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Herr Feldmarschall Lacy, sagte Leopold athemlos, keuchend, ich stelle mich unter Ihren Schutz, unter den Schutz des Mannes, welchen die Kaiserin Maria Theresia zu ihrem Feldmarschall ernannt hat, und der Sie Treue und Gehorsam geschworen haben.
Und der ich Treue und Gehorsam bewahren werde bis zu ihrem letzten Athemzug! sagte Lacy ernst und feierlich.
Der Kaiser ächzte laut auf, und sein erhobener Arm sank schwer und matt an seiner Seite nieder.
Ein bleiches, grausames Lächeln flog über das Antlitz des Großherzogs hin. Er senkte rasch die Hand in seine Brusttasche, und die Papiere hervorziehend, reichte er sie Lacy hin.
Nehmen Sie die Papiere, sagte Leopold. Die Kaiserin Maria Theresia hat mich ermächtigt, falls der Kaiser sie zu lesen verweigert, dieselben dem Feldmarschall Lacy zu übergeben und ihm im Namen der Kaiserin zu gebieten, daß er sofort in meiner Begleitung sich mit diesen Papieren zum Kaiser verfüge und ihm dieselben vorlese. Kommen Sie also, Excellenz, lesen Sie dem Kaiser die Papiere vor!
Lacy verneigte sich, und ohne ein Wort zu sagen, schritt er an der Seite des Großherzogs der Thür zu.
Der Kaiser trat zurück in das Zimmer, und auf einen Sessel niedertaumelnd, verhüllte er sich mit beiden Händen das Gesicht.
Nichts unterbrach jetzt die Stille, als die dröhnenden Schritte des Großherzogs und Lacy's, welche eben eintraten und die Thür hinter sich schlossen.
Eine lange Pause trat ein. Der Großherzog hatte sich in die Fensternische gestellt, und die Arme über der Brust gekreuzt, schien er mit vollkommen wiederhergestellter Ruhe die weitere Entwickelung dieser Scene zu erwarten.
Joseph saß noch immer gebeugt und mit verhülltem Angesicht da, während Lacy mit den Papieren in der Hand in streng militairischer Haltung an der Thür stand, die weitern Befehle des Kaisers erwartend.
Als diese immer noch nicht erfolgten, und kein Wort, kein Wink des Kaisers das athemlose Schweigen unterbrach, richtete Lacy sich höher empor und trat militairisch steif einen Schritt vorwärts.
Befehlen Ew. Majestät, fragte er, daß ich Ihnen die Briefe vorlese, welche Se. Kaiserliche Hoheit der Großherzog mir im Namen und auf Befehl der Kaiserin übergeben hat?
Lesen Sie, sagte der Kaiser dumpf, ohne die Hände von seinem Antlitz zu ziehen.
Jetzt näherte sich Lacy dem Tisch, neben welchem der Kaiser saß, und die aus verschiedenen Briefen, Zetteln und Actenstücken bestehenden Papiere auf demselben ausbreitend, nahm er zuerst das von der Kaiserin eigener Hand an den Kaiser gerichtete Schreiben und las:
»Mein lieber Kaiser und Sohn! Ihnen, als meinem Mitregenten und vielgeliebten Sohn, beeile ich mich Einsicht zu geben in die von mir mit dem König von Preußen angeknüpften Unterhandlungen. Dieselben werden hoffentlich zu einem günstigen Resultat führen, und ich werde dadurch nicht allein das Glück haben, mein Volk vor einem blutigen und unheilvollen Kriege beschützt zu haben, sondern auch meinen geliebten Sohn und Kaiser, nach dem sich mein Herz sehnt, und um dessen Sicherheit ich schmerzlich besorgt bin, so lange er im Feld steht, wieder an meiner Seite zu haben. Ich bitte Sie aber, so lange die Unterhandlungen dauern, nichts zu unternehmen, was eine Fortsetzung derselben unmöglich macht, und in keiner Weise mit Ihren Truppen den Angreifenden oder Herausfordernden zu machen, wie mir seinerseits der König von Preußen versprochen hat, daß er während dieser Zeit keinen weiteren Angriff unternehmen und seine Truppen nicht weiter vorrücken lassen wird. Ich werde von nun an Ew. Majestät regelmäßig von dem weiteren Verlauf der Unterhandlungen Nachricht geben und sende Ihnen anbei genaue und wörtliche Abschrift der zwischen mir und dem König von Preußen gewechselten Briefe, wie auch der gegenseitig gemachten Propositionen und Bedingungen. Indem ich Gott bitte, daß er meinen vielgeliebten Sohn und Kaiser bald wieder in meine mütterlichen Arme zurückführe, verbleibe ich Ihre wohlgewogene Mutter und Kaiserin Maria Theresia.«
Ein tiefer Seufzer, der mehr einem schmerzlichen Stöhnen glich, stieg aus der Brust des Kaisers empor. Langsam ließ er die Hände niedersinken von seinem Antlitz, das jetzt todesbleich war, und seine großen Augen mit einem unendlich trüben und schmerzlichen Blick auf Lacy heftend, fragte er: Lacy, ist es wirklich wahr und möglich? Ist es vorbei mit meinen Hoffnungen und mit unsern stolzen Siegerplänen?
