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Wien feierte heute einen doppelten Freudentag. Es war der zweiundsechszigste Geburtstag Maria Theresia's und zugleich der Tag der Friedensfeier. Denn der Krieg war nun wirklich beendet, und der lange und ermattende Scheinkampf war nun endlich mit einem wirklichen und dauernden Frieden abgeschlossen. Drei Monate hatten die sieben Gesandten von Oesterreich, Preußen, Rußland, Frankreich, Baiern, Zweibrücken und Sachsen in Teschen unterhandelt und gestritten. Drei Monate lang hatte Joseph noch immer die Hoffnung genährt, diese Unterhandlungen scheitern und aus dem Friedenscongreß einen wirklichen Krieg aufblühen zu sehen. Aber diese Hoffnung war vergeblich gewesen, das Friedenswerk war zu Stande gekommen. Oesterreich mußte, Dank diesem Frieden, das ganze baierische Erbtheil mit Ausnahme des Innviertels wieder an den Churfürsten Carl Theodor zurückgeben, und die mit demselben früher abgeschlossene Convention für nichtig und erloschen erklären.
Das war das Ende eines Krieges, der Preußen neunundzwanzig Millionen Thaler und durch Krankheit und Elend mehr Menschen gekostet hatte, als eine große Schlacht der Opfer fordert. Das war das Ende eines Krieges, der Oesterreich viel Niederlagen und Demüthigungen eingetragen, und auf viele Jahre hinaus seine böhmischen Provinzen, in denen die Preußen mit wilder Barbarei gehaust, zu Grunde gerichtet hatte.
Und dennoch freute sich ganz Wien der Kunde des in Teschen abgeschlossenen Waffenstillstandes, und dennoch nahm Maria Theresia mit strahlendem Angesicht die doppelten Glückwünsche an, mit denen man ihr zu ihrem Namenstag und zu dem Friedensschluß gratulirte. Die Gesandten aller europäischen Höfe waren heute in ihren Galla-Uniformen zur Kaiserburg gefahren, um der Kaiserin zu huldigen, und das Volk, welches sich zu vielen Tausenden vor dem Schloß aufgestellt hatte, empfing jeden der Gesandten mit lautem Freudengruß und brachte der Kaiserin, der »Friedensmutter«, jauchzende Vivats dar.
So oft Maria Theresia, welche im vollen kaiserlichen Ornat, mit der Krone auf dem Haupt, in dem großen Audienz-Saal die Cour der Gesandten und der hohen Aristokratie empfing, dieses Jubelrufen des Volks vernahm, verklärte sich ihr Gesicht und ein freudiger Glanz leuchtete in ihren Augen auf. Aber immer wieder senkte sich alsdann ein trüber Schatten auf ihre Stirn nieder, und immer wieder wandten sich ihre Augen mit einem ängstlichen, erwartungsvollen Ausdruck der Thür zu.
Das machte, die Kaiserin vermißte an diesem ihrem Ehrentag an ihrer Seite den Kaiser, ihren Sohn. Seit drei Monaten war er heimgekehrt nach Wien, und nicht Ein Wort der Verständigung, des Mißfallens oder der Uebereinstimmung war zwischen Mutter und Sohn gewechselt worden. Geflissentlich hatte der Kaiser es vermieden, mit Maria Theresia allein zu sein, niemals war er seit seiner Rückkehr im Staatsrath erschienen, und wenn man ihm Verfügungen und Documente zur Unterschrift vorgelegt, so hatte er sie, nachdem er gesehen, daß sie schon die Unterschrift der Kaiserin trugen, schweigend, ohne irgend eine Bemerkung, einen Widerspruch unterzeichnet.
Aber gerade diese stumme Nachgiebigkeit, dieses sanftmüthige Unterordnen des Kaisers beängstigte Maria Theresia. Sie hätte eine stürmische Scene dieser kalten, schweigenden Ruhe vorgezogen, sie hätte lieber von Joseph Vorwürfe hören mögen, als ihn sich so kalt, so ergeben und doch so unnahbar gegenüber zu sehen.
Ich muß diesem beängstigenden Zustand ein Ende machen, sagte Maria Theresia zu sich selber, ich muß Joseph zwingen, sich mit mir auszusprechen.
Und dieser neue Entschluß machte sie freudig und zuversichtlich, und verscheuchte die Schatten von ihrer hohen Stirn. Mit ungeteilter Aufmerksamkeit wandte sie sich jetzt wieder dem glänzenden Gesellschaftskreise zu, der sie umgab, und mit einem stolzen, selbstzufriedenen Lächeln nahm sie die Glückwünsche entgegen, welche die Gesandten aller europäischen Mächte ihr darbrachten. Selbst für den preußischen Gesandten hatte sie freundliche und zuvorkommende Worte, und von diesem sich ab- und dem neben ihm stehenden russischen Gesandten zuwendend, sagte sie mit lauter Stimme: Ich bin vor Freuden über diesen Frieden außer mir. Ich habe keine Vorliebe für den König von Preußen, aber ich muß ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen, er hat edel gehandelt. Er hat mir versprochen, billige Bedingungen zu machen, und er hat Wort gehalten. Historisch. Siehe: Groß-Hoffinger I. S. 411.
