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VIII.
Der Brief an die Kaiserin von Rußland

Mit glühenden Wangen und hochwallendem Busen ging Maria Theresia in ihrem Cabinet auf und ab, zuweilen einen zornflammenden Blick auf die Papiere werfend, die hochaufgethürmt auf ihrem Schreibtisch lagen, dann wieder in heftiger Erregung weiter wandelnd und gar nichts fühlend von den Beschwerden, welche ihr sonst das Gehen zu verursachen pflegte. Es waren schlimme Nachrichten, welche die Kaiserin so erregt und ihr Blut so in Wallung gebracht hatten, schlimme Nachrichten von allen Seiten, die schlimmsten aber aus Böhmen von dem Heer. Denn immer noch, obwohl schon über ein Jahr verflossen war seit dem Beginn des Streites, standen sich die Oesterreicher und Preußen einander in Böhmen gegenüber, immer noch, wie es schien, bereit, den Krieg über die Zukunft Baierns entscheiden zu lassen.

Maria Theresia, erschreckt von der drohenden Botschaft, welche ihr Joseph beim Beginn des Krieges durch den Großherzog von Toscana gesandt, hatte die Unterhandlungen mit dem König von Preußen abgebrochen, und sich schweren und traurigen Herzens in die Feindseligkeiten gefügt, um nur den gereizten Sinn ihres kaiserlichen Sohnes zu sänftigen.

Aber dennoch war es nicht zu einer entscheidenden Schlacht gekommen, denn indem die Kaiserin die Friedensunterhandlungen aufgab, hatte sie ihrem Sohn und ihren Feldherren den strengsten Befehl ertheilt, niemals angriffsweise zu verfahren, niemals eine Schlacht anzubieten, sondern ihr so lange als möglich auszuweichen, und eine Schlacht nur anzunehmen, wenn das Ablehnen nicht mehr mit der Ehre verträglich erscheine.

Indes, das Schlachtenanbieten hatte diesmal nicht in dem Plan und dem Willen des Königs von Preußen gelegen, und gleich Maria Theresia schien auch Friedrich jede Schlacht vermeiden zu wollen und der Entscheidung durch das Schwert sorgsam aus dem Wege zu gehen. Mit kühnem Geist hatte der König wohl die neue Fehde gegen Oesterreich, den alten Urfeind seines Hauses, aufgenommen, aber das Alter hatte doch die Schwingen seines Genius gelähmt, und mit verzweiflungsvollem Schmerz hatte der Feldherr so vieler Schlachten sich plötzlich jetzt auf dem Kriegsschauplatz als einen alten hinfälligen Greis gefühlt, dessen gichtkranke Hand wenig im Stande war, das Schwert zu führen, und dessen gebrochene Gestalt weniger für den Sitz auf dem Schlachtroß, als für die Polster des Lehnstuhls sich eignete.

Verdrießlich, heftig und traurig, wie man ihn nie zuvor gesehen, war der König in diesem Feldzug immer gewesen, und die verdrießliche Laune des kranken Greises hatte den Heldengeist des Feldherrn gelähmt. Statt eine Schlacht zu wagen, hatte er sich mit Fouragiren und Plänkelgefechten begnügt, und das verzweifelnde, von Krankheiten, Noth und Entbehrungen auf das Aeußerste gebrachte preußische Heer hatte den von ihm besetzten Theil von Böhmen in eine Wüste verwandelt. Der Winter hatte sich endlich der Leiden Böhmens erbarmt; er hatte diesen Scheinkrieg, der wenig Blut, aber viel Thränen und viel Menschenwohl gekostet hatte, auf eine Zeit lang beendet, und die beiden feindlichen Heere hatten die Winterquartiere bezogen.

Maria Theresia hatte die Zeit, welche den thatendurstigen und kampfbegierigen Sohn zur Ruhe und zum Abwarten nöthigte, für ihre Wünsche zu benutzen gesucht, und war eifrig bemüht gewesen, auf's Neue den Weg der Unterhandlungen einzuschlagen. Graf Mercy hatte im Namen der Kaiserin die Hülfe und den Beistand Frankreichs nachsuchen, und zugleich hatte Baron Thugut dem König von Preußen neue Friedensvorschläge machen müssen.