Der Feldmarschall antwortete nur mit einem Seufzer und mit einem leisen Zucken seiner Achseln.
Lesen Sie weiter, sagte der Kaiser sanft, meine Augen sind trübe und vermögen nicht zu lesen!
Lacy gehorchte, und nachdem er den ersten Brief der Kaiserin an den König, mit welchem Maria Theresia die Initiative ergriffen hatte, vorgelesen, las er die Antwort des Königs, in welchem dieser bereitwillig auf die Pläne der Kaiserin eingeht und ihr verspricht, seine Schritte so einzurichten, daß Maria Theresia nichts für das Leben ihres geliebten Kaisers zu fürchten habe.
Als Lacy das las, zuckte der Kaiser zusammen, eine flammende Röthe flog einen Moment über sein Antlitz hin und machte dann einer noch tödtlicheren Blässe Platz. Er öffnete hastig die Lippen wie zu einem heftigen Wort, dann aber raffte er sich gewaltsam zusammen und hörte still und schweigend der weiteren Lectüre zu.
Noch zwei andere Briefe der Kaiserin und des Königs folgten, voller Versicherung gegenseitiger Verehrung und voll Betheuerungen, Alles zu thun, um Deutschland den Frieden wiederzugeben. Alsdann kamen die Friedens-Propositionen der Kaiserin und die hinzugefügten Bemerkungen des Königs.
Maria Theresia verpflichtete sich in diesen Propositionen, von den bis jetzt in Baiern in Besitz genommenen Ländern nur so viel zu behalten, als etwa die Revenue einer Million betrage, und das Uebrige dem Churfürsten zurückzuerstatten, oder die jetzt mit Besitz belegten Landstriche Baierns gegen andere zu vertauschen, über die sie sich mit dem Churfürsten einigen wolle, und die nicht den Werth einer Million Einkünfte übersteigen sollten.
Alsdann folgten die Gegenpropositionen des Königs. Diesen zufolge sollte Oesterreich alle seine Ansprüche auf Baiern fahren lassen, sich mit einem kleinen District von Oberbaiern begnügen, die Ansprüche des Churfürsten Carl Theodor, so wie später des Herzogs von Zweibrücken anerkennen und heilig halten.
Weiter, weiter, rief Joseph hastig, als Lacy jetzt schwieg.
Weiter ist nichts vorhanden, sagte Lacy, dies ist das letzte Papier, das in dem Couvert enthalten ist!
Und auf diese unverschämten und höhnenden Propositionen des Königs sollen wir nicht die einzig mögliche Antwort ertheilen können! rief der Kaiser schmerzlich, die Antwort mit dem Schwert, das allein noch die gethane Beschimpfung auslöschen kann! Oh Lacy, Lacy, es ist fürchterlich zu denken, daß ich abermals meine Hände in den Schooß legen und demüthig und ergeben wie ein Schulknabe abwarten soll, was meine gestrengen Züchtiger und Lehrer über mich beschlossen haben!
Es ist eine schwere Pflicht, welche Ew. Majestät da zu erfüllen haben, seufzte Lacy, aber es ist eine Pflicht, und Ew. Majestät dürfen Sich ihr nicht entziehen!
Ich darf mich nicht ihr entziehen, wiederholte Joseph mit einem tiefen Schmerzensausdruck, indem er aufsprang, ich muß –
Auf einmal traf sein irrer flackernder Blick das Antlitz des Großherzogs, der immer noch ruhig in der Fensternische stand.