Aber nachdem die feierliche Gratulations-Cour beendigt war, und die Kaiserin wieder in ihre Privatgemächer zurückgekehrt war, sandte sie sofort einen ihrer Kammerherren zu Joseph und ließ ihn um seinen Besuch bitten.
Wenige Minuten später öffnete sich die Thür und Kaiser Joseph trat ein.
Maria Theresia ging ihm mit einem freundlichen Lächeln entgegen, und ihm beide Hände darreichend, sagte sie zärtlich:
Ich dank' Dir, mein Sohn, daß Du meinem Ruf gefolgt bist. Mein mütterlich Herz hatte gar groß Verlangen, Dich zu sehen, und ich sehnte mich, Dich, meinen Kaiser und Mitregenten, an meiner Seite zu haben.
Sie hielt ihm noch immer ihre beiden Hände entgegen, aber Joseph schien das nicht zu sehen, denn er nahm sie nicht an, sondern verneigte sich tief und ehrfurchtsvoll.
Ich bin weder der Kaiser noch der Mitregent, sagte er, sondern nur Ew. Majestät gehorsamster Sohn und Unterthan, und als solcher habe ich schon heute früh meiner erhabenen Kaiserin und Mutter meine Glückwünsche zu ihrem heutigen schönen Ehrentag dargebracht.
Was versteht mein Sohn darunter? fragte die Kaiserin hastig. Nennt er meinen Geburtstag einen Ehrentag, oder die Friedensfeier, die wir heute begehen?
Den Geburtstag meiner Kaiserin nenne ich für mich am liebsten einen Freudentag, sagte Joseph ausweichend.
Also die Friedensfeier nennst Du einen Ehrentag? fragte Maria Theresia dringend.
Nun, er muß es doch wohl sein, sagte Joseph mit leisem Hohn. Haben wir uns nicht mit den andern Mächten eine Menge Complimente gesagt, und in Wien um des Teschner Friedens willen neunundneunzigtausend Te Deum gesungen und geschossen? Des Kaisers eigene Worte.
Du bist jedoch mit diesem Frieden nicht einverstanden, mein Sohn? fragte die Kaiserin, welche es durchaus zu einer Erklärung und Verständigung bringen wollte.
Ich habe indeß, um Ew. Majestät nicht zu betrüben, den Frieden genehmigt und die Garantie darüber geleistet, sagte Joseph ernst und kalt.
Aber Du thatest es mit widerstrebendem Herzen, nicht wahr, und indem Du es thatest, zürntest Du mit mir, und nanntest Deine Mutter eine alte, verzagte Frau, welche zittere vor dem Kriege und feig der Entscheidung durch das Schwert ausweichen wollte? Ist es nicht so?
Indem ich diesen Frieden unterzeichnete, dachte ich an meinen Ahnherrn, Carl den Fünften, und wagte es, mein Betragen mit dem seinen zu vergleichen. Er mußte nach einem widrigen Feldzug in Afrika endlich mit seiner Flotte nach Spanien zurückkehren, – er stieg zwar auch zu Schiff, war aber der letzte, der es that. So war auch ich der letzte, der den Friedenstractat unterzeichnete. Des Kaisers eigene Worte.
Und weiter hast Du mir über diese Angelegenheit nichts zu sagen? Du bist also einverstanden mit diesem Frieden?
Es geziemt einem Unterthan und Sohn nicht, sich aufzulehnen gegen die Beschlüsse seiner Kaiserin und Mutter.
Aber Du bist nicht blos der Unterthan und Sohn, Du bist der Kaiser und der Mitregent.
Nein, Majestät, ich bin wie einer der venezianischen Generäle, der im Kriege die Landarmee commandirt und dazu die Bestallung der Republik erhält, – wenn die Feldzüge vorbei sind, so bekommt er eine Pension und hat sich um nichts weiter zu kümmern. Des Kaisers eigene Worte.
Oh, mein Sohn, dies sind sehr harte und bittere Worte, rief die Kaiserin schmerzlich. Ich sehe es wohl, Dein Herz hat sich von mir gewendet und Du zürnst mir, weil ich einen sichern und versöhnenden Frieden einem zweifelhaften Krieg vorgezogen.