Bis heute hatte also Maria Theresia sich der freudigen Hoffnung hingegeben, diesen unseligen Krieg, den man in Norddeutschland den Kartoffelkrieg, in Süddeutschland den Zwetschkenrummel höhnend benannte, und der so viel Geld und so wenig Blut kostete, endlich durch einen Frieden beendet zu sehen, welcher nicht durch das Schwert des Kriegers, sondern durch die Feder des Diplomaten herbeigeführt worden.

Aber der heutige Tag hatte diese Hoffnungen der Kaiserin vernichtet. Zwei Couriere waren soeben eingetroffen, der eine aus Frankreich, der andere aus Böhmen von dem Kaiser. Mit dem ersten meldete der Graf Mercy, daß Frankreich es nicht blos ablehnte, die Rolle eines Vermittlers anzunehmen, sondern Oesterreich entschieden zur Beendigung eines Krieges rathe, den Frankreich zu seinem Bedauern für einen ungerechtfertigten und nicht zu billigenden Krieg von Seiten Oesterreichs erklären müsse.

Mit dem zweiten Courier war ein Brief Kaiser Josephs angelangt, welcher der Kaiserin meldete, daß die Winterruhe vorüber sei, und der Krieg, wie er hoffe, nun in einer würdigeren und entschiedeneren Weise fortgesetzt werden solle. Schon sei den Oesterreichern das Kriegsglück günstiger gewesen, denn dem General Wurmser sei es gelungen, den Prinzen von Hessen-Philippsthal zu überrumpeln und ihn sammt der preußischen Besatzung aus der Festung Habelschwert zu verdrängen. Auch bereite der Kaiser sich vor, jetzt mit seiner Armee dem König entgegen zu ziehen, ihn zu einer Schlacht zu zwingen und Böhmen endlich von dem verhaßten, grausamen Feind zu befreien.

Das waren die Nachrichten, welche Maria Theresia so heftig erregt und ihre Seele mit Angst und Schrecken erfüllt hatten.

Ich will endlich Frieden haben, einen entschiedenen, festen Frieden, sagte die Kaiserin ernst vor sich hin, immer noch auf und ab wandelnd. Will nicht in den Tod gehen, belastet mit dem Schreckniß eines neuen Krieges, und verfolgt von dem Blut und den Thränen meines armen Volks. Nein, nein, es soll jetzt ein End' haben mit diesem Krieg, von dem alle Welt behauptet, daß er ein ungerechter ist, und der jetzt mein Gewissen belastet wie ein Verbrechen. Will aber Ruh' haben mit meinem Gewissen, will die Last abschütteln, auf daß ich mit freier Brust und leichtem Herzen dereinst zu meinem Fränzel kommen kann, und nü' nöthig hab', vor ihm mein Äug' zu Boden zu schlagen. Friede soll sein, ich will's, und denk' wohl, ich bin noch immer die regierende Kaiserin, und kann wohl durchsetzen, was ich will! Und gleich heut soll's geschehen! Gleich heut will ich dazu thun, daß dies unselige Kreuz von mir und meinem Land genommen werde! Will den Joseph schon zwingen, keine Schlacht zu wagen, und wills mir gar sehr verbitten, daß er Händel sucht und Schlachten anfängt. Ruhe soll werden, Ruhe und Frieden, und wenn mir der Joseph auch darüber zürnen wird, so denk' ich wohl, daß mein Volk, daß ganz Deutschland und ganz Europa mich dafür segnen wird, wenn ich den Frieden mach'!

Ganz erfüllt von diesem Gedanken trat Maria Theresia zu dem Schreibtisch hin und ließ ihre Augen mit einem hastigen Blick über die Papiere und Bücher hinschweifen. Auf einmal flog eine glühende Röthe über ihr Antlitz hin, und ein zorniges Feuer blitzte in ihren Augen auf, als sie hastig ein Heft gedruckter Papier emporhob.