Sie sind noch hier? fragte Joseph mit dem Anschein des Erstaunens. Ich dächte, Ihre Hiobsbotschaften wären zu Ende, und Ew. Kaiserliche Hoheit hätten mir nichts mehr zu sagen!
Ich warte auf die Antwort für Ihre Majestät die Kaiserin, sagte Leopold ruhig.
Ah, Sie wollen mich höhnen, rief Joseph, bebend vor Zorn, Sie wollen mich höhnen, denn Sie wissen es wohl, daß es auf die ausgesprochenen Befehle der Kaiserin keine Antwort mehr giebt, sondern daß man denselben schweigend und unterwürfig gehorchen muß. Da Sie aber durchaus eine Antwort begehren, so will ich sie Ihnen geben! Doch achten Sie wohl auf meine Worte und hüten Sie sich, eins derselben zu vergessen. Sagen Sie der Kaiserin, ich werde mich, wie es einem gehorsamen Unterthan gezieme, ihren Befehlen fügen und so lange die von Ihro Majestät ohne mein Wissen und hinter meinem Rücken angeknüpften Unterhandlungen dauerten, nichts Feindliches gegen den König von Preußen unternehmen, ihn nicht zu einer Schlacht drängen, obwohl ich wüßte, daß die Welt mir meine Unthätigkeit als einen Fehler und eine Ungeschicklichkeit anrechnen würde, und daß nicht blos meine Feinde, sondern auch meine wenigen Freunde mich fortan für einen thörichten Prahler halten würden, der sich großer Entwürfe rühme, und wenn es zur That kommen solle, sich feig und kleinlaut zurückziehe. Sagen Sie Ihro Majestät, ich würde nichts destoweniger gehorchen, aber sagen Sie ihr ferner: wenn die Kaiserin wirklich im Stande sei, auf diese nachtheiligen, demüthigenden Bedingungen des Königs von Preußen einzugehen und Frieden zu schließen, so würde ich niemals nach Wien zurückkehren und niemals mich der Kaiserin wieder nähern, sondern in Aachen, oder in irgend einer andern freien Reichsstadt, nach Sitte der alten deutschen Kaiser meine Residenz nehmen. Des Kaisers eigene Worte. Siehe Dohms Denkwürdigkeiten. Th. I. Seite 143.
Oh, Majestät, rief Lacy entsetzt, ich beschwöre Sie, nehmen Sie Ihr Wort zurück.
Ich nehme es nicht zurück, sondern ich befehle dem Abgesandten der Kaiserin, ihr getreulich und genau meine Botschaft auszurichten, sagte Joseph stolz.
Und ich werde dem Befehl Sr. Majestät, des Mitregenten meiner Kaiserin, zu gehorchen wissen, sagte der Großherzog von Toscana. Ich werde ihr genau jedes Ihrer Worte wiederholen. Weiter haben Ew. Majestät mir nichts zu befehlen?
Ja, rief Joseph hoch athmend, ich habe Ihnen noch zu sagen, daß Sie, wenn Sie Ihre Botschaft an die Kaiserin ausgerichtet haben, und heimgekehrt sind in Ihr Land, Sie alsdann Ihre frommen Väter berufen, und Ihnen gebieten mögen, für Ihren Bruder eine Todtenmesse zu lesen, denn Sie haben in dieser Stunde Ihren Bruder Joseph verloren. Er ist Ihnen gestorben für immerdar.
Der Großherzog begegnete den stolzen, herausfordernden Augen Josephs mit einem Blick voll finstern Hasses. Ich kann nicht verlieren, was ich nie besessen habe, sagte er kurz. Ich habe niemals einen Bruder Joseph gehabt. Hätte ich den besessen, und wäre es mein Bruder Joseph gewesen, welcher da vorher vor mir stand, so würde ich nicht zurückgewichen sein, sondern ich würde mein Schwert gezogen, und den Beleidiger zur Rechenschaft gefordert haben. Aber es war nur der Kaiser Joseph, welcher mir gegenüber stand, und deshalb duldete ich und schwieg. Und deshalb allein werde ich auch ferner dulden und schweigen, nur werde ich es vermeiden, mit dem Kaiser Joseph zusammen zu treffen.
Unsere Wege sind getrennt, und ich hoffe, daß wir einander nie wieder begegnen, rief der Kaiser heftig.
Ich hoffe es auch, sagte Leopold sanft, denn jedenfalls würde unser Begegnen niemals ein freundliches sein! Leben Sie wohl!