Ich wage es nicht, Ew. Majestät zu zürnen, und wenn dieser Friede wirklich so versöhnend und sicher ist, so wünsche ich Ew. Majestät Glück dazu!
Maria Theresia seufzte tief auf. Ich sehe es wohl, sagte sie traurig, Du weichst mir aus, Du willst mir nicht Rede stehen und mich nicht in Dein Herz sehen lassen.
Des Kaisers Antlitz überflog ein trauriges Lächeln. Oh Majestät, ich habe kein Herz mehr, sagte er achselzuckend, in meiner Brust ist nur ein großes Grab, und darin sind alle meine persönlichen Hoffnungen begraben!
Ich denke nicht, daß es dem zukünftigen Kaiser von Oesterreich ziemt, so gar hoffnungslos und verzagt zu sein! rief die Kaiserin.
Ich sprach auch nicht von dem Kaiser, Majestät, sondern nur von dem armen Joseph von Habsburg und dessen persönlichen Wünschen. Was den zukünftigen Kaiser anbetrifft, so hat der noch gar viele Wünsche und Hoffnungen. Zuerst die Hoffnung, daß die Zeit seiner Herrschaft noch fern sein und Ew. Majestät Oesterreich noch lange erhalten bleiben möge! Dann den Wunsch, Oesterreich zu nützen. Da wir Frieden haben, und ich als General pensionirt bin, so biete ich mich, um nützlich zu sein, Eurer Majestät als Diplomat an. Das ist auch ein ganz ehrenvolles Amt, und man kann mit der Feder und der Zunge ebenso gut und vielleicht noch besser Krieg führen, als mit dem Schwert. Ich bitte Ew. Majestät, mich zu Ihrem Gesandten bei einer auswärtigen Macht anzunehmen.
Ah, Du willst uns schon wieder verlassen und auf Reisen gehen? rief Maria Theresia schmerzlich.
Ich bitte Ew. Majestät um Ihre Einwilligung zu einer langen Reise. –
Aber mein Sohn vergißt, daß er hier in Wien nothwendig ist, daß ich seines Raths, seines Beistandes bedarf, daß der Kaiser und der Mitregent –
Majestät, unterbrach sie Joseph rasch, an Ihnen allein ist es zu regieren, an mir zu gehorchen, und ich weiß sehr wohl, daß das Wort Mitregent, das hinter meinem Namen steht, nur ein leerer Titel ist, den mir die Gnade Eurer Majestät bewilligt hat. Ich bin hier in Wien durchaus nicht nothwendig, aber ich kann anderswo Ew. Majestät nützlich sein, und ich bitte deshalb um Urlaub.
Und wohin gedenkst Du zu gehen, mein Sohn?
Ich bitte Ew. Majestät um Urlaub zu einer Reise nach Rußland zur Kaiserin Katharina!
Zur Kaiserin Katharina? rief Maria Theresia, indem sie fast entsetzt einen Schritt zurücktrat. Du willst zu dieser Frau gehen? –
Ich will zu dieser Frau gehen, unterbrach sie Joseph, in derselben Eigenschaft, wie Baron Thugut zu dem König von Preußen ging, als der Gesandte Eurer Majestät, nur daß ich es nicht heimlich und hinterrücks thue, sondern Ew. Majestät erst davon benachrichtige!
Und was beabsichtigt der Kaiser mit dieser Reise nach Rußland? fragte Maria Theresia, die sich den Anschein gab, die Anspielung des Kaisers nicht verstanden zu haben.
Ich beabsichtige, uns die Freundschaft der Kaiserin von Rußland zu gewinnen.
Die Freundschaft dieser schlimmen und lasterhaften Frau! rief Maria Theresia erglühend. Das ist ein Besitz, den ich nicht begehre!
Und doch waren es Ew. Majestät, welche sich zuerst an die Kaiserin von Rußland wandten und ihr das Recht gaben, sich zu einer Schiedsrichterin in unsern und in Deutschlands Angelegenheiten aufzuwerfen. Ew. Majestät haben den bösen Feind citirt, und da er gekommen ist, müssen wir nun suchen, ihn zu beschwören und ihn uns zum Freunde zu machen, daß er uns nicht schade! Wenn Rußland einmal mitsprechen und regieren soll in Deutschland, so ist es besser, es steht uns zur Seite, als daß wir es uns gegenüber auf Preußens Seite sehen.
Aber Rußland ist seit lange Preußens Bundesgenosse, rief die Kaiserin sinnend.
Es kommt also darauf an, ihm diesen Bundesgenossen zu entziehen. Es ist eine Fortsetzung des Zwetschkenrummels, und vielleicht gewinnen wir wenigstens auf dem diplomatischen Felde Preußen eine Schlacht ab und entziehen ihm einen Bundesgenossen. Das zu versuchen ist meine Absicht. Ich wiederhole also meine Bitte: erlauben mir Ew. Majestät, eine Reise nach Rußland zu machen!