Hat der Schrötter schon wieder eine Broschüre drucken lassen, sagte sie unwillig, bläst schon wieder die Lärmtrompet', und will beweisen, daß wir Recht haben, Baiern zu nehmen! Muß dem streitsüchtigen Menschen befehlen, endlich den Mund zu halten, und sich nicht zu kümmern um Sachen, die ihn ganz und gar nichts angehen! Will's ihm heut gleich sagen, denn es soll und muß Friede sein, und die Schwerter und die Federn sollen ruhen. Will gleich in dieser Stund' den Kaunitz hier haben, und mit ihm berathen, was zu thun ist. – Die Kaiserin nahm die Handklingel von ihrem Schreibtisch und schellte. Zwei Boten! befahl sie dem eintretenden Kammerhusaren. Der eine an den Fürsten Kaunitz: ich lasse Se. Durchlaucht bitten, sogleich zu mir zu kommen. Der andere an den Hofrath von Schrötter: soll in einer Stund' zur Audienz hier sein!

Und jetzo, sagte die Kaiserin, als sie wieder allein war, jetzo überlegen wir einmal, was zu thun ist, und wie ich's anfangen muß, um mein Ziel zu erreichen.

Sie hatte sich auf den Fauteuil vor ihrem Schreibtisch niedergleiten lassen, und neigte sich über den Berg von Papieren und Aktenstücken, die da vor ihr lagen. Mit tiefem Ernst und besonnener Ruhe beschäftigte sie sich mit der Durchsicht derselben, bald die einen ganz zu Ende lesend, bald die andern rasch überfliegend und bei Seite schiebend.

Seh' nirgends einen Ausweg und einen Anknüpfungspunkt, sagte sie, sorgenvoll ihr Haupt schüttelnd, als sie eben noch einmal den letzten Bericht ihres Gesandten in Paris gelesen hatte. Kann mich nit so weit demüthigen, daß ich noch einmal mich an den König von Preußen selber wend' und ihm abermals Friedensvorschläge mache. Er ist ein gar hochmüthiger Mann und wird zuletzt vermeinen, er könnt' noch unverschämtere Forderungen machen, als er schon gemacht hat, und die Folge davon könnt' sein, daß ich, um die Beleidigung zu rächen, doch zuletzt mit dem Krieg Ernst machen müßt'! Nein, es geht nicht, wieder unmittelbar mit dem König zu verhandeln. Aber wen nehm' ich als Mittelsperson? Frankreich hat es abgelehnt und die Marie Antoinette hat bei ihrem störrischen Mann nichts weiter ausrichten können, als daß er in dieser Sach' nit grad'zu und öffentlich gegen Oesterreich auftritt. Ist ein sehr wenig complaisanter Schwiegersohn, der König Ludwig, und wenn nit die Marie Antoinette jetzt wieder in gesegneten Umständen wär' und man ihr daher alles Aergerniß ersparen müßt', so sollt' Frankreich wohl erfahren, daß Oesterreich sich wenig kümmert um seinen Beifall oder sein Mißvergnügen. Aber so müssen wir schweigen und den Uebermuth meines Schwiegersohnes hingehen lassen, und wenn die Marie Antoinette dies Mal einen Dauphin bekommt, so will ich ihrem störrischen König auch nit mehr gram sein! – Hab' sehr gerechnet auf Frankreichs Vermittelung und es kränkt mich gar sehr, daß es mich jetzt im Stich läßt und daß ich halt nit weiß – Aber da ist noch ein Schreiben von meinem Gesandten in Rußland, das ich noch nit gelesen hab'! Wollen sehen, was das enthält!

Die Kaiserin nahm das Papier und las, und während des Lesens nahm ihr Antlitz einen immer gespannteren und staunenderen Ausdruck an.

»Der König sehnt sich gar sehr, dieser russischen Hülfe überhoben zu sein, las sie halb laut. Die Kaiserin von Rußland ist bereit, ihm ein Hülfscorps zu stellen und hat schon ein solches an die Grenze von Galizien vorrücken lassen. Aber sie verlangt, daß dieses Hülfscorps nicht unter preußischem Obercommando stehe, sondern frei und selbstständig handeln solle; außerdem fordert die Kaiserin zur Fortsetzung ihres Türkenkrieges von dem König von Preußen Subsidien im Betrage von zwei Millionen Thalern. Der König ist sehr ungehalten darüber und die sehr gefährliche Allianz der beiden Mächte ist durch diese stolzen und übermüthigen Forderungen Rußlands ein wenig gelockert worden. Dies wäre für Oesterreich ein günstiger Moment, um die Allianz ganz aufzulockern, Preußen mit Rußland zu entzweien und sich selber zum Alliirten Rußlands zu machen. Wenn die Kaiserin-Königin von Oesterreich es über sich gewinnen könnte, an die Kaiserin von Rußland zu schreiben und in einem freundschaftlichen Ton ihre Vermittelung anzurufen« –

Nein, unterbrach sich Maria Theresia in ihrer Lectüre, nein, das werde ich nimmer thun! Es ist gegen meine Ehre und gegen meine Prinzipien!

