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Maria Theresia's schlimme Befürchtungen sollten nur zu bald zur Wahrheit werden, und die österreichischen Regimenter, welche Niederbaiern besetzten, gaben das Signal zu einem Krieg, der nicht blos alle Höfe und alle Diplomaten, sondern auch alle Federn der Juristen und der politischen Schriftsteller in Bewegung setzte. Während die kleinen deutschen Fürsten in banger Sorge um ihre eigene Zukunft jammerten, und klagten über diese »Gewaltthat« Oesterreichs, sich ein Land anzueignen, auf das es gar keine Rechte habe, erschienen Flugschriften über Flugschriften der österreichischen Juristen, in denen das Recht Oesterreichs klar und deutlich erwiesen ward. Aber diesen Flugschriften antworteten die Juristen aller übrigen deutschen Staaten und Länder mit eben so vielen Flugschriften, in denen eben so klar erwiesen ward, daß Oesterreich nicht die mindesten Ansprüche auf Baiern machen könne, und daß die Besitzergreifung Baierns eine Gewaltthat sei, die alle deutschen Lande bedrohe, eine freche Verhöhnung des deutschen Rechts und der deutschen Verfassung. Ein wüthender Federkrieg entspann sich jetzt auf beiden Seiten, und in kurzer Zeit ward Deutschland von mehr als dreihundert Büchern überschwemmt, welche die baierische Erbfolge betrafen und Oesterreich entweder vertheidigten oder angriffen. Schlossers Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts. Th. IV. S. 363. Aber dieser Streit, den Oesterreich wie eine Bombe mitten in das deutsche Reich hineinschleuderte, hatte wenigstens doch das Gute, daß das deutsche Volk sich auf einmal wieder seines Deutschthums bewußt ward, und in sich eine Art von deutschem Patriotismus aufdämmern fühlte. Der Baier, der Hesse, der Würtemberger, der Hannoveraner und alle die übrigen deutschen Stämme, sie vergaßen auf einen Moment ihren Sonderpatriotismus und fühlten sich als die Söhne eines Vaterlandes, und jammerten und klagten laut, daß dieses Vaterland von Oesterreich in seinen heiligsten Rechten beleidigt, daß die deutsche Verfassung verletzt und beschimpft worden. Und die Pfaffen und Jesuiten, die unversöhnlichen Feinde Kaiser Joseph's, verstanden es, diesen Patriotismus zu einer höheren Gluth anzufachen, und ihn zu ihren Zwecken zu benutzen. In seltsamer Verdrehung aller Begriffe vereinigten sich auf einmal Pfaffenthum, Jesuitismus und Sektenwesen mit dem Begriff Deutschlands und der deutschen Freiheit, und indem die Priester, die Dunkelmänner und die kleinen deutschen despotischen Fürsten Joseph's kühne vorurtheilslose Gesinnung kannten und fürchteten, verschanzten sie sich hinter dem heiligen Wort des deutschen Patriotismus, um wider Joseph zu kämpfen, den die deutschen Fürsten einen Neuerer nannten, weil er es versucht hatte, Ordnung und Recht in die deutsche Verfassung zu bringen, den die Jesuiten, Pfaffen und Privilegirten als einen Tyrannen verschrieen, weil sie Joseph als den Feind aller Mißbräuche, aller religiösen Unduldsamkeit und aller Vorrechte Einzelner kannten und fürchteten.
In Baiern allein durfte der Sonderpatriotismus sich rückhaltlos entfalten, und während Alles klagte über die angegriffene deutsche Verfassung, jammerten die Baiern gerade darüber, daß der Kaiser ihnen ihr Baierthum rauben wolle. Carl Theodor von der Pfalz, dessen Herrschaft man sonst mit Angst entgegen gesehen, ward jetzt von den Münchenern bei seinem Einzug in die Hauptstadt mit glühendem Enthusiasmus begrüßt, und man verzieh ihm freudig sein üppiges Leben, seine Verschwendung, den Schwarm von Jesuiten und Finsterlingen, die er mit sich führte, um sich nur zu erinnern, daß er berufen sei, Baiern seine Selbstständigkeit zu bewahren, und es als ein freies, unabhängiges Land zu erhalten.