Leben Sie wohl, und wo möglich auf Nimmerwiedersehen!
Ohne ein weiteres Wort, einen weiteren Blick, durchschritt der Großherzog das Zimmer und öffnete die Thür. Der Kaiser schaute ihm mit gerunzelter Stirn und finstern Blicken nach, Feldmarschall Lacy war weiter zurückgetreten in den Hintergrund, und blickte mit steigender Angst bald auf den enteilenden Großherzog, bald auf das düstere Gesicht des Kaisers.
Jetzt schloß Leopold hinter sich die Thür, und gleichsam von diesem Geräusch aus seiner dumpfen Erstarrung aufgeschreckt, zuckte Lacy zusammen und eilte vorwärts zu dem Kaiser hin.
Rufen Sie ihn zurück, Sire, flehte er mit zitternder Stimme, ich beschwöre Ew. Majestät, lassen Sie ihn nicht so von Sich scheiden. Er ist Ihr Bruder, Sire, er ist der Lieblingssohn Ihrer Mutter, und er ist die Hoffnung und der Trost aller Derjenigen, welche vor Ew. Majestät zittern, und sich berechtigt glauben, mit bangen Sorgen in die Zukunft zu schauen!
Ja, er ist der Anführer meiner Feinde, sagte Joseph, er ist das Haupt der frommen Partei, welche ewig im Finstern schleicht, und heimlich mir ihre Flüche und Verwünschungen entgegenschleudert, und mir ewig Steine und Hindernisse in den Weg schieben wird. Aber ein Tag wird kommen, wo ich dieser finstern Brut ihr frommes Eulennest zerstören und aufräumen werde in meinem Hause. An jenem Tage werde ich auch des heutigen Begegnens mit dem Großherzog Leopold gedenken! Dieser heftige Zwist, den Joseph im Lager mit dem Großherzog Leopold hatte, trennte wirklich die beiden Brüder für immer. Sie vermieden es, zusammen zu sein, und sprachen niemals mehr mit einander. Kaiser Joseph ließ daher später nicht seinen nächsten Thronfolger, den Großherzog Leopold, sondern dessen Sohn und Erben Franz zum König von Rom krönen, und selbst an das Sterbebett des Kaisers durfte sein Nachfolger nicht kommen. Erst nach Josephs wirklichem Tode sollte, seinem ausdrücklichen Befehle gemäß, sein Erbe und Nachfolger Leopold durch Couriere benachrichtigt und gerufen werden.
Sire, ich beschwöre Sie noch einmal, flehte Lacy, rufen Sie den Großherzog zurück, wenn nicht als Ihren Bruder, so doch als den Abgesandten der Kaiserin. Verbieten Sie ihm als Solchem, der Kaiserin die drohenden Worte zu wiederholen, welche Ew. Majestät vorher nur in der Aufregung des Momentes gesprochen haben, nehmen Sie die mündliche Botschaft zurück, und –
Lacy, unterbrach ihn der Kaiser mit lauter, zürnender Stimme, ich habe heute einen Bruder und eine Schlacht verloren. Wollen Sie mich nun auch noch den Freund verlieren lassen?
Er schaute Lacy mit einem so glühenden und zugleich so schmerzlichen Blick an, daß diesem die Thränen in die Augen traten. Sire, sagte er tief bewegt, vergeben Sie Ihrem treuesten und ergebensten Diener, wenn ich es gewagt, Ihnen zu widersprechen, und entziehen Sie mir Ihre Freundschaft nicht, denn Ew. Majestät wissen wohl, daß diese Freundschaft den Hauptinhalt meines Lebens und mein einzig Glück ausmacht. Ich habe kein Weib, keine Kinder, ich habe nichts, was ich liebe, als Sie allein, und wenn ich Sie verlöre, so würde ich mich verkriechen in irgend einem dunklen Winkel der Erde, und niemals sollte die Welt wieder von Lacy hören.
