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XI.
Der Abschied von der Flöte

Wenige Minuten später standen die Pferde des Königs und seiner Suite bereit, und Friedrich schritt lebhaft hinaus, um sich in den Sattel zu schwingen. In jugendlicher Hast trat er heran und hob den Fuß empor, aber dann flog ein schmerzhaftes Zucken durch seine Gestalt, und er mußte den Fuß wieder sinken lassen.

Der Heldengeist hatte des Körpers vergessen und der Gicht, die ihn seit einigen Wochen wieder plagte. Aber der kranke Körper war jetzt doch mächtiger, als der kühne Geist, der ihn bewohnte, und lähmte seine Schwingen.

Friedrich mußte es sich gefallen lassen, von seinen Lakayen auf sein Pferd gehoben und auf den Sattel gebracht zu werden. Aber einmal im Sattel und die Füße in den Bügeln, drückte er seinem Pferde so heftig die Flanken, daß es hoch aufbäumte und im rasenden Galopp vorwärts jagte.

Vielleicht hatte der König, indem er das that, einer augenblicklichen Regung seines Zorns über seine eigene Hinfälligkeit nachgegeben, vielleicht wollte er seinen Begleitern beweisen, daß er noch immer der kühne und gewandte Reiter von ehemals sei.

Aber wieder hatte er nicht an sein Alter und seine Hinfälligkeit gedacht, und wieder erinnerten die heftigen Schmerzen ihn daran, die ihm die rasche Bewegung seines Pferdes verursachte.

Er hielt es an und erwartete seine Suite, die im vollen Galopp ihm gefolgt war.

Langsam, meine Herren, lassen Sie uns langsam reiten, sagte der König matt. – Sie ritten langsam weiter, der König schweigsam und stumm, die Generäle verstohlene Blicke der Angst auf den König werfend, dessen Antlitz immer bleicher ward, dessen Lippen zitterten, wie von großen Schmerzen.

Aber er ertrug seine Qual, und keine Klage, kaum ein Seufzer entfuhr seinen Lippen. Wenn sein Körper ihm Schmerzen verursachte, war sein Geist doch noch mächtig genug, sie zu überwinden oder mindestens zu ertragen. Erst als er die Stelle erreicht, die vom General von Keller als zum Uebergang tauglich bezeichnet worden, und als er sie genau besichtigt hatte, wandte er sein Pferd um und kehrte in das Lager zurück.

Aber vor seinem Quartier angelangt, genügte es nicht, den König vom Pferde zu heben, wie man ihn hinaufgehoben. Man mußte ihn bis in sein Zimmer und bis zu seinem Lehnstuhl tragen, denn die ungewohnte Anstrengung hatte seine Glieder steif und unbeweglich gemacht.

Als er auf seinem Lehnstuhl niedergelassen war, winkte der König heftig mit der Hand und befahl Allen, hinauszugehen. Er wollte allein sein, er mußte allein sein, um sich zu sammeln, um Niemand seine Schmerzen zu zeigen.

Mit einem tiefen Seufzer legte er sein Haupt zurück an die Lehne des Stuhls, und wieder murmelten seine schmerzlich zuckenden Lippen: Malheureux, laisse en paix ton cheval vieillissant! – Dann schwieg er und schloß die Augen, und saß eine lange Zeit unbeweglich da, schweigend, verloren in ein schmerzliches und bitteres Nachdenken.

Es ist vorbei mit mir, murmelte er dann leise vor sich hin, und zum ersten Mal vielleicht nicht im leichten Spott, sondern aus tiefer Ueberzeugung sich der Worte der Bibel bedienend, fuhr er fort: Der Geist ist willig, doch das Fleisch ist schwach! – Die Jugend hat mich verlassen und das Alter mit seinem Krückstock und seinem Aschenmantel hockt vor meiner Thür, und es findet mich allein!

So sprechend, ließ der König einen langen, schmerzvollen Blick in dem öden, düstern Gemach umherschweifen. Auf einmal zuckte es wie ein freudiger Blitz in seinen Augen auf, und seine Blicke hefteten sich mit einem immer sanftern, mildern Ausdruck auf den Tisch – auf den kleinen, dunklen, mit Leder bezogenen Kasten, der da zur Seite der Papiere und Landkarten stand.

In diesem Kasten war seine Flöte, die treue Freundin seiner guten und seiner schlimmen Tage, die langjährige Gefährtin des Heldengreises. Er hatte sie in der letzten Zeit vernachlässigt, und nicht Einmal hatte er in der Mißstimmung, die ihn während dieses Feldzugs verfolgte, seine Flöte aus ihrem Gefängniß entlassen.