Aber der Churfürst selbst war wenig erbaut von diesem Patriotismus, welchen die Münchener und die Baiern überhaupt ihm entgegentrugen. Er wünschte nichts sehnlicher, als wieder heimzukehren nach der Pfalz, und dieser baierischen Erbschaft enthoben zu sein, welche ihm die Feindschaft und den Zorn Oesterreichs zuziehen mußte, und so ihn nicht allein mit Unruhen und Krieg bedrohte, sondern auch seine Kinder der Fürstentitel, Orden und Millionen berauben könnte, welche Oesterreich ihnen verheißen hatte. Carl Theodor lieh daher den Vorschlägen, welche Oesterreich ihm durch seinen Gesandten machen ließ, ein williges Ohr, und unterzeichnete, wenige Tage nachdem er in München eingezogen war und feierlich Besitz genommen hatte von seinem neuen Lande, eine Convention, in welcher er Oesterreichs Ansprüche auf Baiern anerkannte und zwei Dritttheile des Churfürstenthums Baiern für sich und seine Erben an Oesterreich abtrat. – Maria Theresia, froh, die Streitigkeiten endlich auf diese Weise beendigt zu sehen, belohnte den nachgiebiges Churfürsten Carl Theodor mit dem Orden des goldenen Vließes, und schickte sich an, von Baiern Besitz zu nehmen, welches jetzt durch die Convention vom dritten Januar 1778 ihr unbestrittenes Eigenthum war.
Indeß gab es in der Nähe des Churfürsten Carl Theodor eine Dame, welche in glühendem altbairischem Patriotismus empört war über diese Nachgiebigkeit des Churfürsten und bereit war, Himmel und Erde in Bewegung zu setzen, um Baiern seine Selbstständigkeit zu erhalten. Diese Dame war die Herzogin Clemens von Baiern. Kaum hatte sie von der mit Oesterreich abgeschlossenen Convention des Churfürsten erfahren, als sie dem Herzog Carl von Zweibrücken, dem rechtmäßigen Erben Baierns nach dem Tode des jetzigen Churfürsten, davon Nachricht gab und einen Eilboten nach Berlin sandte, um König Friedrich zur Hülfe und zum Schutz Baierns aufzurufen.
Dieser energische Schritt der bairischen Patriotin entschied das Schicksal des ganzen Erbfolgestreites. Der Herzog von Zweibrücken protestirte laut gegen die abgeschlossene Convention, und erklärte, derselben niemals beitreten und niemals seine Rechte auf Baiern aufgeben zu wollen. König Friedrich aber erklärte sich bereit, den Herzog von Zweibrücken zu unterstützen und seine Ansprüche an Niederbaiern, Oberpfalz und Mindelheim gegen Oesterreich mit den Waffen zu verteidigen, wenn nicht die österreichischen Truppen sofort das Land räumten.
Vergebens versuchte es Maria Theresia, immer noch bemüht, den Frieden zu erhalten, den Herzog von Zweibrücken durch Freundschaftsversicherungen, durch Versprechungen zu gewinnen, vergebens bot sie ihm den Orden des goldenen Vließes, eine Million Gulden, und endlich den Titel eines Königs von Burgund, und die Herrschaft über die zum Königreich Burgund erhobenen belgischen Provinzen an; Herzog Carl blieb unerschütterlich. Er erklärte, daß er nichts weiter begehre, als Churfürst von Baiern zu werden, und daß weder die Königskrone von Burgund, noch der Orden des goldenen Vließes, noch die Million ihn reizen könnten, seinen gerechten Ansprüchen auf sein Erbe zu entsagen, und er rief laut den König von Preußen um Hülfe und Beistand an.
König Friedrich erklärte sich eben so laut bereit, »die Rechte des pfälzischen Hauses auf die Nachfolge in Baiern gegen die ungerechten Ansprüche des Wiener Hofes mit seiner ganzen Macht zu vertheidigen,« Vergl. Dohms Denkwürdigkeiten. Th. I. S. 7. und zog seine Truppen in Oberschlesien, an der böhmischen und sächsischen Grenze zusammen.
Das war auch für die österreichischen Truppen das Signal zum Ausmarsch, und trotz ihrer Seelenangst, ihres inneren Widerstrebens, ihres Widerwillens gegen diesen Krieg mußte Maria Theresia darein willigen, daß Kaiser Joseph sich selbst an die Spitze seiner ausmarschirenden Truppen stellte und in's Feld zog, um sich von dem König von Preußen Lorbeeren und Ruhm zu erobern. Diesmal war all ihr Flehen, ihre Vorstellungen vergeblich gewesen, der feurige Thatendrang Josephs ließ sich diesmal nicht mehr zügeln; wie das Schlachtroß, welches den Klang der Trompeten vernommen hat, glühte er nach Thaten, drängte es ihn vorwärts dem Kampfplatz zu. Der sonst stets so gehorsame und unterwürfige Sohn hatte sich jetzt auf einmal in einen kampfbegierigen ungeduldigen Krieger verwandelt, und Maria Theresia fühlte, daß ihre Hände zu schwach seien, ihn jetzt noch zurück zu halten, um so mehr, als auch Kaunitz diesmal nicht auf ihrer Seite stand, sondern sich frei und offen zu des Kaisers Ansichten bekannte.
Weinend und voll Seelenangst ließ daher die Kaiserin ihren Sohn an der Seite des Feldmarschalls Lacy in's Feld ziehen, und sank ohnmächtig zusammen, als Joseph ihr sein letztes Lebewohl gesagt und sich ihren Armen entrissen hatte.