Sie werden mich nie verlieren, mein theurer geliebter Freund, rief der Kaiser, indem er mit einer raschen Bewegung seine beiden Arme um Lacy's Hals warf und ihn innig umarmte. Mein Gott, ich leide so grenzenlos, und es ist mir, als ob mir eben der Tod eines meiner liebsten Freunde verkündet wäre. Und ist es nicht so, Lacy? Ist mir nicht die schönste und größte Hoffnung meines Lebens gestorben? Die Hoffnung, mir endlich Ruhm und Ehre auf dem Schlachtfeld zu erobern, und der Welt zu beweisen, daß es außer dem König von Preußen noch Feldherren und Schlachtensieger in Deutschland geben kann? Oh Lacy, meine ganze Seele glühte diesem Ziel entgegen, und wie ein wildes Roß bäumte sich mein Herz auf bei dem Gedanken: Du wirst morgen dem alten siegreichen Feind Deines Hauses gegenüberstehen, Du wirst ihm wenigstens einen Zweig jener Lorbeeren entreißen, die er sich auf den Schlachtfeldern gegen Oesterreich erobert hat! – Oh, ich hätte Jahre meines Lebens freudig hingegeben, wenn ich mir damit dies Ziel hätte erkaufen können, denn, – ich will Ihnen ein Geheimniß anvertrauen, Lacy, – denn ich hasse diesen König Friedrich, den die Welt den Großen nennt, ich hasse ihn so glühend, wie ich ihn einst zu lieben glaubte. Er ist Schuld an all dem Unglück, das mein Haus seit fast vierzig Jahren betroffen hat, sein Ruhm sind unsere Niederlagen, sein Glanz ist unsere Dunkelheit. Ich würde es ihm vergeben können, daß er uns Schlesien genommen hat, aber ich werde es ihm niemals vergeben, daß er mich zu der elenden und unwürdigen Rolle eines Nachahmers erniedrigt hat! Denn was ich auch unternehmen und thun mag, immer hat er es schon zuvor gethan, immer ist er vor mir dagewesen, und hat das Alles seinem Volk aus ruhiger Reflexion der Klugheit gegeben, was ich meinem Volk aus wärmster Begeisterung der Liebe darbringen will. Wenn ich meinem Volk die Aufklärung geben und es befreien will von dem Druck der Priester, er hat es vor mir gethan; wenn ich die Künste, die Wissenschaften, die Industrie unterstützen und fördern will, er hat das Alles schon längst vor mir gethan; wenn ich den Zeloten und Eiferern Duldung anempfehlen, die Geknechteten schützen, die Unterdrückten erheben will, er hat von den Juden längst schon den Bann genommen und allen Seelen die Erlaubniß ihrer Existenz gegeben! Wenn ich endlich mich selber auszeichnen möchte in den Künsten, die ich am meisten liebe, wenn ich in der Kriegskunst und in der Musik mir Ruhm erwerben möchte, er hat es schon früher gethan, und seine Flöte und seine Lorbeern sind älter, als mein Violoncell und mein Schwert. Oh, ich hasse ihn, ich hasse ihn, denn seine Größe ist der Stein, an welchem meine Originalität zerbricht, immer wird er mir im Wege stehen und mit seinem Glanz einen Schatten auf mein Leben und meine Thaten werfen! Oh Lacy, das ist ein Gedanke, der mich in Verzweiflung bringt, der wie eine glühende Kohle in meinem Hirn brennt. Dieser Mann zwingt mich, für seinen Nachahmer zu gelten, und doch fühle ich, daß ich es nicht bin, und doch handle ich nur nach eigener freier Entschließung! Aber Niemand wird es mir glauben, und er selber auch nicht! Mir ist es, als sähe ich das spöttische Aufblitzen seiner furchtbaren Adleraugen, das höhnische Lächeln seines Mundes, wenn er eines Tages von den neuen Einrichtungen und Gesetzen des Kaisers Joseph hört, und sich einbildet: »das hat er Mir nachgeahmt!« Oh, er wird mich dahin treiben, daß ich in toller Unvernunft zu viel thue, um nur nicht blos das zu thun, was er schon gethan hat! Er ist der böse Dämon meines Hauses, und nicht blos, daß er uns Länder und Schlachten abgewonnen, hat er mir auch meine Zukunft und meine Originalität geraubt. Lacy, ist es nicht furchtbar zu denken, daß es da einen Feind unsers Hauses giebt, der uns in allen Dingen besiegt hat, selbst in dem Großen und Guten, was wir thun wollen?