Jetzt aber streckte er die Hand nach ihr aus, jetzt fühlte er, daß es ihren schmeichelnden Tönen vielleicht gelingen möchte, seine Qualen zu lindern, und daß er ihr allein sie zu klagen vermöchte.

Komm, meine Freundin, komm, sagte er leise, ich will Dir meine Schmerzen klagen, und ich weiß, daß Du besser als die Menschen mein Herz verstehen wirst!

Er setzte die Flöte an die Lippen und begann zu blasen. Aber auch die Flöte schien alt geworden zu sein und schwach, wie ihr königlicher Freund! Mühsam nur und zitternd kamen die Töne aus ihr hervor, jeder Ton begleitet von einem leisen Pfeifen und Zischen, wie als ob der Wind durch zerfallene Ruinen pfeift. Der König mußte zur Zeit des baierischen Erbfolgekrieges das Flötenblasen aufgeben wegen seiner zitternden Hände und des Verlustes seiner Vorderzähne. Preuß, Friedrich der Große. Th. I. S. 221. Mitten in dem angefangenen Adagio unterbrach sich der König und ließ die Hand, welche die Flöte hielt, langsam niedergleiten.

Es ist vorbei! sagte er mit einem lauten, schmerzlichen Seufzer. Der letzte Sonnenstrahl aus den Tagen meiner Jugend ist erloschen! Oh beneidenswerthe Jugend! Sie kann wenigstens ihre Schmerzen noch singen, wenn sie von keinen Freuden mehr zu singen hat! Das Alter aber muß ganz und gar verstummen und schweigend sein großes Leid, über das die Menschen lachen würden, in sich hineinfressen!

Er schwieg, und seine großen blauen Augen, in denen noch das ewige, unvergängliche Feuer der Jugend erglänzte, richteten sich mit einem Ausdruck tiefen Schmerzes, vorwurfsvoller Klage zum Himmel empor. – Das Alter hatte die Schwingen des Adlers gebrochen und ihn, den kühnen Bewohner sonniger Höhen, verurtheilt, gleich den niederen Sterblichen auf der Erde umherzukriechen, und ihre Misère zu erdulden. Er würde darüber nicht geklagt haben zu den Menschen, aber er klagte es dem Himmel und den Höhen, zu denen er sich nie mehr aufschwingen sollte.

Immer noch schaute der König schweigend, mit zuckenden Lippen empor und seine Augen füllten sich mit Thränen, die langsam über seine Wangen niederflossen.

Der König wehrte ihnen nicht, denn er war allein mit Gott und seinem Schmerz, oder er war sich seiner Thränen vielleicht nicht einmal bewußt, bis sie von seinen Wangen niederrollten auf die Hand, welche auf seinem Schooß ruhte und welche noch immer die Flöte hielt.

Diese brennende Thräne schien Friedrich aus seinem Schmerz zu erwecken; er senkte seinen Blick nieder auf seine Hand und ein rührendes, trauriges Lächeln überflog sein Angesicht.

Nun, sagte er leise, es wird einem alten Manne wohl erlaubt sein, über der Leiche seiner letzten und einzigen Jugendfreundin eine Thräne zu vergießen! Nun will ich sie begraben!

Er legte die Flöte in ihr Futteral, und wie er dann den Deckel krachend schloß, klang es wie das Rollen der ersten Scholle auf einem frischen Grab.

Der König hatte ein Gefühl, als ob es so sei; in sich erschauernd, setzte er den Kasten auf den Tisch.

Sie ist begraben, sagte er. Lebewohl auf Nimmerwiedersehen!

In diesem Moment vernahm man von draußen lautes Jubeln und Singen, und tausend und abertausend Stimmen riefen: Es lebe unser König! Es lebe der alte Fritz!

Sie jubeln, weil sie die Nachricht erhalten haben, daß es morgen zur Bataille gehen sollte! sagte der König leise. Aber ihre Hoffnung ist umsonst, wie die meine! Es hieß vorwärts oder rückwärts! Da ich nicht mehr vorwärts kann, muß ich mich wohl entschließen, rückwärts zu gehen. Wir werden morgen aufbrechen gen Schlesien, wenn auch nicht besiegt vom Kaiser, so doch von meinem Alter, und das ist, weiß Gott, die schlimmste aller Niederlagen, denn man kann sie nicht mit neuen Lorbeeren auswetzen.