Die Kaiserin sah ihn mit einem langen, zärtlichen Blick an. Es ist also Dein Wunsch, mein Sohn, diese Reise zu unternehmen?
Ja, Majestät, es ist mein Wunsch.
Weil es so ist, gebe ich meine Einwilligung, nicht weil ich mit dem Plan und Zweck dieser Reise übereinstimme, sagte Maria Theresia lebhaft. Ich wünschte aber meinem Sohn zu beweisen, wie gern ich ihm gefällig sein und ihm jeden Wunsch befriedigen möchte.
Der Kaiser verneigte sich, ohne ein Wort zu erwidern.
Maria Theresia seufzte und ein schmerzlicher Ausdruck zuckte über ihr Antlitz hin.
Wann gedenkst Du diese Reise anzutreten?
Sobald als irgend möglich, denn wenn mich nicht Alles täuscht, ist es gerade jetzt der richtige Zeitpunkt, um Preußen den vielgeliebten Bundesgenossen zu entreißen und ihn zu uns herüberzuziehen!
Ich werde also bald wieder meinen geliebten Sohn und Kaiser entbehren müssen? fragte die Kaiserin zärtlich. Und ich fürchte fast, mein Sohn scheidet ohne Bedauern von mir, und wird auf dieser großen Reise wenig seiner Mutter gedenken, deren zärtlichste Wünsche ihn überall hinbegleiten!
Ich werde auf dieser Reise stets meiner Kaiserin gedenken und mich erinnern, daß ich eine Mission zu erfüllen und meiner Kaiserin einen Bundesgenossen zu erwerben trachte. Aber ich habe zu dieser Reise noch viele Anordnungen zu treffen, viel vorzubereiten, und vor allen Dingen muß ich sogleich den Fürsten Kaunitz benachrichtigen, daß Ew. Majestät mir Ihre Einwilligung gegeben hat. Ich bitte also Ew. Majestät, mich gnädigst entlassen zu wollen.
Es sei, wie der Kaiser es wünscht, sagte Maria Theresia, mühsam ihre schmerzliche Aufregung bezwingend.
Joseph verneigte sich tief, und ohne ein Wort, einen Blick wandte er sich um und schritt der Thür zu. Die Kaiserin blickte ihm athemlos, mit hochwallendem Busen, mit zitternden Lippen nach. Ein Gefühl unaussprechlichen Schmerzes überkam sie, und nicht mehr im Stande, ihr Herz zu bezwingen, rief sie mit lauter, zärtlich flehender Stimme: oh, mein Sohn, mein Joseph! Seit dem Teschener Frieden war das Verhältniß zwischen Maria Theresia und Joseph durchaus ein kaltes und gezwungenes, und die Kaiserin beklagte sich oft laut und öffentlich darüber. So sagte sie zu dem spanischen Gesandten: »Die Könige von Spanien und Neapel sind von Kindern umgeben, welche ihre Aeltern lieben, ehren und alle guten Eigenschaften besitzen, die man von Söhnen verlangen kann. Ich habe nicht dies Glück. Beklagen Sie mich, Herr Gesandter, beklagen Sie mich!« – Diese letzten Worte wiederholte die Kaiserin mehrere Male mit dem Ausdruck des größten Schmerzes. – Bald darauf nahm der spanische Botschafter Gelegenheit, um gleichsam zufällig über die Pflichten der Kinder gegen ihre Aeltern zu reden. Da unterbrach ihn Joseph und sagte, sichtbar gereizt: »Wenn Aeltern kein Vertrauen zu ihren Kindern haben, so sind ihnen diese auch keines schuldig.« – Siehe: von Raumer, Beiträge zur neuern Geschichte. Bd. 5. S. 479.
Der Kaiser, welcher schon die Thür geöffnet hatte, wandte sich um. Er sah die Kaiserin, welche da stand mit von Thränen überströmtem Antlitz, die Arme ihm entgegenbreitend.
Aber Joseph eilte nicht vorwärts, sich in diese Arme zu stürzen. Er machte eine tiefe, ceremoniöse Verbeugung und sagte laut: Ich empfehle mich meiner gnädigen Kaiserin!
Dann schritt er rasch vorwärts in den Vorsaal hin und drückte die Thür hinter sich zu.
Maria Theresia stieß einen tiefen Schmerzensschrei aus und ihre Arme sanken nieder. Oh, oh, ich bin eine arme, beklagenswerthe Mutter, ächzte sie. Mein Sohn liebt mich nicht mehr! Ich habe sein Herz verloren!
Schluß des ersten Bandes.