Aber Ew. Majestät gehen da in der Aufregung des Moments zu weit, sagte Lacy mit einem sanften Lächeln. Es ist wahr, der König von Preußen hat viel gethan, und er hat es Ew. Majestät schwer gemacht, etwas Originales zu thun, das er nicht schon versucht hat. Aber Eins hat der König noch nicht gethan, und das ist gerade das Eine, in welchem Ew. Majestät ihm dereinst glänzend und siegreich voran gehen werden! Er hat nichts für Deutschland gethan, er hat es selbst niemals versucht, ein Deutscher zu sein! Inmitten eines deutschen Landes, auf einem deutschen Thron sitzend, ist er doch nur der Beschützer fremder Kunst, fremder Wissenschaft und fremder Industrie. Er verachtet und ignorirt die deutschen Gelehrten, die deutschen Dichter, die deutschen Industriellen, und die Sprache der Deutschen nennt er die Sprache der Barbaren. Der geringste französische Witzkopf ist ihm besser bekannt, als die größten Gelehrten Deutschlands, und während er für Voltaire schwärmt, und sich italienische Oper und französische Maler und Bildhauer hält, ist ihm Lessing und Winckelmann ganz unbekannt, und mißachtet er den deutschen Meister Gluck. Das ist der große und schöne Unterschied zwischen Ew. Majestät und dem König von Preußen, und den wird die Welt und Nachwelt anerkennen müssen. Der König von Preußen ist nur zufällig der Fürst eines deutschen Lands, Sie aber sind ein deutscher Fürst, und zu Ihnen wird sich dieses Deutschland flüchten, das er verstieß, an Ew. Majestät wird es sich anklammern mit allen seinen Wünschen und Hoffnungen, seinen Träumen und seiner Begeisterung. Friedrich der Zweite ist nur der König Preußens, Sie aber werden einst der Kaiser Deutschlands sein, und das deutsche Volk, welches Er verstieß, wird in Ihnen seinen Retter und Erlöser begrüßen und erkennen.
Er wird auch das zu verhindern wissen, rief der Kaiser leidenschaftlich, er hat mich schon ausgespürt auf diesem meinem Wege, den ich selbstständig von ihm wandeln wollte, und schon wieder stellt er sich mir entgegen, um mich zu bekämpfen. Ja, Sie haben Recht, es ist mein höchstes Ziel, ein deutscher Fürst zu sein, mir den Namen eines Kaisers von Deutschland auch der Wahrheit nach zu verdienen. Unter meinem Scepter wollte ich alle diese zerstückelten, auseinandergerissenen Länder des schönen Deutschlands vereinen, Ein Land sollte es werden, Ein Volk und Ein Vater und Fürst. Hinwegräumen wollte ich den Kehricht der alten, so oft verhöhnten und mißbrauchten deutschen Reichsverfassung, hinwegräumen auch den lächerlichen und unglücklichen Theaterschmuck so vieler kleiner Throne und Fürsten, und unter dem Dach einer einzigen Krone wollte ich das deutsche Volk sammeln in dem großen einigen und einzigen Hause seines deutschen Vaterlandes. Das war und ist mein Ideal, und deshalb wollte ich jetzt Baiern meine Hand darreichen und dies deutsche Land erretten von den Priestern, den Jesuiten und all den finstern Gewalten, die mit dem wollüstigen und frömmelnden Carl Theodor über Baiern herrschen werden, deshalb rief ich ihnen zu, zu mir zu kommen, und ihr elendes Baiernthum hinzugeben an das große und herrliche Deutschthum! Aber da kommt wieder dieser König von Preußen, und weil er meine Gedanken durchschaut hat, reißt er mir mit hämischer Schadenfreude mein eigen Banner aus der Hand und pflanzt es vor sich auf und giebt, indem er mich bekämpft, sich das Ansehen, als ob Er für Deutschland in die Schranken träte, als ob Er die heilige Verpflichtung übernommen, deutsche Freiheit, deutsches Recht und deutsche Tugend zu beschützen. Ach, ist es nicht eine zugleich lächerliche und abscheuliche Farce, welche wir da spielen sehen? Der König von Preußen, der Mann, der niemals Deutschland gekannt hat, dem es immer nur ein Gegenstand für seinen Witz und seinen Spott gewesen, er nennt sich jetzt plötzlich den Vertheidiger Deutschlands; die Herzogin Clemens, die Freundin der Obscuranten, der Rosenkreuzer und Jesuiten legt über ihre von mir bedrohten Freunde jetzt plötzlich die deutsche Fahne hin und schreit: »Ihr rettet Deutschland, wenn Ihr uns errettet,« und aus allen diesen kleinen deutschen Raubnestern und Schlössern recken die kleinen deutschen Fürsten, welche fühlen, daß ich über ihnen schwebe in der Luft, wie der Habicht über dem Taubennest, ihre Hälse empor, und schreien: »Deutschland ist bedroht, rettet uns, dann werdet Ihr Deutschland gerettet haben!