Sie warf das Papier unwillig bei Seite und ein düsteres Feuer brannte in ihren Augen. Werd' nimmer mich dazu hergeben, an diese fürchterliche Frau zu schreiben, welche über die Leiche ihres Gemahls hinweg sich zu dem Thron gedrängt hat, dessen Hoheit sie beschimpft durch ihr sittenloses Leben und die Schaar ihrer Favoriten und Liebhaber. Nein, nein, werd' nimmer die Freundin sein können dieser Kaiserin von Rußland und nie soll gesagt werden, daß die Maria Theresia sich so tief gedemüthigt habe, um Rußlands Freundschaft zu werben.

Und während sie so sprach, strahlte das Antlitz der Kaiserin in stolzer Entschlossenheit und der edle und kühne Ausdruck ihrer schönen Jugendzeit verklärte einen Moment ihre Züge.

Das Eintreten des Kammerhusaren unterbrach jetzt die Kaiserin in ihrem Selbstgespräch. Der Bote, der auf Ew. Majestät Befehl zu dem Fürsten Kaunitz gesandt worden, ist eben zurückgekehrt, meldete der Kammerhusar. Se. Durchlaucht lassen Ew. Majestät um gnädige Verzeihung bitten, daß sie dem Befehl der kaiserlichen Majestät nicht gehorchen können. Der Herr Fürst ist krank und muß das Bett hüten, kann es auch morgen noch nicht verlassen!

Der helle Glanz war längst schon von dem Antlitz der Kaiserin gewichen, und mit finsterer Miene winkte sie dem Kammerhusaren, hinaus zu gehen.

Kenn' diese Art des Krankseins gar wohl, rief die Kaiserin unwillig, als sie wieder allein war, hab's alle Mal erlebt, daß mir der Kaunitz krank wird, wenn's eine zweifelhafte Sach' giebt und er es nit mit mir, aber auch mit dem Kaiser Joseph nit verderben möcht'. Wie sich, wenn's draußen Gefahr giebt, der Fuchs in seinen Bau zurückzieht, so kriecht der Kaunitz jederzeit in sein Bett, wenn er nit weiß, ob er's mit mir oder dem Kaiser am besten halten soll. Wollt' auch, daß ich könnt' heut in mein Bett gehen, und die Augen schließen, und nichts sehen und nichts hören von Dem was da draußen geschieht! – Aber nein, fuhr die Kaiserin nach einer langen Pause fort, hab' nit das Recht dazu, muß schon tapfer auf dem Platz bleiben und mein Amt getreulich verwalten, und wenn mir der Kaunitz dabei nit helfen will, nun, so muß ich mir schon selber helfen. Die Sach' muß heut in Ordnung kommen und jede Minute Zögerung vergrößert die Gefahr, denn der Joseph ist gar streitsüchtig und will durchaus den Krieg! Ich will's nit leiden und ich darf's nit leiden! Oh mein Gott, zeig' mir also ein Mittel, wie ich's hindern kann!

Die Kaiserin begann wieder die Papiere durchzusehen und die Berichte ihrer Gesandten an den verschiedenen Höfen zu lesen. Während des Lesens verdüsterte sich ihr Antlitz mehr und mehr, steigerte sich die Angst ihrer Seele.

Alle diese Berichte brachten ihr Kunde von der Unzufriedenheit der Höfe, von dem Mißtrauen und Uebelwollen, mit welchem man überall auf Oesterreich hinblickte. Alle diese Berichte ermahnten zum Frieden, zur schleunigen Beilegung des Streites, damit nicht eine allgemeine Erhebung der europäischen Mächte und eine furchtbare Demüthigung des ganz allein stehenden und ganz verlassenen Oesterreichs die Folge längeren Widerstrebens sei.