Draußen jubelten und schrieen die Soldaten noch immer; allmälig läuterte sich aber dieses wüste Schreien und Jubeln zu reinern Tönen, und ein vielstimmiger Gesang schmetterte durch die Luft und machte die Fensterscheiben des Königlichen Gemachs erbeben, als ob leise Geisterhände daran klopften, um den König zu erwecken aus seiner Trauer und ihn zurückzurufen in die Tage der Vergangenheit.

Denn es war ein Lied aus schönern Zeiten, was die Soldaten sangen, und mit vollen Orgeltönen tönte es zu Friedrich herein, dieses Lied der Erinnerung an seine große Zeit, und hochauf seufzte der König, als seine Soldaten jetzt sangen:

»Vom sternenhellen Himmel sah'n
Schwerin und Winterfeldt –
Bewundernd den gemachten Plan,
Gedankenvoll den Held!

Gott aber wog bei Sternenklang
Der beiden Heere Krieg!
Er wog, und Oestreichs Schale sank
Und Preußens Schale stieg.« Gleim, Lieder eines preußischen Grenadiers.

Und Preußens Schale stieg! wiederholte Friedrich leise. Ich werde sie nicht mehr steigen lassen und die goldenen Tage sind für mich vorbei! Nun, fuhr er nach einer kurzen Pause fort, wenn ich es nicht thue, so mögen es meine Nachfolger thun, mögen sie Preußens Schale hoch emporsteigen lassen! Ich habe gethan, was ich konnte! Wenn ich aber jetzt statt vorwärts rückwärts gehen muß, so bin nicht ich daran Schuld, sondern das Alter und die Gicht, und ich kann nicht wie Cicero's weiser Lehrer Posidonius bei einem Schmerzensanfall ausrufen: »oh Gicht, Du magst es anstellen, wie Du willst, nie werde ich gestehen, daß Du ein Uebel seiest.« Ich bemühe mich, den Schmerz zu ertragen, aber ich fühle ihn. Nun, und vielleicht ist's gut, daß es so ist, denn diese Schmerzen bereiten mich vor, das abgenutzte Futteral meiner Seele bald zu verlassen. Und ich sage mit Marc Aurel: »man unterwerfe sich Allem, was die ewigen Gesetze der Natur uns zu ertragen auferlegen, ohne Murren!« Des Königs eigene Worte. Siehe: Oeuvres posthumes. Vol. XII. Seite 47.

Draußen hatten die Soldaten ein anderes Lied angestimmt, und lauter und vieltausendstimmiger noch als zuvor sangen sie jetzt:

»Und wenn der große Friedrich kommt,
Und klopft nur auf die Hosen,
So flieht die ganze Reichsarmee,
Panduren und Franzosen.«

Tempi passati! seufzte der König, aber es flog doch schon wieder ein leises Lächeln durch sein Antlitz hin und seine Augen begannen wieder zu leuchten. Er hörte dem fröhlichen, übermüthigen Lied andächtig zu, und immer heller ward sein Antlitz und immer strahlender sein Blick.

Eh bien, man muß die Dinge eben so nehmen, wie sie kommen, sagte er nach einer langen Pause fast heiter. Kann ich nicht mehr fechten und nicht mehr Flöte blasen, so kann ich doch noch schreiben und meine Zunge rühren. Und meine Feder und meine Zunge sollen jetzt den Herrn Franzosen immer noch möglichst lästig fallen! Mein Lobgedicht auf Voltaire ist noch nicht ganz vollendet, ich will's heute zu Ende bringen, damit es in der Akademie zu Berlin zur Gedächtnißfeier des gestorbenen Dichterkönigs vorgelesen werden kann. Voltaire war im Mai 1778 gestorben, und im Lager zu Böhmen dichtete Friedrich seine Lobrede auf ihn, die alsdann Ende des Jahres in einer außerordentlichen Sitzung der Akademie zu Berlin vorgelesen und darauf gedruckt ward. Freilich wird die französische Akademie mein Französisch wieder tüchtig kritisiren, aber wie soll man in Böhmen richtig Wälsch schreiben? Ich thue, was ich kann, aber ich weiß wohl, daß meine Arbeit nicht dessen würdig ist, den sie feiern soll; jedenfalls benutze ich die Freiheit meiner Feder, um in Berlin das laut vortragen zu lassen, was man in Paris sich kaum in's Ohr zu sagen wagt. Des Königs eigene Worte. Siehe: Oeuvres posthumes. Vol. XII. Seite 35.

Der König zog den Tisch näher zu sich heran, und die Feder nehmend, begann er an dem Manuscript zu schreiben, das aufgeschlagen auf dem Tisch vor ihm lag.


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