreuung und Unterhaltung zu finden. Alle Kronleuchter brennen, damit Du Alles genau sehen kannst. Lebe wohl, meine Rahel, morgen wirst Du die Baronin von Meyer!

Nein, niemals! rief Rahel, aber ihr Vater achtete nicht darauf, er schritt ruhig der Thür zu und ging hinaus. Sie hörte, wie er geräuschvoll den Schlüssel im Schloß umdrehte, ihn auszog und dann von dannen ging.

Mit einem bangen Aufschrei stürzte sie zu der Thür hin, ja, sie hatte sich nicht geirrt, diese Thür war verschlossen, sie konnte ihr Zimmer nicht mehr verlassen.

Aber sie mußte hinaus, sie mußte Günther Nachricht geben, er mußte sie erretten von der Gefahr, die sie bedrohte.

Wo waren ihre Dienerinnen, wo war ihre treue, alte Amme? Rahel suchte sie in ihren Zimmern, aber diese Zimmer waren leer, Niemand war da zu sehen, sie schellte heftig an allen Klingelzügen, aber Niemand kam.

Nun erinnerte sie sich, daß ihr Vater gesagt, die Staatszimmer seien geöffnet, vielleicht fand sie dort ihre Dienerinnen, vielleicht beschauten sie dort die ausgestellten Schätze.

Mit fliegender Hast eilte Rahel durch ihre Zimmer fort und stieß die Thür auf, welche diese mit den Staatszimmern verband. Glänzende Helle strahlte ihr entgegen, überall in der langen Reihe dieser Säle brannten die Kronleuchter und warfen ihr funkelndes Licht auf die ungeheuren Spiegel, auf die Goldverzierungen, die Sammettapeten, die prunkvollen Meubles, die herrlichen Gemälde, die kostbaren Teppiche, und endlich auf die Fülle von Kleidern, Blumen, Spitzen und Putzgegenständen, die da auf den Stühlen und Tischen umher lagen und Zeugniß gaben von der Prachtliebe des Herrn Eskeles, der seiner Tochter die Ausstattung einer Fürstin gegeben hatte.

Aber Rahel achtete auf alle diese Dinge nicht, sie flog über das funkelnde Parquet dieser Säle hin, bleich, mit keuchendem Athem, mit hochpochendem Herzen. Sie sah nichts von den Schönheiten und der Pracht, die sie umgab, sie sah nur die Thüren, welche da hinausführten auf den Corridor, und zu diesen Thüren stürzte sie hin und rüttelte an den Schlössern.

Aber alle diese Thüren waren geschlossen, und keine Stimme antwortete auf ihr lautes Rufen. Nur die kostbaren chinesischen Vasen auf den goldenen Consolen schienen zu erzittern, nur die stummen Gestalten auf den Gemälden schienen zu lauschen bei dieser Stimme, welche auf einmal die todte Pracht und die schweigende Oede dieser Säle unterbrach.

Ich bin eine Gefangene! rief Rahel mit einem wilden Schmerzensschrei. Eine Gefangene, und mein Vater ist mein Kerkermeister.

Sie lehnte einen Moment ganz zerbrochen an der letzten Thür, und blickte mit stieren Augen die lange Reihe dieser glänzenden Säle hinab, dann murmelte sie leise: Ich will frei sein! Ich will nicht wie eine Sclavin mich unterwerfen. Keine Macht der Erde soll mich zwingen, einen Meineid zu begehen. Ich habe geschworen, niemals eines andern Mannes Weib zu sein, als meines Günther! Ich werde meinen Schwur halten oder sterben! In dieser Stunde hat sich mein Herz losgerissen von meinem Vater, Niemand gehöre ich jetzt mehr an als Günther, und Günther erwartet mich!

Günther erwartet mich, wiederholte sie leise, indem sie sich aufrichtete und jetzt langsam, mit hochgehobenem Haupt wieder durch die Säle dahin schritt.

Günther erwartet mich, flüsterte sie immerfort, und mechanisch blieb sie hier und dort vor den schönen Sachen stehen, die da auf den Stühlen und Tischen ausgebreitet lagen, als wollten sie sie versuchen und verlocken und das junge Mädchen zu sich rufen mit ihren Blumen und Schleifen, ihren Spitzen und Stickereien.

Aber Rahel war zu dieser Stunde kein junges Mädchen, sondern ein willenskräftiges, starkes Weib, eine Heldin, welche entschlossen war, mit ihrem Schicksal und mit ihrem Vater zu kämpfen um ihr Glück.

Günther erwartet mich, wiederholte sie immerfort, träumend, gedankenvoll sinnend. Worauf? Wozu? Das wußte sie vielleicht selber nicht.

Nur das fühlte sie klar, daß ihr Geschick sich in dieser Stunde entscheiden, und daß sie selber mit fester Hand diese Entscheidung herbeiführen müsse.

Günther erwartet mich, wiederholte sie, als sie eben vor diesem großen, runden Tisch stehen blieb, der in dem Hauptsaal unter dem großen Kronleuchter von Bergcrystall aufgestellt war.

Auf diesem Tische befanden sich die Schmuckkasten und die Cartons mit den kostbaren Taschentüchern von Spitzen. Rahel's Auge schweifte flüchtig über alle diese Dinge hin. Sie dachte nicht daran, diese Etuis, diese Cartons öffnen zu wollen. Sie sah nur diese großen goldenen Lettern, welche da überall glänzend und hell sich von dem purpurrothen Maroquin hervorhoben.

»Rahel von Meyer« stand auf all diesen Cartons, diesen Etuis.