Mein Gott, mein Gott, rief die Kaiserin mit hervorstürzenden Thränen der Angst, wie kann ich's ändern? Wie kann ich's ändern? Wo ist die Hand, die mich leiten, der Freund, der mir beistehen kann? Wo finde ich denn einen Vermittler, der mächtig und groß genug ist, um den Frieden anzubahnen? Wo –

Auf einmal stockte die Kaiserin und ihre Thränen versiegten. Mit hastiger Hand suchte sie unter den Papieren nach dem Bericht ihres Gesandten in Petersburg, den sie vorher so verächtlich bei Seite geworfen, und als sie ihn gefunden, begann sie noch einmal zu lesen.

Tiefe Stille herrschte jetzt in dem Kabinet der Kaiserin, nur zuweilen unterbrochen von den Seufzern Maria Theresia's oder von dem Knistern des Papiers, das sie in ihren zitternden Händen hielt.

Auf einmal ließ die Kaiserin diese Hände mit dem Papier sinken, und ihr Haupt zurückwerfend, rief sie mit einem schmerzlichen Wehelaut: Das ist der Weg der Rettung, aber es ist schmerzlich, ihn zu gehen. Muß ich ihn denn wandeln? Muß ich?

Sie raffte sich wieder zusammen, und mit einer zornigen Handbewegung die Thränen aus ihren Augen fortschleudernd, begann sie wieder zu lesen.

Und wieder trat eine tiefe Stille ein. Dann legte Maria Theresia das Papier hin, und ihr Antlitz hatte jetzt einen finstern, aber entschlossenen Ausdruck.

Ich muß meinem Volk, meinem Vaterland und meinem Gewissen dies Opfer bringen, sagte sie mit lauter feierlicher Stimme. Ich muß meinem Land und meinem Volk und mir selber Frieden geben, und da es kein anderes Mittel giebt, denselben herbeizuführen und den weitern Krieg zu vermeiden, so werde ich mein armes Herz demüthigen und an die Kaiserin von Rußland schreiben, um ihre Vermittelung in Anspruch zu nehmen. Du allein, mein Gott da droben, du allein weißt, wie furchtbar mir dies Opfer ist, aber du willst, daß ich es bringe, und ich unterwerfe mich! Rasch denn an's Werk! Was man zu thun für nöthig hält, muß man sogleich und ohne Zaudern thun!

Mit hastiger Hand griff die Kaiserin nach einem Blatt Papier und nahm die Feder, aber schon, indem sie zu schreiben beginnen wollte, stockte ihre Feder.

Nein, rief sie angstvoll, nein, ich kann diese Frau nicht meine Schwester nennen. Ich kann ihr, die ich verachte, nicht schön thun und ihr schmeicheln! Meine ganze Seele bäumt sich dagegen auf, und mir ist es, als nähme ich auf mein Haupt einen Theil der Schmach, mit welcher diese Frau ihre Kaiserkrone befleckt hat! – Und ihre angstvollen, von Thränen umdüsterten Blicke auf das Bildniß des Kaisers Franz werfend, das über ihrem Schreibtisch hing, rief Maria Theresia in Todesangst: oh mein Franzel, mein Geliebter! Kannst Du Dein armes Weib verlassen in dieser Noth? So hilf mir doch und steh mir bei, und nimm diesen Kelch von mir! – Aber nein, nein, dies Alles ist vergeblich, seufzte sie dann, die Zeit vergeht, und während ich zaudere, rüstet der Joseph sich zur Schlacht. Muthig also, mein Herz, und trink den Kelch.

Sie griff abermals nach der Feder und begann zu schreiben. Oft noch hielt sie zögernd inne, und wenn sie dann weiter schrieb, seufzte sie hoch auf und es kam wie leises Wimmern aus ihrer wogenden Brust hervor. Zuweilen auch wiederholte sie laut und mit fliegendem Athem die Worte, welche sie schrieb, und dictirte ihrer Hand, was sie nur zögernd zu schreiben wagte. Dann schrak sie zusammen vor ihrer eigenen Stimme und schwieg, um eiliger weiter zu schreiben.