« – Und Maria Theresia läßt ihr Ohr betäuben von diesem tollen Geschrei und der König von Preußen findet, daß das ein himmlischer Gesang ist, der Victoriagesang, mit dem er mich abermals bei Seite gedrängt und überschrieen hat! Oh, Lacy, ich hasse ihn, glühend, unaussprechlich. Denn nicht genug, daß er mich besiegt hat ohne Schwertschlag, so wird er mich jetzt auch noch lächerlich machen! Muß die Welt mich nicht verlachen und verspotten, wenn sie diesen Brief des Königs an meine Mutter liest, in welchem er ihr verspricht, daß er seine Schritte so einrichten werde, daß Maria Theresia nichts zu fürchten brauche für ihr Blut, und für einen Kaiser, den er liebe und hochachte, obwohl er in den Angelegenheiten Deutschlands mit ihm in den Principien differire. Groß-Hoffinger, Urkundenbuch zur Lebensgeschichte Josephs II. S. 41. Bin ich ein verhätscheltes Muttersöhnchen, dem man lächelnd erlaubt, mit Knallbonbons zu spielen und sich einzubilden, daß das Kanonen sind, welche es abfeuert? – und ich soll ihm nicht beweisen können, daß ich kein Knabe bin, den er zu schonen nöthig hat, sondern daß ich ein Mann bin, den er, so Gott will, eines Tages zu fürchten hat? Der alte entnervte Heldengreis steckt sich hinter den mit Rosenkränzen und Scapuliren verbrämten Reifrock meiner Frau Mutter, und bläst ihr in's Ohr, daß dieser Krieg ein sündhafter sei! Oh Lacy! Soll ich denn niemals Gelegenheit haben, Rache zu nehmen an diesem König, der meiner Mutter schon so viele Thränen und mir so viele Enttäuschungen und geknickte Hoffnungen gekostet hat? Muß ich denn wirklich auch dies Mal wieder mein Schwert in die Scheide stecken und mich in Demuth beugen unter den Willen meiner Mutter?
Sie ist die regierende Kaiserin, sagte Lacy ernst, und Ew. Majestät werden Ihrem Volk und uns Allen ein leuchtendes Beispiel des Gehorsams geben!
Ach ich weiß es wohl, seufzte Joseph, ich muß abermals dies arme ungestüme Herz besiegen, und schweigen und dulden!
Er ging mit hastigen, unsichern Schritten einige Male auf und ab, bald halblaute Worte vor sich hin murmelnd, bald düstere, schmerzliche Blicke auf das Fenster werfend, durch welches man da draußen das bunte Gewimmel der Soldaten sehen konnte, welche das Lager abzubrechen begannen, indem sie mit voller frischer Kehle dazu Lieder voll Kampflust und Siegesfreudigkeit sangen.
Auf einmal blieb der Kaiser stehen, und sich mit einer stolzen Bewegung des Hauptes an Lacy wendend, sagte er: Herr Feldmarschall, ich nehme meinen Plan zurück. Die Kaiserin Königin Maria Theresia hat befohlen, und es ist an uns, zu gehorchen! Treffen Sie alle nöthigen Anordnungen, ertheilen Sie Ihre Befehle, verkünden Sie der Armee unsern umgeänderten Beschluß: Wir werden dem König nicht bis über die Elbe entgegenmarschiren und ihm eine Schlacht liefern, wir werden nicht unser Lager abbrechen, sondern wir werden hier bleiben und warten!
Sire, rief Lacy begeistert, in dieser Stunde haben Sie in Wahrheit einen Sieg gewonnen, den Sieg über Sich selbst!
Der Kaiser sah ihn mit einem schmerzlichen Lächeln an. Aber dieser Sieg ist schwerer als der, welchen ich mir morgen zu erkämpfen hoffte, sagte er seufzend. Doch es nutzt nichts mehr, davon zu reden. Gehen Sie, Lacy, und ertheilen Sie Ihre Befehle! Wir wollen warten. Da wir das Schwert nicht ziehen dürfen, mein Freund, so lassen Sie uns beten, beten, daß Gott sich meiner erbarme, und dem armen Kaiser von Oesterreich eines Tages gestatte, Revanche zu nehmen an dem König von Preußen!