Sie war also schon eine Andere. Sie hatte schon ihren Namen verloren in den Gedanken ihres Vaters, er hatte schon ihre Zukunft zur Gegenwart gemacht, und ihr wider ihren Willen den Namen dieses Mannes beigelegt, den sie kaum kannte, den sie aber haßte, weil man sie zwingen wollte, ihn zu lieben.

Rahel von Meyer! sagte sie laut, und langsam, wie ein Stein, fiel jedes Wort von ihren bleichen Lippen nieder. Rahel von Meyer! Ich bin das nicht und werde das nie sein! Mein Vater hat mir also schon seinen Namen genommen, ich bin für ihn nicht mehr Rahel Eskeles Flies! Wer bin ich denn?

Ich bin Rahel Günther! rief sie auf einmal laut und freudig, und ein glühendes Roth flog über ihre Wangen hin, und ihre Augen flammten auf vor Seligkeit.

Ich bin Rahel Günther, ja das bin ich, sagte sie noch einmal. Und weil ich das bin, so ist meine Stelle nicht mehr in diesem Hause, und es geziemt mir nicht, hier umherzuwandeln zwischen diesen Schätzen, die nicht mein sind, sondern der Baronin Meyer gehören. Mir nicht! Nicht der bescheidenen, einfachen Rahel Günther, die nichts will und ersehnt, als das Herz ihres Geliebten! Oh, was kümmert mich all diese nichtige Herrlichkeit, dieser lächerliche Flittertand des Putzes! Rahel Günther hat nichts zu schaffen damit, sie muß fort, fort aus diesem Hause, das nicht mehr ihre Heimath ist! Fort, denn Günther erwartet mich. Fort!

Aber wie? fragte sie sich selber, einen bangen, verzweifelten Blick auf die verschlossenen Thüren, auf die hohen Fenster werfend. Oh, warum kann ich nicht hinausfliegen wie ein Vogel, murmelte sie leise. Alle meine Gedanken fliegen zu ihm hin, und doch muß ich hier bleiben, doch bin ich eine Gefangene.

Plötzlich zuckte sie zusammen, wie von einem jähen Gedanken durchschüttert. Ihre Augen flogen von dem Fenster hinüber zu den Sachen, die da vor ihr ausgebreitet lagen, und schienen etwas zu suchen.

Dann eilte sie hastig in das nächste Gemach und schaute wieder suchend umher. Jetzt schien sie gefunden zu haben, was sie suchte, denn ein Lächeln umspielte ihre Lippen, und sie eilte nach jenem Tisch hin, auf welchem sich die Bänder und Schleifen befanden.

Da diese Rolle des breiten, schweren Seidenbandes nahm sie hastig empor und rollte es vor sich hin.

Es ist lang, viele Ellen lang, flüsterte sie. Stark genug, um nicht zu zerreißen, lang genug, um mich sicher hinunter zu bringen. Es ist dunkel draußen und Niemand wird mich sehen, Niemand wird im Garten sein außer den Wächtern, und die werden mich hinauslassen, wenn ich ihnen ein Geldstück gebe. An's Werk also, an's Werk! Die Nacht bricht an und Günther erwartet mich!

Jetzt flog sie zurück in ihr Wohnzimmer. Mit einer fiebergleichen Hast nahm sie Mantel und Hut aus dem Schrank hervor und hüllte sich tief ein.

Dann warf sie einen letzten Blick im Zimmer umher und ließ ihn mit einem Ausdruck tiefer Trauer auf dem Bildniß ihres Vaters haften, das da drüben über ihrem Divan hing.

Lebe wohl, mein Vater! flüsterte sie leise. Lebe wohl!

Eine Thräne trat in ihr Auge, sie schüttelte sie aber rasch fort und wandte sich ab. Eilenden Fußes, kaum wissend, was sie that, flog sie jetzt wieder zurück in die Säle.

Keinen Blick hatte sie für diese Herrlichkeiten, für diesen Putz, der so viele Frauenherzen verlockt, nur das lange, breite Band, das sie vorhin ausgerollt hatte und das da wie eine ungeheure, glitzernde Riesenschlange sich über das Parquet des Saals hinzog, nur das sah sie, das begehrte sie.

Darnach allein bückte sie sich und hob es auf und sprang mit ihm vorwärts, rasch durch die Säle dahin, rasch vorwärts bis zu dem letzten Fenster des kleinen Zimmers, das die lange Reihe abschloß und dessen Fenster hinausführten in den Park.

Mit leiser Hand öffnete Rahel eins dieser Fenster. Dann lauschte sie.

Drunten im Garten herrschte eine lautlose Stille, nur der Wind flüsterte ganz leise in dem dichten Gezweig der Bäume, nur hier und da schlug ein Vogel wie im Traum einen Ton an.

Jetzt legte Rahel mit geschäftigen Händen das lange, breite Band in einem festen, sichern Knoten um das Fensterkreuz und ließ es dann hinaus. Nun horchte sie noch einmal, schaute noch einmal mit einem raschen, angstvollen Blick in die Säle zurück.

Nichts regte sich da. Die Kronleuchter brannten und blitzten in den Spiegeln und Goldverzierungen, die goldgestickten Gewänder, die Seidenkleider und Spitzen und Blumen, die ganze Herrlichkeit, welche morgen der jungen Frau Rahel von Meyer bescheert werden sollte, lag wartend da. Alles war still.

Nun schwang sich Rahel auf das Fensterbrett empor, nun umklammerte sie mit ihren Armen das Fensterkreuz und faßte dann nach dem Band und hielt es fest mit beiden Händen. Dann that sie einen raschen Sprung hinab, und wie sie das that, flüsterte sie leise: Günther erwartet mich! – – –


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