Und endlich war das schwere Werk vollbracht. Maria Theresia schrieb jetzt die Schlußworte ihres Briefes an die Kaiserin von Rußland, und mit lauter, feierlicher Stimme wiederholte und dictirte sie sich diese letzten Worte: »Ich überlasse Eurer Majestät allein die Wahl der Versöhnungsmittel, welche Ew. Majestät im Verein mit Frankreich für die billigsten und tauglichsten zur Herstellung des Friedens halten, und ich hege die Ueberzeugung, daß ich mein Heil und meine Würde in keine bessern Hände legen konnte. In solcher Hoffnung verbleibe ich Ew. Majestät treu ergebene Schwester und Freundin Maria Theresia.« Adam Wolf: Oesterreich und Maria Theresia. S. 568. Dieser Brief der Kaiserin Maria Theresia an Katharina II. wird noch heut im kaiserlichen Archiv zu Petersburg aufbewahrt. Coxe, der den Brief wörtlich mittheilt, erzählt, daß er ihn selbst in Petersburg gesehen und davon Abschrift genommen habe. Siehe: Coxe History of the house of Austria. Vol. IV. p. 392.

Mit einem lauten Schmerzensschrei ließ Maria Theresia jetzt die Feder sinken. Ihre ganze Gestalt bebte, glühendes Roth brannte auf ihren Wangen und krampfhaftes Schluchzen kam aus ihrer Brust hervor. Noch einen angstvollen, schaudernden Blick warf die Kaiserin auf den eben vollendeten Brief, dann schlug sie ihre beiden Hände vor ihr glühendes, zuckendes Angesicht und weinte laut und bitterlich.

Allmälig legte sich der Paroxysmus ihrer Verzweiflung, verstummte das krampfhafte Schluchzen, das aus ihrer Brust hervor kam. Maria Theresia ließ die Hände wieder von ihrem Antlitz gleiten, das jetzt todesbleich war.

Es muß zu Ende geführt werden, sagte sie mit zuckenden Lippen, alles Zaudern ist vom Uebel.

Sie nahm den Brief, faltete ihn zusammen und schrieb mit raschen Federzügen die Adresse: An Ihro Majestät die Kaiserin Katharina von Rußland!

Dann nahm sie die Klingel, aber dies Mal nicht die große silberne, mit welcher sie dem Kammerhusaren läutete, sondern eine kleine goldene, welche sie nur leise bewegte, so daß sie nur einen einzigen schrillenden Laut vernehmen ließ.

Sofort öffnete sich die kleine Tapetenthür, die in das zweite Bureauzimmer der Kaiserin führte, und der Geheimsekretair Koch erschien in derselben.

Die Kaiserin winkte ihn mit einer hastigen Handbewegung zu sich und reichte ihm den Brief dar.

Ein Courier an die Kaiserin von Rußland, sagte sie, sogleich soll er abgehen! Siegle Er den Brief, aber nehm Er zuvor Abschrift davon, damit wir dieselbe dem Kaiser, meinem Sohn, senden können. Alsdann schicke Er ihn ab! Hab' gethan, um was Er und viele meiner Diener mich schon lange gebeten! Hab' an die Kaiserin von Rußland geschrieben! Still, sag' Er kein Wort! Mein Herz ist noch nit stark genug, und meine Lippen wagen es noch nit, davon zu sprechen! Geh' Er und thue Er, wie ich ich ihm gesagt!

Der Geheimsekretair hatte das Kabinet noch nicht verlassen, als sich da drüben die Thür öffnete und der Kammerhusar hereintrat.

Der Hofrath von Schrötter, sagte er, ist kaiserlichem Befehl gemäß so eben angelangt, und meldet sich Eurer kaiserlichen Majestät zur Audienz.

Ein Ausdruck wilder, grausamer Freude flog über das blasse Antlitz der Kaiserin. Ach, der Mann kommt mir eben genehm, sagte sie leise vor sich hin, bin grad' in der rechten Stimmung, ihn zu empfangen, und es wird mir das Herz leicht machen, ihm die Wahrheit zu sagen!

Sie winkte mit der Hand und befahl, den Hofrath von Schrötter eintreten zu lassen.


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